Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 941/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_941/2009

Urteil vom 15. Dezember 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Parteien
1. R.________,
2. H.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Kübler,
Beschwerdeführer,

gegen

Gemeindeverwaltung X.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 25. September 2009.

Sachverhalt:

A.
Die Eheleute R.________ und H.________ (geboren 1942 bzw. 1943) beziehen seit
1. November 2006 Ergänzungsleistungen zur AHV (Verfügung vom 17. Januar 2007).
Mit Rentenbescheid vom 13. Mai 2008 sprach die Deutsche Rentenversicherung
Bund, H.________ rückwirkend ab 1. Dezember 2006 eine Altersrente zu
(R.________ bezieht seit 1. Januar 2006 ebenfalls eine Altersrente für
langjährig Versicherte der Deutschen Rentenversicherung; Rentenbescheid vom 9.
Februar 2006). Die Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der
Gemeinde X.________ (im Folgenden: Durchführungsstelle) erliess am 3. Juli 2008
drei Verfügungen betreffend Anpassung der EL-Leistungen (vom 1. Februar bis 31.
März 2008 [Verfügung zu Revisionsblatt 7], vom 1. April bis 30. Juni 2008
[Verfügung zu Revisionsblatt 8] und ab 1. Juli 2008 [Verfügung zu
Revisionsblatt 9]). Am 6. August 2008 verfügte sie, die von R.________ infolge
der H.________ rückwirkend zugesprochenen deutschen Altersrente zuviel
bezogenen Ergänzungsleistungen seien zurückzuerstatten; die Rückforderungen
würden mit fälligen Ergänzungsleistungen verrechnet und die monatlichen
Zahlungen solange eingestellt, bis der zuviel bezogene Betrag vollständig habe
verrechnet werden können. Die hiegegen erhobene Einsprache der Eheleute
R.________ und H.________ wies die Durchführungsstelle mit Einspracheentscheid
vom 18. September 2008 ab.
Nachdem R.________ bei der Fürsorgebehörde Y.________ ein Gesuch um Sozialhilfe
gestellt hatten, verfügte die Durchführungsstelle am 15. Oktober 2008 die
Auszahlung der Krankenversicherungsprämien rückwirkend ab August 2008. Die
hiegegen erhobene Einsprache von R.________ wies die Durchführungsstelle mit
Einspracheentscheid vom 10. Dezember 2008 ab.

B.
Gegen die beiden Einspracheentscheide vom 18. September und 10. Dezember 2008
liessen die Eheleute R.________ und H.________ je Beschwerde erheben. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich vereinigte die Verfahren und wies
die Beschwerden mit einem Entscheid vom 25. September 2009 ab.

C.
R.________ und H.________ lassen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen und in prozessualer Hinsicht beantragen, der Beschwerde
sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen und die Beschwerdegegnerin sei
unverzüglich anzuweisen, die Verrechnung von EL-Leistungen bis zum Vorliegen
eines letztinstanzlichen Urteils auszusetzen. Weiter seien der angefochtene
Entscheid und die Einspracheentscheide vom 18. September und 10. Dezember 2008
insoweit aufzuheben, als die Rechtmässigkeit der Verrechnung während laufendem
Beschwerdeverfahren bejaht werde. Im Übrigen sei die Sache an das kantonale
Gericht zurückzuweisen, damit es die Rechtmässigkeit der verfügten EL-Ansprüche
von Februar bis Juni 2008 sowie ab 1. Juli 2008 und die Nachzahlung über Fr.
1'069.- überprüfe. Schliesslich ersuchen R.________ und H.________ um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz erwog, die Beschwerdegegnerin habe die Rückforderung im
Anschluss an die Nachzahlung der (deutschen) Altersrente verfügt und sich dabei
an die höchstrichterliche Rechtsprechung gehalten. Weil eine Verrechnung auch
zulässig sei, bevor eine rechtskräftige Entscheidung über den
Rückforderungsanspruch vorliege, habe sie die Rückforderung zu Recht mit
fälligen Ergänzungsleistungen verrechnet.

2.2 Die Beschwerdeführer rügen, das kantonale Gericht habe in Verletzung von
Bundesrecht die Verrechnung während laufendem Verfahren geschützt. Unter
Berücksichtigung der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen
Rückforderungsverfügungen sei die Rückforderung während eines
Rechtsmittelverfahrens rechtlich noch gar nicht durchsetzbar. Soweit in Art. 27
ELV etwas anderes bestimmt werde, sei die Verordnungsbestimmung gesetzeswidrig.

3.
Es ist nunmehr unbestritten, dass die Beschwerdeführer gegenüber der
Beschwerdegegnerin im Umfang von insgesamt Fr. 10'355.10 (Höhe der rückwirkend
ausbezahlten deutschen Altersrente) rückerstattungspflichtig sind, dies zu
Recht (BGE 122 V 134). Die Beschwerdegegnerin hat die zuviel bezogenen Gelder
ab August 2008 mit den EL-Leistungen verrechnet (wobei sie am 15. Oktober 2008
die Kürzung des monatlich zu verrechnenden Betrages verfügt hatte, um den
Beschwerdeführern die Begleichung ihrer Krankenkassenprämien zu ermöglichen).
Zwischen August 2008 und November 2009 wurden rund Fr. 7'000.- zur Verrechnung
gebracht (bei einer monatlichen EL in Höhe von etwa Fr. 442.-). Offen ist
demzufolge noch ein Betrag in Höhe von etwas mehr als Fr. 3'000.-. Dabei
bestreiten die Beschwerdeführer nicht grundsätzlich die Zulässigkeit der
Verrechnung, sondern wenden sich gegen deren Vornahme während laufendem
Beschwerdeverfahren.

4.
4.1 Wie die Versicherten selbst ausführen, haben sie hinsichtlich der bereits
erfolgten Verrechnung keinen praktischen Nutzen an einer Gutheissung der
Beschwerde, so dass insoweit auf die Beschwerde nicht einzutreten wäre (Art. 89
Abs. 1 lit. c BGG). Sie bringen indes vor, die Frage nach der Zulässigkeit
einer Verrechnung während laufendem Beschwerdeverfahren sei Gegenstand eines
weiteren, von ihnen vorinstanzlich anhängig gemachten Verfahrens (und stelle
sich auch sonst immer wieder).

4.2 Das Bundesgericht verzichtet bei der Prüfung der Eintretens-voraussetzungen
praxisgemäss ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen Interesses, wenn
sich die aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen jeweils unter gleichen oder
ähnlichen Umständen wieder stellen könnten, ohne dass im Einzelfall rechtzeitig
eine höchstrichterliche Prüfung stattfinden könnte (BGE 128 II 34 E. 1b S. 36
mit Hinweisen). Soweit die Beschwerdeführer sinngemäss beantragen, es sei die
Bundesrechtswidrigkeit der vorinstanzlich geschützten Vorgehensweise der
Beschwerdegegnerin festzustellen (zur Zulässigkeit von Feststellungsbegehren
vgl. in BGE 132 V 347 nicht publizierte E. 2 des Urteils B 19/04 vom 16. August
2006 mit Hinweis), kann somit auf die Beschwerde eingetreten werden.

5.
5.1 Nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid ist für die
Zulässigkeit einer Verrechnung massgeblich, ob die Forderungen gegenseitig und
gleichartig sind sowie ob zum Zeitpunkt der Verrechnung die Fälligkeit
eingetreten war (Art. 120 Abs. 1 OR; vgl. BGE 132 V 127 E. 6.4.3.1. S. 143 f.
mit Hinweisen). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Verrechnung
zulässig, selbst wenn die Gegenforderung bestritten ist (vgl. Art. 120 Abs. 2
OR). Keine Rolle spielt, ob eine Forderung bereits rechtskräftig zugesprochen
worden war oder nicht (vgl. Urteil H 195/96 vom 22. Juni 1998 E. 3b).

5.2 Das Bundesgericht hat in BGE 130 V 407 E. 3.4 S. 413 entschieden, dass
Einsprachen und Beschwerden gegen Rückerstattungsverfügungen über unrechtmässig
bezogene Ergänzungsleistungen von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt.
Das Gericht erwog, es sei wenig sinnvoll, bei EL-Bezügern, die weder Vermögen
noch Erwerbseinkommen haben, vor dem rechtskräftigen Entscheid der Erlassfrage
die Rückforderung zu vollstrecken. Die Beschwerdeführer berufen sich auf diese
Rechtsprechung und machen geltend, die vorinstanzliche geschützte Verrechnung
der Beschwerdegegnerin stehe im Widerspruch zu diesem Entscheid. Diesem
Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Anders als in BGE 130 V 407 steht hier
die Verrechnung zuviel ausgerichteter mit fälligen EL-Leistungen in Frage.
Soweit diese zulässig ist, tilgt sie die Gegenforderung der Versicherten auf
laufende EL. Es geht somit darum, ob die Verwaltung weiterhin ungeschmälerte
Versicherungsleistungen zu erbringen hat; diesbezüglich ist der Entzug der
aufschiebenden Wirkung zulässig (ZAK 1977 S. 148). Den gegen eine solche
Verrechnung gerichteten Beschwerden kommt somit nicht von Gesetzes wegen
aufschiebende Wirkung zu. Ohne dass weiter geprüft werden müsste, ob die
aufschiebende Wirkung die Fälligkeit berührt (ablehnend: Xaver Baumberger,
Aufschiebende Wirkung bundesrechtlicher Rechtsmittel im öffentlichen Recht,
Diss. Zürich 2006, Rz. 212 S. 62), hat die Vorinstanz die von der
Beschwerdegegnerin verfügte Verrechnung im Ergebnis zu Recht geschützt.

6.
6.1 Die Beschwerdegegnerin setzte mit drei Verfügungen vom 3. Juli 2008
(versandt am 6. August 2008) den EL-Anspruch der Beschwerdeführerin fest.
Gleichzeitig teilte die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mit, gemäss
den jenem Schreiben beigelegten Verfügungen per 1. Februar, 1. April und 1.
Juli 2008 setze sich die "Auszahlung Juli 2008" in Höhe von Fr. 1'069.- aus dem
"neuen Anspruch Juli 2008" (Fr. 950.-), abzüglich einer Rückzahlung betreffend
Februar/März 2008 (Fr. 76.-) und zuzüglich einer Nachzahlung für April bis Juni
2008 (Fr. 195.-) zusammen. Die Beschwerdeführer rügten im vorinstanzlichen
Beschwerdeverfahren, die ihnen effektiv überwiesenen Beträge hätten nicht mit
den verfügten Leistungen übereingestimmt. Sie legten detailliert dar, inwiefern
die ihnen gutgeschriebenen Beträge nicht den verfügungsweise festgesetzten
Ansprüchen entsprochen hätten. Für Februar 2008 habe die Beschwerdegegnerin Fr.
78.- zuviel überwiesen, für März 2008 Fr. 186.- zuviel, für April und Mai 2008
je Fr. 150.- zu wenig, für Juni 2008 Fr. 366.- zu wenig und für Juli 2008 Fr.
119.- zuviel. Bezogen auf die ersten sieben Monate des Jahres 2008 resultiere
ein Defizit zu ihren Lasten in Höhe von Fr. 429.20. Unter Berücksichtigung von
Arztkosten für die Monate Mai und Juni 2008, welche durch die EL nicht
ausgeglichen worden seien, und Ergänzungsleistungen für August 2008, welche
nicht ausbezahlt worden seien (in Höhe von Fr. 950.-), ergebe sich ein
Fehlbetrag von Fr. 1'786.20.

6.2 Die Vorinstanz trat auf die in der vorinstanzlichen Beschwerde erhobenen
Rügen zu Recht nicht ein mit der zutreffenden Begründung, Verwaltungshandlungen
ohne Verfügungscharakter, insbesondere Vollzugshandlungen, seien ihrer
Überprüfungsbefugnis entzogen. Soweit die Beschwerdeführer - in Widerspruch zu
ihren früheren Ausführungen (so hielten sie in ihrer Einsprache vom 13. August
2008 beispielsweise fest, ihre Überprüfung der "Verfügungen Nr. 6-9" habe
ergeben, dass der von der Beschwerdegegnerin überwiesene monatliche Betrag
nicht mit dem ausgewiesenen Total der Verfügungen übereinstimme) -
letztinstanzlich geltend machen, sie hätten nicht die EL-Auszahlung
beanstandet, sondern die Nachzahlung von Fr. 1'069.-, welche um Fr. 429.20 bzw.
Fr. 1'786.20 hätte höher ausfallen sollen, ändert dies nichts daran, dass weder
vor- noch letztinstanzlich die verfügungsweise festgesetzten monatlichen
EL-Ansprüche rechtsgenüglich angefochten worden sind.

7.
Mit dem sofortigen Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden
Wirkung der Beschwerde gegenstandslos (Urteil 9C_695/2009 vom 1. Dezember 2009
E. 6).

8.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend haben die Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege
kann gewährt werden (Art. 64 BGG), da die Beschwerde nicht als aussichtslos zu
bezeichnen war. Die Beschwerdeführer werden der Gerichtskasse Ersatz zu leisten
haben, wenn sie später dazu in der Lage sind (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Den Beschwerdeführern wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden den Beschwerdeführern auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Stephan Kübler, Winterthur, wird als unentgeltlicher Anwalt der
Beschwerdeführer bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5.
Diese Verfügung wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. Dezember 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle