Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 461/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_461/2009 {T 0/2}

Urteil vom 31. Dezember 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Verfahrensbeteiligte
L.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse Promea, Ifangstrasse 8, 8952 Schlieren,
Beschwerdegegnerin,

P.________, vertreten durch Fürsprecher Marc Wollmann.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 20. April 2009.

Sachverhalt:

A.
Die Firma X.________ AG war der Ausgleichskasse Promea als beitragspflichtige
Arbeitgeberin angeschlossen. Am 30. April 2003 gewährte der Richter der
Gesellschaft eine provisorische Nachlassstundung für zwei Monate und setzte die
Treuhand Y.________ AG als provisorische Sachwalterin ein. Nachdem die
Sachwalterin am 23. Mai 2003 Bericht erstattet hatte, wurde die Gesellschaft
mit Beschluss der Generalversammlung vom ........ aufgelöst. Mit Verfügung vom
5. August 2003 wurde der Firma X.________ AG in Liquidation erneut eine
provisorische Nachlassstundung für zwei Monate gewährt. Als provisorische
Sachwalterin wurde diesmal die Z.________ AG eingesetzt, welche am 25. August
2003 Bericht erstattete. Am ........ wurde über die Gesellschaft der Konkurs
eröffnet. Die Ausgleichskasse gab am ........ im Konkurs eine Forderung von Fr.
104'459.45 ein.
Mit Verfügung vom 22. März 2004 verpflichtete die Ausgleichskasse die
Beschwerdeführer und ehemaligen Verwaltungsratsmitglieder der Firma X.________
AG, L.________ und S.________, ebenso wie P.________ als ehemaligen
Verwaltungsratspräsidenten und Liquidator der Gesellschaft zur Bezahlung von
Schadenersatz für in den Jahren 2003 bis 2004 entgangene bundes- und
kantonalrechtliche Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 50'696.30
(einschliesslich Verwaltungs- und Betreibungskosten, Mahngebühren und
Verzugszinsen). Während L.________ darauf mit Einsprache vom 23. März 2004
(recte: 23. April 2004; Eingang Ausgleichskasse 26. April 2004) reagierte,
erhob S.________ erst am 5. Juni 2004 Einsprache, nachdem er von der
Ausgleichskasse mit Schreiben vom 13. Mai 2004 zur Zahlung des verfügten
Betrages aufgefordert worden war.
Am 7. Juni 2004 erliess die Ausgleichskasse eine zweite Schadenersatzverfügung
an die gleichen Adressaten über Fr. 53'763.10, insgesamt Fr. 104'459.45.
Hiegegen erhoben L.________ und S.________ am 7. Juli 2004 Einsprache. Mit
Einspracheentscheid vom 15. Oktober 2004 hielt die Ausgleichskasse an ihrer
Schadenersatzforderung gegenüber L.________ fest. Mit Einspracheentscheid vom
6. Dezember 2004 hiess die Ausgleichskasse die Einsprache des S.________ vom 7.
Juli 2004 gegen die Verfügung vom 7. Juni 2004 teilweise gut und reduzierte den
geforderten Schadensbetrag auf Fr. 53'383.15. Sie stellte zudem fest, es gehe
nur um die Frage, ob er den Differenzbetrag von Fr. 53'383.15 schulde, weil er
die Forderung über Fr. 50'696.30 bereits anerkannt habe. Mit
Einspracheentscheid vom 15. Oktober und 6. Dezember 2004 hielt die
Ausgleichskasse an ihren Schadenersatzforderungen gegenüber L.________ und
S.________ fest.
L.________ und S.________ erhoben je Beschwerde am Verwaltungsgericht des
Kantons Bern. Mit Verfügung vom 22. Dezember 2004 wurde der Antrag der
Ausgleichskasse auf Vereinigung der beiden Beschwerdeverfahren mit demjenigen
in Sachen P.________ abgewiesen. Zudem wurde am 30. Mai 2006 das Verfahren bis
zum Abschluss eines von P.________ gegen L.________ eingeleiteten
Strafverfahrens sistiert und am 1. März 2007 die Sistierung wieder aufgehoben.
Nachdem das Gericht schliesslich bei der Ausgleichskasse eine Auskunft
betreffend eine im Kontokorrent-Auszug ersichtliche Ausgleichsbuchung eingeholt
hatte, vereinigte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23.
Januar 2008 die Verfahren in Sachen L.________ und S.________ und wies die
beiden Beschwerden ab. Die hiegegen erhobene Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hiess das Bundesgericht mit Urteil vom
30. September 2008 gut und wies die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern zurück, damit es P.________ zum Verfahren beilade.

B.
Nach Beiladung von P.________ zum Verfahren wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern die Beschwerden von L.________ und S.________ mit Entscheid vom
20. April 2009 erneut ab.

C.
L.________ führt Beschwerde und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Der als Mitinteressierte beigeladene P.________ lässt sich vernehmen, ohne
einen Antrag zu stellen.

D.
Mit Verfügung vom 26. Mai 2009 hat der Präsident der II. Sozialrechtlichen
Abteilung den Beschwerdeführer aufgefordert, innert 14 Tagen einen
Kostenvorschuss von Fr. 6'000.- zu bezahlen. Am 29. Juni 2009 wurde ihn dafür
eine Nachfrist gesetzt. Das innert der gesetzten Frist gestellte Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wies das Bundesgericht mit Entscheid
vom 26. Oktober 2009 mangels Bedürftigkeit ab, bewilligte hingegen mit
Verfügung vom 19. November 2009 auf Gesuch hin die Leistung des
Kostenvorschusses in acht Ratenzahlungen von je Fr. 750.-, verbunden mit der
Androhung, dass bei Nichtleistung oder nicht rechtzeitiger Leistung einer der
acht Raten innert der jeweils gesetzten Frist auf die Rechtsvorkehr nicht
eingetreten werde. Der Beschwerdeführer leistete in der Folge sämtliche Raten
fristgerecht.

Erwägungen:

1.
Die Zuständigkeit der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zum
Entscheid über die streitige Schadenersatzpflicht erstreckt sich auch auf die
Forderung für entgangene Sozialversicherungsbeiträge nach kantonalem Recht
(Urteil 9C_704/2007 vom 17. März 2008 E. 1, nicht publ. in: BGE 134 I 179, aber
in: SVR 2008 FL Nr. 1 S. 1, 9C_720/2008 vom 7. Dezember 2009, E. 1).

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell-
und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a
BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht
darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG).

3.
Streitig und zu prüfen ist die Schadenersatzpflicht des Beschwerdeführers. Die
Vorinstanz hat die Bestimmungen über die Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art.
14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) sowie die hiezu ergangene
Rechtsprechung, insbesondere über Eintritt des Schadens und Zeitpunkt der
Kenntnis des Schadens (BGE 129 V 193, 128 V 10, 119 V 89 E. 3 S. 92), die
subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 129 V 11, 126 V 237, 123
V 12 E. 5b S. 15, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 443
E. 3a S. 444, 123 V 12 E. 5b S. 15, je mit Hinweisen), die erforderliche
Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 193 E. 2a S. 195 mit Hinweisen), die
Voraussetzung des Verschuldens und den dabei zu berücksichtigenden -
differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 199 E. 3a S. 202, ZAK 1992 S.
248 E. 4b, je mit Hinweisen; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des
Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96, S. 1081) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

4.
Soweit der Beschwerdeführer vorab einwendet, der Kammerpräsident,
Verwaltungsrichter B.________, sei bereits als Kammerpräsident im
vorangegangenen Verfahren tätig gewesen und daher befangen und nicht objektiv,
kann ihm nicht gefolgt werden. Vorbefassung begründet nicht zwingend den
Anschein der Befangenheit. Befangenheit kann zwar dann vorliegen, wenn eine
Richterin oder ein Richter sich durch ihre oder seine Mitwirkung an früheren
Entscheiden zur gleichen Streitsache in einzelnen Punkten bereits in einer Art
festgelegt hat, die sie oder ihn nicht mehr als unvoreingenommen und das
Verfahren dementsprechend als nicht mehr offen erscheinen lässt, was anhand der
konkreten Gegebenheiten beurteilt werden muss. Von Bedeutung ist aber, unter
welchen tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umständen die richtende Person
sich im früheren Zeitpunkt mit der Sache befasste bzw. später zu befassen hat
oder welche Fragen jeweils zu entscheiden und inwiefern sie sich ähnlich sind
oder miteinander zusammenhängen. In Betracht zu ziehen sind ferner der Umfang
des Entscheidungsspielraums bei der Beurteilung der sich stellenden
Rechtsfragen und die Bedeutung der Entscheidungen auf den Fortgang des
Verfahrens (Urteil 8C_555/2007 vom 31. Juli 2008, E. 6.1.2). Als massgebendes
Kriterium für die Beurteilung dieser Frage im Einzelfall hielt das
Bundesgericht fest, es sei generell zu fordern, dass das Verfahren in Bezug auf
den konkreten Sachverhalt und die konkret zu entscheidenden Rechtsfragen trotz
der Vorbefassung als offen erscheine und nicht der Anschein der Vorbestimmtheit
erweckt werde (BGE 117 Ia 182 E. 3b S. 184 mit Hinweis, vgl. BGE 132 V 93 E.
7.2.2 S. 110; Urteil 9C_273/2009). Es ist somit danach zu fragen, ob das
Ergebnis nach wie vor als offen und nicht vorbestimmt erscheint. Kann die
Offenheit bejaht werden, ist die Besorgnis der Voreingenommenheit trotz
Vorbefassung unbegründet (Regina Kiener/Melanie Krüsi, Die Unabhängigkeit von
Gerichtssachverständigen, in: ZSR 2006 S. 506).
Vorliegend erschien die Streitsache im Rahmen der Rückweisung zur Einholung
einer Vernehmlassung beim Mitinteressierten, welche zudem geeignet war, neue
Gesichtspunkte einzubringen, nach wie vor offen, und zwar umso mehr, als die
neue Richterbank mehrheitlich neu besetzt wurde. Es sind überhaupt keine
konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich der Kammerpräsident bei der
früheren Beurteilung bereits in einer Art festgelegt hätte, dass er einer
anderen Bewertung der Sach- und Rechtslage nicht mehr zugänglich, eine
unvoreingenommene Prüfung nicht mehr möglich gewesen und der Verfahrensausgang
deswegen nicht mehr als offen erschienen wäre. Die vom Beschwerdeführer -
verständlicherweise - beanstandeten Versehen und Ungereimtheiten in der
Wiedergabe von Personen- und Firmennamen sind rein redaktioneller Natur und
haben mit der Meinungsbildung des kantonalen Gerichts nichts zu tun. Der
vorinstanzliche Entscheid ist mit Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
ohne weiteres vereinbar und damit insofern bundesrechtskonform. Die Berufung in
der Beschwerde auf kantonales Recht (Art. 9 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die
Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern [VRPG]; Bernische Systematische
Gesetzessammlung [BSG] 155.21) genügt den dafür erforderlichen qualifizierten
Begründungspflichten (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht. Davon abgesehen löst die
Aufhebung des Entscheids durch eine obere Instanz und Rückweisung zu neuem
Entscheid keine Ausstandspflicht aus (Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum
Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern
[VRPG], Bern 1997, N 11 zu Art. 9 VRPG). Ins Leere treffen die Beanstandungen
des Beschwerdeführers bezüglich der Sprache, nachdem das kantonale Gericht die
in Französisch verfasste Eingabe des Beigeladenen P.________ vom 25. November
2008 in seinem Entscheid (S. 6) auf Deutsch im Wesentlichen wiedergegeben hat.

5.
5.1 Wie das kantonale Gericht verbindlich (E. 2) festgestellt hat, mussten die
der konkursiten Gesellschaft in Rechnung gestellten Beiträge bereits seit
Frühjahr 2002 gemahnt und betrieben werden, wobei schliesslich Fr. 104'459.45
ungedeckt blieben. Die Konkursitin ist damit den ihr als Arbeitgeberin
obliegenden Beitragsabrechnungs- und -zahlungspflichten gemäss Art. 14 Abs. 1
AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV nur unvollständig nachgekommen und hat
damit Vorschriften im Sinne von Art. 52 Abs. 2 AHVG missachtet (vgl. statt
vieler: BGE 118 V 187 E. 1 am Ende), was grundsätzlich die volle
Schadenersatzpflicht gemäss Art. 52 AHVG nach sich zieht.
Der durch zwei Schadenersatzverfügungen (vom 22. März und 7. Juni 2004) geltend
gemachte Haftungsanspruch ist offensichtlich nicht verjährt, wie die Vorinstanz
in E. 4.1 des angefochtenen Entscheides dargelegt hat.

5.2 Streitig und zu prüfen bleibt, ob diese zum Beitragsverlust führende
Pflichtverletzung des Arbeitgebers dem Beschwerdeführer - seines Zeichens
Verwaltungsratsmitglied und damit formelles Organ einer Aktiengesellschaft als
juristischer Person (Art. 626 Ziff. 6 in Verbindung mit Art. 707 ff. OR),
welches grundsätzlich als Schadenersatzpflichtiger in Frage kommt - als
grobfahrlässiges Verhalten anzurechnen ist.
Dabei ist mit der Vorinstanz zu wiederholen, dass der Beschwerdeführer im
Handelsregister als Mitglied des Verwaltungsrats der konkursiten Gesellschaft
eingetragen war. Soweit er moniert, es werde behauptet, er sei Verwaltungsrat
der K.________ gewesen, was absolut nicht den Tatsachen entspreche und im
Handelregister so auch nie publiziert worden sei, so bezieht sich dies
offensichtlich auf die von der Vorinstanz verwendete Abkürzung Firma K.________
für Firma X.________ AG, woraus der Beschwerdeführer, wie schon im Zusammenhang
mit der Ausstandsrüge gesagt (E. 4 in fine), nichts zu seinen Gunsten ableiten
kann, da offensichtlich ist, dass die Vorinstanz von der Firma X.________ AG
ausgeht.
Sodann sind die grundsätzlichen Einwände gegen eine Haftung von
Arbeitgeberorganen gestützt auf Art. 52 AHVG nicht stichhaltig, ist doch eine
solche Organhaftung nach ständiger Rechtsprechung anerkannt (vgl. statt vieler
Urteil H 112/03 vom 2. November 2004).

5.3 Ob ein Organ schuldhaft gehandelt hat, hängt entscheidend von der
Verantwortung und den Kompetenzen ab, die ihm von der juristischen Person
übertragen wurden. Bei nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern von
Aktiengesellschaften ist entscheidend, ob sie den ihnen obliegenden Kontroll-
und Aufsichtspflichten nachgekommen sind. Nach Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR
obliegt dem Verwaltungsrat die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung
betrauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze,
Statuten, Reglemente und Weisungen. Gemäss dieser Bestimmung hat das
Verwaltungsratsmitglied nicht nur die Pflicht, an den Verwaltungsratssitzungen
teilzunehmen, sondern sich periodisch über den Geschäftsgang zu informieren und
bei Unregelmässigkeiten in der Geschäftsführung einzuschreiten (vgl. Forstmoser
/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, § 30, N. 49). Die Bestimmung
entspricht weitgehend dem bis Ende Juni 1992 gültig gewesenen Art. 722 Abs. 2
Ziff. 3 OR, wonach die Verwaltung einer Aktiengesellschaft die mit der
Geschäftsführung beauftragten Personen zu überwachen und sich regelmässig über
den Geschäftsgang unterrichten zu lassen hatte. Wie das Eidgenössische
Versicherungsgericht hiezu festgestellt hat, setzt die Sorgfaltspflicht voraus,
dass der Verwaltungsrat die ihm unterbreiteten Berichte kritisch liest,
nötigenfalls ergänzende Auskünfte verlangt und bei Irrtümern oder
Unregelmässigkeiten einschreitet. Dabei wird es aber einem
Verwaltungsratspräsidenten einer Grossfirma nicht als grobfahrlässiges
Verschulden angerechnet werden können, wenn er nicht jedes einzelne Geschäft,
sondern nur die Tätigkeit der Geschäftsleitung und den Geschäftsgang im
Allgemeinen überprüft und daher beispielsweise nicht beachtet, dass in
Einzelfällen die Abrechnung der Lohnbeiträge nicht erfolgt ist. Das Gegenstück
wäre der Präsident des Verwaltungsrates einer Firma, der faktisch das einzige
ausführende Organ der Firma ist, oder aber der Verwaltungsratspräsident einer
Firma, dem bekannt ist oder doch nach den jeweiligen Umständen bekannt sein
sollte, dass die Abrechnungspflicht möglicherweise mangelhaft erfüllt wird (BGE
114 V 219 E. 4a S. 223; 108 V 199 E. 3a S. 202; ZAK 1985 S. 620 E. 3b, Urteil H
182/06 vom 29. Januar 2008, je mit Hinweisen). Zwar können einzelne
Geschäftsführungsfunktionen delegiert werden. Zur Wahrung der geforderten
Sorgfalt gehört jedoch neben der richtigen Auswahl des geeigneten
Mandatsträgers auch dessen Instruktion und Überwachung. So kann sich der
Geschäftsführer allein durch Delegation der Aufgaben nicht seiner Verantwortung
entledigen. Dies gilt für einen Vereinspräsidenten (AHI 2002 S. 51, H 200/01)
ebenso wie für einen Verwaltungsrat (BGE 123 V 15 E. 5b), einen
geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH (AHI 2000 S. 220) oder einen
Stiftungsrat (Urteil H 14/00 vom 30. Juli 2001).

5.4 Das kantonale Gericht hat das Verhalten des Beschwerdeführers als
grobfahrlässig beurteilt und den Kausalzusammenhang mit dem eingetretenen
Schaden bejaht. Die Nachlassstundung und die Einsetzung eines Sachwalters
ändere nichts an der Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers, dem als
Verwaltungsrat die Oberaufsicht über die Geschäftsführung obliege. Er könne
sich weder mit der Tatsache der Delegation der Geschäftsführung noch den
geltend gemachten Hinweisen auf die Ausstände oder das schwierige
wirtschaftliche Umfeld exkulpieren. Insbesondere könne sich der
Beschwerdeführer damit, dass er auf entsprechende Nachfrage schon lange auf die
- ihm spätestens seit Mai 2002 bekannten - Ausstände hingewiesen und den
Verwaltungsratspräsidenten zum Handeln gedrängt habe, nicht entlasten. Vielmehr
hätte er - nachdem weiterhin keine Massnahmen zwecks Behebung der Ausstände
ergriffen wurden - selber zweckdienliche Handlungen veranlassen oder aber als
Verwaltungsrat demissionieren müssen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache,
dass Probleme in der Buchhaltung bestanden. Ob die fraglichen Aktennotizen
gefälscht seien, könne offen bleiben, da die Kenntnis der vorhandenen Probleme
mit der Ausgleichskasse nicht bestritten und schon als vorher bekannt erstellt
sei. Dass der Beschwerdeführer trotz dieser Kenntnis keine geeigneten
Massnahmen getroffen habe, sei ihm als Verschulden anzurechnen.

5.5 Der Beschwerdeführer wendet dagegen zunächst in zeitlicher Hinsicht ein, er
sei bereits per 18. Juni 2003 aus dem Verwaltungsrat ausgetreten. Zudem sei der
Beitragsausstand ohnehin nur von kurzer Dauer.
Die Vorinstanz hat verbindlich festgestellt, dass die Schadenersatzforderung
nur Beiträge bis und mit Mai 2003 umfasst, welche bis 10. Juni 2003 und damit
noch vor der vom Beschwerdeführer behaupteten Demission fällig geworden sind,
weshalb der Beschwerdeführer grundsätzlich für die gesamte
Schadenersatzforderung einzustehen hat. Was sodann den Einwand der kurzen Dauer
des Beitragsausstandes betrifft, kann der Beschwerdeführer auch daraus nichts
zu seinen Gunsten ableiten. Die Frage der Dauer des Normverstosses ist
lediglich ein Beurteilungskriterium, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung
sämtlicher konkreter Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen ist (BGE 121
V 243 E. 4b S. 244; 108 V 186 f. E. 1b; 108 V 200 f. E. 1). Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers liegt in Tat und Wahrheit gar kein kurzer
Beitragsausstand vor, bezieht sich doch die Schadenersatzforderung - wie die
Vorinstanz verbindlich (E. 2) festgestellt hat - auf Beitragsausstände von
April 2002 bis Mai 2003 in der Höhe von Fr. 104'459.45. Daran ändert nichts,
dass nach Angaben des Beschwerdeführers die Ausstände im Juni 2002 Fr.
64'367.85 betrugen und mit eingeleiteten Massnahmen im Februar 2003 auf Fr.
27'726.25 reduziert werden konnten, bestand doch damit gleichwohl während mehr
als einem Jahr ein dauernder Schuldsaldo gegenüber der Ausgleichskasse. Es kann
deshalb nicht davon gesprochen werden, dass die Gesellschaft nur während einer
kurzen Dauer oder eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses die Beiträge nicht
bezahlt hätte (BGE 124 V 253, 121 V 243).

5.6 Der Beschwerdeführer bringt erneut vor, im Zusammenhang mit dem Verkauf des
Lagers an die K.________ AG sei gemäss Protokoll vom 18. März (recte: Juni)
2003 vereinbart worden, dass die AHV-Beiträge umgehend bezahlt werden sollten;
mit dem Erlös aus der Liquidation des Lagers seien dann aber seitens des als
Liquidator eingesetzten P._________ im Zusammenhang mit einem Retentionsrecht
wegen ausstehenden Mietzinsen andere Zahlungen getätigt worden. Wie die
Vorinstanz hingegen in jedenfalls nicht offensichtlich unrichtiger Weise (E. 2)
festgehalten hat, geht aus dem vom Beschwerdeführer zitierten handschriftlichen
Protokoll vom 18. Juni 2003 keineswegs hervor, dass die sofortige Zahlung der
AHV-Beiträge vereinbart worden wäre. Vielmehr wird im Protokoll wörtlich
festgehalten: "AHV kontaktieren und das Gespräch suchen, da diese Institution
(sich) sehr ag(g)ressiv verhält", was eher auf eine beabsichtigte Stundung der
Beiträge oder einen Abzahlungsvertrag hindeutet als auf eine sofortige
Begleichung des Schuldsaldos. Zudem wird unter Punkt 11 des Protokolls zwar
festgehalten "AHV sofort zahlen"; das Wort AHV überschreibt jedoch ein anderes,
nicht mehr entzifferbares Wort, so dass nicht auszuschliessen ist, dass "AHV"
erst nachträglich eingefügt wurde, zumal die Firma auch bei anderen
öffentlich-rechtlichen Gläubigern in dringendem Verzuge stand (vgl. Schreiben
des P.________ vom 2. August 2003).

Wenn die Vorinstanz unter diesem Umständen offen gelassen hat, ob den vom
Beschwerdeführer unterzeichneten Aktennotizen betreffend AHV-Zahlungen
überhaupt ein Beweiswert zukommt, und geschlossen hat, der Beschwerdeführer
könne sich damit nicht exkulpieren, da er selbst zweckdienliche Massnahmen
hätte ergreifen müssen, ist dies weder bundesrechtswidrig noch sind die zu
Grunde liegenden Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig (E. 2).
Daran ändert nichts, dass die Gesellschaft in Liquidation im Zeitpunkt des
Lagerliquidation mit einem Kontokorrent-Saldo von rund Fr. 300'000.- noch über
genügend Geld verfügt haben soll, um die Verbindlichkeiten gegenüber der
Ausgleichskasse zu befriedigen, wie der Beschwerdeführer vorbringt, war doch
die Ausgleichskasse nicht die einzige Gläubigerin der Gesellschaft. Wie die
Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, beliefen sich allein die Forderungen
der Pensionskasse Ende 2002 auf 1,35 Mio. Franken. Massgebend ist vielmehr,
dass der Beschwerdeführer nicht schon vorher als amtierender Verwaltungsrat
seinen Pflichten (vgl. E. 5.3) nachgekommen ist und für die Begleichung der
Beitragsausstände ab April 2002 gesorgt hat, die ihm ebenso bekannt wurden wie
die schlechte finanzielle Situation der Gesellschaft schon seit Juni 2002.
Daher ändert die finale Einsetzung des Sachwalters nichts, zumal der Richter
bei der Gewährung der Nachlassstundung der Gesellschaft keine über die
gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Einschränkungen ihrer Befugnisse
auferlegt hat, welche die Begleichung der ausstehenden
Sozialversicherungsbeiträge beschränkt hätten. Auch die Weisungen der
Sachwalterin vom 1. Mai 2003 (Treuhand Y.________ AG) entlasten die
unterzeichneten, für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen sowie die
Verwaltungsräte, darunter den Beschwerdeführer, nicht von ihrer
öffentlich-rechtlichen Organpflicht, auf die Zahlung der AHV-Beiträge
hinzuwirken.

6.
Entsprechend dem Verfahrensausgang werden die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, P.________, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 31. Dezember 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Helfenstein Franke