Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 778/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_778/2009

Urteil vom 21. Dezember 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Parteien
T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rolf Schmid,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau,
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 29. Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
T.________, geboren 1956, absolvierte eine Anlehre als Metzger und übte diese
Tätigkeit bis 1998 aus. Vom 1. Januar 1999 bis 16. August 2001 war er in der
Firma D.________ AG als Lagerist angestellt und führte - daneben und in der
Folge - als selbstständig Erwerbender einen Kebab-Stand. Am 7. Februar 2006
meldete er sich unter Hinweis auf Rückenschmerzen, Beinschwäche links und
Depression bei diversen belastenden Problemen, begonnen im April 2001, bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an (Berufsberatung,
Arbeitsvermittlung, Rente). Die IV-Stelle des Kantons Thurgau führte
erwerbliche Abklärungen durch und holte Berichte ein des Dr. med. S.________,
Allgemeine Medizin FMH, vom 16. Februar 2006, sowie des Dr. med. B.________,
FMH für Rheumatologie, vom 9. März 2006, welchem ein von der
Krankenversicherung veranlasstes Gutachten beim arbeitsmedizinischen Zentrums
Z._________ vom 25. Januar 2006 beilag. Weiter ersuchte die IV-Stelle den
behandelnden Dr. med. E.________, Spezialarzt für Neurologie, um einen Bericht
vom 14. Februar 2007. Diesem lagen eine fachvertrauensärztliche Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit durch Dr. med. R.________, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 29. März 2006, sowie zwei Schreiben des Dr. med. E.________
vom 6. Februar 2006 und 9. Juli 2001 bei. Am 19. Februar 2007 führte die um
eine Stellungnahme angefragte Ärztin des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD),
Dr. med. I.________, aus, die psychische Komponente des Gesundheitszustandes
imponiere offenbar unterschiedlich, so dass eine abschliessende bidisziplinäre
orthopädisch-psychiatrische Begutachtung notwendig sei. Die IV-Stelle
beauftragte die Klinik X.________ mit der Erstellung eines Gutachtens vom 28.
März 2007. Auf Anraten des RAD (Stellungnahme vom 20. November 2007)
veranlasste die IV-Stelle ein weiteres Gutachten beim medizinischen
Begutachtungsinstitut Y.________ vom 13. Juni 2008, und unterbreitete auch
dieses dem RAD zur Stellungnahme vom 26. Juni 2008. Nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren, in dessen Rahmen T.________ ein Schreiben des Dr. med.
E.________ vom 18. August 2008 zu den Akten reichte, und nochmaliger
Beurteilung durch den RAD vom 7. Oktober 2008, erliess die IV-Stelle am 30.
April 2009 eine dem Vorbescheid entsprechende Verfügung, wonach T.________ bei
einem Invaliditätsgrad von 40 % eine vom 1. März 2007 bis 31. Mai 2008
befristete Viertelsrente zustehe. Ab 1. Juni 2008 sei bei einem
Invaliditätsgrad von 20 % keine Rentenberechtigung mehr gegeben.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des T.________ wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 29. Juli 2009 ab.

C.
T.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Zusprechung einer halben
Rente ab 1. März 2007 nebst Kinderrente, auf der Basis eines Invaliditätsgrades
von 50 %, beantragen. Eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zur Einholung
eines neuen interdisziplinären Gutachtens und erneutem Entscheid über den
Rentenanspruch zurückzuweisen. Zudem ersucht T.________ um unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a
BGG). Gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG;
Ausnahme: Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG [Art. 105 Abs. 3 BGG]).

2.
Die Vorinstanz hat die zur Beurteilung des strittigen Rentenanspruchs
einschlägigen Rechtsgrundlagen (Art. 7 f. ATSG und Art. 28 Abs. 1 IVG in der
bis 31. Dezember 2007 anwendbar gewesenen Fassung [unverändert übernommen durch
Art. 28 Abs. 2 IVG in der seit 1. Januar 2008 anwendbaren Form]) sowie die
Rechtsprechung zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351
E. 3a S. 352) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Nach Art. 43 Abs. 1 ATSG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 IVG) prüft die
IV-Stelle die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen vor und holt die
erforderlichen Auskünfte ein. Gemäss Art. 61 lit. c ATSG stellt das kantonale
Versicherungsgericht unter Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid
erheblichen Tatsachen fest (Untersuchungsgrundsatz: BGE 125 V 193 E. 2 S. 195);
es erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei. Welche
konkreten Abklärungsmassnahmen in gesundheitlicher und beruflich-erwerblicher
Hinsicht für eine rechtsgenügliche Sachverhaltsermittlung geboten sind, lässt
sich angesichts der Besonderheiten jedes einzelnen Falles nicht allgemein sagen
(Urteil I 281/06 vom 24. Juli 2006 E. 3.2.1). Gelangt die Verwaltung oder das
Sozialversicherungsgericht zur Überzeugung, die Akten erlaubten die richtige
und vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder eine
behauptete Tatsache sei für die Entscheidung der Streitsache nicht von
Bedeutung, kann es auf die Erhebung weiterer Beweise verzichten. In dieser
antizipierten Beweiswürdigung kann keine Gehörsverletzung und auch kein
Verstoss gegen den Untersuchungsgrundsatz erblickt werden (BGE 122 V 157 E. 1d
S. 162; Urteil 9C_694/2007 vom 10. Dezember 2007 E. 3.1 mit Hinweisen).

3.
3.1 Die Vorinstanz erwog, die Schlussfolgerungen im Gutachten der Klinik
X.________ vom 28. März 2007 seien sehr unbestimmt. Es sei nicht
nachvollziehbar, weshalb der Versicherte nur während vier Stunden täglich einer
Arbeit nachgehen könne. Die Gutachter äusserten sich auch nicht dazu, ob dem
Beschwerdeführer zugemutet werden könne, ganztägig einer Arbeit nachzugehen,
obwohl sie festgehalten hätten, dass er durchaus über Ressourcen verfüge. Die
Beschwerdegegnerin habe daher zu Recht eine neuerliche Begutachtung im
medizinischen Begutachtungsinstitut Y.________ veranlasst. Das Gutachten des
medizinischen Begutachtungsinstituts Y.________ vom 13. Juni 2008 sei voll
beweistauglich. Dass die IV-Stelle gestützt auf die darin enthaltenen
Einschätzungen einen Invaliditätsgrad von 20 % ermittelt habe, sei
nachvollziehbar. Auf weitere Abklärungen könne in antizipierter Beweiswürdigung
verzichtet werden. Die Einschätzungen der behandelnden Dres. med. E.________
und R.________ seien mit der gebotenen Zurückhaltung zu würdigen. Die pauschale
Kritik des Dr. med. E.________ am medizinischen Begutachtungsinstitut
Y.________ habe mit einer sachlichen Auseinandersetzung kaum etwas zu tun. Dr.
med. R.________ beurteile ebenso wenig wie die Ärzte der Klinik X.________ die
Zumutbarkeit einer ganztägigen Erwerbstätigkeit. Eine nicht unwesentliche Rolle
spielten die invaliditätsfremden (finanziellen) Probleme.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt, das Gutachten des medizinischen
Begutachtungsinstituts Y.________ sei unzureichend begründet und daher für die
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht geeignet. Eine Auseinandersetzung mit
den Einschätzungen im Gutachten der Klinik X.________, aber auch mit der
Beurteilung des Dr. med. R.________ vom 29. März 2006 fehle und die Ärzte am
medizinischen Begutachtungsinstitut Y.________ beschränkten sich auf die nicht
weiter erläuterte Feststellung, er leide an einer leicht- bzw. geringgradigen
depressiven Störung. Soweit die Vorinstanz darauf abstelle, verstosse sie gegen
den Untersuchungsgrundsatz. Die gegen das Gutachten der Klinik X.________
erhobenen Einwände seien nicht stichhaltig, zumal die darin attestierten
Einschätzungen, im Gegensatz zur Beurteilung durch das medizinische
Begutachtungsinstitut Y.________, unter anderem auf einer testpsychologischen
Untersuchung beruhten.

4.
Das kantonale Gericht hat nachvollziehbar dargelegt, weshalb es die Beurteilung
der Restarbeitsfähigkeit im Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts
Y.________ (60 % von März 2006 bis April 2008 in einer leichten bis
mittelschweren Tätigkeit; 80 % in einer körperlich leichten bis mittelschweren,
wechselbelastenden Tätigkeit sowie in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit,
vollschichtig realisierbar ab Mai 2008) als schlüssig erachtet und ihr
beweismässig höheres Gewicht beimisst als dem Gutachten der Klinik X.________
vom 28. März 2007 (in welchem eine Restarbeitsfähigkeit im Umfang von zirka
vier Stunden pro Tag grundsätzlich in allen Tätigkeiten bei einer verminderten
Leistungsfähigkeit von 20-40 % attestiert wurde) und den Einschätzungen der
Dres. med. R.________ (fachvertrauensärztliche Beurteilung vom 29. März 2006)
und E.________ (namentlich Bericht vom 14. Februar 2007 und Schreiben vom 18.
August 2008).
Entgegen den Vorbringen des Versicherten setzten sich die Gutachter des
medizinischen Begutachtungsinstituts Y.________ mit den abweichenden
Einschätzungen sowohl des Dr. med. R.________ als auch und insbesondere mit der
Beurteilung der Ärzte an der Klinik X.________ auseinander und legten unter
Hinweis auf die zweifellos belastenden, aber grundsätzlich invaliditätsfremden
psychosozialen Belastungsfaktoren (vgl. BGE 130 V 352 E. 3.3.2 in fine S. 359)
einlässlich dar, weshalb sie zu einer anderen Beurteilung gelangten. Es
leuchtet in der Tat nicht ohne weiteres ein, dass eine leichte bis
mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom sowie eine somatoforme
Schmerzstörung die Arbeitsfähigkeit derart erheblich einschränken, wie dies die
Gutachter an der Klinik X.________ festgehalten hatten (auf vier bis fünf
Stunden pro Tag bei einer um 20-40 % verminderten Leistungsfähigkeit sowohl in
der bisherigen als auch in einer angepassten Tätigkeit). Eine somatoforme
Schmerzstörung kann nur unter einschränkenden, hier nicht erfüllten
Voraussetzungen invalidenversicherungsrechtlich relevant sein (vgl. z.B. Urteil
9C_511/2009 vom 30. November 2009 E. 4.3.1 mit Hinweis auf BGE 130 V 352 E.
2.2.2 und 2.2.3 S. 353 ff.). Angesichts der in einer adaptierten Tätigkeit
nicht weiter limitierenden somatischen Probleme ist die Arbeitsunfähigkeit
damit im Wesentlichen einzig mit der leicht- bis höchstens mittelgradigen
depressiven Störung zu begründen, bei deren Entstehung und Ausprägung
psychosoziale Belastungsfaktoren eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben
und weiterhin spielen dürften (hiezu BGE 127 V 294 E. 5a S. 299). Unter diesen
Umständen kann nicht von einer unhaltbaren Beweiswürdigung des kantonalen
Gerichts gesprochen werden, und es verletzt auch sonst nicht Bundesrecht, wenn
die Vorinstanz dem inhaltlich vollständigen und im Ergebnis schlüssigen
Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts Y.________ höhere
Beweiskraft zuerkannt hat als den Einschätzungen der Ärzte an der Klinik
X.________.

5.
Die Beschwerde hatte keine Aussicht auf Erfolg, weshalb sie im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 BGG als offensichtlich unbegründet (Abs. 2 lit. a),
ohne Durchführung des Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter
Verweis auf den vorinstanzlichen Entscheid erledigt wird. Dem Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) kann demnach nicht
entsprochen werden.

6.
In Anwendung von Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG wird umständehalber auf die Erhebung
von Gerichtskosten verzichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau,
der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Dezember 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle