Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 710/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_710/2009

Urteil vom 10. Mai 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
Beschwerdeführer,

gegen

CSS Kranken-Versicherung AG,
Tribschenstrasse 21, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 31.
Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1933 geborene S.________ ist bei der CSS Kranken-Versicherung AG
(nachfolgend: CSS) obligatorisch krankenversichert. Mit in Rechtskraft
erwachsener Verfügung vom 14. August 2008 gewährte die IV-Stelle des Kantons
Bern an dessen binaurale Hörgeräteversorgung (Hörgerät Phonak Exelia; gemäss
Rechnung der Firma X.________, vom 26. Juni 2008 im Gesamtbetrag von Fr.
7'524.05) im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nach AHVG einen Kostenbeitrag von
Fr. 1'981.20, entsprechend 75% des Betrages für eine einfache und zweckmässige
Versorgung gemäss Indikationsstufe 3. Mit Verfügung vom 22. August 2008 lehnte
die CSS ein Gesuch des S.________ ab, die den von der AHV zugesprochenen Betrag
übersteigenden Kosten von Fr. 5'542.85 zu übernehmen, was sie mit
Einspracheentscheid vom 6. April 2009 bestätigte.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 31. Juli 2009 ab.

C.
S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, es seien ihm unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides Fr.
5'542.85 für beide Hörgeräte zu vergüten.
Die CSS schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; ohne Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG
und Art. 105 Abs. 3 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund
der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur
zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht
verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen
rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung
der rechtserheblichen Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteile 9C_534/2007 vom 27. Mai
2008, E. 1 mit Hinweis auf Ulrich Meyer, N 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/
Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel
2008; Seiler/von Werdt/ Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern
2007, N 24 zu Art. 97).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin im Rahmen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) für den (Rest-)Betrag der
Hörgeräteversorgung des Beschwerdeführers aufzukommen hat, den die AHV nicht
übernommen hat.

2.1 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff
des Hilfsmittels (Art. 14 ATSG) sowie zum Umfang der Kostenübernahme von der
Untersuchung oder Behandlung dienenden Mitteln und Gegenständen im Rahmen der
OKP (Art. 25 Abs. 1 und 2 lit. b KVG) zutreffend dargelegt. Richtig ist auch,
dass das Eidg. Departement des Innern (EDI) auf Grund der Delegationsnorm in
Art. 52 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 KVG Bestimmungen über die Leistungspflicht und
den Umfang der Vergütung bei Mitteln und Gegenständen erlässt, die der
Untersuchung oder Behandlung dienen, und nach Anhören der zuständigen
Kommission die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu
übernehmenden Mittel und Gegenstände nach Art. 52 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 KVG
bezeichnet, wobei die der Untersuchung oder Behandlung dienenden Mittel und
Gegenstände in der Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL) im Anhang 2 der KLV
aufgelistet sind (Art. 20 Abs. 1 KLV). Schliesslich ist auch der Verweis auf
Ziffer 13.01 MiGeL zutreffend. Danach sind Hörhilfen technische Hilfen, die
angeborene oder erworbene Hörfunktionsminderungen, die einer kausalen Therapie
nicht zugänglich sind, ausgleichen. Sie stellen primär eine Pflichtleistung der
Invalidenversicherung (IV) und Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
dar. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung vergütet Hörgeräte nur in den
Fällen, wo die medizinischen Voraussetzungen der AHV/IV-Bestimmungen erfüllt
wären, die Person aber die versicherungsmässigen Voraussetzungen für den Bezug
von Leistungen der entsprechenden Sozialversicherung nicht erfüllt, wobei die
Vergütung gemäss den Bestimmungen (Vertrag, Tarif, Indikationsstufen) der AHV/
IV erfolgt. Darauf wird verwiesen. Ob diese leistungsausweitende Regelung
insofern gesetzmässig ist, braucht nicht geprüft zu werden, da sie im Falle des
Beschwerdeführers nicht anwendbar ist (vgl. E. 2.4).

2.2 Die Vorinstanz hat sodann zutreffend dargelegt, dass die Voraussetzungen
gemäss Ziff. 13.01 MiGeL für eine Kostenübernahme der Hörgeräte nicht gegeben
sind, da der Beschwerdeführer die versicherungsmässigen Voraussetzungen der AHV
erfüllt, nachdem ihm von der AHV effektiv ein Kostenbeitrag zugesprochen wurde,
weshalb der Krankenversicherer eine Vergütung der Kosten unter diesem Titel zu
Recht abgelehnt hat. Auch ist der Tatbestand der Hörhilfen als Behandlungsgerät
unbestritten nicht erfüllt.

2.3 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu einem anderen
Ergebnis zu führen:
2.3.1 So steht zwar nicht in Frage, dass es sich bei seiner Schwerhörigkeit um
eine Krankheit handelt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die obligatorische
Krankenversicherung alle krankheitsbedingten Kosten übernimmt. Eine
Vergütungspflicht ist nur für die Leistungen nach Art. 25 bis 33 KVG gegeben,
worunter zwar auch Hilfsmittel fallen, jedoch nur, wenn diese, wie bereits das
kantonale Gericht ausgeführt hat, der Untersuchung oder Behandlung dienen, also
diagnostische, therapeutische oder pflegerische Zwecke verfolgen (Art. 25 Abs.
2 lit. b KVG; vgl. E. 2.1 hievor). Die Versorgung mit einem Hilfsmittel als
Ersatz oder Ausgleich für den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des
menschlichen Körpers bei einem behinderungsbedingt bleibenden Defizit (Art. 14
ATSG; vgl. auch BGE 115 V 191 E. 2c S. 194) ist vielmehr Aufgabe der IV und der
AHV, und nicht der Krankenpflegeversicherung. Dass Hörgeräte gemäss Ziff. 13.01
MiGeL von der OKP dann übernommen werden, wenn die versicherungsmässigen
Voraussetzungen für die ahv/iv-rechtlichen Leistungen nicht erfüllt sind, wie
auch aus den im vom Departement des Innern herausgegebenen Separatdruck
"Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL)" enthaltenen "Erläuterungen zu den
einzelnen Bestimmungen des KVG sowie der KVV und der KLV" hervorgeht, ändert
nichts. So wird unter Ziffer 2.3 (Abgrenzung zu Leistungen anderer
Sozialversicherungen) festgehalten, gewisse Produkte seien grundsätzlich keine
Pflichtleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung; jedoch
erbringe diese in speziellen Fällen dafür Leistungen, wenn die Bedingungen für
Leistungen der IV/AHV im medizinischen Bereich zwar erfüllt wären, die
antragstellende Person aber die versicherungsmässigen Voraussetzungen der IV/
AHV nicht erfülle. Diese Produkte seien in der MiGel mit dem entsprechenden
Hinweis aufgeführt (z.B. Hörgeräte, Massschuhe).
2.3.2 Nichts anderes ergibt sich aus der vom Beschwerdeführer zitierten
Literaturstelle (Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, S. 607 Rz.
630). Entgegen seinen Vorbringen spricht sich Eugster gerade nicht für eine
generelle Kostenvergütung von Hörgeräten durch die OKP aus, sondern er hält in
kritischer Haltung gegenüber der fraglichen Ausnahmeregelung auf Grund der
versicherungsmässigen Voraussetzungen fest, die MiGeL verwische in gewissen
Fällen die Grenze zwischen Gegenständen mit und solchen ohne therapeutische
Zielsetzung; so würden Brillen, Kontaktlinsen, Hörgeräte, orthopädische Schule,
Arm- und Beinprothesen ohne jede Differenzierung als Gegenstände gemäss Art. 25
Abs. 2 lit. b KVG qualifiziert, obgleich sie in den meisten Anwendungsfällen
nicht Teil einer Heilbehandlung seien, sondern die spezifische
Hilfsmittelaufgabe hätten, körperliche Schädigungen oder Funktionsausfälle
auszugleichen; im Rahmen von Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG dürften indessen keine
Leistungen eingeführt werden, die nicht zu den Aufgaben der OKP gehörten.
2.3.3 Soweit der Beschwerdeführer sodann das Subsidiaritätsprinzip ins Feld
führt, kann er daraus ebenfalls nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dieses
besagt nicht, dass die Krankenversicherung den durch die AHV/IV ungedeckten
Betrag an der Hörgeräteversorgung zu übernehmen hat. Vielmehr kommt die
Krankenversicherung gerade nicht zum Zug, wenn die AHV Leistungen ausrichtet,
sondern nur dann, wenn - wie bereits dargetan - mangels versicherungsmässiger
Voraussetzungen die AHV/IV keine Leistungen erbringen kann, wobei auch in
diesem Fall die Kostenvergütung durch den Krankenversicherer limitiert ist,
d.h. masslich nicht weiter gehen darf, als seitens der AHV/IV bei Erfüllung der
versicherungsmässigen Voraussetzungen erbracht würde. Ebenso geht eine Berufung
auf Art. 110 KVV fehl. Mit dem kantonalen Gericht ist festzuhalten, dass damit
die Anspruchskonkurrenz zwischen zwei oder mehreren leistungspflichtigen
Sozialversicherungsträgern geregelt wird. Diese Konstellation ist hier nicht
gegeben, nachdem die AHV im Falle des Beschwerdeführers leistungspflichtig ist,
was nach dem Gesagten eine ergänzende (weitergehende) Leistungspflicht des
Krankenversicherers für die von der AHV oder IV nicht übernommenen Kosten
ausschliesst.

2.4 Schliesslich stellt der Beschwerdeführer zu Recht die Gesetzmässigkeit von
Ziff. 13.01 der MiGeL, die eine abschliessende Aufzählung der kassenpflichtigen
Mittel und Gegenstände enthält (RKUV 2002 Nr. KV 196 S. 7, K 157/00), nicht in
Frage. Es ist denn auch nicht ersichtlich, inwiefern die Beschränkung der
ausnahmsweisen Kostenübernahme von Hörgeräten auf Fälle fehlender
versicherungsmässiger Voraussetzungen gegen den in der Delegationsnorm von Art.
52 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 KVG enthaltenen Gestaltungsspielraum des Departements
(vgl. dazu auch Botschaft vom 6. November 1991 über die Revision der
Krankenversicherung, BBl 1992 I 188) verstossen sollte, zumal darin nur von
Bestimmungen über die Leistungspflicht und den Umfang der Vergütung bei Mitteln
und Gegenständen die Rede ist, die der Untersuchung oder Behandlung dienen.
Auch eine Verletzung des Willkürverbots gemäss Art. 9 BV ist nicht auszumachen.
Was schliesslich die vom Beschwerdeführer im Hinblick auf die beträchtliche
finanzielle Belastung geltend gemachte Unvereinbarkeit der nur teilweisen
Kostenübernahme, insbesondere bei notwendiger Versorgung mit zwei Hörgeräten,
mit den Zielen des Sozialversicherungsrechts anbelangt, ist auf die Regelung
gemäss ELG hinzuweisen (Art. 14 Abs. 1 lit. f ELG).

3.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. Mai 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Helfenstein Franke