Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 410/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_410/2009

Urteil vom 1. April 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap, Schützenweg 10, 3014 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 19.
März 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1941 geborene B.________, seit 1. Juni 1995 (auf Grund eines Rückenleidens)
Bezüger einer halben, seit 2004 (auf Grund eines infolge Carotisstenose und
Papillenatrophie erlittenen Visusverlusts) einer ganzen Rente der
Invalidenversicherung, meldete sich am 4. Februar 2005 zum Bezug einer
Hilflosenentschädigung an. Nach medizinischen Abklärungen (unter anderem
Bericht des Dr. med. Z.________ inklusive Beiblatt für die Hilflosigkeit vom
18. Februar 2003) sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Bern mit Verfügung vom
23. März 2005 eine Hilflosenentschädigung leichten Grades ab 1. November 2004
wegen schwerer Sehstörung zu. Auf Einsprache hin veranlasste die IV-Stelle
einen Abklärungsbericht vom 20. Oktober 2005 mit Bericht der RAD-Ärztin Dr.
med. E.________ und bestätigte ihre Verfügung mit Einspracheentscheid vom 7.
November 2005. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern mit Urteil vom 27. Februar 2006 gut und wies die Sache zur
weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurück, weil nicht ersichtlich sei, ob der
Bedarf an lebenspraktischer Begleitung geprüft worden sei, was auf Grund der
Sehbehinderung nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne. Auf Beschwerde
der IV-Stelle hin wurde die Rückweisung vom Bundesgericht mit Urteil vom 23.
Oktober 2007 bestätigt.
Die IV-Stelle veranlasste in der Folge erneut einen Abklärungsbericht für
Hilflosenentschädigung vom 12. Februar 2008, der von RAD-Arzt Dr. med.
A.________ und der Abklärungsperson Frau H._________ unterzeichnet war, zu den
einzelnen Punkten jeweils neben den Abklärungsergebnissen eine kurze
Beurteilung durch den Arzt enthielt und dem zusätzlich ein ärztlicher Bericht
des Dr. med. A.________ beigelegt war. Gestützt darauf sprach die IV-Stelle
B.________ nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 12.
August 2008 erneut eine Hilflosenentschädigung leichten Grades wegen
Einschränkung der Sehkraft zu.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 19. März 2009 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B.________
beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sei insofern aufzuheben, als dem
Beschwerdeführer eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades zuzusprechen sei.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; ohne Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG
und Art. 105 Abs. 3 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund
der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur
zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht
verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen
rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung
der rechtserheblichen Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteile 9C_534/2007 vom 27. Mai
2008, E. 1 mit Hinweis auf Ulrich Meyer, N 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/
Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel
2008; Seiler/von Werdt/ Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern
2007, N 24 zu Art. 97).

1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente
noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann unter Berücksichtigung
der den Parteien obliegenden Begründungs- resp. Rügepflicht eine Beschwerde aus
einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 133 II 249
E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254; Urteile 9C_867/2008 vom 6. April 2009 E. 3 und
9C_562/2008 vom 3. November 2008 E. 1).

2.
In Frage steht, ob der Versicherte Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung
nicht nur leichten, sondern mittleren Grades hat. Die Vorinstanz hat die
Grundlagen über die Hilflosigkeit (Art. 9 ATSG; BGE 133 V 450 E. 2.2.1 S. 454),
den Anspruch auf Hilflosenentschädigung und die für deren Höhe wesentliche
Unterscheidung dreier Hilflosigkeitsgrade (Art. 42 Abs. 1-3 IVG; Art. 37 IVV),
insbesondere die mittelschwere Hilflosigkeit (Art. 37 Abs. 2 IVV; BGE 121 V 88
E. 3b S. 90), die massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen
(Ankleiden, Auskleiden; Aufstehen, Absitzen, Abliegen; Essen; Körperpflege;
Verrichtung der Notdurft; Fortbewegung [im oder ausser Haus], Kontaktaufnahme),
die Differenzierung zwischen direkter und indirekter Dritthilfe (BGE 133 V 450
E. 7.2 S. 462 f.), über den Beweiswert eines Abklärungsberichts an Ort und
Stelle (Art. 69 Abs. 2 IVV; BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468) sowie die
Zusammenarbeit zwischen Arzt und Verwaltung bei der Bemessung der Hilflosigkeit
(Urteil I 563/2004 vom 2. März 2005) richtig dargelegt. Zutreffend sind auch
die Ausführungen zur lebenspraktischen Begleitung (Art. 42 Abs. 3 IVG in
Verbindung mit Art. 38 IVV), wonach ein Bedarf an einer solchen im Sinne von
Art. 42 Abs. 3 IVG vorliegt, wenn eine volljährige versicherte Person
ausserhalb eines Heimes lebt und infolge Beeinträchtigung der Gesundheit ohne
Begleitung einer Drittperson nicht selbstständig wohnen kann (lit. a), für
Verrichtungen und Kontakte ausserhalb der Wohnung auf Begleitung einer
Drittperson angewiesen ist (lit. b) oder ernsthaft gefährdet ist, sich dauernd
von der Aussenwelt zu isolieren (lit. c). Zu betonen bleibt, dass der Anspruch
auf lebenspraktische Begleitung nicht auf psychisch bedingte
Gesundheitsbeeinträchtigungen beschränkt ist (SVR 2008 IV Nr. 26 S. 79, I 317/
06 vom 23. Oktober 2007) und die lebenspraktische Begleitung weder die
Dritthilfe bei den sechs alltäglichen Lebensverrichtungen noch die Pflege oder
Überwachung beinhaltet, sondern vielmehr ein zusätzliches und eigenständiges
Institut der Hilfe darstellt, weshalb die benötigte, bereits unter dem
Gesichtspunkt der Hilfsbedürftigkeit bei den sechs alltäglichen
Lebensverrichtungen berücksichtigte Hilfe nicht zusätzlich einen Anspruch auf
lebenspraktische Begleitung begründen kann (BGE 133 V 466 E. 9). Darauf wird
verwiesen.

3.
Die richtige Auslegung und Anwendung des Rechtsbegriffs der Hilflosigkeit, die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art.
43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG sowie der Anforderungen an den Beweiswert von
Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, Urteil 8C_310/2009 vom 24. August
2009) und Abklärungsberichten an Ort und Stelle (vgl. E. 3 hievor) beschlagen
Rechtsfragen, die vom Bundesgericht frei zu prüfen sind (Art. 95 lit. a BGG).
Die auf einen rechtsgenüglichen Abklärungsbericht an Ort und Stelle gestützten
Feststellungen über Einschränkungen in bestimmten Lebensverrichtungen sind
demgegenüber - analog zu den medizinischen Angaben über gesundheitliche
Beeinträchtigungen bzw. über das noch vorhandene funktionelle Leistungsvermögen
(BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398 f.) - Sachverhaltsfeststellungen. Die Ergebnisse
der Beweiswürdigung im Allgemeinen sind ebenfalls tatsächlicher Natur (Urteil
8C_119/2009 vom 27. Juli 2009 E. 3).

4.
4.1 Die IV-Stelle begründete die Hilflosigkeit leichten Grades mit dem
Sonderfall der schweren Sinnesstörung gemäss Art. 37 Abs. 3 lit. d IVV und
erachtete die gemäss Abklärungsbericht relevanten Einschränkungen in den
Bereichen Essen sowie Fortbewegung/Pflege gesellschaftlicher Kontakte damit als
abgegolten. Ohne sich zur Frage des konkreten Bedarfs an lebenspraktischer
Begleitung explizit zu äussern, führte sie in ihrer Verfügung aus, gemäss Art.
37 Abs. 2 IVV sei die Kombination von Sonderfällen und lebenspraktischer
Begleitung nicht aufgeführt, weshalb eine Hilflosenentschädigung leichten
Grades im Sonderfall zusammen mit einer notwendigen lebenspraktischen
Begleitung keine Hilflosenentschädigung mittleren Grades auslösen könne.

4.2 Demgegenüber erachtete die Vorinstanz diese Subsumption der Einschränkungen
in den Bereichen Essen sowie Fortbewegung/Pflege gesellschaftlicher Kontakte
unter den Sonderfall der schweren Sinnesstörung gemäss Art. 37 Abs. 2 lit. c
IVV als nicht zulässig, da die letztere Bestimmung lediglich die Pflege
gesellschaftlicher Kontakte umfasse. Die Vorinstanz kam zum Schluss, der
Beschwerdeführer sei in zwei der sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (Essen
und Fortbewegung/Pflege gesellschaftlicher Kontakte) regelmässig und in
erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen. Dennoch verneinte sie einen
Anspruch auf eine mittlere Hilflosenentschädigung, weil keine lebenspraktische
Begleitung notwendig sei. Betreffend deren Voraussetzungen stützte sie sich auf
den Abklärungsbericht Hilflosenentschädigung vom 12. Februar 2008, dem sie
vollen Beweiswert zusprach, und verneinte zunächst im Bereich des
selbstständigen Wohnens einen Anspruch auf lebenspraktische Begleitung, weil
sämtliche Haushaltsarbeiten bereits vor Eintritt der Blindheit des
Beschwerdeführers durch dessen Ehefrau erledigt worden seien, seit diese im
September 2003 in die Schweiz eingereist sei und diese also keine Tätigkeiten
erledigt habe, welcher der Beschwerdeführer bei guter Gesundheit selbst
erledigen würde und damit keine direkte Dritthilfe vorliege. Zudem verwies sie
auf dessen Schadenminderungspflicht und die Tatsache, dass er Übungen mit dem
Blinden-Instruktor wieder abgebrochen habe. Bezüglich der Verrichtungen und
Kontakte ausserhalb der Wohnung stellte das kantonale Gericht gestützt auf den
wöchentlichen Aufwand von 33 Minuten gemäss Abklärungsbericht fest, die für
eine notwendige Hilfeleistung erforderlichen 2 Stunden seien nicht erreicht,
und eine solche sei ohnehin bei der alltäglichen Lebensverrichtung der
Fortbewegung und Pflege gesellschaftlicher Kontakte abgegolten. Schliesslich
führte die Vorinstanz zur Begleitung zur Verhinderung einer dauernden Isolation
von der Aussenwelt an, zwar ergebe sich bei den Spaziergängen für die Ehefrau
ein als direkte Dritthilfe zu qualifizierender Mehraufwand, diese Hilfeleistung
sei aber ebenfalls bereits bei der allgemeinen Lebensverrichtung der
Fortbewegung und Pflege gesellschaftlicher Kontakte berücksichtigt worden und
schliesslich sei auch hier auf die Schadenminderungspflicht des Versicherten
hinzuweisen.

4.3 Der Beschwerdeführer wendet dagegen im Wesentlichen ein, der Bedarf an
lebenspraktischer Begleitung sei gegeben, da er nicht selbstständig wohnen
könne. Die Vorinstanz habe insbesondere unberücksichtigt gelassen, dass seine
Ehefrau erst im September 2003 in die Schweiz eingereist sei und er vorher
jahrelang den Haushalt selbst erledigt habe bzw. später zusammen mit seinem
ebenfalls in die Schweiz eingereisten Sohn.

4.4 Damit ist nicht mehr streitig, dass der Versicherte in den beiden
alltäglichen Lebensverrichtungen Essen und Fortbewegung / Pflege
gesellschaftlicher Kontakte regelmässig und in erheblicher Weise auf die Hilfe
Dritter angewiesen ist. Zu prüfen bleibt, ob er auch dauernd der
lebenspraktischen Begleitung im Sinne von Art. 37 Abs. 2 lit. c IVV bedarf, was
eine mittlere Hilflosigkeit begründet, wobei von den drei Voraussetzungen nach
Art. 42 Abs. 3 IVG (vgl. E. 2 hievor) nurmehr in Frage steht, ob der
Versicherte selbstständig wohnen kann (lit. a der genannten Bestimmung).

5.
5.1 Ob eine Dritthilfe notwendig sei, ist objektiv, nach dem Zustand der
versicherten Person, zu beurteilen. Grundsätzlich unerheblich ist die Umgebung,
in welcher sie sich aufhält (Urteile 8C_912/2008 vom 5. März 2009, E. 3.2.3;
8C_158/2008 vom 15. Oktober 2008, E. 5.2.1; 9C_608/2007, E. 2.2.1; Urteil I 861
/05 vom 23. Juli 2007, E. 8.1; je mit weiteren Hinweisen). Es darf hinsichtlich
der Bemessung der Hilflosigkeit - somit auch im Rahmen von Art. 38 Abs.1 lit. a
IVV - keinen Unterschied machen, ob eine versicherte Person allein in der
Familie, in einem Spital / Heim oder sonstwie in einer der heutzutage
verbreiteten Wohnformen lebt. Würde anders entschieden, d.h. die Hilflosigkeit
nach der Mühe bemessen, die der jeweiligen Umgebung erwächst, so wären
stossende Konsequenzen unumgänglich, insbesondere dann, wenn beispielsweise ein
Wechsel von der Haus- in die Spitalpflege stattfände (Urteil I 861/05 vom 23.
Juli 2007 E. 8.1 mit Hinweis auf BGE 98 V 23 E. 2 S. 25 und Urteil H 163/04 E.
4 vom 7. Juni 2005) oder sich die Familienverhältnisse änderten (Scheidung, Tod
eines Ehegatten usw.). Versicherte, welche mit Familienangehörigen (Ehegatten,
Kinder oder Eltern) zusammenleben, hätten kaum je Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung für lebenspraktische Begleitung. Eine solche
Einschränkung kann Gesetz und Verordnung aber nicht entnommen werden (Urteil I
1013/06 vom 9. November 2007). Massgebend ist allein, ob der Versicherte, wäre
er auf sich allein gestellt, erhebliche Dritthilfe benötigen würde.
Demgegenüber ist die tatsächlich erbrachte Mithilfe von Familienmitgliedern
eine Frage der Schadenminderungspflicht, die erst in einem zweiten Schritt zu
prüfen ist.

5.2 Zur Frage, welche Tätigkeiten und Verrichtungen der Beschwerdeführer
ungeachtet der Umgebung, in denen er wohnt, im Bereich selbstständiges Wohnen
zumutbarerweise noch ausführen kann und wo er Hilfe benötigt, hat das kantonale
Gericht keine Feststellungen getroffen, sondern lediglich pauschal darauf
hingewiesen, dass auch bei guter Gesundheit des Beschwerdeführers dessen Frau
alle Haushaltaufgaben erfüllen würde. Damit hat sie den Sachverhalt
unvollständig festgestellt, weshalb das Bundesgericht nicht gebunden ist (vgl.
E. 1.1 hievor) und diesen von Amtes wegen ergänzt (Art. 105 Abs. 2 BGG).

5.3 Dem Abklärungsbericht über die Hilflosenentschädigung vom 12. Februar 2008,
durchgeführt in der IV-Stelle, sind hinsichtlich der lebenspraktischen
Begleitung zunächst die Angaben des Versicherten zu entnehmen: Danach sei die
Ehefrau im September 2003 in die Schweiz eingereist. Er wohne seit 2000 mit
seinem Sohn an der Murtenstrasse, beide zusammen hätten alle Haushaltarbeiten
selber erledigt. Die Arbeiten habe er mit dem Sohn geteilt. Als die Ehefrau im
September 2003 eingereist sei, sei der Sohn ausgezogen. Vor dem Insult habe er
nur Rückenschmerzen gehabt. Er sei um ca. 6.00 Uhr aufgestanden und habe sich
einen Kaffee gemacht. Er habe immer seine Therapietermine angeschaut, habe
gefrühstückt und dann sei er ins Restaurant gegangen und habe sich mit den
Kollegen getroffen, er habe sich das Essen und Haushaltarbeiten gemacht. Seine
Ehefrau habe er schon 3-4 Jahre vor dem Insult in die Schweiz holen, er habe
mit ihr zusammen leben wollen. Er sei etwa 4 Jahre ohne B-Bewilligung gewesen
und sie habe nicht einreisen können. Als sie im September 2003 in die Schweiz
gekommen sei, habe sie alle anfallenden Haushaltarbeiten übernommen, dies sei
ihre Aufgabe gewesen. Ab diesem Zeitpunkt habe er keine Arbeiten im Haushalt
mehr verrichtet. Er habe seine Ehefrau zu all seinen Spital-, Arzt- und
Therapieterminen mitgenommen, sie wäre sonst allein zu Hause in der Wohnung
gewesen. So habe sie die Stadt und die Benutzung der öffentlichen
Verkehrsmittel kennen gelernt. Die Ehefrau gehe keiner Arbeit nach, es sei gut,
dass er sie vorher noch sehend mitgenommen habe, so wisse die Ehefrau nun, wo
der Arzt sei, und kenne die Stadt. Seine Frau müsse ihn nicht auffordern,
aufzustehen, er entscheide selber, wenn er aufstehe. Den Tag teile er sich
selber ein, die Ehefrau müsse ihm immer bei den Verrichtungen helfen, er könne
nichts mehr selber erledigen.
Die dazugehörige Beurteilung der Abklärungsperson lautet dahingehend, dass der
Versicherte aufsteht, wann er will und sich den Tag selbst einteilt. Er müsse
nicht von seiner Ehefrau angeleitet werden, noch müsse die Ehefrau Arbeiten im
Bereich selbstständiges Wohnen für ihn verrichten, die er vorher selber
erfüllen konnte. Es könne davon ausgegangen werden, dass der Versicherte im
Rahmen der Schadenminderungspflicht lerne, selber zu telefonieren, selber
Telefone entgegennehme und die Türe öffnen könne, wenn es läute. Als der
Versicherte noch sehen gewesen sei, hätten die Söhne jeweils administrative
Arbeiten übernommen und Dokumente übersetzt, teilweise sei vorher auch die
Auskunft oder Arbeit des Anwaltes notwendig. Diese Hilfe sei immer noch so.
Auch bei guter Gesundheit würde die Ehefrau alle Haushaltaufgaben erfüllen und
diese könnten in diesem Bereich nicht berücksichtigt werden.
Die entsprechende Beurteilung durch den Arzt erschöpft sich in der
Feststellung, der Versicherte mache einen normal intelligenten Eindruck; es
fänden sich keine Hinweise für neurokognitive Defizite oder für ein
psychoorganisches Syndrom, ohne dass jedoch eine Beurteilung der Zumutbarkeit
der einzelner Verrichtungen im Haushalt abgegeben wird.

5.4 Der Beschwerdeführer leidet gemäss Abklärungsbericht an einer ischämischen
Papillenatrophie beidseits, einem Zervikalsyndrom, einem lumbospondylogenen
Syndrom, einem Diabetes mellitus Typ II, einer Hypertensiven Kardiopathie sowie
an einer Dyslipidämie. Dem Abklärungsbericht ist jedoch nicht zu entnehmen,
welche Verrichtungen im Haushalt, die ein selbstständiges Wohnen ermöglichen,
dem Beschwerdeführer trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen,
insbesondere seiner Sehbehinderung, objektiv noch zumutbar sind. Von einer
erneuten Rückweisung zu einer Abklärung an Ort und Stelle kann jedoch abgesehen
werden: Denn auf Grund der eigenen Angaben des Versicherten wie auch aus den
verschiedenen Ausführungen des Arztes zu den einzelnen Lebensverrichtungen und
in dessen Bericht zur Abklärung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen seinen multiplen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen bei üblichen Haushaltstätigkeiten, welche nicht bereits bei
den Lebensverrichtungen Essen und Fortbewegung / Pflege der Kontakte
berücksichtigt wurden, in erheblichem Masse eingeschränkt ist, er also objektiv
einen Haushalt mit den üblichen Verrichtungen wie Kochen, Einkaufen, Wäsche
besorgen und Wohnungspflege nicht mehr ohne erhebliche Dritthilfe führen und
deshalb auch nicht selbstständig wohnen kann: So zeigen beispielsweise seine
Angaben, wonach ohne Anwesenheit der Ehefrau dreimal täglich eine Schwester
kommen müsste, um ihm beim Essen zu helfen ebenso wie die Beurteilung des
Arztes zur Lebensverrichtung Essen (wonach das Zerkleinern der Nahrung zwar
erschwert sei, aber in ausreichendem Mass erlernt werden könne), dass er
bereits beim Kochen erheblich eingeschränkt ist. Auch kann er gemäss
Abklärungsbericht seine diversen Medikamente nicht selbst richten. Sodann wird
aus den übrigen Angaben des Arztes zu den einzelnen Lebensverrichtungen
deutlich, dass Wohnungspflege und Wäschebesorgung kaum möglich sind.
Schliesslich zeigen auch die Ausführungen der Abklärungsperson zum Erlernen des
Telefonabnehmens, wie klein Betätigungsfeld und Aktionsradius des
Beschwerdeführers tatsächlich sind. Dabei fällt die aktenmässig ausgewiesene
Polymorbidität massgebend ins Gewicht, die einschränkender ist als eine schwere
Sehbehinderung allein.
Dass der Beschwerdeführer gewisse Verrichtungen nach einer bestimmten Zeit
erlernen kann, wie das der Arzt beispielsweise für die Erlernung der
Fortbewegung draussen für eine Dauer von drei Monaten mit Trainingseinheiten
von einer Doppelstunde pro Woche vorsieht, ändert im hier massgebenden
Beurteilungszeitpunkt nichts: Zwar hat sich der Versicherte im Rahmen der ihm
obliegenden Schadenminderungspflicht allen Massnahmen zu unterziehen, welche
ihm ermöglichen, seine Selbstständigkeit zu erhalten. In diesem Sinne ist es
ihm zumutbar, Kurse zur Wiedererlangung der Selbstständigkeit zu absolvieren
und auch sonst persönlich alles vorzukehren, was seine Einschränkungen mindert.
Dazu ist ihm allerdings eine angemessene Anpassungszeit zuzubilligen, was erst
im Rahmen einer erneuten Prüfung anlässlich einer Revision des Anspruchs zu
berücksichtigen ist.

5.5 Zu prüfen bleibt, inwiefern es die Schadenminderungspflicht des
Versicherten gebietet, sich der Mithilfe nächster Angehöriger, hier konkret der
Ehefrau, zu bedienen. Die Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die
Einsatzfähigkeit sind durch geeignete organisatorische Massnahmen und die
Mithilfe der Familienangehörigen möglichst zu mildern. Diese Mithilfe geht zwar
weiter als die ohne Gesundheitsschaden üblicherweise zu erwartende
Unterstützung, jedoch darf den Familienangehörigen keine unverhältnismässige
Belastung entstehen (nicht publ. E. 8 des Urteils BGE 130 V 396, veröffentlicht
in SVR 2005 IV Nr. 6 S. 21, I 457/02; SVR 2006 IV Nr. 25 S. 85 E. 3.1, I 3/04).
Vielmehr ist bei der Mitarbeit von Familienangehörigen stets danach zu fragen,
wie sich eine vernünftige Familiengemeinschaft einrichten würde, sofern keine
Versicherungsleistungen zu erwarten wären (Urteile I 1013/06 vom 9. November
2007 und I 228/06 vom 5. Dezember 2006, E. 7.1.2; vgl. zum Ganzen auch Robert
Ettlin, Die Hilflosigkeit als versichertes Risiko in der Sozialversicherung,
Diss. Freiburg 1998, S. 246). Zu dieser Frage hat sich der Abklärungsbericht
nicht detailliert geäussert (vgl. indessen zur Pflicht des Abklärungsdienstes,
die Zumutbarkeit im Rahmen der Schadenminderungspflicht darzulegen: Urteil I
446/05 vom 6. Oktober 2005, mit Hinweis auf I 300/04 vom 19.Oktober 2004, E.
6.2.2).
Vorliegend fällt der Ehefrau unbestrittenermassen ein erheblicher Mehraufwand
neben der Besorgung des Haushalts an. Die dauernden und umfassenden
Handreichungen für den Ehemann, wie sie aus dem Abklärungsbericht zu den
einzelnen Lebensverrichtungen ersichtlich sind, und dessen Begleitung zu Hause
überschreiten das übliche Mass dessen, was gemeinhin unter zumutbarer Mithilfe
der Ehefrau zu subsumieren ist, auch wenn der Haushalt so organisiert sein
sollte, dass die Ehefrau grundsätzlich für die Besorgung desselben
verantwortlich ist und der Ehemann keine Mithilfe leistet. Der Mehraufwand kann
deshalb nicht im Rahmen der Schadenminderungspflicht gefordert werden, um dem
Versicherten einen Anspruch auf lebenspraktische Begleitung abzusprechen,
insbesondere nicht unter den gegebenen besonderen Umständen, wonach der
Versicherte vor der Einreise seiner Ehefrau in die Schweiz einen Monat vor
Eintritt der Sehbehinderung als Saisonnier seinen Haushalt jahrelang selbst und
später zusammen mit seinem Sohn besorgt hat, was Verwaltung und Vorinstanz
unberücksichtigt gelassen haben, und schliesslich im Nachhinein nicht
verlässlich geklärt werden kann, wie sich die Familie im Gesundheitsfall
zweckmässig eingerichtet hätte.

5.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer ohne erhebliche
Dritthilfe nicht selbstständig wohnen kann, weshalb er gestützt auf Art. 38
Abs. 1 lit. a IVV Anspruch auf lebenspraktische Begleitung und damit gemäss
Art. 37 Abs. 2 lit. c IVV Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung mittleren
Grades hat.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 19. März 2009 und
die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 12. August 2008 werden aufgehoben. Es wird
festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. November 2004 Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung mittleren Grades hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. April 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Helfenstein Franke