Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 996/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_996/2009

Urteil vom 10. Juni 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
Q.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Tomas Kempf,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 29. September 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene Q.________ war als Bauarbeiter tätig. Im Juni 1992 meldete er
sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des
Kantons Zürich sprach ihm (mit nicht bei den Akten liegender, unauffindbarer
Verfügung) eine ganze Rente zu und bestätigte diese wiederholt revisionsweise
(Verfügungen vom 12. November 1996 und vom 2. September 1997, Mitteilung vom 9.
August 2001). Ab 1. Januar 1995 arbeitete der Versicherte als Magaziner für die
Firma A.________ und anschliessend (ab 2001) bis zur auf Ende Juni 2007
erfolgten Kündigung in derselben Eigenschaft für die Firma E.________ GmbH.
Im Rahmen einer weiteren revisionsweisen Überprüfung des Rentenanspruchs gab
die IV-Stelle beim Zentrum X.________ ein Gutachten in Auftrag. Gestützt auf
das am 3. Oktober 2007 erstattete Gutachten stellte sie, nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens, die Invalidenrente mit Wirkung auf Ende Februar 2008 ein
(Verfügung vom 24. Januar 2008).

B.
Die von Q.________ mit dem Antrag auf Weiterausrichtung einer ganzen Rente und
dem Eventualantrag auf Rückweisung der Sache zu weiteren Abklärungen erhobene
Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid
vom 29. September 2009 ab.

C.
Q.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid und die
Verwaltungsverfügung seien aufzuheben. Es sei ihm auch für die Zeit ab 1. März
2008 eine ganze Rente zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zu weiteren
Abklärungen und zur Neubeurteilung an die IV-Stelle, eventualiter die
Vorinstanz, zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG). Diese gesetzliche Kognitionsbeschränkung in tatsächlicher Hinsicht
gilt namentlich für die Einschätzung der gesundheitlichen und leistungsmässigen
Verhältnisse (Art. 6 ATSG), wie sie sich im revisions- oder
neuanmeldungsrechtlich massgeblichen Vergleichszeitraum (BGE 133 V 108)
entwickelt haben (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 692/06 vom 19.
Dezember 2006 E. 3.1).

2.
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen über den Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 ATSG), den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG von vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember
2007 gültig gewesenen Fassung; Art. 28 Abs. 2 IVG in der seither in Kraft
stehenden Fassung) und die Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Zu beurteilen ist, ob der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im
massgeblichen Vergleichszeitraum zwischen der (unauffindbaren)
rentenzusprechenden und der -aufhebenden Verfügung vom 24. Januar 2008 eine
erhebliche, die Arbeitsfähigkeit beeinflussende Veränderung erfahren hat.

3.1 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Analoges
gilt auch für die Frage, ob sich eine Arbeits(un)fähigkeit in einem bestimmten
Zeitraum in einem revisionsrechtlich relevanten Sinne (Art. 17 ATSG; Art. 87
Abs. 3 und 4 IVV) verändert hat (Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4).
Ebenso stellt die konkrete Beweiswürdigung eine Tatfrage dar. Dagegen ist die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art.
61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil
9C_270/2008 vom 12. August 2008 E. 2.2).

3.2 Das kantonale Gericht erwog, es sei auch ohne die ursprüngliche
rentenbegründende Verfügung möglich, den dieser zugrunde liegenden
medizinischen Sachverhalt zu ermitteln. Denn aus der vom Spital Y.________ am
4. Januar 1994 erstellten Krankengeschichte sei ersichtlich, dass beim
Beschwerdeführer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine psychische
Fehlentwicklung im Umgang mit der körperlichen Beeinträchtigung zu einer
Berentung geführt habe. Aus rheumatologischer Sicht sei ihm bereits damals in
einer angepassten Tätigkeit eine volle Arbeitsfähigkeit attestiert worden;
einzig anlässlich der psychiatrischen Untersuchung sei von einer schlechten
Prognose und der Notwendigkeit einer Berentung die Rede gewesen. Nachdem im
Gutachten des Zentrums X.________ vom 3. Oktober 2007 keine psychische
Erkrankung mehr festgestellt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass
sich der psychische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im massgeblichen
Vergleichszeitraum verbessert habe und in einer angepassten Tätigkeit (leichte
Tätigkeit in Wechselbelastung ohne Heben, Tragen und Transportieren von Lasten
von mehr als 5 Kilogramm sowie ohne Verharren in Zwangshaltungen) eine volle
Arbeitsfähigkeit bestehe.

3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, diese tatsächlichen Feststellungen des
kantonalen Gerichts seien offensichtlich unrichtig und deshalb für das
Bundesgericht nicht verbindlich. Es treffe nicht zu oder sei aktenwidrig, dass
psychische Beeinträchtigungen seinerzeit zur Zusprechung einer Invalidenrente
geführt hätten. Der von der Vorinstanz zitierte Bericht des Spitals Y.________
vom 4. Januar 1994 gebe keine Auskunft darüber, inwiefern psychische Probleme
seine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit eingeschränkt hätten. Auch dem Gutachten
des Zentrums X.________ vom 3. Oktober 2007 lasse sich nur entnehmen, dass im
Zeitpunkt der Begutachtung keine psychische Erkrankung feststellbar gewesen
sei, nicht aber, dass eine solche zum Zeitpunkt der Rentenzusprechung bestanden
habe. Es sei ohnehin nicht einzusehen, wie sich sein psychischer
Gesundheitszustand ohne psychotherapeutische Behandlung verändert haben könnte.
Richtigerweise sei davon auszugehen, dass die Berentung aufgrund physischer
Einschränkungen erfolgt sei, in welcher Hinsicht jedoch keine veränderten
Verhältnisse vorlägen.

3.4 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Ärzte der Rheumaklinik des
Spitals Y.________ diagnostizierten in ihrem Bericht vom 4. Januar 1994 ein
chronisches lumbovertebrales bis lumbospondylogenes Syndrom sowie eine
psychische Fehlentwicklung und Aggravationstendenz bei sozialer Entwurzelung
und fehlender Zukunftsperspektive. Da sich die vom Versicherten beklagten
Beschwerden durch die objektiv erhobenen Befunde nicht begründen liessen,
veranlassten sie ein psychiatrisches Konsilium, welches die Diagnose eines
chronischen lumbalen Schmerzsyndromes mit massiver psychogener Überlagerung und
Entwurzelungsproblematik ergab. Im Bericht vom 4. Januar 1994 wurde
festgehalten, aus rheumatologischer Sicht könne der Versicherte zwar in der
früheren Tätigkeit als Bauhandlanger nicht mehr eingesetzt werden, doch seien
ihm körperlich mittelschwere bis leichte Arbeiten mit Wechselbelastung zu 100 %
zumutbar. Demgegenüber hielt der konsiliarisch beigezogene Psychiater fest, die
psychische Fehlentwicklung vor dem Hintergrund einer körperlichen
Beeinträchtigung entspreche einem geistigen Gesundheitsschaden. Es bestünden
keine psychotherapeutischen Möglichkeiten für eine Beeinflussung der
Symptomatik und eine Berentung sei unumgänglich. Bei dieser Aktenlage liegt es
- entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers - auf der Hand und hat die
Vorinstanz demnach zutreffend erkannt, dass die Berentung aus psychischen
Gründen erfolgt war. Dass sich der Versicherte, wie er geltend machen lässt,
keiner psychotherapeutischen Behandlung unterzogen hat, schliesst eine spontane
Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes nicht aus. Nachdem der
Beschwerdeführer zu Recht nicht bestreitet, dass im Zeitpunkt der Begutachtung
durch das Zentrum X.________ jedenfalls keine psychischen Beeinträchtigungen
vorlagen, ist die vorinstanzliche Feststellung eines verbesserten psychischen
Gesundheitszustandes und einer vollen Arbeitsfähigkeit in einer dem
Rückenleiden angepassten Tätigkeit nicht zu beanstanden.

3.5 Nach dem Gesagten weist die vorinstanzliche Würdigung des medizinischen
Dossiers keine augenfälligen Mängel auf, welche eine offensichtliche
Unrichtigkeit oder eine Unvollständigkeit der diesbezüglichen Feststellungen
begründen könnten. Dementsprechend erscheint auch die auf antizipierter
Beweiswürdigung (BGE 131 I 153 E. 3 S. 157; 124 V 90 E. 4b S. 94) beruhende
Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts, weitere medizinische Erhebungen
erübrigten sich, nicht bundesrechtswidrig (vgl. Art. 61 lit. c ATSG).

3.6 Bleiben damit die vorinstanzlichen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit des
Beschwerdeführers für das Bundesgericht verbindlich (E. 1), ist die im
angefochtenen Entscheid bestätigte revisionsweise Aufhebung der Rente
bundesrechtskonform, zumal sich der Versicherte mit dem zu einem
rentenausschliessenden Invaliditätsgrad (IV-Stelle: 4 %; Vorinstanz: 13 %)
führenden Einkommensvergleich nicht auseinandersetzt. Diesbezügliche
Weiterungen erübrigen sich.

4.
Die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete
Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen.

5.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. Juni 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann