Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 789/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_789/2009

Urteil vom 11. Juni 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Pius Huber,
Beschwerdeführerin,

gegen

Kanton Zürich,
vertreten durch die Finanzdirektion des Kantons Zürich, Walcheplatz 1, 8090
Zürich, vertreten durch
die Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich, Stampfenbachstrasse 63, 8006
Zürich, und diese vertreten durch Fürsprecherin Cordula E. Niklaus,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Hinterbliebenenleistungen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 23. Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
Die 1956 geborene S.________ heiratete am ... 1980 den 1957 geborenen
W.________. Aus der Ehe erwuchsen drei Kinder; geboren 1986, 1988 und 1991. Die
Ehe wurde am ... 2006 geschieden, wobei S.________ gegen das Scheidungsurteil
in Bezug auf den Kindesunterhalt, den nachehelichen Unterhalt sowie die
güterrechtliche Auseinandersetzung appellierte und W.________
Anschlussappellation erhob. Während deren Rechtshängigkeit verstarb W.________
am ... 2007. In der Folge sprach die Beamtenversicherungskasse des Kantons
Zürich (nachfolgend: BVK) S.________ ab 1. September 2007 nebst den
Waisenrenten für die drei Kinder eine statutarische Ehegattenrente von Fr.
3'039.15 abzüglich der Witwenrente der AHV (Fr. 1'570.-) zu, woran sie auf
erhobene Einsprache hin festhielt (Entscheid vom 20. März 2008).

B.
Die von S.________ gegen die BVK eingereichte Klage, mit welcher sie ab 1.
September 2007 eine monatliche Rente von Fr. 3'039.15, eventuell Fr. 2'242.65
sowie Zins von 5 % ab 8. Mai 2008 auf den ausstehenden Rentenbetreffnissen
beantragte, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 23. Juli 2009 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und die vorinstanzlich gestellten Begehren erneuern; eventuell sei die Sache
zur Berechnung der Leistungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht forderte die Beschwerdeführerin auf, das erst- und
zweitinstanzliche Scheidungsurteil einzureichen, was sie am 31. Mai 2010 tat.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 130 III 136
E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2.
2.1 Gemäss § 30 Abs. 1 der Statuten der Versicherungskasse für das
Staatspersonal des Kantons Zürich vom 22. Mai 1996 (BVK-Statuten; Zürcher
Gesetzessammlung 177.21) hat der überlebende Ehegatte einer im Arbeits- oder
Pensionsverhältnis verstorbenen Person u.a. Anspruch auf eine Ehegattenrente,
wenn er im Zeitpunkt des Todes das 45. Altersjahr zurückgelegt hat (lit. c).
Zur Höhe der Ehegattenrente bestimmt § 31 Abs. 1 BVK-Statuten, dass beim Tod
einer versicherten Person vor dem vollendeten 63. Altersjahr die Ehegattenrente
40 % des letzten versicherten Lohnes beträgt. Laut § 32 Abs. 1 BVK-Statuten ist
der geschiedene Ehegatte dem überlebenden Ehegatten gleichgestellt, wenn er das
45. Altersjahr vollendet und die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat, und er
durch den Tod der versicherten Person einer im Scheidungsurteil zugesprochenen
Unterhaltsrente verlustig geht. Die Leistungen an den geschiedenen Ehegatten
entsprechen höchstens der entgangenen Unterhaltsrente abzüglich der
Hinterbliebenenleistungen der übrigen Versicherer, namentlich der AHV/IV (§ 32
Abs. 2 BVK-Statuten).

2.2 Soweit es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen
geht, ist das kantonale und kommunale Berufsvorsorgerecht vom Bundesgericht
frei zu überprüfen (BGE 134 V 199 E. 1.2 S. 200). Da es sich bei der
Versicherungskasse um eine Vorsorgeeinrichtung öffentlichen Rechts handelt, hat
die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der BVK-Statuten - anders als die
Auslegung der Vorsorgereglemente privatrechtlicher Versicherungsträger - nach
den gewöhnlichen Regeln der Gesetzesauslegung zu erfolgen (BGE 133 V 314 E. 4.1
S. 316 f., mit Hinweisen; Urteil B 104/06 vom 6. Juni 2007 E. 5.1, in: SVR 2008
BVG Nr. 2 S. 6).

3.
Zwischen den Parteien ist der Anspruch auf eine Ehegattenrente aus beruflicher
Vorsorge unbestritten. Hingegen besteht Uneinigkeit über deren Höhe, wobei die
Beschwerdeführerin dafür hält, es seien von der Ehegattenrente die
AHV-Hinterbliebenenleistungen nicht in Abzug zu bringen, weil im Zeitpunkt des
Todes des geschiedenen Ehegatten der scheidungsrechtliche Unterhaltsanspruch
nicht rechtskräftig bestimmt gewesen sei. Deshalb sei § 30 BVK-Statuten
anzuwenden, welche Bestimmung für Nichtgeschiedene gelte. Im Eventualstandpunkt
beantragt sie die Bemessung der Ehegattenrente nicht mit 40 % des letzten
versicherten Lohnes (§ 31 Abs. 1 BVK-Statuten), sondern des anrechenbaren
Einkommens.

3.1 Die Vorinstanz stellte für das Bundesgericht verbindlich den Tod des
geschiedenen Ehegatten während der Hängigkeit der gegen das erstinstanzliche
Scheidungsurteil im Unterhaltspunkt und dem Güterrecht angehobenen Appellation
fest (Art. 105 Abs. 1 BGG). Unter diesen Umständen ist der
berufsvorsorgerechtliche Anspruch auf eine Ehegattenrente nach Massgabe von §
32 BVK-Statuten zu beurteilen. Namentlich ist der Beschwerdeführerin in der
Ansicht nicht zu folgen, die Bestimmung gelte nur in jenen Fällen, wo der
nacheheliche Unterhalt rechtsverbindlich geregelt sei, weshalb die Sache unter
§ 30 BVK-Statuten falle. Der Anspruch auf eine Ehegattenrente gemäss § 32
BVK-Statuten setzt zwar eine Unterhaltsrente im Sinne von Art. 126 ZGB voraus
(§ 32 Abs. 1); hingegen ist die Unterhaltsrente nicht Voraussetzung für die
Anwendung der Bestimmung. Unbehelflich ist deshalb die Sichtweise, ohne
rechtskräftige Regelung des nachehelichen Unterhalts sei die Ehe im Sinne von §
32 BVK-Statuten nicht geschieden. Vielmehr ist auch im Anwendungsbereich der
Bestimmung beachtlich, dass die Einlegung eines Rechtsmittels den Eintritt der
Rechtskraft des Scheidungsurteils nur im Umfang der Anträge hemmt (Art. 148
Abs. 1 ZGB). Im Scheidungspunkt wird das Urteil rechtskräftig, falls sich das
Rechtsmittel nur gegen die Scheidungsfolgen richtet (BGE 130 III 537 E. 5.2 S.
546), weswegen die Beschwerdeführerin im massgeblichen Zeitpunkt Geschiedene
war.

3.2 Trotz des Todes des geschiedenen Ehegatten am ... 2007 während
rechtshängiger Appellation vor kantonalem Obergericht konnte entgegen der
offenbaren Ansicht in der Beschwerde für die Zeit ab der Scheidung bis zum Tod
des allenfalls Leistungspflichtigen ein Unterhaltsanspruch gerichtlich
zugesprochen werden (BGE 128 III 121 E. 3 S. 122), wobei es Sache des Gerichtes
ist, den Beginn der Unterhaltsrente zu bestimmen (Art. 126 Abs. 1 ZGB). Ein für
die angeführte Zeitspanne gewährter Unterhalt fällt als Schuld in die (nicht
ausgeschlagene) Erbschaft, für welche die Erben solidarisch einstehen (Art. 560
Abs. 1 und 2 ZGB und Art. 603 Abs. 1 ZGB; BÜHLER/EDELMANN/ KILLER, Kommentar
zur aargauischen Zivilprozessordnung, 1998, N. 2 zu § 62 ZPO). Gegenstandslos
wird das Scheidungsverfahren durch den Tod eines der Ehegatten nur mit Bezug
auf die Scheidung als solche, weil es sich hiebei um ein höchstpersönliches
Recht handelt (Urteil 5C_13/2003 vom 30. August 2004 E. 1.2, nicht publ. in:
BGE 131 III 1, BGE 93 II 151 E. 3a S. 153), was hier jedoch nicht von Bedeutung
ist (E. 3.1 hievor). Der Beschwerdeführerin war es daher unbenommen, an der
Appellation mit Bezug auf die Unterhaltsrente zumindest soweit festzuhalten,
als diese die Zeit vor dem Tod ihres früheren Ehegatten beschlug. Die
Appellation richtete sich diesfalls gegen die Erben (§ 62 des
Zivilrechtspflegegesetzes des Kantons Aargau vom 18. Dezember 1984
[Zivilprozessordnung; SAR 221.200]). Folglich stellt sich die Frage nach einer
anderen Bemessungsgrundlage als der scheidungsrechtlichen Unterhaltsrente nicht
(§ 32 Abs. 2 BVK-Statuten). Zudem ist dem Begehren die Grundlage entzogen, es
sei mangels rechtskräftig bestimmter Unterhaltsrente, von welcher allein die
Hinterbliebenenleistungen der AHV/IV in Abzug zu bringen seien (§ 32 Abs. 2
BVK-Statuten), eine nicht um die Hinterbliebenenleistungen korrigierte
Ehegattenrente auszuzahlen.

3.3 Dem Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom ... 2008 scheint mit
Bezug auf die prozessrechtlichen Folgen des Todes des geschiedenen Ehegatten
eine andere Rechtsauffassung zu Grunde zu liegen. Danach ist die
Unterhaltsleistungen zusprechende Ziffer 3 des Scheidungsurteils des
Bezirksgerichts vom ... 2005 zufolge Todes des Ehemannes von Amtes wegen
aufgehoben und wie folgt neu gefasst worden: "Die Begehren der Beklagten um
Zusprechung von Unterhaltsbeiträgen sowohl an die Kinder als auch an sich
selbst werden infolge Todes des W.________ als zufolge Gegenstandslosigkeit
erledigt von der Kontrolle abgeschrieben." Weil sich jedoch nach dem klaren
Wortlaut von § 32 Abs. 1 der BVK-Statuten der Anspruch auf
Hinterbliebenenleistungen ausschliesslich nach Massgabe der mit
Scheidungsurteil zugesprochenen Unterhaltsrente bestimmt (vgl. E. 3.1 hievor),
ist das Berufsvorsorgegericht ungeachtet der prozessrechtlichen und materiellen
Richtigkeit des rechtskräftigen Entscheids des Obergerichts des Kantons Aargau
vom ... 2008 an diesen gebunden. Selbst wenn also die Appellation der
Beschwerdeführerin nach dem Tod des geschiedenen Ehegatten nicht von Amtes
wegen hätte abgeschrieben werden dürfen, gilt hier der rechtskräftige
Entscheid. Ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen besteht danach nicht, was
reglementarische Hinterbliebenenleistungen ausschliesst (vgl. E. 2.1 hievor).

3.4 Nichtsdestoweniger bleibt es letztinstanzlich bei der Hinterbliebenenrente
von monatlich Fr. 1'469.15 (Fr. 3'039.15 minus Fr. 1'570.-) gemäss
angefochtenem Entscheid; denn das Bundesgericht kann nicht über die Anträge der
Parteien hinaus gehen (vgl. E. 1 hievor sowie Art. 107 Abs. 1 BGG).

3.5 Im Übrigen wäre die Beschwerde auch dann abzuweisen, wenn von der im
erstinstanzlichen Scheidungsurteil festgelegten Unterhaltsrente von Fr. 2'250.-
pro Monat ausgegangen würde: In diesem Fall betrüge die Rente gemäss § 32 Abs.
2 BVK-Statuten Fr. 680.- (Fr. 2'250.- minus die AHV-Rente von Fr. 1'570.-),
somit immer noch weniger als die Beschwerdegegnerin zugestanden hat. Für den
Standpunkt der Beschwerdeführerin, die Rente ausgehend von 40 % des
anrechenbaren Jahreslohnes zu berechnen, fehlt jegliche statutarische oder
gesetzliche Grundlage.

4.
Der Einwand der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe zur gerügten
"Anrechnung der AHV in doppelter Hinsicht" das rechtliche Gehör verweigert,
dringt nicht durch. Die Rentenfestsetzung auf einem versicherten Lohn von Fr.
91'174.- (Rentenblatt vom 13. März 2008) bei einem Brutto-Jahreslohn von Fr.
113'810.- ab 1. Januar 2006 (Schreiben des Arbeitgebers vom 10. Juni 2006)
einerseits, der Abzug der AHV-Witwenrente von Fr. 1'570.- von der
Ehegattenrente an Geschiedene andererseits sind zwei verschiedene
Koordinationsschritte, deren Kumulation keineswegs zu einer Verletzung
bundesrechtlicher Normen oder rechtsungleicher Behandlung führt und auch nicht
sonstwie stossend ist: Mit der Hauptrente von Fr. 1'469.15, den drei
Waisenrenten von je Fr. 911.75 und den Leistungen der Ersten Säule (Witwenrente
von Fr. 1'570.- und drei Waisenrenten von je Fr. 785.-) erhalten die
Hinterlassenen insgesamt monatliche Leistungen von Fr. 8'128.40, welche den
erlittenen Versorgerschaden (Monatslohn von Fr. 8'754.80) in angemessener Weise
ausgleichen.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Juni 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin