Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 830/2009
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2009
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_830/2009

Urteil vom 27. Januar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
Z.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Roger Zenari,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
Die 1961 geborene Z.________ arbeitete vom 1. September 1993 bis 31. Dezember
2004 bei der H.________ AG als Fachspezialistin Marketing. Am 13. August 2003
meldete sie sich unter Hinweis auf die Folgen eines Unfalls vom 16. März 1998
bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Gestützt auf die
beigezogenen Unterlagen, worunter eine von der E.________ als Unfallversicherer
veranlasste Expertise der Neurologisch-Neurochirurgischen Poliklinik,
Universitätskliniken, Spital X.________, vom 11. Juni 2003 und die getroffenen
Abklärungen, u.a. eine Begutachtung von Z.________ in der Medizinischen
Abklärungsstation des Spitals Y.________ (MEDAS) vom 29. Januar 2008, verfügte
die IV-Stelle des Kantons Aargau am 21. Oktober 2008 die Ablehnung des
Anspruchs auf eine Invalidenrente, da der Invaliditätsgrad 30 % betrage.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher Z.________ die Zusprechung
einer ganzen Rente, eventuell die Rückweisung der Sache zu weiteren Abklärungen
an die IV-Stelle, hatte beantragen lassen, wies das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau ab (Entscheid vom 15. Juli 2009).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt Z.________ das
vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Umfang des Rentenanspruchs (Art.
28 Abs. 1 IVG) und die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen
Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) zutreffend
wiedergegeben, sodass darauf verwiesen wird.

3.
3.1 Zur Hauptsache gestützt auf das Gutachten der MEDAS des Spitals Y.________
vom 29. Januar 2008 gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, die
Beschwerdeführerin könnte die bisherige wie auch jede andere körperlich leichte
Arbeit, die im Sitzen, ohne Zwangshaltungen und unter Ausschluss von
Überkopfarbeiten, verrichtet wird, ausüben. Wegen der dokumentierten
radikulären Störungen sein eine Minderung der Leistungsfähigkeit um 30 % zu
berücksichtigen.

3.2 Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, aufgrund der Expertise
des Spitals X.________ vom 11. Juni 2003 sei von einer Restarbeitsfähigkeit von
lediglich 50 % auszugehen. Das Gutachten der MEDAS des Spitals Y.________ sei
schon deshalb beweisuntauglich, weil keine neuropsychologische Abklärung und
keine rheumatologische Beurteilung vorgenommen und keine Röntgenbilder
angefertigt worden seien. Die kognitiven Defizite seien damit nicht hinreichend
erfasst worden. Des Weiteren fehle im Gutachten des Spitals Y.________ eine
Auseinandersetzung mit abweichenden Einschätzungen anderer Ärzte.

3.3 Die zitierten und weiteren Einwendungen betreffend die medizinische
Begutachtung sowie die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit haben Tatfragen zum
Gegenstand, über welche die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich
entschieden hat, kann doch von einer offensichtlich unrichtigen oder auf einer
Bundesrechtsverletzung beruhenden Sachverhaltsfeststellung des
Versicherungsgericht nicht die Rede sein (vgl. E. 1 vor). Auch kann die
Beweiswürdigung der Vorinstanz nicht als willkürlich bezeichnet werden. Ob neue
radiologische oder neuropsychologische Abklärungen erforderlich sind, um den
Gesundheitszustand einer versicherten Person beurteilen zu können, liegt im
Ermessen der begutachtenden Ärzte. Sind derartige Untersuchungen unterblieben,
kann daraus entgegen den Vorbringen in der Beschwerde nicht auf fehlende
Beweiskraft der Expertise geschlossen werden. Die übrigen Einwendungen zum Grad
der Arbeitsunfähigkeit erschöpfen sich in einer Kritik am Gutachten der MEDAS
und an der Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts. Damit kann die
Beschwerdeführerin im Rahmen der geltenden Überprüfungsbefugnis des
Bundesgerichts nicht gehört werden. Das für die Festlegung der Arbeitsfähigkeit
auf das mehr als sechs Jahre zurückliegende Gutachten des Spitals Y.________
abgestellt werden soll, ist im Übrigen nicht ein-leuchtend begründet.

4.
4.1 Die Vorinstanz hat gestützt auf einen Einkommensvergleich einen
Invaliditätsgrad von 32 % ermittelt. Zur Bestimmung des hypothetischen
Einkommens ohne Invalidität (Valideneinkommen) zog sie den Durchschnittslohn
der Versicherten aus den drei Jahren vor Eintritt des Gesundheitsschadens bei
und passte diesen der Nominallohnentwicklung an, woraus für das Jahr 2002 ein
Einkommen von Fr. 93'306.- resultierte. Das Invalideneinkommen berechnete das
kantonale Gericht anhand der Tabellen gemäss der Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung (LSE) 2002 des Bundesamtes für Statistik. Als massgebend
erachtete die Vorinstanz die Tabelle TA1, Versicherungsgewerbe,
Anforderungsniveau 2. Mit einer entsprechenden Tätigkeit und einer aus
medizinischen Gründen um 30 % reduzierten Leistungsfähigkeit hätte die
Beschwerdeführerin laut angefochtenem Entscheid im Jahre 2002 ein
Erwerbseinkommen von Fr. 63'877.- erzielen können.

4.2 Die Beschwerdeführerin wendet ein, dass sie ohne Gesundheitsschaden im
Jahre 2002 bei der E.________ Benutzerverantwortliche S.________ mit eigenem
Budget geworden wäre. Die E.________ habe der Vorinstanz auf Anfrage bestätigt,
dass ihr diese Aufgabe in Aussicht gestellt wurde. Mit diesem Karriereschritt
wäre eine Lohnerhöhung auf Fr. 93'600.- (Fr. 7'200.- x 13) verbunden gewesen.
Unter Einbezug regelmässig geleisteter Überstunden und von Prämien sei das
Valideneinkommen auf Fr. 112'563.- festzulegen. Mit Bezug auf das
Invalideneinkommen teilt die Versicherte die vorinstanzliche Auffassung, wonach
auf die Tabellenlöhne gemäss LSE abzustellen sei. Hingegen hält sie dafür, es
sei nicht vom Anforderungsniveau 1 - 2, sondern vom Niveau 3 auszugehen, und es
sei schliesslich ein leidensbedingter Abzug von 15 % vom Invalideneinkommen zu
gewähren.
4.3
4.3.1 Soweit die Frage streitig ist, ob von einem Karriereschritt der
Beschwerdeführerin auszugehen ist, handelt es sich um eine Tatfrage, über
welche das kantonale Gericht in Würdigung der Beweislage verbindlich
entschieden hat. Zu den Einwendungen der Versicherten ist nicht näher Stellung
zu nehmen, da eine offensichtlich unrichtige oder auf einer Verletzung von
Bundesrecht beruhende Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz nicht
erkennbar ist. Es bleibt damit bei dem vom kantonalen Gericht für das Jahr 2002
festgelegten Valideneinkommen in der Höhe von Fr. 93'306.-.
4.3.2 Hinsichtlich des Invalideneinkommens stellte die Vorinstanz auf die
Tabelle TA1, Versicherungsgewerbe, Lohnniveau 1-2 (Verrichtung höchst
anspruchsvoller und schwierigster bzw. selbstständiger und qualifizierter
Arbeiten) der LSE 2002, S. 43, ab, was angesichts der bisherigen Tätigkeit und
der Qualifikationen der Beschwerdeführerin gerechtfertigt erscheint. Was
hiegegen vorgetragen wird, ist nicht stichhaltig, attestierten doch die
Gutachter des Spitals Y.________ der Versicherten in der Expertise vom 29.
Januar 2008, welcher, wie dargelegt, Beweiskraft zukommt, in der bisherigen
oder einer anderen körperliche leichten Tätigkeit eine um 30 % reduzierte
Leistungsfähigkeit. Die Behauptung, sie könne behinderungsbedingt nur noch eine
Arbeit, welche einzig Berufs- und Fachkenntnisse voraussetzt
(Anforderungsniveau 3), verrichten, ist durch nichts belegt.
4.3.3 Ob schliesslich im Sinne der Rechtsprechung (BGE 126 V 75 E. 5b aa-cc S.
79 f.) vom Tabellenlohn ein leidensbedinger Abzug vorzunehmen ist, kann offen
bleiben. Denn angesichts der vorliegenden Umstände, welche die Vorinstanz zum
Schluss führten, ein Abzug vom Invalideneinkommen falle ausser Betracht, liesse
sich höchstens eine Reduktion des Tabellenlohnes um 10 % für die
gesundheitlichen Einschränkungen rechtfertigen, obwohl diesen grundsätzlich mit
der Annahme eines laut Gutachten zumutbaren Arbeitspensums von bloss 70 %
bereits Rechnung getragen wurde, wie das Versicherungsgericht festhält. Ein
Abzug vom Invalideneinkommen von 10 % würde indessen zu keinem
rentenbegründenden Invaliditätsgrad von 40 % führen. Dem Valideneinkommen von
Fr. 93'306.- wäre in diesem Fall ein Invalideneinkommen von Fr. 57'489.- (Fr.
63'877.- - Fr. 6'388.- [10 % von Fr. 63'877.-]) gegenüber zu stellen, womit
sich eine Erwerbseinbusse von 38,4 % ergäbe (Fr. 93'306.- - Fr. 57'489.- : Fr.
93'306.- x 100 %).

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. Januar 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer