Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 83/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_83/2009

Urteil vom 14. April 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
D.________,
vertreten durch DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Ausgleichskasse,
Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom
10. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1950 geborene ghanesische Staatsangehörige D.________ war von Mai 1991 bis
Juni 2006 in der Schweiz wohnhaft; sie entrichtete in dieser Zeit Beiträge an
die Alters- und Hinterlassenenversicherung. Da ihr Ehemann am 19. August 2001
verstorben ist, bezieht sie seit September 2001 eine Witwenrente. Im Hinblick
auf ihre Rückkehr nach Ghana per 30. Juni 2006 stellte D.________ am 17. Mai
2006 bei der Schweizerischen Ausgleichskasse den Antrag, die von ihr bezahlten
AHV-Beiträge seien an sie zurückzuerstatten. Die Verwaltung lehnte die
Rückvergütung ab; der Bezug einer Witwenrente schliesse die Rückforderung von
AHV-Beiträgen aus (mit Einspracheentscheid vom 7. Dezember 2006 bestätigte
Verfügung vom 27. September 2006).

B.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 10. Dezember 2008).

C.
D.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Rückvergütung der an die AHV entrichteten Beiträge anzuordnen.

Die Schweizerische Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
1.1 Nach Art. 18 Abs. 3 AHVG können den Ausländern, die ihren Wohnsitz im
Ausland haben und mit deren Heimatstaat keine zwischenstaatliche Vereinbarung
besteht, unter anderem Beiträge von Einkommen aus unselbständiger
Erwerbstätigkeit (einschliesslich gegebenenfalls der Arbeitgeberbeiträge)
rückvergütet werden. Beiträge können nur zurückgefordert werden, wenn die
betreffende Person aller Voraussicht nach endgültig aus der Versicherung
ausgeschieden ist (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung vom 29. November 1995 über die
Rückvergütung der von Ausländern an die Alters- und Hinterlassenenversicherung
bezahlten Beiträge [RV-AHV; SR 831.131.12]). Die Beschwerdeführerin könnte
(dereinst) nur dann eine Altersrente beanspruchen, wenn und solange sie ihren
Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hätte, da mit ihrem
Heimatstaat Ghana keine anderslautende zwischenstaatliche Vereinbarung besteht
(vgl. Art. 18 Abs. 2 AHVG). Nach ihrem definitiven Wegzug nach Ghana hat sie
also keine Anwartschaft mehr auf eine Altersrente. Auch die weiteren
materiellen Voraussetzungen gemäss der RV-AHV - namentlich betreffend die
Mindestbeitragszeit (Art. 1 Abs. 1) und den Zeitpunkt der Rückforderung (Art.
2) - sind an sich erfüllt (vgl. dazu die Weisungen des Bundesamtes für
Sozialversicherungen über die Rückvergütung der von Ausländern an die AHV
bezahlten Beiträge [Rück], gültig ab Januar 2003). Indessen hat die
Beschwerdeführerin als verwitwete Person mit der Staatsangehörigkeit eines
Nichtvertragsstaates, deren verstorbener Ehegatte die schweizerische
Staatsangehörigkeit besessen hatte, auch nach Verlegung des Wohnsitzes von der
Schweiz ins Ausland Anrecht auf eine Witwenrente (Ziff. 3429.1 der Wegleitung
über die Renten [RWL] in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung in der ab 2005 geltenden Fassung). Vorbehalten ist das
Erlöschen des Anspruchs auf eine Hinterlassenenrente infolge einer
Wiederverheiratung (Art. 23 Abs. 4 lit. a AHVG). Nach Art. 24b AHVG wird, wenn
eine Person gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Witwen- oder Witwerrente
und für eine Altersrente erfüllt, nur die höhere Rente ausbezahlt.

1.2 Zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin, welche endgültig in einem Staat
Wohnsitz genommen hat, mit welchem die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen
abgeschlossen hat, auch als Bezügerin einer Witwenrente einen Anspruch auf
Rückvergütung der eigenen AHV-Beiträge haben kann.

2.
Im angefochtenen Entscheid erwog das Bundesverwaltungsgericht, eine Antwort auf
diese Frage könne weder Art. 18 Abs. 3 AHVG noch der RV-AHV entnommen werden.
Es bestehe eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes. Die Bestimmung des
Art. 24b AHVG, mit welcher eine Kumulation von Witwen- und Altersrenten
verhindert werde, komme einem Überentschädigungsverbot gleich mit der
Besonderheit, dass auf eine konkrete Berechnung einer Überentschädigung
verzichtet werde. Mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht vereinbar sei
es, bei der Bezügerin einer Witwenrente allein aufgrund ihres ausländischen
Wohnsitzes verschiedene Leistungen der AHV zu kumulieren, solange dies bei
einem Wohnsitz in der Schweiz nicht möglich wäre. Die Lücke in Art. 18 Abs. 3
AHVG sei also in dem Sinne zu schliessen, dass die zu beurteilende
Konstellation gleich gehandhabt werde wie das Aufeinandertreffen von zwei
Renten. Im Weiteren sei die Frage, ob die Beschwerdeführerin allenfalls auf
eine Weiterausrichtung der Witwenrente nach Eintritt der AHV-Altersgrenze
verzichten könne, um eine Rückvergütung der Beiträge zu erreichen, zu
verneinen; Art. 24b AHVG schliesse ein derartiges Wahlrecht aus. Die Vorinstanz
hielt schliesslich fest, bei einer allfälligen Wiederverheiratung wäre eine
Rückvergütung möglich, weil die Witwenrente dahinfiele (Art. 23 Abs. 4 lit. a
AHVG).

3.
3.1 Die der Beschwerdeführerin ausgerichtete Witwenrente beruht allein auf den
Beiträgen des verstorbenen Ehemanns (Art. 33 Abs. 1 AHVG); es handelt sich um
eine abgeleitete Rentenberechtigung. Die eigenen Beiträge, mit welchen die
Versicherte eine Anwartschaft auf eine (allfällige) Altersrente erworben hat
und deren Rückerstattung sie nach dem endgültigen Verlassen der Schweiz
anbegehrt, sind insoweit getrennt von der laufenden Witwenrente zu betrachten.
Art. 24b AHVG schliesst nun aber (als innersystemische koordinationsrechtliche
Norm) den gleichzeitigen Bezug einer Alters- und einer Witwenrente aus. Bei
einer Rückvergütung der im Hinblick auf den Eintritt des Versicherungsfalls
Alter anwartschaftlich geäufneten eigenen Beiträge handelte es sich um das
versicherungsmässige Substrat einer Altersrente. Art. 18 Abs. 3 AHVG ist - in
Verbindung mit Art. 24b AHVG - dergestalt auszulegen, dass der Bezug einer
Hinterlassenenrente nicht nur den zusätzlichen Anspruch auf eine Altersrente,
sondern auch eine Rückvergütung der eigenen Beiträge ausschliesst. Andernfalls
würden Angehörige eines Staates, mit welchem die Schweiz kein
Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, besser gestellt als alle anderen
Kategorien von Versicherten, die in der Schweiz ihren Wohnsitz und gewöhnlichen
Aufenthalt beibehalten. Die Gleichsetzung von Rente und deren Surrogat ist auch
deswegen geboten, weil die Witwenrente, die aufgrund des in Art. 24b AHVG
verankerten Günstigkeitsprinzips - garantiert ist jeweils die höhere Rente -
auch nach Erreichen des Rentenalters ausgerichtet wird, ab diesem Zeitpunkt die
Existenzsicherungsfunktion der Altersrente übernimmt. Die versicherten Risiken
Alter und Verwitwung verfolgen innerhalb desselben Versicherungszweigs insofern
denselben Zweck. Dem Versicherungsprinzip entsprechend gilt es demgemäss nach
dem Leistungsfall der Verwitwung mit Bezug auf das versicherte Risiko Alter
keine entgangene selbständige Anwartschaft mehr abzugelten. Es gibt mit anderen
Worten keinen infolge Wegzugs aus der Schweiz hinfälligen Versicherungsschutz,
aus dem die Versicherte ein Recht auf Beitragsrückerstattung ableiten könnte.
Der Umstand, dass bei den Hinterlassenenleistungen nicht die Beiträge der
begünstigten Person, sondern diejenigen des Versorgers anspruchsbegründend
wirken, begründet kein Anrecht auf eine Rückerstattung eigener Beiträge, wenn,
wie hier der Fall, die Verwitwung vor der endgültigen Wohnsitznahme des
begünstigten Hinterlassenen im Ausland eingetreten ist. Angesichts dieser
Auslegung von Art. 18 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 24b AHVG besteht keine
planwidrige Unvollständigkeit von Gesetz und Verordnung.

3.2 Die Beschwerdeführerin macht unter dem Aspekt der Rechtsgleichheit geltend,
bei einer Ausreise zu Lebzeiten ihres Ehemannes hätte sie einen Anspruch auf
Rückvergütung gehabt und bei dessen späterem Tod gleichwohl eine (abgeleitete)
Witwenrente erhalten. Es stellt sich die Frage, ob die oben dargestellte, über
den Gesetzeswortlaut hinausreichende Auslegung der einschlägigen Bestimmungen
des AHVG vor Art. 8 Abs. 1 BV standhält. Die von der Beschwerdeführerin
angerufene Konstellation lag im Wesentlichen auch einem in BGE 111 V 3
publizierten Urteil zugrunde. Dieses betraf eine italienische Staatsangehörige,
die, wie im betreffenden Sozialversicherungsabkommen vorgesehen, eigene
Beiträge an die heimatliche Sozialversicherung überwiesen hatte; dieser Vorgang
bewirkt gleichviel wie die Beitragsrückerstattung nach Art. 18 Abs. 3 AHVG eine
vollständige Loslösung von der AHV (vgl. die Erläuterungen zur RV-AHV, in: AHI
2003 S. 22). Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die mit der Überweisung
der eigenen Beiträge verbundene Auflösung des Versicherungsverhältnisses der
Ehefrau zur AHV nicht auch jenes hinsichtlich des verstorbenen Ehemannes
hinfällig macht; dessen Beiträge sind nicht nur auf eigene Ansprüche im Alter
gerichtet gewesen, sondern auch auf Leistungen zugunsten allfälliger
Hinterlassener (BGE 111 V 3 E. 2c S. 9). Nach dem Tod ihres Ehemanns hatte jene
Versicherte, die selber bereits aus der schweizerischen Alters- und
Hinterlassenversicherung ausgetreten war, auf der Grundlage der Beiträge des
Verstorbenen also Anspruch auf den Bezug einer Witwenrente. Aus dem (oben E.
3.1) Gesagten ergibt sich demgegenüber, dass ein endgültiges Ausscheiden aus
der schweizerischen Sozialversicherung nur vor dem Eintritt eines durch den
entsprechenden Versicherungszweig abgedeckten Risikos möglich ist, wobei Alter
und Verwitwung in diesem Zusammenhang als Einheit zu begreifen sind.

3.3 Im Weiteren bringt die Beschwerdeführerin vor, mit der Verweigerung der
Rückvergütung wegen der laufenden Hinterlassenenrente werde die prinzipielle
Anwartschaft auf höhere Altersleistungen vereitelt. Sie sehe dadurch den
Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt. Dem ist zu entgegnen, dass eine
Herabsetzung von Leistungserwartungen, die sich aus der gesetzlichen
Anspruchsordnung und aus Unterschieden in den tatsächlichen Verhältnissen
ergibt, nicht gegen das Versicherungsprinzip verstösst (vgl. ZAK 1979 S. 431 E.
3, H 223/77). Die Frage der Rückvergütung kann daher bei Erreichen des
AHV-Alters nicht neu geprüft und die Auszahlung der Witwenrente zu diesem
Zeitpunkt nicht eingestellt werden: Wo die ordentliche Leistung (hier die
Altersrente) nicht mehr ausgerichtet werden kann, besteht auch kein Raum für
das entsprechende Leistungssurrogat in Form der Beitragsrückvergütung.

3.4 Wie bereits die Vorinstanz dargelegt hat, stünde einer späteren
Rückvergütung der Beiträge grundsätzlich dann nichts im Wege, wenn sich die
Beschwerdeführerin wieder verheiraten sollte. In diesem Fall ginge der Anspruch
auf die Witwenrente unter, ohne dass an deren Stelle eine Altersrente treten
könnte (Art. 23 Abs. 4 lit. a und Art. 18 Abs. 2 AHVG). In sinngemässer
Anwendung von Art. 4 Abs. 3 Satz 2 RV-AHV wären nach Erreichen des ordentlichen
AHV-Rentenalters entrichtete Rentenbetreffnisse vom Rückvergütungsbetrag
abzuziehen, weil die Witwenrente alsdann die Funktion der Altersrente
übernimmt. Die fünfjährige Verwirkungsfrist nach Art. 7 Satz 2 RV-AHV (welche
im Regelfall mit dem Erreichen des Rentenalters beginnt [Urteil 9C_847/2008 vom
21. August 2009 E. 4]) läuft in einem solchen Fall ab dem Zeitpunkt der
Wiederverheiratung; erst dann ist die Rückvergütung einforderbar.

4.
Verwaltung und Vorinstanz haben die Rückvergütung von AHV-Beiträgen an die
Beschwerdeführerin als Bezügerin einer Witwenrente zu Recht abgelehnt.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 AHVG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. April 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub