Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 983/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_983/2009

Urteil vom 21. Januar 2011
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Scartazzini.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdeführerin,

gegen

P.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,

Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug
vom 24. September 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1960 geborene P.________, Betriebsökonom, wurde am 30. Januar 2001 Opfer
eines Auffahrunfalls. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
erbrachte als obligatorischer Unfallversicherer die gesetzlichen Leistungen,
stellte diese aber per 31. Oktober 2005 ein. Am 16. Januar 2002 meldete sich
P.________ bei der IV-Stelle Zug zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung an. Gestützt auf eine MEDAS-Begutachtung vom 24. Juli
2003, wonach der Versicherte noch 30 % arbeitsfähig sei, sprach die IV-Stelle
ihm mit Verfügung vom 5. Juli 2004 eine ganze Rente bei einem Invaliditätsgrad
von gerundet 86 % ab 1. Januar 2002 zu. Im Oktober 2005 leitete die IV-Stelle
eine Revision der Invalidenrente ein und ordnete eine interdisziplinäre
Abklärung an, welche im Institut Y.________, Spital N.________, durchgeführt
wurde. Mit Verfügung vom 24. Juli 2008 setzte sie die bisherige ganze Rente auf
eine Dreiviertelsrente herab, da die Arbeitsfähigkeit des Versicherten in einer
seiner Behinderung angepassten Tätigkeit 80 % und der Invaliditätsgrad nur noch
60 % betrage.

B.
Die von P.________ hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das
Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 24. September 2009 gut,
indem es festhielt, der Beschwerdeführer habe weiterhin Anspruch auf eine ganze
Invalidenrente.

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die
Verfügung vom 24. Juli 2008 zu bestätigen.
P.________ und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der Beschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und
beweisrechtlichen Grundlagen Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG),
einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung
(Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die revisionsweise Herabsetzung der
bisherigen ganzen Rente auf eine Dreiviertelsrente zu Recht vorgenommen wurde.
Die Vorinstanz hat die Beschwerde des Versicherten gutgeheissen mit der
Begründung, die Ausführungen im Gutachten des Instituts Y.________ vom 1.
November 2007 würden eine effektive Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausweisen. Demgegenüber bringt die
Beschwerdeführerin vor, das kantonale Gericht habe Bundesrecht verletzt, weil
es bei fehlinterpretierter rechtlicher Würdigung des fraglichen Gutachtens zu
Unrecht zum Schluss gelangt sei, es handle sich dabei lediglich um eine
abweichende Einschätzung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen
Gesundheitszustandes des Versicherten.

2.2 Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird
gemäss Art. 17 ATSG die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die
Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben. Dies gilt auch für
andere formell rechtskräftig zugesprochene Dauerleistungen, deren
Sachverhaltsgrundlage sich nachträglich erheblich verändert hat. Die Frage der
wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen beurteilt sich durch
Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ursprünglichen
Rentenverfügung bestanden hat, mit demjenigen zur Zeit der streitigen
Revisionsverfügung.

3.
3.1 Die Vorinstanz gelangte hauptsächlich gestützt auf die MEDAS-Begutachtung
vom 24. Juli 2003 und auf die am 1. November 2007 erstellte interdisziplinäre
Abklärung des Instituts Y.________ , Spital N.________, zum Schluss, die
kognitiven Beschwerden des Versicherten seien im Jahr 2003 noch aus
neuropsychologischer Sicht einschränkend gewesen, während sie nun durch den
Gutachter des Instituts Y.________ dem Fachgebiet Psychiatrie zugeordnet
würden, wo ihnen bei diagnostizierter Neurasthenie kein Krankheitswert mehr
zukomme. Dabei handle es sich aber offensichtlich um eine andere
Diagnosestellung bzw. Beurteilung derselben vorliegenden kognitiven
Beschwerden. Das Resultat der aktuellen neuropsychologischen Testung entspreche
weitgehend demjenigen von 2003. Es sei zwar durchaus denkbar, dass der
Beschwerdeführer mit den Jahren durch Angewöhnung einen besseren Umgang mit
seinen Schmerzen und kognitiven Einbussen erlernt habe, eine eigentliche
Abnahme der Schmerzen könne aus rheumatologischer Sicht jedoch nicht
ausgewiesen werden.

3.2 Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geltend, im
vorinstanzlichen Entscheid werde richtigerweise nicht in Abrede gestellt, dass
das Gutachten des Instituts Y.________ grundsätzlich allen gemäss
Rechtsprechung an die Verwertbarkeit eines solchen medizinischen Gutachtens zu
stellenden Anforderungen entspricht. Entscheidendes Gewicht komme insbesondere
der Aussage zu, dass neuropsychologische Testergebnisse immer in einem Kontext
beurteilt werden müssten, wobei es beim Vergleich der beiden Gutachten ganz
klar auf der Hand liege, dass sich dieser Kontext zwischen 2003 und 2007
erheblich verändert habe. Dies erkläre auch, weshalb sich aus
neuropsychologischer Sicht gemäss den Gutachtern des Instituts Y.________ eine
Verbesserung eingestellt hat, selbst wenn die Testergebnisse sich nur wenig
verändert haben. Die Vorinstanz liege auch hinsichtlich der neu
diagnostizierten Neurasthenie offensichtlich falsch. Richtig sei, dass in der
MEDAS-Begutachtung vom 24. Juli 2003 sehr wohl auch psychiatrische Störungen
diagnostiziert und für die Bewertung der damals stark eingeschränkten
Arbeitsfähigkeit berücksichtigt wurden. Diese Störungen hätten sich jedoch
offensichtlich gebessert, weshalb sie vom Psychiater des Instituts Y.________
neu einer nicht mehr invalidisierenden Neurasthenie zugeordnet werden konnten.
Dabei stützt sich die Beschwerdeführerin auch auf eine Stellungnahme des
RAD-Arztes vom 27. Oktober 2009 und auf die Beantwortung einer Rückfrage beim
Institut Y.________ vom 6. November 2009. Der RAD-Arzt Dr. E.________,
Allgemeinmedizin (D), hebt hervor, dass im vorinstanzlichen Entscheid das
Ausmass der kognitiven Einschränkungen (2003 "mittelschwer", 2007 "leicht")
vollkommen unberücksichtigt bleibe, obwohl gerade im kognitiven Bereich der
Unterschied zwischen leichter und mittelschwerer Funktionsstörung erhebliche
Auswirkungen auf die Arbeits- und Leistungsfähigkeit einer Person habe. Auch in
der Beantwortung des Instituts Y.________ wird dargelegt, unter Gewichtung
aller Befunde sei die Einschränkung nur als leichtgradig einzustufen. Es könne
nicht einzig auf die Testergebnisse als solche abgestellt werden. Es sei
festzuhalten, dass die Einschätzung einer Neurasthenie nicht einfach eine
andere Etikettierung eines gleichen - neuropsychologisch feststellbaren -
Sachverhalts sei, sondern eine eigenständige, neue diagnostische Einschätzung,
die sich auch auf die Gesamtschau im Rahmen der Konsensfindung abstütze und die
verschiedenen testpsychologischen, anamnestischen und klinischen Aspekte mit
einbeziehe. Die Neurasthenie sei eine deutlich mehr auch verhaltensmässig
geprägte Beschwerdesymptomatik.

3.3 Der Beschwerdegegner rügt in formeller Hinsicht, die IV-Stelle wolle die
Stellungnahme des RAD-Arztes vom 27. Oktober 2009 und die Beantwortung der
Rückfrage beim Institut Y.________ vom 6. November 2009 als Noven betrachten.
Dabei handle es sich allerdings nicht um neue Beweismittel, sondern höchstens
um Teile des Behauptungsfundaments, mit denen die Unhaltbarkeit der
Beweiswürdigung der Vorinstanz dargelegt werden soll. In materieller Hinsicht
macht der Beschwerdegegner hauptsächlich geltend, die Beschwerdeführerin habe
nirgends aufgezeigt, welche Sachverhaltsfeststellungen im vorinstanzlichen
Entscheid nicht nur falsch, sondern unhaltbar sein sollten.

4.
4.1 Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG nur so
weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass
gibt. Werden Tatsachen etwa erst durch den vorinstanzlichen Entscheid
rechtswesentlich, ist ihr Vorbringen vor Bundesgericht zulässig. Dies trifft
etwa bei Tatsachen zu, welche die Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht durch
die Vorinstanz untermauern (SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz
[BGG], Bern 2007, N. 6 zu Art. 99 BGG). Im vorliegenden Fall sind die neu
aufgelegten Stellungnahmen des RAD-Arztes vom 27. Oktober 2009 und des
Instituts Y.________ vom 6. November 2009 unzulässig, denn es handelt sich
nicht um Tatsachen, welche durch den angefochtenen Entscheid veranlasst sind,
sondern welche bloss die Rüge der offensichtlich unrichtigen
Sachverhaltsfeststellung gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG durch die Vorinstanz
untermauern sollen. Vielmehr hätte die IV-Stelle bereits nach Eingang der
Beschwerde beim kantonalen Gericht allenfalls zusätzliche Abklärungen durch den
RAD oder eine Rückfrage beim Institut Y.________ veranlassen können.

4.2 Das kantonale Gericht hat nicht übersehen, dass das Institut Y.________ von
einer verbesserten Arbeitsfähigkeit ausgegangen ist und hat auch insofern den
Sachverhalt durchaus korrekt wiedergegeben, ihn aber anders gewürdigt, als es
die Beschwerdeführerin für richtig hält. Dass die auf eine Würdigung der
medizinischen Aktenlage sich stützenden tatsächlichen Feststellungen des
kantonalen Gerichts, soweit nicht offensichtlich unrichtig oder auf einer
Bundesrechtsverletzung beruhend, für das Bundesgericht verbindlich sind,
scheint die Beschwerdeführerin zu verkennen (E.1). Wenn die Vorinstanz mit
eingehender und überzeugender Begründung zum Schluss gelangt, die abweichende
Stellungnahme des Instituts Y.________ zum Grad der Arbeitsunfähigkeit im
Vergleich zum MEDAS-Gutachten sei Ausfluss und Folge der Verwendung anderer,
psychiatrischer Diagnosen für das gleiche, letztlich nur neuropsychologisch
erfassbare Beschwerdebild (mit verschiedenen Hirnleistungsstörungen), ist dies
unter dem Vorbehalt unhaltbarer, offensichtlich falscher oder gar willkürlicher
Würdigung der fachärztlichen neuropsychologischen Aussagen durch die Vorinstanz
hinzunehmen; andernfalls würde das Bundesgericht Tatfragen frei beurteilen.
Schliesslich beruht die Beschwerde fast ausschliesslich auf
neuropsychologischen Aussagen, nicht aber auf fachärztlichen Stellungnahmen zur
Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit im Vergleichszeitraum. Die Vorinstanz hat
nach Lage der Akten nicht Bundesrecht verletzt, wenn sie auf der Grundlage
einer sorgfältigen Beweiswürdigung zum Ergebnis gelangt ist, bei der
Beurteilung des Instituts Y.________ handle es sich um eine revisionsrechtlich
unerhebliche abweichende Beurteilung eines seit der Begutachtung in der MEDAS
im Wesentlichen gleich gebliebenen Gesundheitszustandes.

5.
Die Gerichtskosten sind bei diesem Verfahrensausgang der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat ausserdem dem Beschwerdegegner
dessen Parteikosten für das vorliegende Verfahren zu ersetzen (Art. 68 Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Januar 2011

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Scartazzini