Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 918/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_918/2009

Urteil vom 24. Dezember 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Parteien
Stiftung Sicherheitsfonds BVG,
Geschäftsstelle, Postfach 1023, 3000 Bern 14,
Beschwerdeführerin,

gegen

F.________, vertreten durch
Rechtsanwalt lic. iur. Stephan K. Nyffenegger,
Beschwerdegegner,

AXA Stiftung Berufliche Vorsorge, Winterthur, Legal & Compliance, Postfach 300,
8401 Winterthur.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom
9. September 2009.

Sachverhalt:

A.
Die Firma A.________ AG hatte sich zur Durchführung der beruflichen Vorsorge
der Winterthur-Columna, Stiftung für die berufliche Vorsorge, Winterthur (im
Folgenden: Winterthur-Columna), angeschlossen. Im März 2004 wurde über die
A.________ AG der Konkurs eröffnet und das Verfahren in der Folge mangels
Aktiven eingestellt. Weil die A.________ AG nicht sämtliche Beiträge einbezahlt
hatte, entstand der Winterthur-Columna ein Schaden von rund Fr. 60'000.-. Mit
Schreiben vom 29. September 2004 teilte die Winterthur-Columna F.________, der
einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsratspräsident der A.________ AG und
zugleich bei der Winterthur-Columna versichert sowie Personalvertreter in der
Personalvorsorgekommission war, mit, sie verwende seine Freizügigkeitsleistung
(in Höhe von Fr. 57'322.20) zur Deckung der nicht vollständig einbezahlten
Beiträge. Am 22. Juni 2005 verlangte F.________ die Barauszahlung seiner
Freizügigkeitsleistung zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Mit
Eingabe vom 15. Juli 2005 ersuchte die Winterthur-Columna (auf Wunsch des
F.________) den Sicherheitsfonds BVG, Geschäftsstelle Bern, um Sicherstellung
der Versichertenleistungen für die Angestellten der Firma A.________ AG. Der
Sicherheitsfonds BVG teilte F.________ am 5. August 2005 mit, die
Versichertenleistungen der Arbeitnehmer der A.________ AG seien nach erfolgter
Verrechnung gedeckt, weshalb die Voraussetzungen für eine Insolvenzleistung
durch den Sicherheitsfonds BVG nicht erfüllt seien, und erliess am 26. Oktober
2005 eine entsprechende Verfügung zu Handen der Winterthur-Columna (welche auch
F.________ eröffnet wurde).

B.
Hiegegen erhob F.________ Rekurs bei der Eidgenössischen Beschwerdekommission
der beruflichen Alters-, Hinterbliebenen- und Invalidenvorsorge, Lausanne.
Diese lud die Winterthur-Columna zum Verfahren bei. Mit Entscheid vom 9.
September 2009 hiess das in der Folge zuständig gewordene
Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde teilweise gut, hob die angefochtene
Verfügung auf und wies die Sache an den Sicherheitsfonds BVG zurück, damit
dieser das Gesuch um Sicherstellung der gesetzlichen Leistungen erneut prüfe
und darüber entscheide. Sollte F.________ die verrechnungsweise geltend
gemachte Schadenersatzforderung erneut bestreiten, sei die Winterthur-Columna,
Sammelstiftung 2. Säule, Zürich (c/o AXA Leben AG, Winterthur), anzuweisen,
beim kantonalen Sozialversicherungsgericht Klage zu erheben betreffend die
streitige Verrechnung, da allein dieses zuständig sei zum Entscheid über
Verantwortlichkeitsansprüche. Am 23. Oktober 2009 stellte die AXA Stiftung für
Berufliche Vorsorge, Winterthur (als Rechtsnachfolgerin der Winterthur-Columna;
im Folgenden AXA) beim Bundesverwaltungsgericht das Gesuch, der Name der
Beschwerdegegnerin im Entscheid vom 9. September 2009 sei auf AXA Stiftung
berufliche Vorsorge, Winterthur, zu berichtigen.

C.
Der Sicherheitsfonds BVG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des Entscheides vom 9. September
2009 sowie die Abweisung des Gesuchs um Sicherstellung der gesetzlichen und
reglementarischen Leistungen des Versichertenkollektivs der A.________ AG.
Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Bundesverwaltungsgericht
zurückzuweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, die AXA
beantragt deren Gutheissung. F.________ verzichtet auf eine Stellungnahme und
ersucht "um Entscheidfällung im Sinne des Urteils der Vorinstanz".

Erwägungen:

1.
Gegen Beschwerdeentscheide des Bundesverwaltungsgerichts betreffend Verfügungen
der Aufsichtsbehörden im Bereich der beruflichen Vorsorge (Art. 61 f. und 74
BVG) ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an die II.
sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts zulässig (Art. 82 lit. a und Art.
86 Abs. 1 lit. a BGG; Art. 35 lit. e BGerR).

2.
Der als Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne des BGG zu qualifizierende (vgl.
BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f.) kantonale Rückweisungsentscheid vom 9.
September 2009 kann unter den Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 BGG
angefochten werden. Danach ist die Beschwerde gegen andere (d.h. nicht die
Zuständigkeit oder Ausstandsbegehren betreffende [vgl. Art. 92 BGG]),
selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können, oder wenn die Gutheissung
der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen
bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren
ersparen würde. Wird die Verwaltung durch einen kantonalen
Rückweisungsentscheid gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung
zu erlassen, hat dieser Entscheid für sie einen irreparablen Nachteil im Sinne
von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zur Folge (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483).

So verhält es sich hier: Nach den vorinstanzlichen Erwägungen hätte der
Beschwerde führende Sicherheitsfonds, sofern der Beschwerdegegner die
verrechnungsweise geltend gemachte Schadenersatzforderung weiterhin bestreite,
über Art und Umfang der Sicherstellung zu entscheiden, obwohl ein solcher
Entscheid seiner Auffassung nach Bundesrecht verletzt. Der kantonale Entscheid
hat für ihn somit einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zur Folge und kann
selbstständig angefochten werden. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

3.
Beschwerdegegnerin ist nicht die Winterthur-Columna, Sammelstiftung 2. Säule,
Zürich (heute: Columna Sammelstiftung Client Invest, Zürich), sondern die AXA
Stiftung berufliche Vorsorge, Winterthur (im Folgenden: AXA), als
Rechtsnachfolgerin der Winterthur-Columna Stiftung für die berufliche Vorsorge,
Winterthur (vgl. Berichtigungsgesuch der AXA vom 23. Oktober 2009). Nachdem die
Streitsache an das Bundesgericht gelangt ist, ist dieses infolge des
Devolutiveffekts auch zuständig zur Berichtigung, die nach Art. 48 Abs. 1 VGG
dem Bundesverwaltungsgericht obliegen würde. Angesichts des Ausgangs des
Verfahrens erübrigt sich eine Berichtigung des vorinstanzlichen Urteils.

4.
4.1 Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen, ob die Vorinstanz zu Recht auf
die Beschwerde eingetreten ist.

4.2 Antragstellerin für Leistungen nach Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG ist die
zahlungsunfähig gewordene Vorsorgeeinrichtung bzw. der Rechtsträger des
Versichertenkollektivs (Art. 24 Abs. 1 SFV), vorliegend die AXA, die (bzw.
deren Rechtsvorgängerin) denn auch beim Beschwerde führenden Sicherheitsfonds
BVG ein solches Gesuch gestellt hat. Streitgegenstand war die Frage, ob dieser
eine Sicherstellung leistet. Auch wenn der Sicherheitsfonds den
Beschwerdegegner in das Verfahren einbezogen hat, konnte er nur über diesen
Streitgegenstand entscheiden. Wenn er das Gesuch mit der Begründung abwies, die
damalige Winterthur-Columna habe einen verrechenbaren
Verantwortlichkeitsanspruch gegenüber dem Beschwerdegegner, so ändert dies
nichts am Streitgegenstand; es wurde damit nicht ein solcher Anspruch
rechtsverbindlich festgestellt, sondern diese Frage nur vorfrageweise geprüft.

4.3 Nur der Beschwerdegegner hat die Verfügung angefochten. Die Vorinstanz hat
ihn als Destinatär der AXA und ehemaliges PVK-Mitglied als legitimiert
betrachtet. Zu Unrecht:
4.3.1 Materieller Verfügungsadressat und damit grundsätzlich zur Beschwerde
gegen die Verfügung legitimiert ist, wer aus dem durch die Verfügung geregelten
(öffentlich-rechtlichen) Rechtsverhältnis berechtigt oder verpflichtet wird
(vgl. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. A., Bern 1983, S. 148).
Leistungen des Sicherheitsfonds BVG beantragen kann ausschliesslich die
zahlungsunfähig gewordene Vorsorgeeinrichtung oder die Rechtsträgerin des
insolvent gewordenen Versichertenkollektivs (Art. 24 Abs. 1 SFV). Der
Sicherheitsfonds BVG leistet die Sicherheit zweckgebunden zugunsten der
zahlungsunfähigen Vorsorgeeinrichtung (Art. 26 Abs. 3 Satz 1 SFV). In Frage
kommt für den Beschwerdegegner somit lediglich eine Drittbeschwerdelegitimation
pro Adressat. Eine solche wird indes ausserhalb förmlicher gesetzlicher
Anerkennung nur bejaht, wenn der Dritte ein selbstständiges, eigenes
Rechtsschutzinteresse an der Beschwerdeführung hat (BGE 135 V 382 E. 3.3.1 S.
387 f., 134 V 153 E. 5.3 S. 157, in BGE 133 V 188 nicht publizierte E. 4.3.3
[Urteil H 212/06 vom 25. Januar 2007]). Hiefür muss dem Dritten aus der
streitigen Verfügung ein unmittelbarer Nachteil erwachsen; bloss mittelbare,
faktische Interessen an der Aufhebung oder Änderung der Verfügung reichen nicht
aus (vgl. Urteil 260/2009 vom 6. Oktober 2009 E. 4.2 mit Hinweisen). Wenn der
Beschwerde führende Sicherheitsfonds BVG die Sicherstellung ablehnte mit der
Begründung, die AXA habe einen verrechenbaren Schadenersatzanspruch gegenüber
dem Beschwerdegegner, so wird damit nicht rechtsverbindlich ein solcher
Anspruch oder seine Verrechenbarkeit bejaht; dazu wäre der Sicherheitsfonds von
vornherein gar nicht zuständig, wie die Vorinstanz mit Recht erwog. Der
Beschwerdegegner erleidet aus der Verfügung somit keinen unmittelbaren
Nachteil, die Beschwerdelegitimation (auch als formeller Verfügungsadressat)
fehlt.
4.3.2 Soweit es sich um einen verfügbaren Gegenstand handelt, kann ein
Drittbeschwerdeführer zudem auch nicht an Stelle des Adressaten über den
Streitgegenstand verfügen (vgl. Häner, Die Beteiligten im Verwaltungsverfahren
und Verwaltungsprozess, Zürich 2000, S. 355 f.; Seiler/von Werdt/Güngerich,
Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N 29 zu Art. 89; Marantelli-Sonanini/
Huber, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar zum Bundesgesetz
über das Verwaltungsverfahren, Zürich 2009, N 34 zu Art. 48). Die
Vorsorgeeinrichtung hat nicht nur selber die Verfügung des Sicherheitsfonds
nicht angefochten, sondern im Rahmen ihrer vorinstanzlichen Vernehmlassung
ausdrücklich den Antrag gestellt, die Beschwerde sei abzuweisen, und sich
vollumfänglich bzw. mit wenigen Ergänzungen den Ausführungen des
Sicherheitsfonds angeschlossen. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie
die Sicherheitsleistungen, die sie ursprünglich beantragt hat, nicht mehr will.
Unter diesen Umständen konnte der Beschwerdegegner kein schutzwürdiges
Rechtsschutzinteresse daran haben, dass der Sicherheitsfonds dennoch der
Vorsorgeeinrichtung Leistungen erbringt.

4.4 Das kantonale Gericht hätte somit mangels Legitimation des
Beschwerdegegners auf die Beschwerde nicht eintreten dürfen.

5.
Der angefochtene Entscheid trifft auch in der Sache nicht zu:

5.1 Der Beschwerde führende Sicherheitsfonds hat sich entgegen der
vorinstanzlichen Darstellung nicht Befugnisse angemasst, die ihm nicht
zustehen. Er hat lediglich im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung, ob das
Vorsorgewerk zahlungsunfähig sei, erwogen, infolge der von der AXA
vorgenommenen Verrechnung bestehe gar keine Zahlungsunfähigkeit mehr. Dafür war
er zuständig (Art. 20 Abs. 3 SFV). Dass die AXA Verrechnung geltend gemacht
hat, wird als Tatsache vom Beschwerdegegner nicht bestritten und von der AXA
bestätigt. Umstritten ist die Rechtmässigkeit des verrechnungsweise geltend
gemachten Anspruchs sowie der Verrechnung als solcher. Diese Frage ist indes im
Streitfall von dem nach Art. 73 BVG zuständigen Gericht zu beurteilen, wobei
infolge der vorgenommenen Verrechnung die Klägerrolle beim Beschwerdegegner
läge, der die Auszahlung seiner verrechneten Freizügigkeitsleistung einklagen
müsste. Solange ein entsprechendes Leistungsurteil gegen das Vorsorgewerk nicht
ergangen ist, fehlt es an dessen Zahlungsunfähigkeit.

5.2 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz war der Beschwerde führende
Sicherheitsfonds auch nicht verpflichtet, die AXA anzuweisen, Klage gegen den
Beschwerdegegner zu erheben und inzwischen das Gesuch pendent zu lassen.
Zunächst kann der Sicherheitsfonds einer Vorsorgeeinrichtung keine Anweisungen
erteilen, sondern er hat nur zu beurteilen, ob das Vorsorgewerk zahlungsunfähig
ist. Weiter obläge die Klägerrolle nicht der Vorsorgeeinrichtung, sondern dem
Beschwerdegegner (E. 5.1), und schliesslich ist nicht ersichtlich, weshalb der
Sicherheitsfonds das Gesuch pendent lassen sollte bis zur Erledigung des
Streits über die Verantwortlichkeitsansprüche: Der Sicherheitsfonds hat bei
Eingang eines Gesuchs zu beurteilen, ob die Vorsorgeeinrichtung in jenem
Zeitpunkt zahlungsunfähig ist und entsprechend zu entscheiden. Ein solcher
Entscheid wird nicht materiell rechtskräftig in Bezug auf künftige Gesuche.
Ändert sich im weiteren Verlauf die finanzielle Lage des Vorsorgewerks (z.B.
weil der Beschwerdegegner erfolgreich auf Auszahlung seines
Freizügigkeitsguthabens klagt und die zur Verrechnung gebrachte
Schadenersatzforderung oder die Rechtmässigkeit der Verrechnung verneint wird),
kann es jederzeit ein neues Gesuch stellen, über das aufgrund der dannzumal
bestehenden finanziellen Lage zu entscheiden sein wird.

6.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde begründet und der angefochtene Entscheid
aufzuheben. Der unterliegende Beschwerdegegner hat die Kosten des Verfahrens zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2009 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. Dezember 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle