Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 874/2009
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2009
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_874/2009

Urteil vom 29. Januar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
B.________, vertreten durch
Advokat Dr. Andreas Bernoulli,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
vom 26. August 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1967 geborene B.________ meldete sich am 6. Oktober 2003 unter Hinweis auf
die Folgen eines Arbeitsunfalls, den er am 31. August 2002 erlitten hatte, bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), welche die gesetzlichen Leistungen erbracht
hatte, sprach B.________ für die Folgen des Unfalls mit Verfügung vom 13. Juni
2006, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 1. Februar 2007, auf der Grundlage
einer Erwerbsunfähigkeit von 31 % ab 1. Mai 2006 eine Invalidenrente zu. Die
hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt mit Entscheid vom 27. Februar 2008 ab.
Die Invalidenversicherung zog die Akten der SUVA bei und veranlasste eine
psychiatrische Begutachtung (Expertise des Dr. med. S.________ vom 13. Februar
2007). Eine fachärztliche Abklärung nahm in der Folge auch der Psychiater Dr.
med. V.________ vom Regionalärztlichen Dienst (RAD) vor (Bericht vom 21.
November 2007). Mit Verfügung vom 16. März 2009 sprach die IV-Stelle
Basel-Stadt B.________ rückwirkend ab 1. August 2003 bei einem Invaliditätsgrad
von 100 % eine bis 31. März 2006 befristete ganze Invalidenrente zu.

B.
B.________ liess Beschwerde führen mit den Anträgen, unter teilweiser Aufhebung
der Verfügung der IV-Stelle sei ihm über den 31. März 2006 hinaus weiterhin
eine ganze Invalidenrente, eventuell eine Rente aufgrund eines tieferen
Invaliditätsgrades, zu gewähren; ferner seien weitere medizinische Abklärungen
in Auftrag zu geben. Mit Entscheid vom 26. August 2009 wies das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt die Beschwerde ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verfügung
der IV-Stelle sei ihm über den 31. März 2006 hinaus weiterhin eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Durchführung weiterer
medizinischer Abklärungen und neuer Entscheidung über den Rentenanspruch ab 1.
April 2006 an das Sozialversicherungsgericht oder die IV-Stelle zurückzuweisen.
Ferner ersucht er um die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und
Verbeiständung.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat zutreffend festgehalten, dass im Fall der rückwirkenden
Zusprechung einer befristeten Invalidenrente die revisionsrechtlichen
Bestimmungen (Art. 17 ATSG; Art. 88a Abs. 1 IVV) sinngemäss anwendbar sind. Die
Befristung der Rente ist nur zulässig, wenn sich die Erwerbsfähigkeit in
anspruchserheblichem Ausmass verbessert hat (vgl. BGE 109 V 125 E. 4a S. 126;
ZAK 1984 S. 133; Urteile 9C_233/2009 vom 6. Mai 2009, 9C_734/2008 vom 24.
November 2008 und I 79/07 vom 17. Januar 2008).

3.
3.1 Die Vorinstanz gelangte in Würdigung der Arztberichte und Gutachten zur
Auffassung, der Beschwerdeführer sei in einer leichten Tätigkeit lediglich noch
zu 10 % in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Die depressive Symptomatik
habe sich bis Dezember 2005 gebessert, wie dies namentlich aus dem Bericht über
die stationäre Begutachtung in der Klinik B.________ im Dezember 2005
hervorgehe. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Begutachtung durch RAD-Arzt Dr.
V.________ im November 2007, der zwar vereinzelte depressive Symptome
festgestellt, aber die vollständigen diagnostischen Kriterien einer depressiven
Störung als nicht erfüllt erachtet hat, hätten sich hinsichtlich der
depressiven Störung keine wesentlichen Änderungen ergeben.

3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet, dass sich sein Gesundheitszustand ab
Dezember 2005 wesentlich verbessert habe und er seither in der Lage sei,
leidensangepasste Tätigkeiten mit einer Leistungsfähigkeit von 90 % auszuüben.
Zu beachten sei zunächst, dass die SUVA für die somatischen Unfallfolgen eine
Invalidenrente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 31 % zugesprochen
hat. Für die psychischen Unfallfolgen habe sie mangels adäquaten
Kausalzusammenhangs keine Leistungen erbracht. Im Gutachten der Klinik
B.________ vom 6. Dezember 2005 sei festgehalten worden, dass der überwiegende
Teil seiner Beeinträchtigungen durch ein psychiatrisch-psychosomatisches
Zustandsbild hervorgerufen werde. Gutachter Dr. med. S.________ habe zwar keine
genaueren Angaben zum Grad der Arbeitsunfähigkeit gemacht, aber festgestellt,
dass der Versicherte sich seit dem Unfall in einem sehr ähnlichen Zustand
präsentiere, "keinen Wank" in Richtung Verbesserung gemacht habe und somit eine
Chronifizierung vorliege. Unberücksichtigt geblieben seien sodann auch die
neuropsychologischen Störungen. Angesichts des komplexen Beschwerdebildes und
des Umstandes, dass der Beschwerdeführer ausser von Dr. S.________ nur von
versicherungsinternen Ärzten abgeklärt wurde, dränge sich eine polydisziplinäre
Begutachtung durch eine neutrale Stelle auf.

3.3 Weder der Psychiater der Klinik B.________, Dr. K.________
(Abklärungsbericht vom 3. November 2005), noch der von der
Invalidenversicherung beauftragte Gutachter Dr. med. S.________, Basel
(Expertise vom 13. Februar 2007), nahmen Stellung zum Grad der
Arbeitsunfähigkeit. Einzig RAD-Psychiater Dr. V.________ äusserte sich gestützt
auf eine persönliche Untersuchung unter Beizug eines albanischsprachigen
Dolmetschers zu den diesbezüglichen Beeinträchtigungen. Er hielt fest, aus rein
psychiatrischer Sicht liege aufgrund der Distraktion durch die Schmerzen eine
maximal 10 %ige Einschränkung der Leistungsfähigkeit vor. Diese sei indessen
bereits in der somatischen Teilarbeitsunfähigkeit mit eingeschlossen.
Wenn die Vorinstanz im Rahmen ihrer Beweiswürdigung auf die Einschätzung des
RAD-Arztes abgestellt hat, ist darin weder eine offensichtlich unrichtige oder
unvollständige noch eine auf einer Bundesrechtsverletzung beruhende
Feststellung des rechtserheblichen medizinischen Sachverhalts zu erblicken.
Gemäss Art. 59 Abs. 2bis IVG stehen die regionalen ärztlichen Dienste den
IV-Stellen zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des
Leistungsanspruchs zur Verfügung. Sie setzen die für die Invalidenversicherung
nach Art. 6 ATSG massgebende funktionelle Leistungsfähigkeit der Versicherten
fest, eine zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben. Art. 49 Abs. 1 IVV hält sodann
fest, dass die Regionalen Ärztlichen Dienste die medizinischen Voraussetzungen
des Leistungsanspruchs beurteilen. Auf Stellungnahmen des RAD kann abgestellt
werden, wenn sie den allgemeinen beweisrechtlichen Anforderungen an einen
ärztlichen Bericht genügen (Urteil 9C_323/2009 vom 14. Juli 2009).

3.4 Dies trifft hier zu. Die persönliche Untersuchung des RAD-Psychiaters Dr.
V.________ entspricht den Erfordernissen einer fachärztlichen Begutachtung. Sie
beruht auf der Kenntnis der Vorakten und leuchtet in der Beschreibung der
medizinischen Zusammenhänge ein. Ebenso sind die Schlussfolgerungen begründet.
In der Beschwerde werden keine stichhaltigen Argumente vorgetragen, welche die
auf den Bericht des Regionalen Ärztlichen Dienstes gestützte
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz als offensichtlich unrichtig erscheinen
lassen könnten. Vielmehr beschränkt sich der Beschwerdeführer in diesem
Zusammenhang im Wesentlichen auf eine im Rahmen der geltenden
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1 hievor) unzulässige
appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung. Der Versicherte
hat sich namentlich entgegenhalten zu lassen, dass er von drei Psychiatern
einlässlich untersucht wurde und von keinem der Ärzte psychiatrische Diagnosen
gestellt wurden, die eine höhere Arbeitsunfähigkeit als 10 % zur Folge hätten,
so dass unter diesem Gesichtswinkel keine offensichtlich unrichtige,
insbesondere keine unvollständige Sachverhaltsermittlung vorliegt.

3.5 Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer auch insoweit, als er eine
Verletzung von Art. 17 ATSG rügt. Die Vorinstanz hat einlässlich begründet,
dass der nach dem Unfall diagnostizierte psychische Gesundheitsschaden bis
Dezember 2005 sich wesentlich verbesserte. Gestützt auf das Gutachten des Dr.
med. K.________ und die Einschätzung des RAD-Psychiaters Dr. V.________, wonach
die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit nur 10 % betrage, lässt sich die
Annahme, dass eine revisionsrechtliche Änderung im Gesundheitszustand
eingetreten sei, nicht als offensichtlich unrichtig oder sonstwie
bundesrechtswidrig bezeichnen.

4.
Gestützt auf einen Einkommensvergleich ermittelte das kantonale Gericht einen
Invaliditätsgrad von rund 37 %, ab Dezember 2005, was gemäss angefochtenem
Entscheid die verfügte rückwirkende Aufhebung der Invalidenrente auf den 31.
März 2006 rechtfertigte. Der Beschwerdeführer macht einzig geltend, vom
hypothetischen Invalideneinkommen (Tabellenlohn) sei ein leidensbedingter Abzug
vorzunehmen. Die Frage, ob und in welchem Ausmass Tabellenlöhne herabzusetzen
sind, hängt nach der Rechtsprechung von sämtlichen persönlichen und beruflichen
Umständen des konkreten Einzelfalles ab (leidensbedingte Einschränkung, Alter,
Dienstjahre, Nationali-tät/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad), welche
nach pflicht-gemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind. Dabei erlaubt ein
Abzug vom statistischen Lohn von insgesamt höchstens 25 %, den verschiedenen
Merkmalen, die das Erwerbseinkommen zu beein-flussen vermögen, Rechnung zu
tragen (BGE 126 V 75 E. 5b/aa - cc S. 79 f.).
Wie das Sozialversicherungsgericht dargelegt hat, und worauf zu verweisen ist,
sind keine Merkmale gegeben, welche einen Abzug vom Tabellenlohn zu begründen
vermögen. Den leidensbedingten Einschränkungen wird durch die Festlegung eines
reduzierten Arbeitspensums von 90 % in einer leichten Tätigkeit hinreichend
Rechnung getragen, während nicht ersichtlich ist, inwiefern Alter, Dienstjahre,
Nationalität und Aufenthaltskategorie im Zusammenhang mit einem Abzug vom
hypothetischen Invalideneinkommen im vorliegenden Fall von Belang sein könnten.

5.
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der unentgeltlichen
Verbeiständung, ist statt zu geben, da die gesetzlichen Voraussetzungen (Art.
64 Abs. 1 und 2 BGG) erfüllt sind. Der Beschwerdeführer wird darauf
hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später
dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Dr. Andreas Bernoulli wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von
Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Januar 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer