Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 417/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_417/2009

Urteil vom 13. Juli 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Parteien
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

T.________ GmbH,
Beschwerdegegnerin,

W.________,
GastroSocial Pensionskasse, Bahnhofstrasse 86, 5001 Aarau.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 10. März 2009.

Sachverhalt:

A.
W.________, geboren 1969, war vom 1. Januar 2003 bis 30. November 2004 bei der
T.________ GmbH als Küchenchef angestellt und vom 1. Januar bis 31. Dezember
2003 bei der GastroSocial, Aarau, berufsvorsorgeversichert. Mit Schreiben vom
23. Oktober 2006 und 12. März 2007 ersuchte W.________ die T.________ GmbH,
bzw. deren Geschäftsführer M.________, erfolglos um Zusendung der ausstehenden
Lohnabrechnungen für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 30. November 2004. Im
Rahmen eines in der Folge von W.________ angehobenen Arbeitsgerichtsverfahrens
schlossen die Parteien einen Vergleich, in welchem sich die T.________ GmbH
insbesondere zur Aushändigung der Lohnabrechnungen verpflichtete und
anerkannte, dass für Unterkunft (inklusive Strom und Wasser) sowie Verpflegung
gemäss Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag "Fr. 1'100.- netto als
Naturallohnbestandteil anzurechnen sind" (Abschreibungsverfügung des
Arbeitsgerichts Aarau vom 7. Dezember 2007).

B.
Am 10. Dezember 2007 erhob W.________ Klage beim Versicherungsgericht des
Kantons Aargau gegen die T.________ GmbH und beantragte die Nachzahlung der
ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge (AHV und BVG) für die Jahre 2003 und
2004. Das kantonale Versicherungsgericht verfügte am 21. Februar 2008, die
T.________ GmbH habe bis spätestens 4. März 2008 die Lohnabrechnungen der Jahre
2003 und 2004 betreffend das Arbeitsverhältnis mit W.________ einzureichen.
Weiter holte sie bei der Pensionskasse GastroSocial "sämtliche für die
Ermittlung der Beitragspflicht in den Jahren 2003 und 2004 erforderlichen
Unterlagen" ein (Instruktionsverfügung und Begleitschreiben vom 27. März 2008),
worauf die GastroSocial mitteilte, die T.________ GmbH sei nur bis Ende 2003
bei ihr angeschlossen gewesen (Antwort der GastroSocial vom 4. April 2008).
W.________ reichte eine von ihm erstellte Lohnzusammenstellung zu den Akten
(Schreiben vom 4. Mai 2008). Das Versicherungsgericht lud die GastroSocial zum
Verfahren bei (Verfügung vom 22. September 2008). Mit Entscheid vom 10. März
2009 trat es auf die Klage betreffend Nachzahlung von AHV-Beiträgen nicht ein,
verpflichtete in teilweiser Gutheissung der Klage die T.________ GmbH, der
GastroSocial BVG-Beiträge zugunsten des W.________ für das Jahr 2003 in Höhe
von Fr. 2'324 zuzüglich Verzugszinsen zu bezahlen und wies im Übrigen die Klage
ab.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides, soweit er die Beitragszahlung für das Jahr 2004
betreffe, und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur weiteren
Abklärung.
W.________ schliesst sich sinngemäss der Beschwerde an. Das kantonale Gericht
beantragt deren Abweisung. Die T.________ GmbH hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG;
Ausnahme: Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG [Art. 105 Abs. 3 BGG]). Zu den
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 lit. a BGG gehören namentlich auch die
unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen
(Urteile 9C_40/2007 vom 31. Juli 2007 E. 1 und 9C_360/2007 vom 30. August 2007
E. 3; Ulrich Meyer, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N
25, 36 und 58-61 zu Art. 105 BGG; Hansjörg Seiler, in: Bundesgerichtsgesetz
[BGG], Bern 2007, N 24 zu Art. 97 BGG).

2.
Der Arbeitnehmer ist aktivlegitimiert, um vom Arbeitgeber zu verlangen, dass er
der Vorsorgeeinrichtung die Beiträge gemäss Art. 66 Abs. 2 BVG bezahlt. Geht es
nicht um Leistungen der Vorsorgeeinrichtung, sondern um die Entrichtung der
Beiträge, ist einzig der Arbeitgeber passivlegitimiert, nicht jedoch die
Vorsorgeeinrichtung (BGE 135 V 23 E. 3.2 S. 26 f., 129 V 320 E. 3.1; Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts B 45+46/04 vom 9. November 2004). Die
Vorsorgeeinrichtung wäre zwar selber aktivlegitimiert, um vom Arbeitgeber die
Beiträge einzufordern, ist an sich aber nicht am Prozess beteiligt, wenn der
Arbeitnehmer klagt. Es ist indes zweckmässig, sie beizuladen, wie dies die
Vorinstanz in Bezug auf die bis Ende 2003 zuständig gewesene GastroSocial auch
getan hat.

3.
3.1 Die Vorinstanz erwog, die Beklagte habe sich nicht vernehmen lassen,
weshalb der Sachdarstellung des Versicherten zu folgen und davon auszugehen
sei, dass auf dem Naturallohn in Höhe von Fr. 1'100.- monatlich sowie auf dem
13. Monatslohn von Fr. 3'400.-, also auf dem Betrag von insgesamt Fr. 16'600.-,
keine Beiträge an die berufliche Vorsorge bezahlt worden seien. Die Beklagte
sei daher zu verpflichten, der Pensionskasse GastroSocial für das Jahr 2003 die
ausstehenden Beiträge in Höhe von Fr. 2'324.- zu überweisen. Was die Beiträge
für die Monate Januar bis November 2004 betreffe, habe der Versicherte nicht
bewiesen, dass er auch während dieser Zeit bei der GastroSocial oder einer
anderen Vorsorgeeinrichtung berufsvorsorgeversichert gewesen sei. Aus diesem
Grund könne ihm für das Jahr 2004 keine Beitragsnachzahlung zu Lasten der
Beklagten zugesprochen werden.

3.2 Das BSV rügt, die Vorinstanz verletze den Untersuchungsgrundsatz (Art. 73
Abs. 2 BVG), soweit sie erwäge, dem Versicherten könne für das Jahr 2004 keine
Beitragsnachzahlung zu Lasten der Beklagten zugesprochen werden, weil er die
hiefür zuständige Vorsorgeeinrichtung nicht nachgewiesen habe. Die
obligatorische berufliche Vorsorge gelte gerade auch für Arbeitnehmer, deren
Arbeitgeber sich keiner Vorsorgeeinrichtung angeschlossen bzw. ihre
Arbeitnehmer bei der zuständigen Vorsorgeeinrichtung nicht gemeldet hätten.
Dass der Versicherte in seinem Rechtsbegehren auf Bezahlung von Beiträgen an
die berufliche Vorsorge (für das Jahr 2004) die zuständige Vorsorgeeinrichtung
nicht habe nennen können, dürfe sich nicht zu seinen Ungunsten auswirken. Zum
einen komme sein Anliegen auch ohne Bezeichnung der zuständigen Einrichtung
klar zum Ausdruck, zum anderen gelte für das berufsvorsorgerechtliche Verfahren
der Untersuchungsgrundsatz, so dass sich die fehlende Bekanntgabe der
zuständigen Vorsorgeeinrichtung auch nicht über das Beweisrecht zu seinem
Nachteil auswirken könne.

4.
4.1 Ein Leistungsurteil muss vollstreckbar sein, was voraussetzt, dass das
Urteil denjenigen bezeichnet, der zu bezahlen hat, sowie denjenigen, an den die
Zahlung geht. Klagt der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber auf Leistung von
Pensionskassenbeiträgen, so lautet das Urteil darauf, dass der Arbeitgeber
verurteilt wird, der zuständigen Vorsorgeeinrichtung den betreffenden Betrag zu
bezahlen (vgl. BGE 135 V 23). Das setzt voraus, dass die Vorsorgeeinrichtung
bekannt ist, was in den bisher vom Bundesgericht zu beurteilenden Fällen zutraf
(zum Beispiel BGE 129 V 320; Urteile 9C_139/2008 vom 27. Oktober 2008 und B 105
/05 vom 21. April 2006).

4.2 Im Unterschied dazu ist vorliegend nicht bekannt, bei welcher
Vorsorgeeinrichtung die Beschwerdegegnerin ihre Arbeitnehmer ab 1. Januar 2004
versichert hat. Möglich ist, dass sie es in Verletzung ihrer
Versicherungspflicht (Art. 11 Abs. 1 BVG) unterlassen hat, sich einer neuen
Vorsorgeeinrichtung anzuschliessen (zumal im Jahre 2004 offenbar auch keine
AHV-Beiträge abgerechnet wurden). In einem solchen Falle müsste nach den
zutreffenden Vorbringen in der Beschwerde die kantonale Aufsichtsbehörde den
Arbeitgeber auffordern, sich (rückwirkend; Art. 11 Abs. 3 BVG) einer anderen
Vorsorgeeinrichtung anzuschliessen; im Unterlassungsfall würde ein
Zwangsanschluss an die Auffangeinrichtung erfolgen (Art. 11 Abs. 5 und 6 BVG in
der bis Ende 2004 gültig gewesenen Fassung). Solange die Beschwerdegegnerin
sich nicht einer neuen Vorsorgeeinrichtung (allenfalls der Auffangeinrichtung)
angeschlossen hat, kann indes kein Leistungsurteil ergehen, das sie
verpflichtet, einer bestimmten Vorsorgeeinrichtung die Beiträge zu bezahlen. Da
das anwendbare Vorsorgereglement nicht bekannt ist, wäre auch die Berechnung
der geschuldeten Beiträge nicht möglich. Das vom Versicherten grundsätzlich mit
Recht gestellte Begehren kann demzufolge nicht erfüllt werden, solange die neue
Vorsorgeeinrichtung nicht bekannt ist.

5.
Nach der vom Versicherten nachgewiesenen arbeitsvertraglichen Lohnhöhe war er
obligatorisch bvg-versichert. Das genügt, damit der Arbeitgeber verpflichtet
ist, sich einer Vorsorgeeinrichtung anzuschliessen und Beiträge zu bezahlen
(Art. 11 Abs. 1 BVG). Zwar ist nicht bekannt, ob (für das Jahr 2004) ein
Anschluss erfolgt ist und wenn ja, bei welcher Vorsorgeeinrichtung. Das
beschwerdeführende Bundesamt macht indes mit Recht geltend, dass die Vorinstanz
gemäss Art. 73 Abs. 2 BVG verpflichtet gewesen wäre, bei der Aufsichtsbehörde
nachzufragen, welches die zuständige Vorsorgeeinrichtung sei. Eine solche
Nachfrage ist mit geringem Aufwand verbunden, weshalb von einer "Überdehnung"
der Untersuchungsmaxime entgegen den Vorbringen des kantonalen Gerichtes in
seiner Vernehmlassung keine Rede sein kann. Zutreffend weist das
beschwerdeführende Bundesamt darauf hin, dass der fehlende Beweis des
Versicherten, er sei auch nach dem 31. Dezember 2003 bei einer anderen
Vorsorgeeinrichtung versichert gewesen, nicht zur Ausserkraftsetzung der
gesetzlichen Regelung zum Anschluss von Amtes wegen an die Auffangeinrichtung
(Art. 11 Abs. 5 BVG in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Form) führen
darf.

6.
Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie bei der
Aufsichtsbehörde eine entsprechende Nachfrage tätigt. Ist eine zuständige
Vorsorgeeinrichtung festzustellen, kann der Arbeitgeber entsprechend dem vom
Versicherten gestellten Rechtsbegehren verurteilt werden, dieser die Beiträge
zu bezahlen. Wenn - wie die Vorinstanz vermutet - der Arbeitgeber im Jahre 2004
tatsächlich keiner Vorsorgeeinrichtung angeschlossen war, wäre eine Meldung an
die Auffangeinrichtung zu erstatten. Da die Auffangeinrichtung, anders als die
anderen Vorsorgeeinrichtungen, ihre Beiträge mittels Verfügung einfordern kann
(Art. 6a Abs. 2bis BVG, in Kraft seit 1. Januar 2005, aber - da es sich um eine
verfahrensrechtliche Bestimmung handelt - auch auf die Beiträge für das Jahr
2004 anwendbar), wäre zweckmässigerweise deren Zwangsanschluss- und
Beitragsverfügung abzuwarten und das Klageverfahren inzwischen zu sistieren.
Ist die Beitragsverfügung der Auffangeinrichtung rechtskräftig, könnte alsdann
die Klage als gegenstandslos abgeschrieben werden, da mit der Verfügung ein
Vollstreckungstitel für die streitigen Beiträge bereits besteht (BGE 134 III
115 E. 3.2).

7.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 10. März 2009 wird aufgehoben, soweit damit die Klage
abgewiesen wurde. Die Sache wird an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. Juli 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle