Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.389/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_389/2012

Urteil vom 10. Oktober 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Federico Domenghini,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Bachmann,
Beschwerdegegnerin,

Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen, Rüeggisingerstrasse 29, 6021 Emmenbrücke
1.

Gegenstand
Strafverfahren; Einstellungsverfügung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Luzern, 2.
Abteilung, vom 19. April 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a Am 11. Januar 2011 ereignete sich in Horw/LU eine Kollision zwischen den
Personenwagen von A.________ und X.________. In der Folge erstattete die
Luzerner Polizei Anzeige gegen X.________ wegen mangelnder Rücksichtnahme auf
nachfolgende Personen beim Linksabbiegen (gemäss Art. 34 Abs. 3 SVG) und
ungenügender Zeichengabe bei einer Richtungsänderung (nach Art. 39 Abs. 1 SVG)
sowie gegen A.________ wegen vorschriftswidrigen Überholens (gemäss Art. 35
Abs. 5 SVG).
A.b Am 3. Februar 2011 bzw., nach Einsprache, am 17. November 2011 auferlegte
die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen X.________ im Strafbefehlsverfahren
eine Busse von Fr. 400.-- und verwies A.________ mit ihren Zivilforderungen an
den Zivilrichter. Nach erneuter Einsprache von X.________ wurde die Strafsache
an das Bezirksgericht Kriens überwiesen.
A.c Mit Verfügung vom 27. Dezember 2011 stellte die Staatsanwaltschaft
Abteilung 2 Emmen die Strafuntersuchung gegen A.________ ein. Dieser Entscheid
wurde am 3. Januar 2012 von der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern
genehmigt und in der Folge auch X.________ zugestellt.
A.d Gegen die Einstellungsverfügung in der Strafsache gegen A.________ erhob
X.________ Beschwerde beim Obergericht des Kantons Luzern. Dieses wies die
Beschwerde am 19. April 2012 ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 28. Juni 2012 an das Bundesgericht beantragt
X.________, den Beschluss des Obergerichts vom 19. April 2012 aufzuheben und
diesem gegenüber anzuordnen, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, die
Strafuntersuchung gegen A.________ weiterzuführen.

C.
A.________ und das Obergericht des Kantons Luzern schliessen auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Luzern stellt für die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen Antrag auf
Abweisung.

D.
Am 5. September 2012 hat sich X.________ nochmals zur Sache geäussert. Die
übrigen Verfahrensbeteiligten haben keine weiteren Stellungnahmen eingereicht.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der bei
ihm erhobenen Rechtsmittel von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29
Abs. 1 BGG; BGE 137 III 417 E. 1 mit Hinweisen).

1.2 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid über die
Einstellung einer Strafuntersuchung, gegen den grundsätzlich die Beschwerde in
Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen steht.

2.
2.1 Nach Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer
vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit dazu
erhalten hat (lit. a) und wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Dies trifft
insbesondere für die Privatklägerschaft zu, wenn der angefochtene Entscheid
sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1
lit. b Ziff. 5 BGG). Als Privatklägerschaft kann sich die geschädigte Person
beteiligen, die ausdrücklich die Absicht ihrer Beteiligung am Strafverfahren
als Straf- oder Zivilkläger erklärt hat (Art. 118 Abs. 1 StPO). Geschädigt ist,
wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art.
115 Abs. 1 StPO).

2.2 Das Bundesgericht hat sich in einem kürzlich ergangenen Entscheid (Urteil
1B_432/2011 vom 20. September 2012) bei der Beurteilung eines Falles, in dem es
wie hier um ein Strassenverkehrsdelikt ging, vertieft mit dem Begriff des
Geschädigten und dessen Legitimation zur Beschwerde in Strafsachen auseinander
gesetzt. Dieses Urteil stützte sich auf einen Mehrheitsentscheid der
Vereinigung der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung und der Strafrechtlichen
Abteilung des Bundesgerichts. Die darin enthaltenen ausführlichen Erwägungen
mit einer Vielzahl von Verweisen können wie folgt zusammengefasst werden:
2.2.1 Als Geschädigter ist anzusehen, wer Träger des Rechtsgutes ist, das durch
die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung geschützt werden
soll. Im Zusammenhang mit Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter
schützen, gelten praxisgemäss nur diejenigen Personen als Geschädigte, die
durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt
werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge der
tatbestandsmässigen Handlung ist. Werden durch Delikte, die (nur) öffentliche
Interessen verletzen, private Interessen auch, aber bloss mittelbar
beeinträchtigt, so ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinne von Art. 115
Abs. 1 StPO (Urteil des Bundesgerichts 1B_432/2011 vom 20. September 2012 E.
2).
2.2.2 Die Verkehrsregeln schützen nebst dem allgemeinen Interesse der
Verkehrssicherheit höchstens die körperliche Integrität der Verkehrsteilnehmer,
nicht aber deren Eigentum bzw. Vermögen. Reiner Sachschaden als Folge eines
Verkehrsregelverstosses stellt mithin keine unmittelbare Verletzung in eigenen
Rechten im Sinne von Art. 115 StPO dar, sondern ist nur eine mittelbare Folge
der Nichteinhaltung der Verkehrsregeln. Der Kollisionsbeteiligte, der bloss
Sachschaden erlitten hat, ist daher nach dieser Vorschrift nicht durch die
Verkehrsregelverletzung geschädigte Person. Er kann sich demzufolge nicht als
Privatkläger gemäss Art. 118 StPO am Strafverfahren beteiligen (Urteil des
Bundesgerichts 1B_432/2011 vom 20. September 2012 E. 3 und 4).
2.2.3 Mangels rechtlich geschützten Interesses ist in der Sache auch die
subsidiäre Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen (vgl. Art. 115 lit. b BGG;
Urteil des Bundesgerichts 1B_432/2011 vom 20. September 2012 E. 6).
2.2.4 Soweit der Geschädigte davon ausgeschlossen ist, sich als Partei im
Strafverfahren zu konstituieren, kann er mangels Parteistellung auch nicht mit
der Beschwerde in Strafsachen oder der subsidiären Verfassungsbeschwerde die
Verletzung von Rechten rügen, die einer am Verfahren beteiligten Partei nach
dem massgebenden Prozessrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung
oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zustünden (Urteil des
Bundesgerichts 1B_432/2011 vom 20. September 2012 E. 5 und 6).

2.3 Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einer
Fahrzeugkollision im Rahmen eines Verfahrens wegen Verstosses gegen die
Verkehrsregeln keinen Personenschaden geltend. Er ist demnach gemäss der
dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung in der Sache nicht zur
Beschwerde in Strafsachen gegen den gegenüber der Beschwerdegegnerin ergangenen
Einstellungsentscheid berechtigt. Dies gilt mangels Parteistellung auch
insoweit, als er sich auf die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör
nach Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 107 StPO sowie gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und
Art. 6 EMRK beruft.

3.
3.1 Die Beschwerde erweist sich als unzulässig, weshalb darauf nicht
eingetreten werden kann.

3.2 Der Beschwerdeführer unterliegt. Da er das Urteil des Bundesgerichts 1B_432
/2011 vom 20. September 2012 nicht kennen konnte, rechtfertigt es sich, auf die
Erhebung von Verfahrenskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Hingegen hat
der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen und
dem Obergericht des Kantons Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Oktober 2012

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Uebersax