Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 644/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_644/2009

Urteil vom 15. Oktober 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
E.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Hess,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden,
Ottostrasse 24, 7001 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Massnahmen beruflicher Art),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 2. Juni 2009.

Sachverhalt:

A.
A.a Der 1954 geborene E.________ arbeitete nach der gesundheitlich bedingten
Aufgabe der Tätigkeit als Bäcker-Konditor mit eigenem Betrieb Ende 2005 ab 10.
April 2006 als selbständiger Transportunternehmer im Bereich Bus- und
Taxiservice. Im Juli 2006 meldete er sich bei der Invalidenversicherung an und
beantragte Arbeitsvermittlung und eine Rente. Mit Verfügungen vom 27. März 2007
verneinte die IV-Stelle des Kantons Graubünden den Anspruch auf Umschulung und
auf eine Rente Mit Entscheid vom 11. September 2007 wies das kantonale
Verwaltungsgericht die hiegegen erhobene Beschwerde ab. Mit Urteil 9C_858/2007
vom 28. Januar 2008 hob das Bundesgericht dieses Erkenntnis sowie die
Verfügungen vom 27. März 2007 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück,
damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über die
Leistungsberechtigung, insbesondere den Anspruch auf Kapitalhilfe und
Umschulung, neu verfüge.
A.b Am 9. und 10. Juni 2008 wurde E.________ im Zentrum X.________ untersucht
und begutachtet (Expertise vom 18. August 2009). Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons Graubünden mit
Verfügungen vom 5., 6. und 7. November 2008 den Anspruch auf eine
Invalidenrente, auf berufliche Massnahmen/Taggelder und auf Kapitalhilfe.

B.
Die Beschwerde des E.________ gegen die Verfügungen vom 5., 6. und 7. November
2008 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 2.
Juni 2009 ab.

C.
E.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, die Verfügungen vom 5., 6. und 7. November 2008 seien
aufzuheben und die IV-Stelle sei anzuweisen, Eingliederungsmassnahmen
(Kapitalhilfe oder Taggelder) zu beurteilen sowie das Verfahren betreffend
Rente zu sistieren bis die vollständige Eingliederung erfolgt oder eine
Resterwerbsfähigkeit festzustellen sei, unter Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung.
Mit Verfügung vom 10. September 2009 ist das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Verfahrens abgewiesen worden.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat den Anspruch auf Kapitalhilfe nach Art. 18b IVG (bis 31.
Dezember 2007: Art. 18 Abs. 2 IVG) mit der Begründung verneint, dem
Beschwerdeführer sei die Aufgabe der jetzigen Tätigkeit als selbständiger
Transportunternehmer im Bereich Bus- und Taxiservice, in welcher künftig
(konjunkturell bedingt) viel eher weitere Verluste (2006/07) denn nennenswerte
Gewinne (2008) zu erwarten seien, zu Gunsten einer besser bezahlten Anstellung
im Fixlohn zumutbar. Dies gelte im Einzelfall umso mehr, als auch im
Eingliederungsbereich auf den ausgeglichenen Arbeitsmarkt abzustellen sei.

2.
Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen unter Hinweis auf Kieser,
ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 22 ff. zu Art. 7 ATSG, die vorinstanzlich
bestätigte Leistungsverweigerung beruhe auf einer falschen Anwendung des
ausgeglichenen Arbeitsmarktes. Das Zusatzkriterium der Ausgeglichenheit des
Arbeitsmarktes sei bei Eingliederungsmassnahmen verfehlt. Es sei auf die
tatsächlich ausgeübte Tätigkeit (Personentransport) mit optimaler Eingliederung
und auf den tatsächlichen Arbeitsmarkt abzustellen. Er habe auf dem
Arbeitsmarkt in der Region aufgrund der schlechten Konjunktur sowie wegen
seines Alters und seiner Ausbildung keinerlei Chancen. Die (in Form von
Kapitalhilfe zu übernehmende) Erwerbseinbusse sei die Folge seiner
gesundheitlichen Beeinträchtigung. Dafür sei die Invalidenversicherung
zuständig und nicht die Sozialhilfe.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat richtig festgehalten, dass die Kapitalhilfe wegen der
Invalidität notwendig (und geeignet, die Erwerbsfähigkeit zu verbessern) sein
muss (Art. 8 Abs. 1 lit. a IVG; AHI 2002 S. 180, I 122/01 E. 2b; Ulrich
Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 1997, S. 134 f.). An
diesem Anspruchserfordernis fehlt es vorliegend nicht schon deshalb, weil der
Beschwerdeführer gemäss Gutachten des Zentrums X.________ vom 28. August 2008
in der Tätigkeit als selbständiger Personentransportunternehmer zu 100 %
arbeitsfähig ist.

3.2 Bei der Bemessung der Invalidität von erwerbstätigen Versicherten durch
Einkommensvergleich ist das trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung
zumutbarerweise erzielbare Einkommen bezogen auf einen ausgeglichenen
Arbeitsmarkt zu ermitteln (Art. 7 ATSG und Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art.
28a Abs. 1 IVG). Ein solcher Arbeitsmarkt ist gekennzeichnet durch ein gewisses
Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften und weist
einen Fächer verschiedenster Tätigkeiten auf und zwar sowohl bezüglich der
dafür verlangten beruflichen und intellektuellen Voraussetzungen wie auch
hinsichtlich des körperlichen Einsatzes (BGE 110 V 273 E. 4b S. 276; ZAK 1991
S. 318, I 350/89 E. 3b; Urteil 9C_515/2009 vom 14. September 2009 E. 3.1.1).
Zur Frage, ob das Konzept des ausgeglichenen Arbeitsmarktes auch bei
Eingliederungsmassnahmen gilt, hat sich die Rechtsprechung, soweit ersichtlich,
bisher noch nicht ausdrücklich geäussert. Dazu besteht auch unter
Berücksichtigung der Ausführungen von Kieser an erwähnter Stelle vorliegend
kein Anlass.

3.3 Selbst wenn eine lediglich konjunkturell, nicht aber gesundheitlich
bedingte, durch das fortgeschrittene Alter und die Ausbildung begünstigte
Erschwernis beim Finden einer Anstellung den Anspruch auf Kapitalhilfe in der
nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf aufgenommenen
selbständigen Tätigkeit im Bereich Personentransport nicht ausschlösse, ergäbe
sich daraus nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers. Kapitalhilfe im Rahmen
dieser Tätigkeit muss wegen der Invalidität notwendig sein. Dies ist nicht der
Fall, wenn die Geldmittel wie auch von einem Gesunden in vergleichbarer Lage
aus vorwiegend betriebswirtschaftlichen Gründen benötigt werden (vgl. die vor
der Schaffung von Art. 21bis Abs. 2bis IVG ergangene Rechtsprechung betreffend
den Anspruch auf Kapitalhilfe in Form selbstamortisierender Darlehen für selber
angeschaffte landwirtschaftliche Maschinen und Einrichtungen; Urteil 9C_592/
2007 vom 25. Januar 2008 E. 3.2). Im vorliegenden Fall sind keine
invaliditätsmässigen, mit der gesundheitlichen Beeinträchtigung irgendwie in
Zusammenhang stehende Gründe für die Notwendigkeit einer Kapitalhilfe
ersichtlich noch werden solche geltend gemacht. Der Beschwerdeführer ist als
Transportunternehmer im Bereich Bus- und Taxiservice zu 100 % arbeitsfähig und
optimal eingegliedert, wie er selber vorbringt. Die Kapitalhilfe dient somit
wie bei einem Gesunden in vergleichbarer Lage dazu, die ersten Geschäftsjahre
finanziell besser zu überstehen oder überhaupt über die Runden kommen, ist
somit vorwiegend (betriebs-)wirtschaftlich begründet.
Die Verneinung des Anspruchs auf Kapitalhilfe durch die Vorinstanz verletzt
Bundesrecht nicht.

4.
Das kantonale Gericht hat die gleichzeitige Zusprechung von Kapitalhilfe und
Taggeldern (Art. 22 ff. IVG) als nicht möglich bezeichnet. Der Beschwerdeführer
legt nicht dar, inwiefern dies Bundesrecht verletzt. Weiter macht er auch keine
Ausführungen zum Anspruch auf Umschulung und eine Rente. Ebenfalls begründet er
den Antrag nicht, das Verfahren betreffend Rente sei zu sistieren bis die
vollständige Eingliederung erfolgt oder eine Resterwerbsfähigkeit festzustellen
sei. Darauf ist daher nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Diese Verfügung wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. Oktober 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler