Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 785/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_785/2009 {T 0/2}

Urteil vom 2. Dezember 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Luzius Hafen,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom
11. August 2009.

Sachverhalt:
Die IV-Stelle des Kantons Luzern stellte mit Verfügung vom 21. Januar 2008
fest, der 1973 geborene A.________ sei aufgrund der Ergebnisse umfassender
medizinischer Abklärungen aus interdisziplinärer Sicht zu 20 Prozent
"eingeschränkt"; ein Anspruch auf eine Invalidenrente bestehe demnach nicht.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die dagegen erhobene Beschwerde
ab, ebenso das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung
(Entscheid vom 11. August 2009).

A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den
Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihm mit
Wirkung ab Juli 2002 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Eventuell sei die
Sache zu ergänzender Abklärung und anschliessender Neuverfügung an die
Verwaltung zurückzuweisen.

Mit Verfügung vom 7. Oktober 2009 weist das Bundesgericht das mit der
Beschwerde gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen
Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels ab.
Das Bundesgericht weist (in anderer Besetzung) ein Ausstandsbegehren des
Beschwerdeführers gegenüber den Gerichtspersonen, die an der Verfügung vom 7.
Oktober 2009 beteiligt waren, ab (Verfügung vom 17. November 2009).

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
wegen Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 zur
auch unter der Herrschaft des BGG gültigen Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen
im Bereich der Invaliditätsbemessung [Art. 16 ATSG]).

2.
2.1 Die IV-Stelle hat ein interdisziplinäres Gutachten des Instituts X.________
vom 22. Oktober 2007 eingeholt, das auf neurochirurgischer, neurologischer,
neuropsychologischer und psychiatrischer Befunderhebung und
versicherungsmedizinischer Beurteilung der Arbeitsfähigkeit beruht. Danach
leidet der Beschwerdeführer seit Dezember 2000 an einem posttraumatischen
Kopfschmerz. Die weiter festgestellte narzisstische Persönlichkeit habe keinen
Krankheitswert. Das leichtgradige chronische Zervikalsyndrom und leichtgradige
sensible Ausfallsyndrom C6 und C8 nach einer Luxationsfraktur des sechsten
Halswirbelkörpers zeitigten keinen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. Aus
interdisziplinärer Sicht sei der Beschwerdeführer in der bisherigen Tätigkeit
(als Teilhaber einer Treuhandfirma) und in anderen angepassten Tätigkeiten
vollzeitig, aber infolge der Kopfschmerzen mit einer um (höchstens) 20 Prozent
eingeschränkten Leistung arbeitsfähig.

2.2 Der angefochtene Entscheid, mit welchem der Anspruch auf eine
Invalidenrente verneint wird, beruht auf der Schlussfolgerung, der
Beschwerdeführer sei gemäss - beweistauglicher - interdisziplinärer
Einschätzung zu 80 Prozent arbeitsfähig. Ein sogenannter Prozentvergleich (zu
dessen Zulässigkeit vgl. BGE 114 V 310 E. 3a S. 312; 104 V 135 E. 2b S. 137)
ergebe keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad. Der Beschwerdeführer
verlangt die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente mit Wirkung ab Juli 2002,
allenfalls eine neue Prüfung des Rentenanspruchs nach weiteren medizinischen
Abklärungen.

2.3 Die für die Beurteilung des Leistungsanspruchs einschlägigen
Rechtsgrundlagen und die dazu ergangene Rechtsprechung hat die Vorinstanz
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Strittig sind im Wesentlichen die vorinstanzlichen Feststellungen über Art und
Umfang des Gesundheitsschadens sowie über dessen erwerbliche Auswirkungen.
Diese betreffen Tatfragen, soweit sie auf der Würdigung konkreter Umstände
beruhen; insofern sind sie lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel
überprüfbar (oben E. 1; BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397).
3.1
3.1.1 Im psychischen (und neuropsychologischen) Bereich fanden die
Administrativgutachter keine Störung mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit.
Die narzisstische Persönlichkeitsstruktur entspricht nur dann einem nach Art. 4
Abs. 1 IVG versicherten Faktor, wenn sie ein krankheitswertiges Geschehen im
Rechtssinne darstellt. Diese Anspruchsvoraussetzung ist hier jedoch nicht
gegeben, mangelt es diesbezüglich - gemäss vorinstanzlich zu Recht als
beweiswertig gewürdigter (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) gutachtlicher Aussage -
bereits im (regelmässig weiter gefassten) medizinischen Sinn an einem
eigenständigen Krankheitswert. Danach entspricht die Persönlichkeitsveränderung
- im Sinne einer Persönlichkeitsakzentuierung - noch einer Normvariante. Selbst
wenn mit der behandelnden Psychiaterin Dr. B.________ eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung angenommen würde (Bericht vom 5. Februar 2008), wäre mit
Blick auf die (die gesamte Anamnese einbeziehende) Befundaufnahme im
interdisziplinären Gutachten immer noch nicht von einem invalidisierenden
Gesundheitsschaden auszugehen (vgl. Urteil I 82/06 vom 20. November 2006 E.
2.4). Zumindest aber wäre anzunehmen, eine solche Störung beeinträchtige die
Willensbildung und Handlungsfreiheit nicht derart, dass dadurch die
Leistungsfähigkeit erheblich und dauerhaft eingeschränkt sei (vgl. Urteil I 704
/02 vom 17. April 2003 E. 3.4). Das vom Beschwerdeführer beanstandete Fehlen
einer Rücksprache der Gutachter mit den behandelnden Psychiatern Dres.
B.________ und U.________ bildet daher keinen Grund, um die vorinstanzlichen
Schlussfolgerungen in Frage zu stellen.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung besteht kein
"fundamentaler Unterschied" zwischen den zur Diskussion stehenden psychischen
Beeinträchtigungen; vielmehr sind die Übergänge auch hier fliessend. Vor allem
aber besteht, invalidenversicherungsrechtlich entscheidend, keine zwangsläufige
Korrelation zwischen Diagnose und Invalidität. Deshalb ist der Streit um die
Frage, ob der Beschwerdeführer bloss narzisstische Persönlichkeitszüge oder
aber (schon) eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweise, im Grunde
irrelevant. Nach wie vor gilt, dass eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit,
unabhängig von der Diagnose und grundsätzlich unbesehen der Ätiologie,
ausgewiesen und in ihrem Ausmass bestimmt sein muss (BGE 127 V 294 E. 4c S.
298). Daran fehlt es im Falle des Beschwerdeführers nach der gesamten Aktenlage
offensichtlich. Weitere Beweisvorkehren vermöchten hieran nichts zu ändern.
3.1.2 Offen bleiben kann, wie es sich mit der im Bericht der Frau Dr.
B.________ vom 5. Februar 2008 zusätzlich attestierten somatoformen
Schmerzstörung verhält, da eine Prüfung im Lichte der in BGE 131 V 49 und 130 V
352 statuierten Kriterien offensichtlich nicht zu einem für den Versicherten
günstigen Ergebnis führt, kann doch selbst unter Berücksichtigung jener
Berichte, auf die er sich beruft, von einem invalidisierenden Schmerzleiden mit
sozialem Rückzug (nach seinen Angaben zu den Tagesaktivitäten im Rahmen der
psychiatrischen Begutachtung) nicht die Rede sein.

3.2 In somatischer Hinsicht stimmen die gutachtlichen Befunde auch mit früheren
Beurteilungen (des Rheumatologen Dr. R._______ vom 3. Februar 2004 sowie des
Neurologen Dr. H._______ vom 7. Juni 2005: leichtgradiges chronisches
Zervikalsyndrom bei Status nach einer Luxationsfraktur des Halswirbelkörpers 6,
Wurzelreizsyndrom C6 rechts, Spannungskopfschmerz) weitestgehend überein. Mit
Blick auf die Beschreibung des funktionellen Leistungsprofils in den erwähnten
ärztlichen Berichten ist nicht erkennbar, inwiefern die im angefochtenen
Entscheid anhand des Administrativgutachtens festgelegte Arbeitsunfähigkeit auf
einer offensichtlich unrichtigen Beweiswürdigung beruhen oder aber nicht mit
den rechtsbegrifflichen Vorgaben des Art. 6 ATSG vereinbar sein sollte.
3.3
3.3.1 Nach dem Gesagten weist die vorinstanzliche Würdigung des medizinischen
Dossiers keine augenfälligen Mängel auf, welche eine offensichtliche
Unrichtigkeit oder eine Unvollständigkeit der diesbezüglichen Feststellungen
begründen könnten. Dementsprechend erscheint die auf antizipierter
Beweiswürdigung (BGE 124 V 90 E. 4b S. 94) beruhende Schlussfolgerung des
kantonalen Gerichts, weitere medizinische Erhebungen seien nicht notwendig,
nicht bundesrechtswidrig (vgl. Art. 61 lit. c ATSG).
3.3.2 Hinsichtlich des mit der Beschwerde eingereichten Berichts der Frau Dr.
B.________ vom 11. September 2009 ist anzumerken, dass einerseits der Abschluss
des Verwaltungsverfahrens (mit Verfügung vom 21. Januar 2008) den zeitlich
massgebenden Sachverhalt begrenzt (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220); anderseits
dürfen neue Beweismittel nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid
der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Dies ist hier nicht der
Fall.

3.4 Insgesamt ist die vorinstanzliche Schlussfolgerung nicht zu beanstanden,
der Beschwerdeführer sei mit Bezug auf die angestammte und auch auf (andere)
angepasste Tätigkeiten, die mit der Beeinträchtigung im Bereich der
Halswirbelsäule vereinbar sind, zu 80 Prozent arbeitsfähig.

4.
Der Umstand, dass das kantonale Gericht einen Prozentvergleich (vgl. oben E.
2.2) vorgenommen und nicht näher geprüft hat, wie sich die gesundheitlich
bedingten Einschränkungen in einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt auswirken (vgl.
Art. 16 ATSG), bedeutet keinen Rechtsfehler; der ordentliche
Einkommensvergleich erübrigt sich, weil für das Validen- und das
Invalideneinkommen dieselbe Bemessungsgrundlage herangezogen werden darf.

5.
5.1 Der Beschwerdeführer beantragt, es sei ihm "die unentgeltliche
Verbeiständung zu gewähren". Wortlaut und Systematik dieses letztinstanzlichen
Rechtsbegehrens legen zunächst nahe, diesen Antrag allein auf das
bundesgerichtliche Verfahren zu beziehen. Insoweit ist das Begehren bereits mit
Verfügung vom 7. Oktober 2009 abgewiesen worden.

Rechtsbegehren sind jedoch stets auch im Lichte der dazu gegebenen Begründung
auszulegen (BGE 123 IV 125 E. 1 S. 127; Urteil 4P.266/2006 vom 13. Dezember
2006 E. 1.3). Massgebend für die Bezeichnung der gestellten Parteibegehren,
über welche das Bundesgericht nicht hinausgehen darf (Art. 107 Abs. 1 BGG), ist
also die Beschwerde insgesamt (SVR 2004 IV Nr. 25 S. 75 E. 3.2.1 mit Hinweisen,
I 138/02; Urteil 9C_251/2009 vom 15. Mai 2009 E. 1.3). In der
Beschwerdebegründung wird die Auffassung vertreten, die vorinstanzliche
Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung sei zu Unrecht erfolgt.
Obgleich die anschliessende Formulierung, die Parteientschädigung im Verfahren
vor der Vorinstanz sei "deshalb gemäss Art. 68 Abs. 5 BGG neu zu verlegen", auf
eine Anpassung des kantonalen Kostenentscheids nach Massgabe des materiellen
Ausgangs des bundesgerichtlichen Verfahrens Bezug nimmt, ist insgesamt davon
auszugehen, die vorinstanzliche Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege
sei mitangefochten.

5.2 Die Frage, ob das kantonale Gericht die in Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 61
lit. f ATSG verankerte Garantie auf unentgeltliche Rechtspflege missachtet hat,
indem es den Rechtsbegriff der Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels (vgl. BGE
129 I 129 E. 2.3.1 S. 135) falsch auslegte oder unrichtig auf den konkreten
Fall anwandte, ist zu verneinen. Mit Blick auf die Rechtsprechung zum
Verhältnis von (Administrativ-)Gutachten und Berichten behandelnder Ärzte (vgl.
etwa SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43 E. 2.2.1, I 514/06) sowie auf die Aktenlage
durfte sich der Beschwerdeführer bereits im erstinstanzlichen
Beschwerdeverfahren kaum Chancen ausrechnen, dass sich eine von der
gutachtlichen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit abweichende Beurteilung im
Rahmen der Beweiswürdigung durchsetzen werde. Entsprechendes gilt auch
hinsichtlich des in der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift enthaltenen
Vorbringens, Fragen der beruflichen Integration und der erwerblichen
Verwertbarkeit des Leistungsvermögens bedürften weiterer Abklärung; die
gutachtlich ausgewiesenen Einsatzmöglichkeiten sind so weit definiert, dass
sich entsprechende Schritte erübrigten.

6.
6.1 Die Beschwerde hatte keine Aussicht auf Erfolg, weshalb sie im
vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Durchführung des
Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter Verweis auf den
vorinstanzlichen Entscheid erledigt wird (Art. 102 Abs. 1 und Art. 109 Abs. 3
BGG).

6.2 Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Dezember 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub