Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 59/2009
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2009
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_59/2009

Urteil vom 6. Oktober 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Roland Egli-Heine,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 20. November 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich bestätigte mit Entscheid vom
20. März 2006 den Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 12.
Januar 2005, wonach die 1961 geborene S.________ bei einem Invaliditätsgrad von
24 Prozent keinen Anspruch auf eine Invalidenrente habe. Am 7. November 2005
meldete sich die Versicherte erneut bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die Verwaltung lehnte das Gesuch wiederum ab, da sich am
Gesundheitszustand nichts Wesentliches geändert habe (Verfügung vom 27. Februar
2007).

B.
Das kantonale Gericht wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom
20. November 2008).

C.
S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den
Rechtsbegehren, es sei ihr, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids, eine
ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die IV-Stelle zu verpflichten,
zusätzliche medizinische Abklärungen zu veranlassen und anschliessend erneut
über den Rentenanspruch zu befinden. Ausserdem ersucht sie um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Vorinstanz erkannte, der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin habe
sich seit dem rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahren nicht
wesentlich verändert; es bestehe nach wie vor kein rentenbegründender
Invaliditätsgrad. Massgebender Vergleichszeitpunkt hierfür ist der
Einspracheentscheid vom 12. Januar 2005 (und nicht, wie vom kantonalen Gericht
angenommen, die durch den Einspracheentscheid ersetzte Verfügung vom 29. Juli
2004). Zu prüfen ist, ob der vorinstanzliche Entscheid auf im Sinne von Gesetz
und Rechtsprechung vollständigen Grundlagen beruht.

1.2 Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend
dargelegt (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV; BGE 133 V 108 E. 5.3.1 S. 112; Urteil
9C_286/2009 vom 28. Mai 2009 E. 2.2).

1.3 Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1
BGG). Zu den Bundesrechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a BGG gehört
auch die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (Urteil
9C_40/2007 vom 31. Juli 2007 E. 1) und die Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteil
8C_364/2007 vom 19. November 2007 E. 3.3).

2.
2.1 Das kantonale Gericht erwog, im früheren Verfahren habe es auf ärztliche
Berichte abgestellt, in welchen im Wesentlichen übereinstimmend eine
seronegative Polyarthritis sowie ein chronisches Lumbovertebralsyndrom
diagnostiziert worden seien. Im Weiteren habe es damals angenommen, eine
leichte, wechselbelastende Tätigkeit ohne besondere mechanische Beanspruchung
der Hände sei zu 50 Prozent möglich. In Anwendung der (für Teilerwerbstätige
massgeblichen) gemischten Methode der Invaliditätsbemessung habe sich - unter
Annahme einer je hälftigen Tätigkeit in Erwerb und Haushalt - ein
Invaliditätsgrad von 31 Prozent ergeben.
Die seitherigen Berichte der behandelnden Ärzte zeigten keine erheblichen
Änderungen im Gesundheitszustand auf. Bei unveränderten Diagnosen seien keine
(zusätzlichen) Befunde erhoben worden, welche die attestierte
Arbeitsunfähigkeit (von 50 bis 70 respektive 100 Prozent) zu rechtfertigen
vermöchten. Zudem fehle jeweils eine nähere Begründung. Es bestehe auch
weiterhin eine Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent in leidensangepasster Tätigkeit.
Eine neuanmeldungsrechtlich relevante Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit sei
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgewiesen.

2.2 Die Beschwerdeführerin verweist auf den mit der Neuanmeldung vom 7.
November 2005 eingereichten Bericht des Spitals X.________ vom 17. November
2005 über eine Hospitalisation in dessen Rheumaklinik (vom 22. September bis
19. Oktober 2005) sowie auf den nach Erhalt des Vorbescheids ins Recht gelegten
Bericht des behandelnden Rheumatologen Dr. K.________ vom 11. Januar 2007. Die
IV-Stelle hätte von Amtes wegen abzuklären gehabt, ob sich der
Gesundheitszustand wie geltend gemacht verschlechtert habe (Art. 43 Abs. 1
ATSG). Wenn die Vorinstanz schon darauf verweise, die eingereichten
Arztberichte seien nicht näher begründet und es seien - bei unveränderter
Diagnose - keine (neuen) Befunde erhoben worden, welche die attestierte
Arbeitsunfähigkeit zu rechtfertigen vermöchten, so wäre sie aufgrund ihrer
Abklärungspflicht, wie zuvor bereits die IV-Stelle, gehalten gewesen, bei Dr.
K.________ eine entsprechende Begründung zu verlangen oder aber die
Beschwerdeführerin durch einen unabhängigen Arzt begutachten zu lassen.
Stattdessen hätten die Vorinstanzen für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
unzulässigerweise auf die mehr als zwei Jahre alten Zeugnisse der Rheumaklinik
am Spital X.________ (vom 17. November 2005) und des Dr. P.________ (vom 20.
Januar 2005) abgestellt.

3.
3.1 Sobald die Verwaltung, wie im Falle der Beschwerdeführerin, auf eine
Neuanmeldung eintritt, weil eine anspruchserhebliche Änderung des Sachverhalts
glaubhaft gemacht ist (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV), kommt das
Untersuchungsprinzip zum Tragen, nach welchem der Sachverhalt - hier die für
die Annahme einer anspruchserheblichen Änderung wesentlichen Tatsachen - von
Amtes wegen vollständig abgeklärt werden muss (vgl. Art. 43 Abs. 1 ATSG); im
Beschwerdefall gilt dasselbe für das kantonale Gericht (Art. 61 lit. c ATSG).
3.1.1 Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der
Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es - unter Vorbehalt der
Mitwirkungspflichten der versicherten Person (Art. 43 Abs. 3 ATSG) - Sache des
Sozialversicherungsgerichts (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für
die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein. Im
Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine
Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu
Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt
Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es
sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund
einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261
E. 3b S. 264).
3.1.2 Die Verfügung vom 27. Februar 2007 enthält nebst dem Dispositiv einzig
die Feststellung, dass sich seit der Verfügung vom 29. Juli 2004 (recte:
Einspracheentscheid vom 12. Januar 2005) am Gesundheitszustand nichts
Wesentliches verändert habe. Diese Feststellung wird mit keinem Wort erläutert.
Die Vorinstanz beanstandet das nicht, sondern leitet von der (als solche
zutreffenden) Einschätzung, die neueren Arztberichte (des Dr. K.________ vom
11. Januar 2007 und des Internisten Dr. P.________ vom 20. Januar 2005) seien
im Wesentlichen aufgrund ihres rudimentären Umfangs nicht geeignet, eine
Änderung als überwiegend wahrscheinlich erscheinen zu lassen, direkt und
abschliessend zur Feststellung über, der Gesundheitszustand sei unverändert.
3.1.3 Dieses Vorgehen verträgt sich nicht mit dem Untersuchungsgrundsatz - und
ist somit bundesrechtswidrig -, da es im Ergebnis eine (hier nicht
existierende) Beweisführungslast der versicherten Person voraussetzt. Einzig im
Rahmen der (sich hier nicht stellenden) Frage, ob auf eine Neuanmeldung
eingetreten werden kann, weil eine anspruchserhebliche Änderung des
Sachverhalts glaubhaft gemacht ist, kann es mit der Feststellung sein Bewenden
haben, die von der versicherten Person in das Verfahren eingebrachten
Unterlagen seien nicht ausreichend substantiiert.

3.2 Die bisherige Aktenlage reicht offensichtlich nicht aus zur abschliessenden
Entscheidung der Frage, ob eine anspruchserhebliche Änderung eingetreten sei.
Der Bericht der Rheumaklinik am Spital X.________ vom 17. November 2005 zeigt
in zwei Punkten auf, dass eine solche nicht rechtsgenüglich ausgeschlossen
werden kann: Anlässlich der im Herbst 2005 erfolgten, knapp einmonatigen
Hospitalisation der Beschwerdeführerin im Spital X.________ wurde zum ersten
eine Therapieresistenz des chronischen lumbovertebralen und myofaszialen
Schmerzsyndroms festgehalten; in einem Bericht der Rheumaklinik am Spital
Y.________ vom 22. Juli 2003 wurden demgegenüber noch verschiedene
medikamentöse Therapien diskutiert. Zum zweiten wird eine seit Juli 1995
erfolgende Schmerzzunahme angesprochen.
Hinzu kommt, dass die Entwicklung des Sachverhalts prinzipiell, im Rahmen des
Praktikablen, bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens (hier mit Verfügung
vom 27. Februar 2007) verfolgt und im Entscheid berücksichtigt werden muss.
Auch aus diesem Grund hätte Dr. K.________ zur Substantiierung seiner im
Schreiben vom 11. Januar 2007 enthaltenen Beurteilung aufgefordert werden
müssen, trotz einer Behandlung bestehe unter anderem wegen einer
"Funktionseinschränkung sowohl betreffend die Wirbelsäule wie auch die Gelenke
(u.a. auch Hände) (...) heute keine verwertbare Restarbeitsfähigkeit mehr". Auf
einer solchen ergänzten Grundlage erst wäre zu entscheiden gewesen, ob
tatsächlich weitere (spezifisch versicherungsmedizinische) Abklärungen nötig
sind oder aber ob darauf verzichtet werden kann. Die IV-Stelle wird somit die
notwendigen Abklärungen nachholen und gestützt darauf neu verfügen. Bei der
Fragestellung zuhanden medizinischer Sachverständiger wird insbesondere dem
Umstand Rechnung zu tragen sein, dass eine anspruchserhebliche Änderung auch
gegeben sein kann, wenn sich ein Leiden - bei gleicher Diagnose - in seiner
Intensität und in seinen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit verändert hat
(vgl. Urteil I 212/03 vom 28. August 2003 E. 2.2.3).

4.
Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu erneuter Abklärung (mit noch
offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch
der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1
sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das
entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 132
V 215 E. 6.1 S. 235; Urteil 8C_671/2007 vom 13. Juni 2008 E. 4.1). Entsprechend
dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten daher der unterliegenden
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Der obsiegenden, anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführerin steht eine Parteientschädigung zu. Das Gesuch der
Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. November 2008 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 27. Februar 2007 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch neu verfüge. Im
Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Oktober 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub