Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 690/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_690/2009

Urteil vom 8. Oktober 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Parteien
B.________, vertreten durch Advokat
Dr. Matthias Aeberli,
Beschwerdeführer,

gegen

Bundesverwaltungsgericht, Postfach, 3000 Bern 14,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen die Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.
Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
Am 1. Februar 2007 liess der 1961 geborene B.________ beim
Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erheben gegen eine Verfügung der IV-Stelle
für Versicherte im Ausland vom 29. Dezember 2006, mit welcher die Zahlung der
bisher ausgerichteten ganzen Invalidenrente als vorsorgliche Massnahme mit
sofortiger Wirkung eingestellt und einer gegen diese Verfügung gerichteten
Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen wurde. Auf die Aufforderung zur
Leistung eines Kostenvorschusses hin (Zwischenverfügung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2008) ersuchte B.________ am 12. März
2008 um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung), worauf
ihm das Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 18. März 2008 das
Formular "Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege" zustellte, unter Einräumung
einer Frist bis 21. April 2008 für die Einreichung des ausgefüllten und mit den
nötigen Beweismitteln versehenen Gesuchs. Nach gewährter Fristerstreckung liess
B.________ am 14. Mai 2008 das (am 22. April 2009 unterzeichnete) Formular
einreichen.

Nachdem das Bundesgericht eine von B.________ am 25. Mai 2009 erhobene
Rechtsverzögerungsbeschwerde mit Urteil 9C_463/2009 vom 8. Juli 2009
gutgeheissen hatte, soweit sie nicht gegenstandslos geworden war, und das
Bundesverwaltungsgericht angewiesen hatte, über die Beschwerde vom 1. Februar
2007 im Sinne der Erwägungen unverzüglich zu entscheiden, lehnte das
Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 27. Juli 2009 das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) ab.

B.
B.________ lässt hiegegen Beschwerde führen und beantragen, die
Zwischenverfügung sei aufzuheben und es sei ihm für das Verfahren vor
Bundesverwaltungsgericht die unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung des
unterzeichnenden Rechtsvertreters zu bewilligen. Eventualiter sei die
Zwischenverfügung aufzuheben und das Bundesverwaltungsgericht anzuweisen, ihm
eine Nachfrist für die Einreichung weiterer sachdienlicher Unterlagen zur
Belegung seiner Bedürftigkeit zu setzen. Des Weitern ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) für den
letztinstanzlichen Prozess.

Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die angefochtene Zwischenverfügung verneint den Anspruch des Beschwerdeführers
auf unentgeltliche Rechtspflege für das vorinstanzlich hängige Verfahren
betreffend Leistungen der Invalidenversicherung und verpflichtet den
Beschwerdeführer gleichzeitig zur Leistung eines Kostenvorschusses. Dabei
handelt es sich um einen Zwischenentscheid nach Art. 93 Abs. 1 BGG, der einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von lit. a dieser Bestimmung
bewirken kann (SVR 2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/2008 E. 2.3; Urteil 8C_429/2008
vom 8. Juli 2008 E. 1, 9C_815/2007 vom 20. Februar 2008 E. 1 mit Hinweisen).
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat, ausser wenn diese Feststellung offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 1
und 2 BGG).

3.
Gemäss Art. 65 VwVG befreit die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der
Instruktionsrichter nach Einreichung der Beschwerde eine Partei, die nicht über
die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der
Verfahrenskosten, sofern ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint (Abs. 1).
Wenn es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, bestellt die Beschwerdeinstanz,
ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter der Partei einen Anwalt (Abs. 2).

4.
4.1 In seiner gleichzeitig mit dem ausgefüllten Formular "Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege" dem Bundesverwaltungsgericht eingereichten Eingabe
vom 14. Mai 2008 liess der Beschwerdeführer ausführen, er erziele in Brasilien
keinerlei Erwerbseinkommen und erhalte seit Monaten - zufolge Einstellung
sämtlicher Rentenleistungen - keine Zahlungen der Unfall- oder
Invalidenversicherung mehr. Er lebe mit seiner Lebenspartnerin und dem
gemeinsamen Kind einzig vom bescheidenen Einkommen der ihm gegenüber nicht
unterstützungspflichtigen Konkubinatspartnerin in Höhe von monatlich BR$
1'000.-, was einem Betrag von umgerechnet Fr. 650.- entspreche. Die Angaben
bezüglich des Einkommens der Konkubinatspartnerin würden durch die beigelegte
Steuerveranlagungsverfügung 2007 belegt. Da er über kein und die
Konkubinatspartnerin über ein sehr geringes Einkommen verfügten, werde darauf
verzichtet, Belege bezüglich der einzelnen Ausgaben einzureichen; es sei
offensichtlich, dass er unter dem Existenzminimum lebe. Sollte das Gericht
wider Erwarten entsprechende Detailbelege benötigen, werde er diese auf
Aufforderung hin gerne nachreichen. In Ziffer I des Formulars "Einkommen pro
Monat" liess der Beschwerdeführer die Rubrik "Gesuchsteller/-in" leer und gab
in der Rubrik "Ehegatte/-in / eingetragene/r Partner/-in / Konkubinatspartner/
-in" ein Einkommen von BR$ 1'000.- an. In Ziffer II "Auslagen pro Monat" führte
er für sich und seine Tochter monatliche Auslagen von insgesamt BR$ 4'785.- auf
(Miet- inkl. Nebenkosten BR$ 800.-, Krankenkassenprämien BR$ 380.-, ungedeckte
Arztkosten BR$ 1500.-, Schuldzinsen BR$ 400.-, sonstige Auslagen BR$ 700.-,
auswärtige Verpflegung der Tochter BR$ 90.-, Ausbildungskosten für Kinder BR$
200.-, Kinderbetreuung BR$ 415.- und sonstige Auslagen BR$ 300.-). Die das
Vermögen betreffende Ziffer III des Formulars liess er leer. In Ziffer IV
"Schulden" gab er als "weitere Schulden" BR$ 70'000.- und einen monatlichen
Abzahlungsbetrag von BR$ 400.- an. Als Beleg seiner finanziellen Verhältnisse
reichte der Beschwerdeführer einen als "Declaração de ajuste anual"
bezeichneten Computerausdruck für das Jahr 2007 ein, wonach sein Einkommen
(BR$) 12'000.- betrage.

4.2 In seiner Zwischenverfügung vom 27. Juli 2009 hat das
Bundesverwaltungsgericht das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege abgelehnt
mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe seine finanziellen Verhältnisse
nicht hinreichend belegt und sei damit seiner Beweisführungspflicht nicht
nachgekommen. Insbesondere habe er keine Belege des Bank- oder Postkontos
eingereicht, wobei aufgrund der geleisteten Rentenzahlungen der Unfall- und
Invalidenversicherung mindestens ein solches vorhanden gewesen sein müsse. Des
Weitern habe er es unterlassen, die Position "Vermögen" im Formular "Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege" auszufüllen oder gegebenenfalls zu streichen, wie
dies ausdrücklich verlangt werde. Des Weitern fehlten auch Belege zu den
geltend gemachten Auslagen. Zudem habe der Beschwerdeführer die Einwilligung
zur Einsichtnahme in die Akten des Strafverfahrens verweigert.

4.3 Der Beschwerdeführer lässt vorbringen, er habe auf die Einreichung von
Belegen bezüglich der einzelnen Ausgaben verzichtet, weil er ausdrücklich
bestätigt habe, dass er keinerlei Einkommen erziele, und das
Bundesverwaltungsgericht aufgrund des hängigen Verfahrens gewusst habe und
hätte nachprüfen können, dass ihm weder die Unfall- noch die
Invalidenversicherung Rentenleistungen ausgerichtet hätten. Durch das bewusste
Nicht-Ausfüllen der Positionen "Einkommen" und "Vermögen" im unterzeichneten
Kostenerlassgesuch habe er klar zum Ausdruck gebracht, dass er weder über
Einkommen noch über Vermögen verfüge. Ob er die entsprechenden Positionen
leerlasse oder durchstreiche, könne nicht entscheidend sein. Das
Bundesverwaltungsgericht hätte ihm das Formular zur Vervollständigung bzw.
Streichung der entsprechenden Rubriken zurücksenden müssen. Im Übrigen habe er
die Edition der seine Ausgaben in Brasilien betreffenden Belege, welche
allerdings nicht sehr aussagekräftig sein dürften, im Schreiben vom 14. Mai
2008 angeboten.

4.4 Wer ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege stellt, hat umfassend über
seine finanziellen Verhältnisse Aufschluss zu geben und die hierfür notwendigen
Belege einzureichen. Kommt er diesen Obliegenheiten nicht nach, wird sein
Gesuch (mangels ausreichender Substanziierung oder mangels
Bedürftigkeitsnachweises) abgewiesen.

Der Vorinstanz ist insofern beizupflichten, als der Beschwerdeführer seine
Auslagen nicht belegt hat. Auch das Einkommen von monatlich 1'000
brasilianischen Real ist nicht klar nachgewiesen; zudem sind die Angaben des
Beschwerdeführers insofern widersprüchlich, als es sich dabei nach seinen
Angaben in der Beschwerde um Einkommen seiner Konkubinatspartnerin handelt,
während es nach der beigelegten "Declaração de ajuste anual" sein eigenes
Einkommen ist. Indessen gibt es keinerlei Anzeichen, dass dem Beschwerdeführer
ein noch höheres Einkommen zur Verfügung stehe, zumal die Renten nicht mehr
ausgerichtet werden. Ist somit - was auch die Vorinstanz nicht in Frage stellt
- von einem monatlichen Einkommen von 1000 Real auszugehen, so steht auch ohne
Ausgabenbelege die Bedürftigkeit fest, deckt doch dieser Betrag (umgerechnet
rund Fr. 600.-) nicht einmal den Grundbedarf, auch wenn die
Lebenshaltungskosten in Brasilien tiefer liegen mögen als in der Schweiz. Mit
dem Offenlassen der Rubrik "Vermögen" hat der Beschwerdeführer sodann
dokumentiert, dass er kein Vermögen besitzt. Das kann zwar nicht als
nachgewiesen gelten, doch ist dies regelmässig der Fall, weil die Nichtexistenz
von Vermögen naturgemäss nicht beweisbar ist. Mangels konkreter Anzeichen, dass
doch Vermögenswerte vorhanden sein könnten, kann daher aus der Nichtdeklaration
von Vermögenswerten nicht gefolgert werden, die Mitwirkungspflicht sei
verletzt. Was die Verweigerung der Einwilligung in die Einsichtnahme in der
Akten der Strafuntersuchung betrifft, so hat der Beschwerdeführer diese in
seinem Schreiben vom 1. Dezember 2008 mit der aktenkundigen Tatsache begründet,
dass ihm das Untersuchungsrichteramt bisher diese Einsicht verweigert hat, was
im Lichte des Anspruchs auf rechtliches Gehör nachvollziehbar ist. Insgesamt
hat unter diesen Umständen der Beschwerdeführer - wenn auch knapp und
unpräjudizierlich für allfällige künftige Gesuche - seine Mitwirkungspflichten
erfüllt. Die Bedürftigkeit kann damit bejaht werden. Die Aussichtslosigkeit
wurde von der Vorinstanz ausdrücklich verneint und die Notwendigkeit der
anwaltlichen Vertretung liegt auf der Hand. Zudem ist in einer Gesamtwürdigung
zu berücksichtigen, dass die Vorinstanz in Verletzung des Sinnes von Art. 63
Abs. 4 VwVG erst nach Durchführung und Abschluss des Schriftenwechsels
überhaupt einen Kostenvorschuss einverlangt und über das in der Folge gestellte
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mehr als ein Jahr lang nicht entschieden
hat. Dadurch hat sie dem Beschwerdeführer die Wahrung seiner Rechte erheblich
erschwert. Auch aus diesem Grunde rechtfertigt es sich, die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung (Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG) für das
vorinstanzliche Verfahren zu gewähren.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 4 BGG). Das Bundesverwaltungsgericht bzw. die Schweizerische
Eidgenossenschaft hat dem Beschwerdeführer für das letztinstanzliche Verfahren
eine Parteientschädigung zu entrichten (Urteil 8C_429/2008 vom 8. Juli 2008 E.
5).

Das vom Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) wird damit
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2009 aufgehoben. Dem Beschwerdeführer
wird für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt unter Beiordnung von Advokat Dr. Matthias Aeberli.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der
IV-Stelle für Versicherte im Ausland schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Oktober 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann