Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 674/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_674/2009

Urteil vom 26. Februar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Parteien
L.________, handelnd durch seine Eltern,
und diese vertreten durch Fürsprecher Erich Giesser,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Freiburg,
Route du Mont-Carmel 5,1762 Givisiez,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Freiburg
vom 10. Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
L.________ (geboren 1992) leidet an den Geburtsgebrechen Nr. 243 und Nr. 326.
Am 19. Juli 1996 erteilte die IV-Stelle des Kantons Freiburg Kostengutsprache
für zahnmedizinische Behandlung (Extraktion von Milchzähnen), da nach
Auffassung der behandelnden Zahnärztin aufgrund der notwendigen langdauernden
Therapie mit Steroiden und Antibiotika sich bei L.________ ausgedehnte kariöse
Läsionen an den Milchzähnen gebildet hätten. Aufgrund eines Gesuchs des
behandelnden Kieferorthopäden vom 3. Mai 2005 holte die IV-Stelle bei Dr. med.
dent. W.________, Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin, ein
Aktengutachten vom 26. Juli 2006 ein. Nach einer Anfrage bei Professor Dr. med.
F.________, Leiter Pädiatrische Pneumologie des Spitals B.________ vom 29.
November 2006 lehnte es die IV-Stelle mit Verfügung vom 19. Januar 2007 ab, die
Kosten der zahnärztlichen und kieferorthopädischen Behandlung ab dem 1. Oktober
2003 im Rahmen der Kostengutsprache für die Behandlung der Geburtsgebrechen Nr.
243 und Nr. 326 weiter zu übernehmen.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Freiburg mit Entscheid
vom 10. Juli 2009 ab.

C.
L.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm die
Kostengutsprache für zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlungen in
Zusammenhang mit den Geburtsgebrechen Nr. 243 und Nr. 326 zuzusprechen.
Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen schliessen auf
Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E.
1.2 S. 252 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S.
140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige
Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu
korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (SEILER/VON
WERDT/GÜNGERICH, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007 N 24 zu Art.
97).

2.
2.1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur
Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen Massnahmen (Art. 13
Abs. 1 IVG). Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese
Massnahmen gewährt werden (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG). Als Geburtsgebrechen im
Sinne von Art. 13 IVG gelten diejenigen Krankheiten, die bei vollendeter Geburt
bestehen (Art. 3 Abs. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über
Geburtsgebrechen vom 9. Dezember 1985 [GgV]). Die Geburtsgebrechen sind in der
Liste im Anhang aufgeführt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 GgV).

2.2 Nach der Rechtsprechung erstreckt sich der Anspruch auf medizinische
Massnahmen ausnahmsweise - und vorbehältlich der hier nicht zur Diskussion
stehenden Haftung für das Eingliederungsrisiko nach Art. 11 IVG - auch auf die
Behandlung sekundärer Gesundheitsschäden, die zwar nicht mehr zum
Symptomenkreis des Geburtsgebrechens gehören, aber nach medizinischer Erfahrung
häufig die Folge dieses Gebrechens sind. Zwischen dem Geburtsgebrechen und dem
sekundären Leiden muss demnach ein qualifizierter adäquater Kausalzusammenhang
bestehen. Nur wenn im Einzelfall dieser qualifizierte ursächliche Zusammenhang
zwischen sekundärem Gesundheitsschaden und Geburtsgebrechen gegeben ist und
sich die Behandlung überdies als notwendig erweist, hat die
Invalidenversicherung im Rahmen des Art. 13 IVG für die medizinischen
Massnahmen aufzukommen (BGE 100 V 41 mit Hinweisen; AHI 2001 S. 79 Erw. 3a).
Die Häufigkeit des sekundären Leidens stellt nicht das allein entscheidende
Kriterium für die Bejahung eines qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhanges
dar (Urteil 9C_319/2008 vom 20. August 2008, E. 2.2; Urteile des Eidg.
Versicherungsgerichts I 801/04 vom 6. Juli 2005 E. 1.3 und I 438/02 vom 14.
Oktober 2004 E. 1.3 [SVR 2005 IV Nr. 22 S. 86 ff.]).

3.
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den Geburtsgebrechen
Nr. 243 (partielle Agenesie und Hypoplasie der Lungen) und Nr. 326 (Angeborenes
Immun-Defekt-Syndrom[IDS]) Anspruch auf Kostengutsprache für zahnärztliche und
kieferorthopädische Behandlungen hat.

3.1 Das kantonale Gericht kam in Würdigung der medizinischen Akten zum Schluss,
gemäss dem Aktengutachten von Dr. med. dent. W.________ vom 26. Juli 2006
bestehe beim Beschwerdeführer aufgrund der notwendigen Medikation eine
erschwerte Mundhygiene, da die Speichelsekretion durch die Medikamente
vermindert sei und dies zu verstärkter Plaquebildung und schliesslich zu Karies
führen könne. Nach dem Gutachter bestehe somit nur die Möglichkeit eines
Zusammenhangs zwischen dem Geburtsgebrechen und der Karies. Die Problematik der
Karies wäre nach ihm allerdings mit erhöhtem Aufwand mit zusätzlicher täglicher
Mundhygiene lösbar gewesen. Hinsichtlich der kieferorthopädischen Seite bestehe
nach ihm ebenfalls nur die Möglichkeit, dass es aufgrund der durch die Karies
bedingten frühzeitigen Extraktion der Milchzähne zu einer Zahnfehlstellung
gekommen sei. Zwar sei das Aktengutachten des Dr. med. dent. W.________ kurz
gehalten, es beantworte jedoch die von der IV-Stelle aufgeworfene Frage. In
Bezug auf die Karies sei davon auszugehen, dass der natürliche
Kausalzusammenhang zu bejahen sei. Hinsichtlich der Adäquanz sei aber daran zu
erinnern, dass gemäss der Rechtsprechung ein qualifizierter adäquater
Kausalzusammenhang gegeben sein müsse. Ein solcher sei im vorliegenden Fall zu
verneinen, da der Beschwerdeführer selber mit der täglichen Mundhygiene
Einfluss auf die mögliche Bildung der Karies hätte nehmen können. Somit wäre es
- zwar mit stark erhöhtem Aufwand - möglich gewesen, die Bildung von Karies zu
vermeiden.
Was die Kostenübernahme für die kieferorthopädische Behandlung betreffe, so sei
es nachvollziehbar, dass diese Behandlung aufgrund der frühzeitigen Extraktion
der Milchzähne notwendig geworden sei. Ein natürlicher Kausalzusammenhang könne
auch hier bejaht werden. Hingegen sei es aber nicht mit dem im
Sozialversicherungsrecht notwendigen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Behandlung selbstständig einzig aufgrund
der Geburtsgebrechen notwendig gewesen wäre. Dr. med. F.________ spreche in der
Stellungnahme vom 20. September 2006 einzig von einer Möglichkeit. Somit sei
die kieferorthopädische Behandlung im Zusammenhang mit der Karies zu sehen und
wäre somit auch nicht aufgetreten, falls der Karies mit zusätzlichem Aufwand
bei der Mundhygiene begegnet worden wäre. Es fehle somit auch hier an dem von
der Rechtsprechung verlangten qualifizierten adäquaten Kausalzusammenhang.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei es gerade nicht zu einer
Milchzahnpersistenz gekommen, sondern die Zahnfehlstellung resultiere aus der
frühzeitigen Extraktion der Milchzähne aufgrund der Karies.

3.2 Die vom kantonalen Gericht gestützt auf das Gutachten des Dr. med. dent.
W.________ getroffene Sachverhaltsfeststellung, die Karies wäre vermeidbar
gewesen, ist nicht offensichtlich unrichtig. Dass der Gutachter auch
Überlegungen zur Rechtsfrage der IV-Pflicht angestellt hat, ändert daran
nichts. Der vom kantonalen Gericht bejahte natürliche Kausalzusammenhang
zwischen dem Geburtsgebrechen und der Karies, der auch aus dem Schreiben der
Dr. med. dent. G.________ vom 6. Mai 1996 hervorgeht, reicht für die Bejahung
des erforderlichen qualifizierten Zusammenhangs nicht aus. Selbst wenn man mit
dem Beschwerdeführer davon ausgeht, dass die Karies Nebenwirkung der durch das
Geburtsgebrechen bedingten Medikation ist, was das BSV in der Vernehmlassung in
Abrede stellt, so kann daraus noch nicht geschlossen werden, die Karies sei
nicht durch geeignete Mundhygiene vermeidbar gewesen. Die in diesem
Zusammenhang im Übrigen vom Beschwerdeführer und dem BSV zitierten
wissenschaftlichen Studien sind öffentlich zugänglich und fallen damit nicht
unter das Novenverbot von Art. 99 BGG (Urteil 9C_56/2008 vom 6. Oktober 2008,
E. 3.4). Unter diesen Umständen hat das kantonale Gericht zu Recht den
qualifizierten Kausalzusammenhang verneint. Ist die Karies nicht als sekundärer
Gesundheitsschaden des Geburtsgebrechens zu betrachten, so gilt dasselbe für
die kieferorthopädischen Massnahmen, welche nach eigener Darstellung des
Beschwerdeführers ihrerseits eine Folge des Karies sein sollen.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. Februar 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Nussbaumer