Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 889/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_889/2009

Urteil vom 2. Februar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
T.________,
vertreten durch Fürsprecherin Daniela Mathys,
Beschwerdeführerin,

gegen

Personalvorsorgekasse Stadt X.________,
vertreten durch Fürsprecher Sven Marguth,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 14.
September 2009.

Sachverhalt:

A.
A.a Die 1964 geborene T.________ war bis 31. Mai 2002 in einem Pensum von 80 %
im sozialpädagogischen Bereich tätig; dabei war sie bei der
Personalvorsorgekasse der Stadt X.________ (nachfolgend: PVK) für die
berufliche Vorsorge versichert. Im Dezember 2001 meldete sie sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 30. April 2003
verneinte die IV-Stelle Bern einen Rentenanspruch, was sie mit
Einspracheentscheid vom 19. Februar 2004 bestätigte. Auf Beschwerde hin hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern den Einspracheentscheid auf und wies die
Sache zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer neuen
Verfügung an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 16. Juli 2004). Nachdem sich
die Versicherte in Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht einer von der IV-Stelle
angeordneten medizinischen Begutachtung widersetzt hatte, entschied die
IV-Stelle ohne weitere Sachverhaltsermittlung aufgrund der Akten und verneinte
erneut einen Rentenanspruch (Verfügung vom 3. Juni 2005, Einspracheentscheid
vom 21. Juli 2005), was das Bundesgericht mit Urteil I 42/06 vom 26. Juni 2007
bestätigte.
A.b Die PVK anerkannte einen vom 1. Juni 2002 bis 30. Juni 2003 befristeten
Anspruch der T.________ auf eine volle Invalidenrente sowie auf eine
IV-Überbrückungsrente. Nachdem sie zunächst unter Hinweis auf die Beurteilung
der Invalidenversicherung die Aufhebung des Rentenanspruchs ab 1. Juli 2003
bestätigt hatte, beschloss die PVK angesichts des laufenden Verfahrens, die
befristete Pensionierung "bis zum Vorliegen des IV- bzw. Gerichtsentscheides"
zu verlängern. Am 17. September 2007 teilte sie T.________ mit, dass sie sich
dem Entscheid der Invalidenversicherung angeschlossen habe und die Rente daher
längstens bis zum 31. Dezember 2007 gewährt werde. In der Auffassung, dass die
Versicherte in gesundheitlicher Hinsicht in der Lage sei, ihre angestammte
Tätigkeit auszuüben, bestätigte die PVK mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 den
Wegfall der Invalidenrente ab 1. Januar 2008.

B.
Die am 27. Mai 2009 gegen die PVK erhobene Klage, mit welcher T.________
beantragte, die Vorsorgeeinrichtung sei zu verpflichten, ihr auch nach dem 31.
Dezember 2007 eine ganze Invalidenrente auszurichten und die nachzuzahlenden
Rentenleistungen ab Klageeinreichung mit 5 % zu verzinsen, wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 14. September 2009 ab.

C.
T.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern.

Die PVK lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das kantonale Gericht
und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen; 133 III 545 E.
2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42
Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die
rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1
S. 254).

2.
2.1 Nach Auffassung der Vorinstanz handelt es sich bei den ab 1. Juli 2003 von
der Vorsorgeeinrichtung ausgerichteten Beträgen um - bis zum Vorliegen eines
rechtskräftigen Entscheides über den Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung befristete - reine Kulanzleistungen, welche im Reglement
vom 26. April 1990 über die Personalvorsorgekasse (PVR) keine Grundlage fänden.
Eine Invalidität gemäss Art. 32 Abs. 1 PVR sei nicht ausgewiesen gewesen. Auf
die freiwillig erbrachten Leistungen kämen die Revisionsgrundsätze der
Invalidenversicherung (vgl. BGE 133 V 67; Art. 17 ATSG) von vornherein nicht
zur Anwendung und auch die reglementarischen Voraussetzungen für eine
Rentenrevision (Art. 37 Abs. 1 PVR) seien nicht zu prüfen. Demgegenüber hält
die Beschwerdeführerin die Einstellung der Rentenzahlung bei unverändertem
Gesundheitszustand mangels eines Revisionsgrundes für unzulässig oder gar
willkürlich.

2.2 Eine rechtskräftig zugesprochene Rente der Invalidenversicherung kann im
Rahmen eines Revisionsverfahrens oder einer Wiedererwägung der entsprechenden
Verfügung aufgehoben werden (vgl. Art. 17 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1 und 2
ATSG). Eine auf dem Entscheid der Invalidenversicherung beruhende
Invalidenrente aus (obligatorischer) beruflicher Vorsorge (vgl. Art. 23 BVG;
BGE 132 V 1 E. 3.2 S. 4 f.; 118 V 35 E. 2b/aa S. 40) ist unter den
Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG revisionsweise anzupassen (BGE 133 V
67). Diese Regelungen schliessen indessen weitere Möglichkeiten der Aufhebung
einer Rente aus beruflicher Vorsorge nicht aus. Insbesondere im Bereich der
überobligatorischen Vorsorge und dort, wo die Vorsorgeeinrichtung den
Rentenentscheid ohne Bindung an jenen der Invalidenversicherung getroffen hat,
kann aus der bisherigen Ausrichtung einer Rente - welche weder mittels
Verfügung zugesprochen (BGE 129 V 450 E. 2 S. 451 f.; 118 V 158 E. 1 S. 162)
noch gerichtlich überprüft (vgl. Art. 73 Abs. 1 BVG) wurde - nicht auf einen
Anspruch für die Zukunft geschlossen werden in dem Sinn, dass die Einstellung
der Zahlungen lediglich nach einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349 ff.)
zulässig wäre. Dass in solchen Fällen andere Voraussetzungen erfüllt sein
müssten, ist nicht ersichtlich. Es liegt namentlich keine Willkür (vgl. Art. 9
BV; BGE 130 I 26 E. 8.1 S. 60) vor, wenn eine Vorsorgeeinrichtung von der
früheren - befristeten - Anerkennung eines Rentenanspruchs in (gerichtlich zu
überprüfender) besserer Erkenntnis der Sach- oder Rechtslage Abstand nimmt und
in der Folge keine Leistungen mehr ausrichtet.

2.3 Es steht fest und ist unbestritten, dass der geltend gemachte
Rentenanspruch die weitergehende Vorsorge betrifft und dass die Rentenzahlungen
durch die Vorsorgeeinrichtung nicht auf einem rechtskräftigen Entscheid über
den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung beruhten. Das kantonale
Gericht hat demnach zu Recht darauf verzichtet, Feststellungen in Bezug auf
eine Änderung des Invaliditätsgrades zu treffen und - im Rahmen des
Streitgegenstandes (BGE 129 V 450 E. 3.2 S. 452 f.) - geprüft, ob die PVK die
Zahlungen ab 1. Januar 2008 einstellen durfte.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat einen Rentenanspruch aus beruflicher Vorsorge verneint
mit der Begründung, die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht im
Verfahren der Invalidenversicherung "schlage auf die zweite Säule durch". Damit
werde die Systemkonformität gewahrt und verhindert, dass Versicherte darauf
spekulierten, im Bereich der beruflichen Vorsorge einen ihnen genehmeren
Gutachter zu erhalten. Im berufsvorsorgerechtlichen Verfahren sei grundsätzlich
- und erst recht bei Verletzung der Mitwirkungspflichten im IV-Verfahren -
keine eigene Begutachtung durchzuführen, sondern aufgrund der Akten zu
entscheiden, woran der Untersuchungsgrundsatz nichts ändere. Dagegen bringt die
Beschwerdeführerin vor, es sei rechtswidrig, den Rentenanspruch aus beruflicher
Vorsorge (in medizinischer Hinsicht) ausschliesslich aufgrund der IV-Akten zu
beurteilen; dadurch werde der Untersuchungsgrundsatz verletzt.

3.2 Im kantonalen Klageverfahren über Streitigkeiten zwischen
Vorsorgeeinrichtungen und Anspruchsberechtigten stellt das Gericht den
Sachverhalt von Amtes wegen fest (Art. 73 Abs. 2 BVG; BGE 129 V 450 E. 2 S. 451
f.). Diese Regel gilt indessen nicht uneingeschränkt; sie findet ihr Korrelat
in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195; SZS 2004
S. 566, B 75/03 E. 2.3). Kommt die versicherte Person, welche Leistungen der
Invalidenversicherung geltend macht, den Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten
in unentschuldbarer Weise nicht nach, so sieht die - im Bereich der beruflichen
Vorsorge nicht anwendbare (Art. 2 ATSG) - Bestimmung von Art. 43 Abs. 3 ATSG
vor, dass der Versicherungsträger auf Grund der Akten verfügen oder die
Erhebungen einstellen und Nichteintreten beschliessen kann. Er muss diese
Person vorher schriftlich mahnen und auf die Rechtsfolgen hinweisen; ihr ist
eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen.

3.3 Das kantonale Gericht hat zutreffend festgehalten, dass die
Vorsorgeeinrichtung sowohl im obligatorischen als auch im überobligatorischen
Bereich nicht an die Feststellungen der Organe der Invalidenversicherung
gebunden ist, sich aber dennoch auf deren medizinische und erwerbliche
Abklärungen stützen kann (BGE 120 V 106 E. 3c S. 109). Damit ist indessen noch
nicht gesagt, dass die Sachverhaltsermittlungen der Invalidenversicherung
ausreichen, um den streitigen Anspruch aus (weitergehender) beruflicher
Vorsorge zu beurteilen. Die Einschätzung der Vorinstanz im
Rückweisungsentscheid vom 16. Juli 2004, wonach der medizinische Sachverhalt
für eine materielle Beurteilung des Rentenanspruchs grundsätzlich ungenügend
abgeklärt sei (Urteil I 42/06 vom 26. Juni 2007 E. 5.3), ist auch in Bezug auf
die berufliche Vorsorge von Bedeutung, zumal aus der einzigen seit Erlass des
Rentenentscheids der IV-Stelle aktenkundigen medizinischen Unterlage
(Arztzeugnis des Dr. med. R.________ vom 20. Oktober 2007) nichts anderes
hervorgeht.

Die streitige Frage, ob der versicherten Person ihre schuldhafte Verletzung der
Mitwirkungspflicht im Verfahren der Invalidenversicherung auch in jenem der
beruflichen Vorsorge entgegenzuhalten ist, kann letztlich offen bleiben:
Unabdingbare Voraussetzung für einen Entscheid aufgrund der Akten trotz
ungenügend abgeklärtem Sachverhalt ist, dass sich der Leistungsansprecher in
Kenntnis der rechtlichen Konsequenzen, nach Durchführung eines schriftlichen
Mahn- und Bedenkzeitverfahrens, einer Anordnung widersetzt (vgl. Art. 43 Abs. 3
ATSG; BGE 122 V 218; SVR 2007 IV Nr. 48 S. 156, I 988/06 E. 6; Urteil I 42/06
vom 26. Juni 2007 E. 4.7). Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend
gemacht, dass die Versicherte jemals darauf hingewiesen wurde, ihre Weigerung,
sich im IV-Verfahren ohne Begleitung durch einen bestimmten Gutachter
untersuchen zu lassen, könnte zur Folge haben, dass auch der Anspruch aus
beruflicher Vorsorge aufgrund der Akten beurteilt würde. Schliesslich kann ihr
im Verfahren betreffend die berufliche Vorsorge, mangels entsprechender
Aufforderung (vgl. Art. 32 Abs. 3 PVR) oder Anordnung, keine ungenügende
Mitwirkung an einer Abklärungsmassnahme vorgeworfen werden. Unter diesen
Umständen war die Vorinstanz nicht berechtigt, auf weitere Abklärungen zu
verzichten.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
vom 14. September 2009 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, über die Klage neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Februar 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann