Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 654/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_654/2009

Urteil vom 14. September 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Attinger.

Verfahrensbeteiligte
D.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom
26. Juni 2009.

Sachverhalt:
Mit Verfügungen vom 6. und 25. August 2008 sprach die IV-Stelle Luzern dem 1953
geborenen D.________ bei einem Invalididtätsgrad von 58 % ab 1. Januar 2007
eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die dagegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 26. Juni 2009 ab.
D.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Rückweisung
der Sache an das kantonale Gericht zur ergänzenden Abklärung des medizinischen
Sachverhalts; eventuell sei ihm eine ganze Rente zuzusprechen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell-
und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a
BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Vorinstanz und IV-Stelle haben die gesetzlichen Bestimmungen und von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen über den Umfang
des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG [vor 1. Januar 2008: Art. 28 Abs. 1
IVG]) und die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten
nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG [SR 830.1]
in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG [bis 31. Dezember 2007 in Verbindung mit
Art. 28 Abs. 2 IVG]; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348; 128 V 29 E. 1 S. 30; 104 V
135 E. 2a und b S. 136), zutreffend dargelegt. Hierauf wird verwiesen.

3.
Insbesondere gestützt auf das Gutachten des Psychiaters Dr. B.________ vom 19.
Juni 2007 und den Austrittsbericht der Psychiatrischen Klinik X.________ vom
20. Mai 2008 (betreffend den Klinikaufenthalt vom 7. April bis 13. Mai 2008)
gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer trotz
einer mittelgradigen depressiven Episode in der Lage wäre, während sechs
Stunden pro Tag (anstelle des bisherigen vollen Pensums von acht Stunden) mit
einer Leistungseinschränkung von 20 % einer leidensangepassten Erwerbstätigkeit
nachzugehen. Diese im angefochtenen Entscheid einlässlich begründete Würdigung
der medizinischen Akten (einschliesslich der antizipierten Schlussfolgerung,
wonach keine weiteren ärztlichen Abklärungen erforderlich seien) beschlägt
Fragen tatsächlicher Natur und ist daher für das Bundesgericht verbindlich (E.
1 hievor), zumal von willkürlicher Abwägung durch die Vorinstanz oder
anderweitiger Rechtsfehlerhaftigkeit im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG nicht die
Rede sein kann. Auf die in der Beschwerde erhobenen Einwendungen gegen die
verschiedenen Stellungnahmen des Regionalen ärztlichen Dienstes (RAD) braucht
schon deshalb nicht näher eingegangen zu werden, weil das kantonale Gericht im
angefochtenen Entscheid nicht darauf abgestellt hat. Zum rechtlich bedeutsamen
Aspekt, ob die rheumatologischen Beschwerden eine weitergehende als die
psychisch bedingte Einschränkung der funktionellen Leistungsfähigkeit zur Folge
haben, hat die Vorinstanz keine Tatsachenfeststellung getroffen. Das
Bundesgericht kann deshalb den rechtserheblichen Sachverhalt in diesem Punkt
von Amtes wegen überprüfen (BGE 132 V 393 E. 4.2 S. 401 unten; 97 V 134 E. 1 in
fine S. 137; vgl. auch BGE 120 V 481 E. 1b S. 485). Entgegen dem entsprechenden
Einwand in der Beschwerdeschrift ist aufgrund der medizinischen Aktenlage eine
zusätzliche Limitierung der Arbeitsfähigkeit in somatischer Hinsicht klar zu
verneinen. Die vom behandelnden Rheumatologen Dr. R.________ im Arztbericht vom
2. Februar 2007 erhobenen objektiven Befunde lassen sich nämlich mit der im
selben Bericht attestierten 100%igen Arbeitsunfähigkeit bei Verrichtung einer
leichten Tätigkeit nicht vereinbaren. Offensichtlich stützt sich Dr.
R.________s Bescheinigung einer vollständigen Leistungseinbusse auch bei
Ausübung einer leidensangepassten Erwerbstätigkeit allein auf die subjektiven
Angaben des Versicherten, weist doch der Rheumatologe selber ausdrücklich auf
die zwischen den subjektiven Beschwerden und den objektivierbaren klinischen
Befunden bestehende Diskrepanz hin.

4.
4.1 Was den - vorinstanzlich übernommenen - Einkommensvergleich der IV-Stelle
anbelangt, darf unter den Verfahrensbeteiligten als unbestritten gelten, dass
der Beschwerdeführer im Jahre 2007 (BGE 129 V 222 E. 4.2 S. 223) ohne
Behinderung bei der früheren Arbeitgeberin Y.________ AG als Hilfsarbeiter im
Druckereibereich ein Valideneinkommen von Fr. 82'959.- erzielt hätte (von der
IV-Stelle für das Jahr 2006 ermittelter und an die Nominallohnentwicklung für
Männer im Verarbeitenden Gewerbe/Industrie angepasster Wert: Fr. 81'814.- x
1,014; Bundesamt für Statistik, Lohnentwicklung 2008, S. 20, Tabelle T 1.1.05,
Abschnitt D).

4.2 Hinsichtlich des trotz psychischen Beschwerden zumutbarerweise noch
realisierbaren Invalideneinkommens ist in Übereinstimmung mit Verwaltung und
Vorinstanz auf die ebenfalls vom Bundesamt für Statistik herausgegebene
Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) abzustellen. Dabei kann die in der
Zwischenzeit erschienene LSE-Ausgabe 2006 herangezogen werden, welche in
Tabelle T A1 des Anhangs einen allgemeinen Zentralwert (Median) für sämtliche
Wirtschaftszweige des privaten Sektors in Höhe von Fr. 4732.- (standardisierter
monatlicher Bruttolohn von Männern bei Ausübung einfacher und repetitiver
Tätigkeiten [Anforderungsniveau 4]) ausweist. Der angeführte Monatslohn ist -
unter Berücksichtigung, dass die ihm zugrunde gelegte Arbeitszeit von 40
Wochenstunden geringer ist als die im Jahre 2006 betriebsübliche
durchschnittliche Arbeitszeit (aller Wirtschaftszweige) von wöchentlich 41,7
Stunden (Die Volkswirtschaft, 2010 Heft 7/8, S. 90, Tabelle B. 9.2) - auf Fr.
4933.- zu erhöhen. Die Beachtung der allgemeinen Nominallohnentwicklung (2007
wurden für Männer um 1,6 % höhere Löhne als im Vorjahr ausgerichtet; Bundesamt
für Statistik, Lohnentwicklung 2008, S. 20, Tabelle T 1.1.05, Total) führt zu
einem Monatslohn von Fr. 5012.- bzw. zu einem Jahresverdienst von Fr. 60'144.-,
wobei dieser Betrag im Hinblick auf die nur mehr 60%ige Arbeitsfähigkeit des
Beschwerdeführers (75 % x 0,8; E. 3 am Anfang) auf Fr. 36'086.- zu reduzieren
ist.

Rechtsprechungsgemäss ist gegebenenfalls mit einer Herabsetzung dieses
Tabellenlohnes der Tatsache Rechnung zu tragen, dass persönliche und berufliche
Umstände Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 126 V 75 E. 5b/aa-cc
S. 79 f.; 124 V 321 E. 3b/aa S. 322). Der Beschwerdeführer macht geltend,
IV-Stelle und kantonales Gericht hätten zu Unrecht keine entsprechende Kürzung
des Tabellenlohnes vorgenommen. Weil unter der Herrschaft des BGG eine
letztinstanzliche Prüfung der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur
Angemessenheitskontrolle entfällt, könnte die Höhe eines konkreten Abzugs vom
statistischen Lohn im Lichte der dargelegten Kognitionsbefugnis (E. 1 hievor)
vom Bundesgericht nur dort korrigiert werden, wo das kantonale Gericht das
Rechtsermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, sich also
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung zuschulden kommen
liess (SVR 2009 IV Nr. 43 S. 128, 9C_235/2008 E. 3.1; 2008 IV Nr. 49 S 163,
9C_404/2007 E. 1.3). Im hier zu beurteilenden Fall haben indessen Verwaltung
und Vorinstanz - ohne jegliche Begründung - von einer Herabsetzung des
ermittelten Tabellenlohns im Sinne von BGE 126 V 75 gänzlich abgesehen. Ob dies
rechtens war, stellt eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Rechtsfrage
dar. Gemäss den Erläuterungen des Bundesamtes für Statistik zu den Löhnen nach
Beschäftigungsgrad auf S. 15 f. der LSE 2006 steigt der (in Vollzeitäquivalente
umgerechnete) Lohn von angestellten Männern in allen Anforderungsniveaus
generell mit zunehmendem Beschäftigungsgrad. Im Jahre 2006 verdienten im
Anforderungsniveau 4 arbeitende Männer mit Beschäftigungsgraden zwischen 50 %
und 74 % - umgerechnet auf Vollzeitäquivalente - 10 % weniger als solche mit
einem Beschäftigungsgrad von 90 % und mehr (Tabelle T 2*). Dem Beschwerdeführer
ist lediglich eine leidensangepasste Teilzeitbeschäftigung von 75 % zumutbar
und bei deren Verrichtung vermag er nur mehr eine um 20 % verringerte Leistung
zu erbringen. Unter diesen Umständen rechtfertigt sich ein 10%iger Abzug vom
Tabellenlohn (vgl. Urteile 8C_664/2007 vom 14. April 2008 E. 8.3 und I 793/06
vom 4. Oktober 2007). Ob zusätzliche persönliche oder berufliche Gegebenheiten
nach einer weiteren Herabsetzung rufen, wie der Beschwerdeführer geltend macht,
mag dahingestellt bleiben. Der von der Rechtsprechung auf 25 % festgelegte
Maximalabzug (BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80) führt hier nämlich zum gleichen
Rentenanspruch wie die Herabsetzung um 10 %.

Nach dem Gesagten beläuft sich das im Rahmen des Einkommensvergleichs zu
berücksichtigende hypothetische Invalideneinkommen für das Jahr 2007 auf Fr.
32'477.- (Fr. 36'086.- x 0,9).

4.3 Aus dessen Vergleich mit dem entsprechenden Valideneinkommen von Fr.
82'959.- (E. 4.1 hievor) resultiert ein Invaliditätsgrad von 61 %. Dieser
berechtigt zum Bezug einer Dreiviertelsrente anstelle der verfügten,
vorinstanzlich bestätigten halben Invalidenrente.

5.
5.1 Ausgangsgemäss rechtfertigt es sich, die Gerichtskosten der IV-Stelle
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.2 Obwohl der Beschwerdeführer mit seinem Eventualantrag nicht vollständig
durchdringt, hat er Anspruch auf eine volle Parteientschädigung, weil das
"Überklagen" den Prozessaufwand nicht beeinflusst hat (BGE 117 V 401 E. 2b S.
406 unten; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 108/92 vom 4.
August 1993 E. 4 in fine, nicht publiziert in: BGE 119 V 347, aber in: RKUV
1994 Nr. U 179 S. 36; vgl. auch Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts I 12/01 vom 9. Juli 2001 E. 4).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 26. Juni 2009 und die Verfügungen
der IV-Stelle Luzern vom 6. und 25. August 2008 werden aufgehoben. Es wird
festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. Januar 2007 Anspruch auf eine
Dreiviertelsrente hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der
Ausgleichskasse Agrapi schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. September 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Attinger