Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 687/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_687/2009

Urteil vom 19. März 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Aargauische Pensionskasse, Hintere Bahnhofstrasse 8, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
2. Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 5. Oktober 2001 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau dem
1939 geborenen B.________ ab 1. Oktober 2000 eine halbe und ab 1. Januar 2001
eine ganze Rente der Invalidenversicherung, jeweils zuzüglich einer Zusatzrente
für die Ehefrau und einer Kinderrente für den Sohn, zu. Die Aargauische
Personalvorsorgekasse für Lehrpersonen (heute: Aargauische Pensionskasse;
nachfolgend: APK) anerkannte den entsprechenden Anspruch des B.________ auf
Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge. Diese kürzte sie für den Zeitraum
vom 1. Januar 2001 bis 31. Juli 2008 zufolge Überentschädigung, wobei sie nebst
der von der Unfallversicherung ausgerichteten Rente die Leistungen der
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Zusatzrente für die Ehefrau sowie die
bis 31. Oktober 2001 geleistete Kinderrente) - resp. seit 1. September 2004
jene der Alters- und Hinterlassenenversicherung (Altersrente sowie Zusatzrente
für die Ehefrau) - in die Berechnung einbezog. Ab 1. August 2008, mithin zwei
Jahre vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters, bezog die Ehefrau des
Versicherten eine eigene AHV-Altersrente, weshalb die
Sozialversicherungsanstalt Aargau auf diesen Zeitpunkt hin die Zusatzrente
aufhob (Verfügung vom 9. Juli 2008) und die APK seither ungekürzte Leistungen
erbrachte.

B.
Die Klage gegen die APK, mit welcher B.________ und seine Frau E.________ die
"Überprüfung und Revision der Überentschädigungsberechnungen" beantragten, wies
das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 2. Juli 2009 ab,
soweit es darauf eintrat.

C.
B.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt sinngemäss, die APK sei zur Zahlung ungekürzter Leistungen sowie der
Beträge, um welche die seit dem 1. August 2008 ausgerichtete Altersrente der
Ehefrau aufgrund ihres Rentenvorbezugs gekürzt wird, oder wahlweise jener
Beträge, welche bei ordentlicher Pensionierung der Ehefrau als Zusatzrente
bezahlt worden wären, zu verpflichten.
Die APK schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist.
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Stellungnahme. Unter dem Vorbehalt,
dass die Mindestleistungen gemäss BVG eingehalten sind, beantragt das Bundesamt
für Sozialversicherungen (BSV), das Rechtsmittel abzuweisen. Replicando
bekräftigt B.________ seine Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, soweit die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.
In grundsätzlicher Hinsicht unbestritten ist der Anspruch des Beschwerdeführers
auf Invalidenleistungen aus weitergehender beruflicher Vorsorge und dessen
Umfang. Streitig und zu prüfen ist die Frage, ob die Kürzung des Anspruchs
infolge Überentschädigung, insbesondere unter Anrechnung von Ehegatten- und
Kinderzusatzrenten, zulässig ist. Soweit der Beschwerdeführer letztinstanzlich
etwas anderes verlangt (vgl. Replik des Beschwerdeführers vom 25. Januar 2010)
ist darauf nicht einzutreten (Art. 99 Abs. 2 BGG).

3.
Eine umhüllende Vorsorgeeinrichtung hat die gesetzlichen Leistungen
auszurichten, falls diese höher sind als der aufgrund des Reglementes
berechnete Anspruch. Andernfalls bleibt es bei der reglementarisch vorgesehenen
Leistung (sog. Anrechnungs- oder Vergleichsprinzip; vgl. BGE 127 V 264 E. 4 S.
267; 114 V 239 E. 7 und 8 S. 248 ff. mit Hinweisen; SZS 2004 S. 576, B 74/03 E.
3.3.3). Die Anspruchsberechnung hat dabei nicht in der Weise zu erfolgen, dass
für den Obligatoriumsbereich und die weitergehende Vorsorge je isolierte
Berechnungen angestellt und die Ergebnisse anschliessend addiert werden
(Splittings- oder Kumulationsprinzip). Vielmehr sind den sich aus dem Gesetz
ergebenden Ansprüchen auf zeitlich identischer Grundlage beruhende (BGE 114 V
239 E. 9b S. 254) und gleichartige (BGE 133 V 575 E. 4.2 S. 577; 121 V 104 E. 4
S. 106 f.), nach Massgabe des Reglements berechnete Leistungen
gegenüberzustellen (sog. Schattenrechnung; SZS 2004 S. 576, B 74/03 E. 3.3.3).

4.
4.1 Das kantonale Gericht hat die Überentschädigungsberechnung der
Vorsorgeeinrichtung bestätigt in der Auffassung, der Anspruch aus
(weitergehender) beruflicher Vorsorge sei zu Recht um die gesamten Leistungen
der Invaliden- resp. der Alters- und Hinterlassenenversicherung gekürzt worden.

4.2 Im Rahmen der obligatorischen Vorsorge kann die Vorsorgeeinrichtung die
Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzen, soweit sie zusammen mit anderen
anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes
übersteigen (Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 18. April 1984 über die
berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR
831.441.1]). Als anrechenbare Einkünfte gelten Leistungen gleicher Art und
Zweckbestimmung, die der anspruchsberechtigten Person aufgrund des schädigenden
Ereignisses ausgerichtet werden (Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BVV 2; sog.
Kongruenzprinzip; vgl. BGE 135 V 29 E. 4.1 S. 30 mit Hinweisen). Mangels
sachlicher und ereignisbezogener Kongruenz sind Altersleistungen der ersten
Säule nicht in die Berechnung der Überentschädigung durch eine lebenslänglich
auszurichtende Invalidenrente der obligatorischen beruflichen Vorsorge
einzubeziehen (BGE 135 V 29 und 33). Hingegen gelten Zusatzrenten der
Invalidenversicherung für Ehegatten (vgl. den im Rahmen der 4. IV-Revision auf
den 1. Januar 2004 aufgehobenen Art. 34 Abs. 1 Satz 1 IVG [AS 1959 827]) und
Kinder (Art. 35 Abs. 1 IVG) als kongruent zu Invalidenleistungen der zweiten
Säule, weshalb sie anzurechnen sind (BGE 126 V 468 E. 6d S. 476 und E. 8 S. 478
f.).

4.3 Im Bereich der weitergehenden Vorsorge kann die Vorsorgeeinrichtung für die
Frage der Überentschädigung - unter Vorbehalt u.a. des Anrechnungsprinzips (E.
3) - eine vom Gesetz abweichende Regelung vorsehen (Art. 49 Abs. 2 BVG e
contrario). Es ist daher bei einer umhüllenden Vorsorgeeinrichtung
grundsätzlich zulässig, in die reglementarische Regelung der Überentschädigung
durch eine Invalidenrente auch dazu nicht kongruente Leistungen wie die
Altersrente einzubeziehen.
Die im konkreten Fall anwendbare (vgl. Art. 51 Abs. 1 des Vorsorgereglements
Ausgabe 2008) Bestimmung von § 14 Abs. 2 der Versicherungsbedingungen (Ausgaben
1995 und 2005; nachfolgend Vb APK) lautet wie folgt:
"Die Invaliden- und Hinterlassenenrenten der Kasse sind soweit herabzusetzen,
als sie zusammen mit Lohnersatzleistungen oder mit Leistungen der
eidgenössischen AHV, der IV, gemäss Unfallversicherungsgesetz (UVG) und der
eidgenössischen Militärversicherung 90 % der Bruttobesoldung übersteigen."

4.4 Da es sich bei der APK um eine öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtung
handelt (§ 1 des Dekrets vom 5. Dezember 2006 über die Aargauische
Pensionskasse [SAR 163.120]; § 1 Abs. 1 der Statuten vom 25. Oktober 1958), hat
die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen - anders als die Auslegung der
Vorsorgereglemente privatrechtlicher Versicherungsträger - nach den
gewöhnlichen Regeln der Gesetzesauslegung zu erfolgen (BGE 133 V 314 E. 4.1 S.
316 f., mit Hinweisen). Danach ist das Gesetz in erster Linie nach seinem
Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene
Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter
Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie
der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der
einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und
unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a.
dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den
wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 134 V 208 E. 2.2 S. 211 mit
Hinweisen).

4.5 Nach dem klaren Wortlaut von § 14 Abs. 2 Vb APK sind die Kinderrente sowie
die Zusatzrente für die Ehegattin, auch wenn sie in dieser Bestimmung nicht
explizit genannt werden, ebenso wie die Altersrente als "Leistungen der
eidgenössischen AHV" oder der Invalidenversicherung bei der Berechnung einer
Überentschädigung zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer kritisiert, dass
dadurch die Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge für einen Ansprecher
mit familienrechtlichen Pflichten geringer ausfallen können als für einen
Versicherten ohne solche Belastungen. Darin ist indessen keine unzulässige
Benachteiligung zu erblicken; denn die Kürzung wird durch entsprechende
Ansprüche gegenüber anderen Sozialversicherungen kompensiert. Diese beruhen -
unbesehen der Auszahlungsweise im konkreten Fall (vgl. Art. 35 Abs. 4 IVG) -
nicht auf einem eigenständigen Anspruch des Ehegatten oder Kindes, sondern als
akzessorische Leistungen auf jenem des versicherten Rentenberechtigten (AHI
2000 S. 229, I 29/99 E. 6). Die Regelung der Überentschädigung dient im Rahmen
der Leistungskoordination der Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile (vgl. Art.
34a Abs. 1 BVG) und knüpft daher an den entgangenen Verdienst an. Sie verfolgt
nicht familienpolitische Ziele, und weder Art. 41 Abs. 1 lit. c BV noch § 48
der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (SAR 110.000) oder die vom
Beschwerdeführer angerufenen zivilrechtlichen Bestimmungen sprechen gegen eine
Leistungskürzung. Im Übrigen kann der Beschwerdeführer aus dem Hinweis der APK
in der Überentschädigungsberechnung vom 13. März 2008, wonach die Kürzung
gemäss § 14 Abs. 2 Vb APK oder - wenn dies für ihn vorteilhafter sei - gemäss
Art. 24 BVV 2 vorgenommen werde, nichts für sich ableiten: Die
Vorsorgeeinrichtung ist an die reglementarischen Bestimmungen gebunden und kann
resp. muss davon nur im Rahmen des Anrechnungsprinzips (E. 3) abweichen.

4.6 Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht die
Überentschädigungsberechnung der APK, und dabei insbesondere den Einbezug der
Zusatzrenten, unter Vorbehalt des Anrechnungsprinzips zu Recht bestätigt.
Diesbezüglich fehlen vorinstanzliche Feststellungen; sie lassen sich indessen
ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Vorsorgeeinrichtung macht geltend, selbst
im Vergleich zum ungekürzten obligatorischen Mindestanspruch fielen die
reglementarisch gekürzten Leistungen deutlich höher aus. Dieser Behauptung,
welche der Beschwerdeführer nicht bestreitet und das BSV nach
versicherungsmathematischer Überprüfung bestätigt, ist beizupflichten. Die
Überentschädigungsberechnung der APK und folglich die entsprechende Kürzung des
Rentenanspruchs sind zulässig, die Anforderungen gemäss der mit BGE 135 V 29
und 33 begründeten Rechtsprechung eingehalten; die Beschwerde ist somit
unbegründet.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. März 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann