Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 943/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_943/2009

Urteil vom 10. Februar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
K.________,
vertreten durch Fürsprecher Roland Padrutt,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
10. September 2009.

Sachverhalt:

A.
Die 1976 geborene K.________ bezog seit 1. August 2000 auf Grund einer
gesundheitlich bedingten Erwerbsunfähigkeit von 56 % eine halbe Rente der
Invalidenversicherung samt Zusatzrente für den Ehegatten und eine bzw. ab 1.
September 2006 zwei Kinderrenten (Verfügungen vom 11. Februar 2004 und 6.
Dezember 2006). Als Ergebnis eines im November 2006 eingeleiteten
Revisionsverfahrens, in welchem u.a. abgeklärt wurde, in welchem zeitlichen
Umfang die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre,
hob die IV-Stelle des Kantons Aargau nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 29. Dezember 2008 die halbe Rente auf.

B.
Die Beschwerde der K.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
mit Entscheid vom 10. September 2009 ab.

C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 10. September 2009 sei aufzuheben und
die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen zur Zusprechung einer
halben Invalidenrente an die IV-Stelle zurückzuweisen, unter Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Mit Verfügung vom 27. November 2009 ist das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Prozesses abgewiesen worden.
Erwägungen:

1.
1.1 Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines
Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin
für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs.
1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG). Anlass zur
Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den
Rentenanspruch zu beeinflussen (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; Urteil U 35/07 vom
28. Januar 2008 E. 3).
Eine revisionsrechtlich relevante Tatsachenänderung (Revisionsgrund) stellt
insbesondere eine - nicht notwendigerweise gesundheitlich bedingte - Reduktion
oder die Erhöhung des erwerblichen Arbeitspensums dar, was zu einem Wechsel der
Invaliditätsbemessungsmethode führen kann (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; 117 V
198 E. 3b S. 199; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 502/97 vom 8. März
1999 E. 3).

2.
Das kantonale Gericht hat die Akten dahingehend gewürdigt, die Versicherte
würde ohne gesundheitliche Beeinträchtigung nach dem Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu 60 % erwerbstätig sein und daneben den
Haushalt führen. Demgegenüber hatte die Zusprechung der halben Rente ab 1.
August 2000 auf der Annahme einer Vollerwerbstätigkeit im Gesundheitsfalle
beruht. Die Vorinstanz bemass daher die Invalidität neu nach der gemischten
Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG; BGE 125 V 146 E. 2a-c S. 148 ff. in Verbindung
mit BGE 130 V 343). Bei einer Arbeitsfähigkeit von 50 % bezogen auf ein
Vollzeitpensum im erwerblichen Bereich und einer Einschränkung im Haushalt von
24 % resultierte ein Invaliditätsgrad von 20 % (0.6 x 16.67 % + 0.4 x 24 %; zum
Runden BGE 130 V 121), was für den Anspruch auf eine Rente nicht ausreicht
(Art. 28 Abs. 2 IVG). Selbst bei einem Anteil der Erwerbstätigkeit von 0,8 (=
80 % eines Normalarbeitspensums) bestehe kein Rentenanspruch (Invaliditätsgrad:
35 %).

3.
Die Beschwerdeführerin rügt, die vorinstanzliche Annahme einer im
Gesundheitsfall ausgeübten Teilerwerbstätigkeit im Umfang von 60 % beruhe auf
offensichtlich unrichtigen Feststellungen zum tatsächlich geleisteten
Arbeitspensum vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung sowie zu den
Gründen für die Reduktion des Arbeitspensums ab März 2006 vor der Geburt des
zweiten Kindes. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz sei sie im Zeitraum
von August 1993 bis März 2006 immer einer 100 % Arbeitstätigkeit nachgegangen.
In der Zeit der IV-Berentung habe das Pensum 39 % betragen, was zusammen mit
dem Invaliditätsgrad von 55,9 % einem Beschäftigungsgrad von rund 95 %
entspreche. Die Reduktion des Arbeitspensums auf 10 % im März 2006 sei
ausschliesslich gesundheitlich bedingt gewesen und zudem vor der Geburt des
zweiten Kindes erfolgt, weshalb sie nicht Folge dieses Ereignisses sein könne.
Die geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei nie
abgeklärt worden und sei insbesondere auch nicht Gegenstand des
Verlaufsberichts des Dr. med. E.________ vom 23. Februar 2007 gewesen. Dieser
Bericht könne nicht anders verstanden werden, als dass keine gesundheitliche
Verbesserung eingetreten, alles wie bisher sei und die bisherige Rente belassen
werden könne.

4.
4.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil - von hier nicht interessierenden
Ausnahmen abgesehen - den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen oder
auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung
ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden,
sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42
E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil
eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die
plausiblere erschiene (Urteil 9C_575/2009 vom 6. November 2009 E. 3.2.1.1). Die
konkrete Beweiswürdigung ist wie die darauf beruhende Sachverhaltsfeststellung
ebenfalls nur unter diesem eingeschränkten Blickwinkel überprüfbar (Urteil
9C_744/2009 vom 15. Dezember 2009 E. 4.1 mit Hinweisen).
4.2
4.2.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass u.a. auch der berufliche Werdegang
gegen eine Vollzeittätigkeit im Gesundheitsfalle spreche, habe doch die
Versicherte bereits vor der Geburt des ersten Kindes kein 100%-Pensum versehen.
Zur Begründung verwies sie auf die 1994 bis 1998 erzielten Löhne gemäss dem
Auszug aus dem Individuellen Konto vom 2. Dezember 1999. Danach betrug der
durchschnittliche Verdienst in diesem Zeitraum ohne die Monate September 1996
bis August 1997, in welchen die Beschwerdeführerin Arbeitslosenentschädigung
bezogen hatte, Fr. 30'649.-. Dies entspricht verglichen mit dem
standardisierten Bruttolohn (Zentralwert) von Frauen in einfachen und
repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes 4) im privaten
Sektor von Fr. 41'460.- (12 x Fr. 3'455.-) gemäss der Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung 1996 des Bundesamtes für Statistik (S. 17; vgl. BGE 124 V
321) einem Arbeitspensum von rund 75 %. Ebenfalls stellt die Höhe der im
Zeitraum vom 1. September 1996 bis 31. August 1997 bezogenen
Arbeitslosenentschädigung von insgesamt Fr. 14'365.- ein Indiz gegen eine
Vollerwerbstätigkeit. Dagegen sprechen die von der Versicherten eingereichten
Gehaltsabrechnungen, Stempelkarten und zwei Arbeitsverträge dafür, dass sie im
fraglichen Zeitraum tatsächlich auch oder sogar meistens zu 100 % erwerbstätig
gewesen war, wenn auch zu einem eher bescheidenen Salär. Es kann offenbleiben,
ob es sich bei diesen Unterlagen um unzulässige neue Beweismittel in Sinne von
Art. 99 Abs. 1 BGG handelt, was in der Beschwerde verneint wird, und in welchem
zeitlichen Umfang die Versicherte vor der Geburt des ersten Kindes resp. vor
dem Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung erwerbstätig gewesen war.
4.2.2 Die Vorinstanz hat weiter festgestellt, die Versicherte habe nach
Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung ihre medizinisch ausgewiesene
und zumutbare Restarbeitsfähigkeit von 50 % nie verwertet. Was dagegen
vorgebracht wird, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführerin arbeitete ab
17. Juni 2002 zwar teilzeitlich bei einem Arbeitspensum von 39 %. Daraus kann
jedoch nicht durch Addition des Invaliditätsgrades von 56 % ein hypothetisches
Arbeitspensum von 95 % im Gesundheitsfalle hergeleitet werden. Der
Invaliditätsgrad misst einzig die erwerblichen Auswirkungen der
gesundheitlichen Beeinträchtigung. Wenn überhaupt, sind die 39 % in Bezug zu
setzen zu den unbestrittenen 50 % zumutbarer Arbeitsfähigkeit aus medizinischer
Sicht, woraus sich ein Arbeitspensum von 78 % im Gesundheitsfalle ergäbe.
Indessen resultierte gemäss Vorinstanz auch bei einer Erwerbstätigkeit von 80 %
ohne gesundheitliche Beeinträchtigung bei im Übrigen unveränderten
Berechnungsfaktoren kein anspruchsbegründender Invaliditätsgrad (E. 2).
4.2.3 Unbestrittenermassen arbeitete die Beschwerdeführerin ab 1. März 2006
lediglich noch in einem zeitlichen Umfang von 11 % der betriebsüblichen
Arbeitszeit. Im September 2006 gebar sie eine Tochter, was eine weitere
Kinderrente auslöste. Es kann offenbleiben, aus welchen anderen Gründen als der
bevorstehenden Geburt die Versicherte das Arbeitspensum reduziert hatte. Wie
sie selber festhält, ergibt sich aus dem Bericht des Dr. med. E.________ vom 9.
Februar 2007 keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Soweit sich der
behandelnde Chiropraktor in dem Sinne äusserte, die bisherige Rente könne
belassen werden, ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe des Arztes ist,
sich zu den erwerblichen Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu
äussern (Urteile 9C_624/2009 vom 7. Oktober 2009 E. 4.1.1 und 9C_111/2009 vom
21. Juli 2009 E. 2.3.2). Im Übrigen übersieht die Versicherte, dass die
Vorinstanz gestützt auf den - in der Beschwerde nicht erwähnten - späteren
Bericht des Dr. med. E.________ vom 12. Dezember 2008 sowie auf Grund des
Fehlens widersprechender Arztberichte abklärungsbedürftige Hinweise auf eine
Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis zum Erlass der Verfügung vom 29.
Dezember 2008 verneint hat.

4.3 Aufgrund des Vorstehenden kann der Vorinstanz weder eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung noch eine unhaltbare Beweiswürdigung
vorgeworfen werden. Die Annahme, die Beschwerdeführerin würde im
Gesundheitsfalle zu 60 %, höchstens aber zu 80 % einem Erwerb nachgehen und
daneben den Haushalt führen, verletzt Bundesrecht nicht.

5.
Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung ist weiter nicht angefochten. Es
besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung. Die Beschwerde ist somit
unbegründet.

6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der GastroSocial Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
zugestellt.

Luzern, 10. Februar 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler