Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 610/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_610/2009

Urteil vom 10. August 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
B.________,
vertreten durch Beratungsstelle für Ausländer,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern,
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
3. Juni 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1952 geborene B.________ meldete sich im Mai 1998 bei der
Invalidenversicherung an und beantragte u.a. Umschulung und eine Rente. Mit
Verfügung vom 26. Oktober 1998 wies die IV-Stelle Bern das Leistungsbegehren
ab. Ab 1. September 1999 arbeitete B.________ bei der Firma H.________ AG. Ab
25. Mai 2006 war er infolge eines 1995 erlittenen Unfalles zu 100 %
arbeitsunfähig geschrieben. Mit Schreiben vom 26. Februar 2007 löste die Firma
das Arbeitsverhältnis auf Ende Mai 2007 auf. Anfang März 2007 meldete sich
B.________ erneut bei der Invalidenversicherung an und beantragte besondere
medizinische Eingliederungsmassnahmen und eine Rente. Die IV-Stelle klärte die
gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab. U.a. liess sie den
Versicherten psychiatrisch und rheumatologisch begutachten. Nach Durchführung
des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 28. Juli
2008 den Anspruch auf eine Invalidenrente.

B.
Die Beschwerde des B.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 3. Juni 2009 ab.

C.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 3. Juni 2009 sei aufzuheben und ihm
eine ganze Rente zuzusprechen, eventualiter eine polydisziplinäre medizinische
Begutachtung anzuordnen und dann zu entscheiden, eventualiter den Fall an die
IV-Stelle zwecks weiterer Abklärungen in einer Eingliederungsstätte
zurückzuweisen, unter Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat der Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich
(Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG) die Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit gemäss den Gutachten der Dres. med. L.________ und E.________
vom 14. und 15. Februar 2008 zugrunde gelegt. Danach bestehe für eine
angepasste leichte Verweistätigkeit nach Umsetzung der Beschwerde lindernden
Massnahmen eine maximale Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 20 %.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine unvollständige Abklärung des rechtserheblichen
Sachverhalts, was eine Verletzung von Bundesrecht darstellt (Art. 95 lit. a und
97 Abs. 1 BGG; Urteil 9C_442/2008 vom 28. November 2008 E. 1.1 mit Hinweis).
Das psychiatrische Gutachten des Dr. med. E.________ vom 15. Februar 2008 sei
nicht beweiskräftig. Sinngemäss bestehe entgegen der Auffassung des Experten
ein invalidisierendes psychisches Leiden (schwere Depression).

3.
Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen
Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die
geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen Situation und
Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen des Arztes begründet sind
(BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; Urteil 9C_932/2008 vom 23. März 2009 E. 3).

4.
4.1 Dr. med. E.________ stellte in seinem Gutachten vom 15. Februar 2008
folgende Diagnosen (nach dem Klassifikationssystem ICD-10 der WHO): Anhaltende
somatoforme Schmerzstörung (F45.4); längere depressive Reaktion (F43.21);
schwierige familiäre Verhältnisse (Z63.8); erschwerte kulturelle Eingewöhnung
(Z60.3); Probleme mit der Berufstätigkeit (Z56); prekäre wirtschaftliche
Situation (Z59). Die depressive Reaktion bezeichnete der psychiatrische Experte
als schwer, bei Behandlung im stationären Rahmen aber grundsätzlich als
reversibel. Die somatoforme Schmerzstörung erachtete er mit zumutbarer
Willensanstrengung soweit als überwindbar, dass die Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit 20 % nicht überschreiten dürfte.

Die Vorinstanz hat dem Gutachten vom 15. Februar 2008 vollen Beweiswert
zuerkannt.

4.2 In der Beschwerde wird insoweit zu Recht vorgebracht, dass die von Dr. med.
E.________ unter den Diagnosen aufgeführten krankheitsfremden Faktoren
teilweise aktenmässig nicht belegt oder vom psychiatrischen Gutachter
überzeichnet werden. Vorab bestehen keine Hinweise auf eine erschwerte
kulturelle Eingewöhnung. Ebenfalls kann nicht von einer prekären
wirtschaftlichen Situation gesprochen werden. Der Beschwerdeführer äusserte
sich Dr. med. E.________ gegenüber dahingehend, finanziell gehe es ordentlich.
Er erhalte eine Rente (recte: Taggeld) der Unfallversicherung von ca. Fr. 100.-
im Tag. Seine Frau beziehe seit 1998 eine Rente der Invalidenversicherung. Die
Kinder seien erwachsen und wohnten nicht mehr zu Hause. Sodann sind die
familiären Verhältnisse lediglich insoweit schwierig, als die Ehefrau des
Beschwerdeführers als Folge eines Sturzes 1995 invalid ist und seit 1998 eine
Rente bezieht. Soweit dieser Umstand nach Auffassung des psychiatrischen
Gutachters Ursache der Depression resp. der lediglich als depressive Reaktion
zu bezeichnenden psychischen Störung ist, bestand er somit schon Jahre vor der
2006 eingetretenen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation. Anderseits
gab der Beschwerdeführer an, die Kinder wohnten in unmittelbarer Nähe und sie
würden von ihnen tatkräftig unterstützt. So würden die Haushaltsarbeiten
teilweise durch Tochter und Schwiegertochter erledigt. Dr. med. E.________
hielt in seiner Beurteilung denn auch selber fest, es bestünden
zufriedenstellende familiäre Umstände. Die noch verbleibenden Probleme mit der
Berufstätigkeit bestehen darin, dass der Beschwerdeführer seit Ende Mai 2007
arbeitslos ist. Auf diesen Zeitpunkt war ihm aus wirtschaftlichen Gründen
gekündigt worden.

4.3 Der Beschwerdeführer legt indessen nicht dar, welche Konsequenzen sich aus
dem in E. 4.2 Gesagten ergeben. Soweit er eine höhere psychisch bedingte
Arbeitsunfähigkeit als 20 % geltend macht und zur Begründung auf vom Gutachten
abweichende ärztliche Beurteilungen hinweist, übt er, soweit als Noven nicht
ohnehin unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG), ungenügende appellatorische Kritik an
der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Urteil
9C_442/2008 vom 28. November 2008 E. 1.2.2 und 4.1).

Dass die Vorinstanz die Arbeitsfähigkeit (auch) gestützt auf das Gutachten des
Dr. med. E.________ vom 15. Februar 2008 festgelegt hat, verletzt somit
Bundesrecht nicht. Eine allfällige (weitere) Verschlechterung des psychischen
Gesundheitszustandes seit Erlass der Verfügung vom 28. Juli 2008 ist für dieses
Verfahren ohne Bedeutung (Urteil 9C_469/2008 vom 18. August 2008 E. 4.2 mit
Hinweis). Bleibt eine vom Gutachter als notwendig erachtete, lege artis
durchgeführte psychotherapeutische Behandlung bei vorhandener Motivation und
Eigenanstrengung des Versicherten erfolglos, kann dies allenfalls Anlass für
eine Neuüberprüfung der Anspruchsberechtigung sein (Urteil 9C_386/ 2007 vom 29.
August 2007 E. 4.3).

5.
Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung ist weiter nicht angefochten. Es
besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung (vgl. BGE 125 V 413 E. 1b und 2c
S. 415 ff.; 110 V 48 E. 4a S. 53).

6.
Der Beschwerdeführer als unterliegende Partei hat grundsätzlich die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um Befreiung von
der Bezahlung von Gerichtskosten kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1
BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64
Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz
zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.

Hingegen besteht kein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung. M.________
von der Beratungsstelle für Ausländer welcher den Beschwerdeführer vertritt,
ist nicht anwaltlich zugelassen (Anwaltsregister des Kantons Zürich, Stand: 28.
Juli 2009, abrufbar unter www.obergericht-zh.ch/; BGE 135 V 1 E. 7.4.1 in fine
S. 4).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
einstweilen auf die Gerichtskasse genommen.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. August 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler