Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 614/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_614/2009

Urteil vom 28. Januar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
H.________ GmbH,
Beschwerdeführerin,

gegen

Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (FAR),
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 5. Mai 2009.

Sachverhalt:

A.
Die Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt (Stiftung FAR) ist zuständig für
die Durchführung des am 12. November 2002 zwischen dem Schweizerischen
Baumeisterverband und der GBI Gewerkschaft Bau & Industrie (heute UNIA) sowie
der Gewerkschaft SYNA abgeschlossenen Gesamtarbeitsvertrages für den flexiblen
Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR), der vom Bundesrat teilweise
allgemeinverbindlich erklärt wurde.
Mit Beschluss vom 7. März 2005 teilte die Stiftung FAR der Firma H.________
GmbH mit, sie sei dem GAV FAR zu unterstellen. Das Anfertigen von
Bruchsteinmauern, Sitzplätzen, Gartenwegen, Natursteintreppen und
Landschaftsgartenbau seien Arbeiten, die unter den betrieblichen
Geltungsbereich fallen würden; zudem sei die Unterstellung unter den
Landesmantelvertrag (LMV) gemäss Beschluss der paritätischen Berufskommission
für das Hoch- und Tiefbaugewerbe vom 24. Januar 2005 ein Indiz für die
Zugehörigkeit zum GAV FAR. Gleichzeitig forderte die Stiftung FAR die
H.________ GmbH auf, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zu entrichten.
Nachdem die Beiträge unbezahlt geblieben waren und die H.________ GmbH auf
Betreibung hin Rechtsvorschlag erhoben hatte, reichte die Stiftung FAR am 30.
April 2008 beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage ein. Gemäss
präzisiertem Rechtsbegehren vom 9. März 2009 beantragte die Stiftung FAR, die
H.________ GmbH sei zu verpflichten, ihr Fr. 63'895.10, nebst Zins zu 5 % auf
verschiedenen Beträgen ab unterschiedlichen Fälligkeiten zu bezahlen. In
Gutheissung der Klage verpflichtete das Versicherungsgericht die H.________
GmbH, der Stiftung FAR die Eintrittsgebühr sowie die Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerbeiträge in der Höhe von insgesamt Fr. 63'895.10, zuzüglich
Verzugszins zu 5 % auf Fr. 11'132.- ab 1. Januar 2004, auf Fr. 14'050.85 ab 1.
Januar 2005, auf Fr. 11'686.85 ab 1. Januar 2006, auf Fr. 13'829.15 ab 1.
Januar 2007 sowie auf Fr. 13'196.25 ab 1. Januar 2008 zu bezahlen (Entscheid
vom 5. Mai 2009).

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
H.________ GmbH, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
Die Stiftung FAR schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Das Versicherungsgericht lässt sich in ablehnendem Sinne
vernehmen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft äussert sich zur Rechtslage,
ohne einen Antrag zu stellen, während das Bundesamt für Sozialversicherungen
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin dem GAV FAR untersteht, was im Rahmen
einer Klage auf Bezahlung der Beiträge vom dafür zuständigen
Berufsvorsorgegericht vorfrageweise zu überprüfen ist (SZS 2008 S. 487, 9C_211/
2008). Die Beschwerdeführerin bestreitet ihre Unterstellung damit, dass sie im
Handelsregister unter "H.________ GmbH" eingetragen sei, dem
Gärtnermeisterverband angehöre und entgegen dem Beschluss der Paritätischen
Kommission nicht dem Landesmantelvertrag unterstellt sei. Auch andere grössere
Gartenbauunternehmungen seien nicht dem GAV FAR unterstellt.

2.
Die allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen des GAV FAR gelten u.a. für die
Betriebe der Bereiche "Hoch-, Tief-, Untertag- und Strassenbau (einschliesslich
Belagseinbau)", "Steinhauer- und Steinbruchgewerbe sowie Pflästereibetriebe"
(Art. 2 Abs. 4 lit. a und c des Bundesratsbeschlusses über die
Allgemeinverbindlicherklärung des GAV FAR vom 5. Juni 2003). Nicht in den
betrieblichen Geltungsbereich des GAV FAR fallen u.a. die Gärtnereien. Garten-
und Landschaftsbau ist eine Fachrichtung der Gärtnertätigkeit (vgl. Art. 1 des
Reglements über die Ausbildung und die Lehrabschlussprüfung von Gärtnerinnen
und Gärtnern des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements sowie Ziff. 14.10
des Lehrplanes für den beruflichen Unterricht, je vom 7. März 2000), nicht des
Baugewerbes. Gartenbaubetriebe sind daher grundsätzlich keine Betriebe des
Baugewerbes. Zum Ausbildungs- und Tätigkeitsprofil des Gartenbauers (und damit
des Gärtners) gehört auch der Bau von Wegen, Plätzen, Treppen sowie von Mauern
aus Natursteinen und Elementen (Art. 5 Abs. 3b Ausbildungsreglement). Die
Tätigkeiten des Gärtners/Gartenbauers einerseits und der Berufe des Bau- und
Strassenbaugewerbes andererseits überschneiden sich damit teilweise. Dies kann
aber nicht dazu führen, einen Gartenbaubetrieb einzig deshalb, weil er auch
Arbeiten ausführt, die typischerweise von Baufirmen verrichtet werden, dem GAV
zu unterstellen. Bei Betrieben, welche mehrere Tätigkeiten ausführen, von denen
die einen unter den GAV fallen, die andern hingegen nicht, ist massgeblich,
welche Tätigkeit dem Betrieb das Gepräge gibt, sofern nicht klar erkennbare
unterschiedliche Betriebsteile bestehen, welche eine unterschiedliche Zuordnung
rechtfertigen; nicht entscheidend ist hingegen der Handelsregistereintrag (BGE
134 III 11 E. 2.1 S. 13). Massgebend für die Unterstellung eines
Gartenbaubetriebs unter den GAV FAR ist somit, ob er prägend Arbeiten ausführt,
die typischerweise von Betrieben des Baugewerbes ausgeübt werden (Bau von
Mauern, Strassen, Pflästerungen) oder aber solche, die in den Bereich des
Gartenbaus (mit Einschluss des Baus von Gartenwegen, typischen Gartenmauern und
dergleichen) gehören.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat diese Rechtsgrundlagen in E. 2.2.1 richtig
wiedergegeben. In der Subsumtion hat sie dann aber nicht geprüft, ob die
Beschwerdeführerin prägend eine Tätigkeit ausübt, welche dem GAV FAR
untersteht. Sie hat als fallbezogene Sachverhaltsfeststellung einzig die
Aussage der Beschwerdeführerin in deren Schreiben vom 20. Dezember 2004
wiedergegeben, wonach sie hauptsächlich Gartenbauarbeiten wie Bruchsteinmauern,
Sitzplätze, Gartenwege, Natursteintreppen und Landschaftsgartenbau ausführe.
Dabei handelt es sich durchwegs um Tätigkeiten, die zum typischen
Arbeitsbereich einer Garten- und Landschaftsbauunternehmung gehören, teilweise
allerdings auch von Baufirmen ausgeübt werden. Über die entscheidende Frage, ob
die typischen Bautätigkeiten oder aber die Landschaftsgartenarbeiten dem
Betrieb der Beschwerdeführerin das Gepräge geben, hat das Versicherungsgericht
aber keine Feststellungen getroffen.

3.2 Weiter hat die Vorinstanz erwogen, gemäss Merkblatt der schweizerischen
paritätischen Vollzugskommission Bauhauptgewerbe (SKV) sei ein Betrieb, der dem
LMV unterstehe, in der Regel auch dem GAV FAR unterstellt. Die Paritätische
Berufskommission für das Hoch- und Tiefbaugewerbe (PKB) Aargau habe mit
Beschluss vom 24. Januar 2005 festgehalten, die Beschwerdeführerin unterstehe
dem LMV; deshalb sei davon auszugehen, dass sie grundsätzlich auch dem GAV FAR
untersteht.
3.2.1 Dass Betriebe, die dem LMV unterstehen, auch dem GAV FAR unterstehen, mag
als Grundsatz richtig sein, gilt aber nicht ausnahmslos. Gemäss Art. 2 Abs. 2
lit. b LMV fallen die Gärtnereien und Gartenbaufirmen in seinen betrieblichen
Geltungsbereich, soweit mehrheitlich Bauarbeiten, Planierungen, Maurerarbeiten
usw. ausgeführt werden. Das entspricht der rechtlichen Lage, wonach bei
Betrieben, die mehrere Tätigkeiten ausüben, von denen nur einige dem GAV
unterstehen, die prägende Tätigkeit ausschlaggebend ist. Indessen enthält der
LMV eine Konkurrenzklausel, wonach dann, wenn die Unterstellung unter den LMV
unklar ist, dieser anzuwenden ist, wenn er mit einem anderen, nicht
allgemeinverbindlich erklärten GAV in Konkurrenz steht (Art. 2 Abs. 3 lit. a
LMV). Diese Konkurrenz- oder Auffangklausel gilt aber nicht für den GAV FAR.
Soweit eine allfällige Unterstellung unter den LMV nur auf diese
Konkurrenzklausel zurückzuführen ist, lässt sich daraus für die Unterstellung
unter den GAV FAR nichts ableiten.
3.2.2 Zudem handelt es sich beim Beschluss der PKB Aargau nicht um einen
rechtskräftigen Entscheid, sondern um eine Parteistellungnahme eines
gemeinsamen Organs im Sinne von Art. 357b OR (vgl. Art. 76 LMV); ein solches
ist ermächtigt, im Streitfall gegenüber den Arbeitgebern und Arbeitnehmern
Klage auf Einhaltung des GAV zu erheben (BGE 134 III 541 E. 4 S. 544), hat aber
nicht die Kompetenz zur verbindlichen Feststellung der Rechtslage. Es steht
somit aufgrund der Akten nicht verbindlich fest, dass die Beschwerdeführerin
dem LMV untersteht.
3.2.3 In Bezug auf die entscheiderhebliche Sachverhaltsfrage finden sich auch
im Beschluss der PKB keine hinreichenden Feststellungen. Er stützt sich auf
eine Unterstellungskontrolle; das Protokoll dieser Kontrolle hält als
Tätigkeitsbereiche fest: "Gartenbau, Pflästerungen im Zusammenhang mit
Gartenbau, Sitzplatzbeläge, Garagezufahrten, Gartenwege", enthält aber keine
Umsatzzahlen für die einzelnen Bereiche. Unter der Rubrik "Weitere Bemerkungen"
ist ausgeführt, dass u.a. Offerten/Auftragsbestätigungen/Werkverträge hätten
eingesehen werden können; doch fehlen im Protokoll Angaben über den Inhalt der
demgemäss durchgeführten Arbeiten. Darüber, ob die typischen Bauarbeiten im
Betrieb stärker ins Gewicht fallen als Gartenbauarbeiten, lässt sich dem
Protokoll nichts entnehmen.

3.3 Nicht ausschlaggebend ist sodann der von der Vorinstanz angerufene
Grundsatz der Tarifeinheit. Dieser besagt, dass die Arbeitnehmer eines gesamten
Betriebs oder Betriebsteils nur jeweils einem GAV unterstehen, auch wenn sie
unterschiedliche Tätigkeiten ausüben (Urteil des Bundesgerichts 4C.350/2000 vom
2. März 2001). Vorweg ist aber zu prüfen, ob überhaupt der Betrieb oder
Betriebsteil als solcher dem betreffenden GAV angehört, was sich bei Betrieben,
die mehrere Tätigkeiten ausüben, nach der prägenden Tätigkeit beurteilt
(zitiertes Urteil 4C.350/2000 E. 3b-g).

3.4 Der rechtserhebliche Sachverhalt ist damit unvollständig festgestellt (Art.
105 Abs. 2 BGG). Die Sache ist an die Vorinstanz zurückweisen. Diese wird im
Sinne der vorangehenden Erwägungen abzuklären haben, ob die baugewerblichen
oder die gartenbaugewerblichen Tätigkeiten dem Betrieb das Gepräge geben und
aufgrund dieser Sachverhaltsergänzungen über die Klage neu entscheiden.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid vom 5. Mai 2009
wird aufgehoben. Die Sache wird an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen, damit es über die Klage der Beschwerdegegnerin im Sinne der
Erwägungen neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Gesamtarbeitsverträge und
Arbeitsmarktaufsicht und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 28. Januar 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer