Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 599/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_599/2009

Urteil vom 14. September 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
A.________,
vertreten durch Advokat André M. Brunner,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft,
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Massnahmen beruflicher Art, Prozessvoraussetzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, vom 25. März 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene A.________ meldete sich im Juni 2004 bei der
Invalidenversicherung an und beantragte Berufsberatung und eine Rente. Nach
Abklärungen verneinte die IV-Stelle Basel-Landschaft mit Verfügung vom 27.
Januar 2005 den Anspruch auf eine Rente (Invaliditätsgrad: 32 %), was sie mit
Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2005 bestätigte. Dies blieb unangefochten.
Im Juni 2006 meldete sich A.________ erneut bei der Invalidenversicherung an
und beantragte eine Rente. Die IV-Stelle Basel-Landschaft klärte die
gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab und führte das
Vorbescheidverfahren durch. Mit Verfügung vom 4. Juli 2008 verneinte sie
wiederum den Anspruch auf eine Rente (Invaliditätsgrad: 28 %). Mit Schreiben
vom 18. Juli 2008 teilte die IV-Stelle dem Versicherten mit, die
Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitsvermittlung seien erfüllt. Es werde
ihm Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche gewährt.

B.
Am 4. September 2008 liess A.________ beim Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, Beschwerde einreichen und beantragen, die
Verfügung vom 4. Juli 2008 sei aufzuheben, die beruflichen Massnahmen und
Integrationsmassnahmen seien durchzuführen und die entsprechenden (Warte-)
Taggelder auszurichten; eventualiter sei ihm für die Zeit ab 1. August 2006
eine Dreiviertelsrente auszurichten und die Rentenbetreffnisse zu verzinsen.
Nach Vernehmlassung der IV-Stelle wies das kantonale Gericht mit Entscheid vom
25. März 2009 die Beschwerde ab.

C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 25. März 2009 und die Verfügung vom
4. Juli 2008 seien aufzuheben und es seien angemessene berufliche Massnahmen
und Integrationsmassnahmen durchzuführen und die entsprechenden Taggelder
auszurichten.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Insbesondere prüft es - auch ohne entsprechende Rüge - die richtige Behandlung
der Eintretensvoraussetzungen durch die Vorinstanz (BGE 132 V 93 E. 1.2 S. 95;
123 V 280 E. 1 S. 283; Urteil 9C_858/2007 vom 28. Januar 2008 E. 1).

2.
2.1 Die vorinstanzliche Beschwerde richtete sich gegen die Verfügung vom 4.
Juli 2008, mit welcher die IV-Stelle den Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung verneint hatte. Dieser Verwaltungsakt bildete, formell,
Anfechtungsgegenstand im vorangegangenen Verfahren (RKUV 2003 Nr. U 495, U 243/
00 E. 2.1) und stellte eine Sachurteilsvoraussetzung dar (BGE 125 V 413 E. 1a
S. 414; Urteil 9C_199/2009 vom 9. Juni 2009 E. 2.1). Der Antrag in der
Beschwerde lautete auf Zusprechung beruflicher Massnahmen und
Integrationsmassnahmen sowie (eventualiter) einer Dreiviertelsrente der
Invalidenversicherung für die Zeit ab 1. August 2006 samt Zins auf den
(nachzuzahlenden) Rentenbetreffnissen. Die Vorinstanz hat die Begehren um Rente
und Massnahmen beruflicher Art geprüft und als unbegründet abgewiesen.

2.2 Über den Anspruch auf Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die
berufliche Eingliederung (Art. 14a IVG und Art. 4quater ff. IVV) und Massnahmen
beruflicher Art (Art. 15 ff. IVG und Art. 5 ff. IVV) hatte die IV-Stelle
abgesehen von der nach Verneinung eines Rentenanspruchs zugesprochenen
Arbeitsvermittlung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 IVG (Mitteilung vom 18. Juli
2008; Art. 74ter lit. b IVV in Verbindung mit Art. 58 IVG) nicht verfügt.
Insoweit fehlte es somit an einer Sachurteilsvoraussetzung (E. 2.1).
2.2.1 Eingliederungsfragen können zwar grundsätzlich auch im Rahmen eines
Rentenstreites geprüft werden, vom Sozialversicherungsgericht allerdings nur,
wenn die Voraussetzungen für die Ausdehnung des verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens auf eine ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes liegende Frage
gegeben sind (vgl. dazu BGE 122 V 34 E. 2a S. 36 mit Hinweisen). Dabei handelt
es sich nicht um eine Pflicht, sondern um eine prozessuale Befugnis (Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts I 10/05 vom 14. Juni 2005 E. 1.3 mit Hinweisen).
Vorliegend waren von den Erfordernissen für eine Ausdehnung des Verfahrens auf
die Frage des Anspruchs auf Massnahmen beruflicher Art Tatbestandsgesamtheit
und Prozesserklärung der Verwaltung gegeben. Die IV-Stelle hatte sich dazu in
der vorinstanzlichen Vernehmlassung geäussert. Die Sache war diesbezüglich
jedoch nicht spruchreif. In der Mitteilung vom 18. Juli 2008, mit welcher die
IV-Stelle den Anspruch auf Arbeitsvermittlung bejaht hatte, war ausdrücklich
darauf hingewiesen worden, das Verfahren sei damit nicht abgeschlossen.
Allfällige weitere Leistungsansprüche würden noch geprüft. Es bestehen keine
Anhaltspunkte in den Akten, dass bereits vorher substantielle Abklärungen
beruflicher Art stattgefunden hätten. Grund hiefür war den Ausführungen der
IV-Stelle in der vorinstanzlichen Vernehmlassung zufolge in erster Linie
offenbar die nach Auffassung der Verwaltung fehlende subjektive
Eingliederungsbereitschaft des Versicherten, was dieser bestreitet. Wie es sich
damit verhält, braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls hat die
IV-Stelle dieses Anspruchserfordernis in Bezug auf Arbeitsvermittlung bejaht
(Urteil 9C_494/2007 vom 6. Mai 2008 E. 2.2.2). Entgegen den Vorbringen der
Verwaltung in ihrer Vernehmlassung kann der Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art nicht mit der Begründung verneint
werden, es bestehe eine Arbeitsfähigkeit von 100 % in Verweisungstätigkeiten,
weshalb davon keine Steigerung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten sei.
2.2.2 Im Übrigen bestand für die IV-Stelle insofern kein Anlass für Abklärungen
im Hinblick auf eine Wiedereingliederung, als der Beschwerdeführer im zweiten
Anmeldeformular nunmehr einzig eine Rente beantragt und während des gesamten
zweiten Verwaltungsverfahrens sich nicht dahingehend geäussert hatte,
allenfalls solche Massnahmen absolvieren zu wollen. Dies gilt auch in Bezug auf
die beschwerdeweise konkret beantragten Arbeitstraining, Aufbautraining, Arbeit
als Zeitüberbrückung und Support am Arbeitsplatz. Dabei handelt es sich um
(mögliche) Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche
Eingliederung nach dem seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden Art. 14a IVG
(vgl. Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die
Invalidenversicherung [5. Revision], BBl 2005 S. 4523 und 4564). Solche
Massnahmen gehen nach ihrem Sinn und Zweck beruflichen Massnahmen nach Art. 15
ff. IVG grundsätzlich vor und sind dementsprechend vorrangig zu prüfen. Den
Anspruch auf Integrationsmassnahmen hat die Vorinstanz nicht geprüft, was nicht
zu beanstanden ist. Auf das diesbezügliche Begehren in der Beschwerde ist daher
nicht einzutreten.

2.3 Die Vorinstanz hat somit zu Unrecht den Anspruch auf berufliche Massnahmen,
insbesondere Umschulung, geprüft und verneint. Insoweit verletzt der
angefochtene Entscheid Bundesrecht und ist daher aufzuheben.

3.
Im Rentenpunkt ist der vorinstanzliche Entscheid nicht angefochten und insoweit
in Rechtskraft erwachsen (BGE 125 V 413 E. 2a S. 415; 117 V 294 E. 2b S. 295).

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Beschwerdeführer als obsiegende
Partei zu betrachten. Die IV-Stelle hat somit die Gerichtskosten zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Versicherten eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, vom 25. März 2009 wird aufgehoben, soweit er den
Anspruch auf berufliche Massnahmen verneint.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Basel-Landschaft
auferlegt.

4.
Die IV-Stelle Basel-Landschaft hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. September 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler