Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 428/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_428/2009

Urteil vom 13. Oktober 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Braun,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Einkommensvergleich),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 24. März 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene A.________ ist seit 1988 als selbstständigerwerbender Gipser
tätig. Im Dezember 2006 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens
verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 15. Oktober
2007 bei einem Invaliditätsgrad von 31 % einen Rentenanspruch.

B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des A.________ sprach ihm das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 24. März 2009 für
die Zeit vom 1. Mai bis 31. August 2007 eine Dreiviertelsrente der
Invalidenversicherung zu.

C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom
15. Oktober 2007 sei ihm ab 1. Mai 2007 eine Dreiviertelsrente und ab 1.
September 2007 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das kantonale
Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme
verzichten.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Auf der nichtmedizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der
Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen
und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f., 128 V 29 E. 1 S. 30 f.,
104 V 135 E. 2a und b S. 136 f.), einschliesslich derjenigen über die Anwendung
der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung/ LSE (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475
f., 126 V 75 E. 3b/bb S. 76 f., 124 V 321 E. 3b/aa S. 322 f.). In dieser Sicht
stellt sich die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen als
Tatfrage dar, soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen als
Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung
richtet (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).

2.
In medizinischer Hinsicht hat die Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig und
daher für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, es sei kein Grund
ersichtlich, das Ergebnis der ärztlichen Einschätzungen (Berichte der Klinik
V.________ vom 12. Dezember 2006, der Frau Dr. med. B.________ vom 22. Dezember
2006 sowie des kantonalen Spitals W.________ vom 30. Januar 2007) für
unzuverlässig zu halten. Danach ist dem Beschwerdeführer seit Mai 2006 aufgrund
seiner Rücken-, Knie- und Schulterbeschwerden die bisherige Tätigkeit als
Gipser zu 50 %, eine leidensangepasste Tätigkeit hingegen ohne Einschränkung
zumutbar. Eine intermittierende volle Arbeitsunfähigkeit hat das kantonale
Gericht nur für den Zeitraum von April bis Juni 2007 aufgrund einer
Knieoperation angenommen.

Streitig und zu prüfen ist der aus der gesundheitlichen Beeinträchtigung
resultierende Rentenanspruch ab 1. September 2007, dabei namentlich der der
Invaliditätsgradbemessung zugrunde liegende Einkommensvergleich.

3.
3.1 Nach Art. 28 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung)
besteht bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine
(Teil-)Rente der Invalidenversicherung. Für die Bestimmung des
Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach
Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und
allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei
ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum
Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre
(Art. 16 ATSG).

Beim Einkommensvergleich werden in der Regel die beiden hypothetischen
Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander
gegenübergestellt, worauf sich aus der Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad
bestimmen lässt. Insoweit die fraglichen Erwerbseinkommen ziffernmässig nicht
genau ermittelt werden können, sind sie nach Massgabe der im Einzelfall
bekannten Umstände zu schätzen und die so gewonnenen Annäherungswerte
miteinander zu vergleichen. Dabei kann auch eine Gegenüberstellung blosser
Prozentzahlen genügen (BGE 114 V 310 E. 3a S. 313; 104 V 135 E. 2b S. 136 f.).
3.2
3.2.1 Für die Ermittlung des Valideneinkommens ist entscheidend, was die
versicherte Person im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns (vgl. BGE
129 V 222 E. 4.3.1 S. 224) auf Grund ihrer beruflichen Fähigkeiten und
persönlichen Umstände nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
als Gesunde tatsächlich verdient hätte. Die Einkommensermittlung hat so konkret
wie möglich zu erfolgen. Da nach empirischer Feststellung in der Regel die
bisherige Tätigkeit im Gesundheitsfall weitergeführt worden wäre, ist
Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Valideneinkommens grundsätzlich der
letzte vor Eintritt der Gesundheitsschädigung erzielte, nötigenfalls der
Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepasste Verdienst (BGE 134 V
322 E. 4.1 S. 325, 129 V 222 E. 4.3.1 S. 224 mit Hinweisen). Angesichts der in
Art. 25 Abs. 1 IVV (SR 831.201) vorgeschriebenen Parallelisierung der
IV-rechtlich massgebenden hypothetischen Vergleichseinkommen mit den
AHV-rechtlich beitragspflichtigen Einkommen kann das Valideneinkommen von
Selbstständigerwerbenden grundsätzlich auf Grund der Einträge im individuellen
Konto (IK) bestimmt werden (Urteile I 84/06 vom 10. Mai 2006 E. 4.1 und I 297/
02 vom 28. April 2003 E. 3.2.4). Weist das bis Eintritt der Invalidität
erzielte Einkommen starke und verhältnismässig kurzfristig in Erscheinung
getretene Schwankungen auf, ist dabei auf den während einer längeren Zeitspanne
erzielten Durchschnittsverdienst abzustellen (SVR 2009 IV Nr. 28 S. 79, 8C_576/
2008 E. 6.2 mit weiteren Hinweisen).

3.2.2 Die vorinstanzliche Festsetzung des Valideneinkommens auf Fr. 120'000.-
ist weder offensichtlich unrichtig, noch verletzt sie Bundesrecht (E. 1). Sie
ist das Ergebnis einer Schätzung, wobei das kantonale Gericht auch unter
Berücksichtigung einer allfälligen Mitarbeit der Ehefrau (vgl. Urteil 9C_290/
2009 vom 25. September 2005 E. 3.2.1 mit Hinweisen) das ihm zustehende Ermessen
nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399) ausgeübt hat, zumal
der Durchschnitt der 1995 bis 2004 laut IK-Auszug erzielten Einkommen, unter
Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung von 2000 bis 2007, bei Fr.
122'764.- liegt.
3.3
3.3.1 Lässt sich bei weiterhin im Betrieb tätigen Selbstständigerwerbenden
keine erhebliche invaliditätsbedingte Verminderung des Betriebseinkommens
feststellen, wird in der Praxis bei der Festsetzung des Invalideneinkommens ein
für die Erfüllung bestimmter Aufgaben notwendiger erhöhter Personalaufwand
berücksichtigt (vgl. Rz. 3078 des ab 1. Januar 2004 geltenden Kreisschreibens
über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung des Bundesamtes
für Sozialversicherungen). Ist eine zuverlässige Ermittlung oder Schätzung des
hypothetischen Invalideneinkommens nicht möglich - was insbesondere bei
Selbstständigerwerbenden zutreffen kann - ist in Anwendung der
ausserordentlichen Bemessungsmethode ein Betätigungsvergleich vorzunehmen und
der Invaliditätsgrad nach Massgabe der erwerblichen Auswirkung der verminderten
Leistungsfähigkeit in der konkreten Situation zu ermitteln (BGE 128 V 29 E. 1
S. 30 f.; 104 V 135 E. 2c S. 137 f.). Im Rahmen der Schadenminderungspflicht
(vgl. Urteil 9C_832/2007 vom 8. September 2008 E. 4.3.2, mit Hinweisen) kann
die Aufgabe der beruflichen Selbstständigkeit und damit die Anrechnung eines in
einer zumutbaren Tätigkeit erzielbaren Einkommens geboten sein (vgl. Urteil
9C_290/2009 vom 25. September 2009 E. 3.3).
3.3.2 In einer "ersten Annäherung" hat die Vorinstanz festgehalten, erwerblich
gesehen sei zu erwarten, dass der Versicherte noch ein Einkommen in der Höhe
des halben Valideneinkommens zu erzielen vermöge. Sie ist jedoch der
Auffassung, der Beizug eines Mitarbeiters sei ihm zumutbar. Die Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit könne daher umsatzmässig durch den Einsatz der halben
Kapazität eines Angestellten kompensiert werden, wobei das Einkommen um die
entsprechenden Lohnkosten von schätzungsweise Fr. 30'000.- geschmälert würde.
Übte ein vollzeitlich mitarbeitender Hilfsarbeiter die schweren, der
Versicherte hingegen die leichten Arbeiten je in einem vollen Pensum aus,
könnte bei Kosten von Fr. 60'000.- eine Wertschöpfung von insgesamt Fr.
180'000.- generiert werden, wodurch gar das bisherige Einkommen von Fr.
120'000.- erreicht würde. Somit sei ausreichend wahrscheinlich, dass der
Beschwerdeführer in seinem Betrieb ein rentenausschliessendes Einkommen
erwirtschaften könne.
3.3.3 Mit diesem Vorgehen hat die Vorinstanz das Invalideneinkommen (implizite)
auf Fr. 90'000.- resp. 120'000.- festgesetzt. Es steht jedoch fest und ist
unbestritten, dass der Beschwerdeführer zwar früher Mitarbeiter hatte, nun aber
seit mehreren Jahren einen Einmannbetrieb führt. Ein tatsächlicher erhöhter
Personalaufwand, welcher für die Schätzung des Invalideneinkommens herangezogen
werden könnte, liegt somit nicht vor. Den Beizug eines Mitarbeiters erachtete
der Versicherte zwar nicht per se als unzumutbar, die erwerblichen Auswirkungen
beurteilte er indessen abweichend vom kantonalen Gericht. Dieses hat in Bezug
auf die Möglichkeiten der Arbeitsorganisation sowie der Umsatzsteigerung die
konkreten Gegebenheiten ausser Acht gelassen und hinsichtlich der
hypothetischen Mitarbeiterkosten ausschliesslich den statistischen
Durchschnittslohn, indessen weder Lohnnebenkosten noch weiteren Personalaufwand
berücksichtigt. Unter diesen Umständen kann die Schätzung des
Invalideneinkommens nicht als zuverlässig gelten, was denn auch in der grossen
Spannweite des Ergebnisses zum Ausdruck kommt.

Angesichts der bisherigen Einkommensschwankungen kann auch nicht auf das nach
Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich erzielte Einkommen
abgestellt werden, weshalb die Invalidität im ausserordentlichen
Bemessungsverfahren zu bestimmen ist. Diesbezüglich bildet nach der
zutreffenden Feststellung der Vorinstanz der Abklärungsbericht
Selbstständigerwerbende vom 8. Juni 2007 keine genügende Grundlage. Die
Verwaltung wird entsprechende Abklärungen zu treffen haben, wobei die
Auswirkungen der Beschäftigung eines Mitarbeiters zu berücksichtigen sind. Je
nach Ergebnis wird schliesslich die Zumutbarkeit der Betriebsaufgabe und die
Festsetzung des Invalidenlohnes unter Anwendung statistischer Lohntabellen zu
prüfen sein.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 24. März 2009, soweit er nicht
die Rente für die Zeit vom 1. Mai bis 31. August 2007 betrifft, und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 15. Oktober 2007 aufgehoben
werden. Die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch ab 1.
September 2007 neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. Oktober 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann