Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 753/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_753/2009

Urteil vom 27. Januar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
O.________, vertreten durch Fürsprecher Peter Kaufmann,
Beschwerdeführer,

gegen

Pensionskasse der Ascoop, Beundenfeldstrasse 5, 3000 Bern 25, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Urs Leu,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Invalidenleistungen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungs-gerichts des Kantons Bern,
Sozialversicherungs-rechtliche Abteilung, vom 12. August 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene O.________ bezieht wegen eines am 11. November 1999
erlittenen Unfalles Rentenleistungen der Invaliden- und Unfallversicherung. Die
Pensionskasse des Personals schweizerischer Transportunternehmungen (ASCOOP)
setzte nach durchgeführter Überentschädigungsberechnung das ab 1. Januar 2008
auszuzahlende berufsvorsorgerechtliche Rentenbetreffnis auf monatlich Fr.
996.25 fest, wobei die ASCOOP Kinderzulagen - entgegen dem Standpunkt des
Versicherten - nicht zum mutmasslich entgangenen Verdienst hinzurechnete.

B.
O.________ erhob Klage gegen die ASCOOP mit dem Begehren, die Beklagte sei zur
Ausrichtung der reglementarischen und gesetzlichen Leistungen aus beruflicher
Vorsorge wegen Invalidität zu verpflichten. Streitig war die Frage der
Qualifizierung der Kinderzulagen als mutmasslich entgangener Verdienst.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, wies die Klage mit Entscheid vom 12. August 2009 ab.

C.
Hiegegen lässt O.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen und den vorinstanzlich gestellten Antrag erneuern.
Die ASCOOP schliesst auf Abweisung der Beschwerde, und das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) enthält sich der Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob Kinderzulagen bei der berufsvorsorgerechtlichen
Leistungskoordination mutmasslich entgangener Verdienst sind. Hiebei handelt es
sich um eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Rechtsfrage (Art. 95 lit. a
BGG).

3.
3.1 Der Bundesrat erlässt laut Art. 34a Abs. 1 BVG Vorschriften zur
Verhinderung ungerechtfertigter Vorteile des Versicherten oder seiner
Hinterlassenen beim Zusammentreffen mehrerer Leistungen. Gestützt darauf
bestimmt Art. 24 Abs. 1 BVV 2, dass die Vorsorgeeinrichtung die Hinterlassenen-
und Invalidenleistungen kürzen kann, soweit sie zusammen mit anderen
anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes
übersteigen. Als anrechenbare Einkünfte gelten Leistungen gleicher Art und
Zweckbestimmung, die der anspruchsberechtigten Person aufgrund des schädigenden
Ereignisses ausgerichtet werden, wie Renten oder Kapitalleistungen mit ihrem
Rentenumwandlungswert in- und ausländischer Sozialversicherungen und
Vorsorgeeinrichtungen, mit Ausnahme von Hilflosenentschädigungen, Abfindungen
und ähnlichen Leistungen. Bezügern von Invalidenleistungen wird überdies das
weiterhin erzielte oder zumutbarerweise noch erzielbare Erwerbs- oder
Ersatzeinkommen angerechnet (Art. 24 Abs 2 BVV 2).

3.2 Die Vorsorgeeinrichtungen können sich im Überobligatoriumsbereich
weitgehend frei einrichten (Art. 49 Abs. 1 BVG), sie haben dabei aber den
verfassungsmässigen Minimalstandard (rechtsgleiche Behandlung, Willkürverbot,
Verhältnismässigkeit; BGE 132 V 149 E. 5.2.4 S. 154 und 278 E. 4.2 281) zu
wahren. Im Überobligatorium gelten daher nicht Art. 34a BVG und Art. 24 BVV 2,
sondern die reglementarischen Bestimmungen (BGE 135 V 33 E. 3.3; ISABELLE
VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, 2009, N. 7 zu Art. 34a BVG), welche auch
strenger sein können als diejenige der BVV 2, solange die Leistungen gemäss
Obligatorium eingehalten werden (vgl. Urteil 9C_404/2008 vom 17. November 2008
E. 5, in: SVR 2009 BVG Nr. 11 S. 34, Urteil B 82/06 19. Januar 2007 E. 2.2, in:
SVR 2007 BVG Nr. 35 S. 125, Urteil B 30/06 vom 30. Juli 2006 E. 3, in RSAS 2007
S. 486; vgl. auch Urteil 2A.398/2002 vom 9. Januar 2003 E. 3.2).

4.
4.1 Das Vorsorgereglement vom 23. August 2005 der Beschwerdegegnerin sieht vor,
dass die Stiftung die Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzt, soweit sie
zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich
entgangenen Verdienstes übersteigen. Dieser entspricht maximal dem Betrag des
massgebenden Lohnes im Sinne der Ziff. 1.9.1.1 des Reglements (Ziff. 2.13 Abs.
1 Reglement). Danach entspricht der massgebende Jahreslohn dem Jahreslohn
gemäss AHVG, der am 1. Januar eines Jahres bzw. bei Beginn des
Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde (Ziff. 1.9.1.1 Reglement). Eine
Obergrenze für den mutmasslich entgangenen Verdienst kennt das Reglement nicht
(BGE 123 V 274 E. 2b S. 278; vgl. ISABELLE VETTER-SCHREIBER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 24 BVV 2).

4.2 Das Reglement (oder die Statuten) stellen den vorformulierten Inhalt des
(überobligatorischen) Vorsorgevertrages dar, vergleichbar Allgemeinen Vertrags-
oder Versicherungsbedingungen (AVB), denen sich der Versicherte konkludent
durch Antritt des Arbeitsverhältnisses und unwidersprochen gebliebene
Entgegennahme von Versicherungsausweis und Vorsorgereglement unterzieht. Nach
ständiger Rechtsprechung hat die Auslegung der Vorsorgeverträge nach dem
Vertrauensprinzip zu erfolgen. Es ist darauf abzustellen, wie die zur
Streitigkeit Anlass gebende Willenserklärung vom Empfänger in guten Treuen
verstanden werden durfte und musste. Dabei ist nicht auf den inneren Willen des
Erklärenden abzustellen, sondern auf den objektiven Sinn seines
Erklärungsverhaltens. Der Erklärende hat gegen sich gelten zu lassen, was ein
vernünftiger und korrekter Mensch unter der Erklärung verstehen durfte. Weiter
sind die besonderen Auslegungsregeln bei Allgemeinen Geschäfts- oder
Versicherungsbedingungen zu beachten, insbesondere die Ungewöhnlichkeits- und
Unklarheitsregel (zum Ganzen BGE 132 V 149 E. 5 S. 150 f. mit Hinweisen).

4.3 Der Beschwerdeführer wendet gegen den angefochtenen Entscheid ein, die
reglementarische Überentschädigungsklausel von Ziff. 2.13 sei identisch mit
Art. 24 Abs. 1 BVV 2 und der Wille der Beschwerdegegnerin, die
Überentschädigung abweichend von Art. 24 Abs. 1 BVV 2 zu regeln, sei nicht
erkennbar. Zudem werde mit dem Verweis auf Ziff. 1.9.1.1 des Reglements nicht
auf den Lohn gemäss Art. 7 AHVV Bezug genommen; denn die Bestimmung nehme
Repräsentationsspesen vom massgebenden Lohn aus, obwohl es sich hiebei nicht um
Lohn im Sinne von Art. 7 AHVV handle; angerufen werde die Unklarheitsregel.
Schliesslich vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, die Kinderzulagen
seien Kongruent zur Kinderrente, weshalb die Kinderzulagen zum entgangenen
Verdienst hinzuzurechnen seien, falls die Kinderrenten als anrechenbare
Einkünfte gälten. Jedenfalls seien die Kinderzulagen im Rahmen der
obligatorischen Leistungen einzubeziehen.

5.
5.1 Nach der bisherigen Rechtsprechung sind im Rahmen von Art. 24 BVV 2 bei der
Ermittlung des mutmasslich entgangenen Verdienstes auch die kantonalrechtlichen
Familienzulagen (Kinderzulagen) zu berücksichtigen, auf welche der Versicherte
Anspruch gehabt hätte, wenn er nicht invalid geworden wäre (Urteil B 60/03 vom
16. Dezember 2003, E. 2.2 nicht publ. in BGE 130 V 78; Urteil B 164/06 vom 19.
Dezember 2007 E. 4.3; Urteil B 20/96 vom 31. Juli 1997 E. 3d; vgl. auch Urteil
K 26/00 vom 8. Oktober 2002 E. 5.2). Hat auch der Ehepartner des Versicherten
Anspruch auf eine Teil-Kinderzulage, ist beim Versicherten derjenige Teil
anzurechnen, den er erhielte (erwähntes Urteil B 164/06). Ob das Inkrafttreten
des Bundesgesetzes über die Familienzulagen vom 24. März 2006 (FamZG; SR 836.2)
Anlass gibt, diese Rechtsprechung zu ändern, namentlich im Hinblick darauf,
dass heute auch Nichterwerbstätige Anspruch auf Kinderzulagen haben (Art. 19
FamZG), kann aufgrund des Folgenden offen bleiben.

5.2 Der Wortlaut von Ziff. 2.13 in Verbindung mit Ziff. 1.9.1.1 des Reglements
ist klar: Danach werden Hinterlassenen- und Invalidenleistungen gekürzt, soweit
sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich
entgangenen Verdienstes übersteigen. Der massgebende Jahreslohn entspricht dem
Jahreslohn gemäss AHVG. Dieser umfasst die Kinderzulagen nicht (Art. 6 Abs. 2
lit. f AHVV). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der klare Wortlaut in
Ziff. 2.13 des Reglements nicht den wirklichen Sinn wiedergibt. Daran ändert
nichts, dass Ziff. 1.9.1.1 des Reglements die Repräsentationsspesen
ausdrücklich vom massgebenden Jahreslohn ausnimmt, obwohl solche nicht zum
AHV-Lohn gehören (Urteil 8C_330/2008 vom 24. Oktober 2008 E. 5.5). Die
Ausschlussregelung dient allein der Klarstellung, zumal im Bereich der Spesen
die Abgrenzung zwischen verdecktem Lohn und echten Spesen nicht immer völlig
klar ist (vgl. Urteil H 274/03 vom 2. August 2004 E. 4.1; Urteil H 160/95 vom
18. März 1996 E. 3b, in: AHI 1996 S. 247). Sie besagt aber nicht, dass
Einkommensbestandteile, welche nicht Jahreslohn nach AHVG sind, zum
massgebenden Lohn gehören. Ist das Reglement klar, besteht kein Anlass für eine
Anwendung der Unklarheitsregel (E. 4.2 hievor; BGE 126 V 499 E. 3b S. 503).

5.3 Keine Grundlage hat sodann das Argument des Beschwerdeführers, wegen der
Nichtberücksichtigung der Kinderzulagen beim mutmasslich entgangenen Verdienst
müsse als Korrelat dazu die Kinderrente bei den anrechenbaren Einkünften ausser
Acht bleiben: Das Reglement stimmt in Bezug auf die anrechenbaren Einkünfte
(Ziff. 2.13 Abs. 3) mit Art. 24 Abs. 2 BVV 2 überein. Zu den Renten im Sinne
dieser Bestimmung gehören auch die Kinderrenten (BGE 126 V 468 E. 8 S. 478;
Urteil B 31/01 vom 25. September 2002 E. 5). Dass eine Korrelation zwischen
Berücksichtigung der Kinderzulagen beim mutmasslich entgangenen Verdienst
einerseits und der Kinderrenten bei den anrechenbaren Einkünften andererseits
bestehe (so HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2005, N. 869 S. 324 ),
gilt im Rahmen von Art. 24 Abs. 1 BVV 2, also für das Obligatorium, aber nicht
zwingend für die weitergehende Vorsorge. Die Vorsorgeeinrichtungen dürfen den
mutmasslich entgangenen Verdienst davon abweichend definieren (vgl. E. 3.2
hievor). Daher lässt sich aus der zu Art. 24 Abs. 2 BVV 2 analogen Ziff. 2.13
Abs. 3 des Reglements nichts gegen den mutmasslich entgangenen Verdienst gemäss
Ziff. 1.9.1.1 Abs. 1 des Reglements (AHV-pflichtiger Lohn; E. 4.1 hievor)
ableiten.

6.
Allerdings dürfen die Leistungen nach Massgabe der reglementarischen
Überentschädigungsberechnung nicht tiefer sein als die nach den
Mindestvorschriften des BVG ermittelten. Der Beschwerdeführer macht indessen
nicht geltend, dass er die aufgrund einer Schattenrechnung und unter
Berücksichtigung der Kinderzulagen (vgl. E. 5.1) errechnete gesetzliche
Minimalleistung nicht erhalte (vgl. Urteil B 74/03 vom 29. März 2004 E. 3.3.3,
in: SZS 2004 S. 576). Angesichts des im Vergleich zum gesetzlichen (Art. 8 Abs.
1 BVG) deutlich höheren reglementarischen versicherten Verdienstes (Ziff.
1.9.1.2 und Ziff. 1.9.1.1 Abs. 1 des Reglements) ist dies auch nicht
anzunehmen. Die Beschwerde ist unbegründet.

7.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. Januar 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin