Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.168/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_168/2012

Urteil vom 8. Mai 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

1. Verfahrensbeteiligte
X.________,
2. Y.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm,
Untere Grabenstrasse 30, Postfach 1475, 4800 Zofingen.

Gegenstand
Strafverfahren; Beschlagnahme,

Beschwerde gegen das Urteil vom 26. Januar 2012
des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A.
Y.________, dem der Führerausweis im September 2010 auf unbestimmte Zeit
entzogen worden war, geriet am 8. Oktober 2011, um 7:20 Uhr, am Steuer seines
Volvo V50 in Murgenthal in eine Verkehrskontrolle der Regionalpolizei Zofingen.
Er wurde für 12:30 Uhr zur Einvernahme auf den Polizeiposten Zofingen
vorgeladen, wo er am Steuer seines Volvo V50 vorfuhr. Am 14. Oktober 2011 wurde
Y.________ von der Regionalpolizei Zofingen erneut am Steuer seines Volvo V50
angetroffen.
Im Rahmen des Strafverfahrens gegen Y.________ wegen Führens eines Fahrzeugs
ohne Berechtigung (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG) und gegen seine Lebensgefährtin
X.________ wegen Überlassens eines Motorfahrzeugs an eine Person ohne
Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. e SVG) wurden folgende drei Fahrzeuge
polizeilich sichergestellt: der Fiat Panda 1.2, AG 307'819, eingelöst auf
Y.________, nach seinen Angaben im Eigentum von X.________ stehend, sowie der
Volvo V50, AG 354'349 und der Renault Master T28 2.8Di, AG 191'245, welche
beide auf X.________ eingelöst sind, aber im Eigentum von Y.________ stehen
sollen.
Am 24. Oktober 2011 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm die
drei Fahrzeuge gestützt auf Art. 263 Abs. 1 lit. b und d StPO zur
Sicherstellung der Verfahrenskosten und im Hinblick auf eine allfällige
Einziehung.
X.________ und Y.________ beschwerten sich gegen diesen Beschlagnahmebefehl.
Sie beantragten im Wesentlichen, den Fiat Panda X.________ sofort
auszuhändigen. Der Volvo und der Renault sollten ihnen gegen die Hinterlegung
einer Kaution ausgehändigt werden, wobei die Schlüssel eingeschlossen würden.
Ausserdem sei X.________ durch die Staatskasse eine Entschädigung zu bezahlen.
Am 26. Januar 2012 wies die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts
des Kantons Aargau diese Beschwerde ab. Sie kam zum Schluss, die
Voraussetzungen für eine Beschlagnahme in Hinblick auf eine spätere Einziehung
im Sinn von Art. 69 Abs. 1 StGB seien erfüllt und liess offen, ob auch die
Voraussetzungen für eine Beschlagnahme zur Sicherung der Verfahrenskosten
erfüllt wären.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragen X.________ und Y.________ sinngemäss,
den Entscheid des Obergerichts aufzuheben, ihnen alle drei Fahrzeuge umgehend
herauszugeben und X.________ einen angemessenen Schadenersatz zuzusprechen.
Ausserdem stellen sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

C.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist der Entscheid des Obergerichts, mit welchem es die Beschwerde
gegen die Beschlagnahme von drei Fahrzeugen abwies. Es handelt sich um den
Entscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Strafsache, gegen den die
Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 BGG). Er
schliesst das Verfahren gegen die Beschwerdeführer nicht ab, ist mithin ein
Zwischenentscheid. Als solcher ist er nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher
Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken könnte. Dies ist der Fall, da der
Beschwerdeführer nach seiner plausiblen Darstellung für die Ausübung seines
Berufs als Monteur auf ein Fahrzeug angewiesen ist, mit dem er sich mit seinem
Werkzeug zu den Arbeitsstellen chauffieren lassen kann. Als Beschuldigte und
Eigentümer bzw. Halter der Fahrzeuge sind die Beschwerdeführer zur Beschwerde
befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu
keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.
Nach Art. 69 Abs. 1 StGB verfügt der Strafrichter ohne Rücksicht auf die
Strafbarkeit einer Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung
einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat
hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen,
die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
Nach der Rechtsprechung fällt die Sicherungseinziehung eines Motorfahrzeugs,
dessen Halter sich ungeachtet eines gegen ihn ausgesprochenen
Führerausweisentzugs immer wieder ans Steuer setzte und mit seinem Fahrzeug am
öffentlichen Verkehr teilnahm, in Betracht (BGE 137 IV 249 E. 4 S. 254 ff.).
Der Beschwerdeführer hat wiederholt ein Motorfahrzeug gelenkt, ohne über einen
Führerausweis zu verfügen. Er erscheint in diesem Punkt uneinsichtig, was sich
schon daraus ergibt, dass er, nachdem er am Morgen des 8. Oktober 2011 von der
Polizei gestellt worden war, als er ohne Führerausweis mit seinem Personenwagen
unterwegs war, gleichentags am Steuer seines Personenwagens zur polizeilichen
Einvernahme fuhr. Es ist somit zu befürchten, dass er weiterhin Motorfahrzeuge
lenken könnte, ohne über den erforderlichen Führerausweis zu verfügen. Diese
Gefahr ist umso grösser, je leichter er sich ein Fahrzeug beschaffen kann.
Befinden sich Motorfahrzeuge in seinem Haushalt, ist sie naturgemäss besonders
akut, zumal seine Lebensgefährtin im Verdacht steht, ihm von ihr gehaltene
Fahrzeuge überlassen zu haben, obwohl sie wusste, dass der Beschwerdeführer
nicht über einen Führerausweis verfügte. Zusammenfassend ergibt sich somit,
dass eine Sicherungseinziehung der drei Motorfahrzeuge nach Art. 69 Abs. 1 StGB
in Betracht fällt. Ob der Beschwerdeführer Eigentümer aller drei Personenwagen
ist oder ob der Fiat Panda seiner Lebensgefährtin gehört, wie er behauptet,
spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da der Fiat Panda unter den
vorliegenden Umständen auch bei der mitbeschuldigten Beschwerdeführerin
eingezogen werden könnte.
Fällt somit die Einziehung der drei Fahrzeuge nach Art. 69 Abs. 1 StGB in
Betracht, so ist im Hinblick darauf auch ihre strafprozessuale Beschlagnahme
nach Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO für die Dauer des Verfahrens zulässig. Dieses
ist namentlich mit Blick auf die Härte, welche die Beschlagnahme für die
Beschwerdeführerin bedeutet, zügig zu führen (Art. 5 Abs. 1 StPO). Die
Beschwerde ist unbegründet.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens würden
die Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie haben
indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches
gutgeheissen werden kann, da ihre Bedürftigkeit ausgewiesen scheint und die
Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Einen
Anspruch auf Entschädigung hat die Beschwerdeführerin nicht.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Es werden keine
Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm
und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Mai 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi