Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 51/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_51/2009

Urteil vom 30. April 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
ASGA Pensionskasse des Gewerbes, Rosenbergstrasse 16, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Marta Mozar,

gegen

M.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Unia Ostschweiz-Graubünden Sektion St.
Gallen-Appenzell, Lämmlisbrunnenstrasse 41, 9001 St. Gallen,

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Stiftung Auffangeinrichtung BVG, Direktion/Rechtsdienst, Postfach 8468, 8036
Zürich,
Mitbeteiligte.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 16. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen dem 1951 geborenen M.________ mit Verfügungen vom 25. Januar und 5. März
2008 rückwirkend ab 1. Juni 2006 bei einem Invaliditätsgrad von 54 % eine halbe
Invalidenrente zu.

B.
Die ASGA Pensionskasse, bei welcher M.________ als Kundenmaler bei der Firma
K.________ bis 30. Juni 2005 für die berufliche Vorsorge versichert gewesen
war, führte gegen beide Verfügungen Beschwerde. Sie beantragte, unter Aufhebung
der Verfügungen vom 25. Januar und 5. März 2008 sei der Invalidenrentenbeginn
auf August 2006 festzulegen. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
vereinigte die beiden Beschwerdeverfahren. Mit Entscheid vom 16. Dezember 2008
trat es auf die Beschwerden nicht ein.

C.
Die ASGA Pensionskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit den Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides sei der Rentenbeginn auf den 16. August 2006 festzulegen; eventuell
sei festzustellen, dass ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad bestehe;
subeventuell sei die Sache zu materieller Beurteilung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen.
Während M.________ und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung verzichten, beantragt die IV-Stelle als Mitbeteiligte, die
Beschwerde sei gutzuheissen. Die ebenfalls als Mitinteressierte beigeladene
Stiftung Auffangeinrichtung BVG äussert sich zur Sache, ohne einen Antrag zu
stellen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde richtet sich gegen den vorinstanzlichen
Nichteintretensentscheid. Zu prüfen ist diesfalls entsprechend dem
Subeventualantrag der Pensionskasse lediglich, ob das kantonale Gericht die bei
ihm eingereichten Beschwerden zu Recht durch Nichteintreten erledigt hat,
wogegen das Bundesgericht auf die in der Beschwerde gestellten materiellen
Anträge nicht eintreten kann (BGE 132 V 74 E. 1.1 S. 76 mit Hinweis).

2.
2.1 Erlässt ein Versicherungsträger eine Verfügung, welche die Leistungspflicht
eines anderen Trägers berührt, so hat er auch ihm die Verfügung zu eröffnen.
Dieser kann die gleichen Rechtsmittel ergreifen wie die versicherte Person
(Art. 49 Abs. 4 ATSG).

2.2 Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres Nichteintretensentscheides aus,
die Vorsorgeeinrichtung sei nicht zur Beschwerde legitimiert.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung zu Art. 49
Abs. 4 ATSG sind die Organe der beruflichen Vorsorge zur Einsprache gegen die
Verfügung oder zur Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der IV-Stelle über
den Rentenanspruch als solchen oder den Invaliditätsgrad berechtigt; denn die
Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung ist für die Organe der
(obligatorischen) beruflichen Vorsorge prinzipiell bindend und daher geeignet,
die Leistungspflicht des BVG-Versicherers in grundsätzlicher, zeitlicher und
masslicher Hinsicht im Sinne von Art. 49 Abs. 4 ATSG (unmittelbar) zu berühren
(BGE 132 V 1 E. 3.3.1 S. 5). In den Urteilen I 349/05 vom 21. April 2006 und I
780/04 vom 3. Mai 2006 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht diese
Rechtsprechung bestätigt und erkannt, dass die Vorsorgeeinrichtung, für die der
Entscheid der IV-Stelle über den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
Bindungswirkung entfaltet, zur Beschwerde vor dem kantonalen Gericht und zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist.
An der Bejahung der Beschwerdelegitimation ist festzuhalten. Die Argumente der
Vorinstanz für die gegenteilige Lösung sind nicht stichhaltig. Dass die
Vorsorgeeinrichtung mit ihrer Beschwerde "ihrer Leistungspflicht indirekt
mittels Änderung der IV-Verfügung entrinnen" möchte, wie im angefochtenen
Entscheid ausgeführt wird, ist kein Grund, dieser die Aktivlegitimation
abzuerkennen. Vielmehr ist es der Zweck der in Art. 49 Abs. 4 ATSG statuierten
Beschwerdelegitimation, u.a. den Vorsorgeeinrichtungen die Möglichkeit
einzuräumen, sich gegen unrichtige Rentenverfügungen der Invalidenversicherung
zu wehren. Ebensowenig zu überzeugen vermag sodann die im vorinstanzlichen
Entscheid getroffene Unterscheidung zwischen einem allgemeinen Berührtsein und
einem koordinationsrechtlichen Berührtsein nach Art. 49 Abs. 4 ATSG, das dort
gegeben sein soll, wo ein Sozialversicherer Gefahr laufe, wegen seiner
koordinationsrechtlichen Möglichkeiten zur Leistungskürzung oder -verweigerung
oder auf Grund der Vorleistungspflicht vom Fehlentscheid eines anderen
Versicherungsträgers benachteiligt zu werden. Eine derartige Differenzierung
zwischen fehlender und gegebener Beschwerdelegitimation findet im Gesetz keine
Stütze.

3.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende Vorsorgeeinrichtung
hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation keinen
Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 66 Abs. 3 BGG; BGE 128 V 124 E. 5b S.
133, 126 V 143 E. 4a S. 150).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, wird
der angefochtene Entscheid vom 16. Dezember 2008 aufgehoben, und die Sache wird
an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen, damit es
über die Beschwerde materiell entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons St. Gallen
auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. April 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer