Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 395/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_395/2009

Urteil vom 16. März 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
H.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian Sager,
Beschwerdeführer,

gegen

ProTIP Personalvorsorgestiftung,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Danilo A. Orlando,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 16. März 2009.

Sachverhalt:

A.
Nachdem es die ProTIP Personalvorsorgestiftung (im Folgenden: ProTIP) abgelehnt
hatte, die von H.________ geforderte Austrittsleistung an eine neue
Vorsorgeeinrichtung zu überweisen, liess dieser am 12. November 2004 beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gegen die Vorsorgeeinrichtung
Klage einreichen. Er beantragte, die ProTIP sei zu verpflichten, ihm eine
Freizügigkeitsleistung in gerichtlich zu bestimmender Höhe (mindestens Fr.
373'159.95), zuzüglich Zins zu 5 % auf ein Konto bei der Pensionskasse
X.________ zu überweisen. Das Sozialversicherungsgericht, bei welchem drei
weitere analoge Klagen eingegangen waren, vereinigte die vier Prozesse mit
Verfügung vom 12. Juli 2005. Mit Entscheid vom 16. März 2009 verpflichtete es
die ProTIP in teilweiser Gutheissung der Klage, die von H.________ eingebrachte
Freizügigkeitsleistung von Fr. 162'517.10 auf das auf seinen Namen geführte
Konto bei seiner derzeitigen Vorsorgeeinrichtung zu übertragen, zuzüglich Zins
zu 5 % seit 12. November 2004.

B.
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Hauptantrag, unter teilweiser Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides sei die ProTIP zu verpflichten, ihm die Freizügigkeitsleistung in
gerichtlich festgestellter Höhe, mindestens jedoch Fr. 373'159.95, zuzüglich
Verzugszins von 5 % seit 30. September 2004, an die Sammelstiftung Y.________,
Vertrag Nr. ..., eventuell auf ein neu zu eröffnendes Freizügigkeitskonto, zu
überweisen. Ferner lässt H.________ verschiedene Eventualanträge stellen.
Die ProTIP lässt zur Hauptsache auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen äussert sich zum Rechtsstreit, ohne einen
Antrag zu stellen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Es ist unbestritten, dass die A.________ AG und die B.________ AG, für
welche der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge tätig war, für die
Durchführung der beruflichen Vorsorge der ProTIP angeschlossen waren. Damit
waren alle dem BVG unterstellten Arbeitnehmer dieser Unternehmen von Gesetzes
wegen für die obligatorische berufliche Vorsorge bei der Beschwerdegegnerin
versichert (Art. 2 Abs. 1 BVG und Art. 7 Abs. 1 BVV 2). Zu prüfen ist, ob der
Beschwerdeführer selbst zum Kreis der Versicherten gehörte.

2.2 Obligatorisch für die berufliche Vorsorge versichert sind alle
Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber einen Jahreslohn von mehr als dem
Koordinationsabzug beziehen (Art. 7 Abs. 1 BVG). Dabei ist der
Arbeitnehmerbegriff nach ahv-rechtlichen Kriterien zu verstehen, ohne dass
jedoch der Entscheid über das AHV-Statut formell für die berufliche Vorsorge
verbindlich wäre (SZS 1990 S. 181); der bvg-rechtlich relevante Lohn entspricht
dem massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung (Art. 7 Abs. 2 BVG). Dies
gilt auch für die überobligatorische Vorsorge, soweit das einschlägige
Reglement auf den AHV-Lohn abstellt (SZS 1999 S. 388). Als massgebender Lohn im
Sinne der AHV gilt jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte
oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit (Art. 5 Abs. 2 AHVG). Für die
Qualifikation als unselbständige Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung ist die
zivilrechtliche Qualifikation nur ein Indiz, aber nicht ausschlaggebend (BGE
122 V 281 E. 2a S. 283). Eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des AHVG kann
auch dann vorliegen, wenn zivilrechtlich kein Arbeitsvertrag, sondern z.B. ein
Auftragsverhältnis besteht (BGE 122 V 169 E. 6a/aa S. 175). Auch der Begriff
des Arbeitnehmers im Sinne des BVG ist somit weiter als derjenige im Sinne des
Arbeitsvertragsrechts (SZS 2004 S. 566, B 75/03; SVR 2001 BVG Nr. 2 S. 5, B 11/
00). Für die Höhe des versicherten Verdienstes ist bvg-rechtlich grundsätzlich
derjenige Lohn massgebend, der effektiv verdient wurde, nicht derjenige, der -
allenfalls rein fiktiv - vertraglich vereinbart wurde (SVR 2007 BVG Nr. 43 S.
154, B 67/06; SZS 2003 S. 53, B 11/01).

2.3 Die Vorinstanz hat die Abweisung der Klage damit begründet, es gebe keinen
objektiven Hinweis dafür, dass der Beschwerdeführer mit der A.________ AG und/
oder der B.________ AG einen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe. Tatsächliche
Lohnzahlungen dieser Gesellschaften an den Beschwerdeführer seien nicht belegt.
Es sei daher als erstellt zu betrachten, dass zwischen dem Beschwerdeführer und
diesen Gesellschaften kein sozialversicherungsrechtlich relevantes
Arbeitsverhältnis bestanden hat; daraus folge, dass der Beschwerdeführer nicht
bei der ProTIP für die berufliche Vorsorge versichert war; dementsprechend habe
er keinen Anspruch auf Freizügigkeitsleistungen.
Diese Argumente sind nicht stichhaltig. Mit der primären Begründung hat die
Vorinstanz nicht die rechtserhebliche Frage geprüft, da, wie dargelegt, für die
Arbeitnehmerqualifikation nach BVG das Vorliegen eines Arbeitsvertrages nicht
entscheidend ist. Sodann ist der tatsächliche Geldfluss, dessen Fehlen das
kantonale Gericht im Weiteren feststellt, vor allem massgeblich für die Höhe
des beitragspflichtigen Lohnes, aber nicht für die Frage, ob überhaupt ein
Arbeitsverhältnis vorliegt. Namentlich kann der berufsvorsorgerechtliche
Anspruch nicht dadurch vereitelt werden, dass der Arbeitgeber seine
Abrechnungspflicht gegenüber der AHV nicht wahrnimmt (SZS 2000 S. 538, B 53/
98). Auch ist nicht ausschlaggebend, wer dem Arbeitnehmer den Lohn auszahlt.
Entscheidend ist letztlich, dass der Arbeitnehmer für eine bestimmte
Arbeitgeberfirma eine unselbständige Tätigkeit ausübt und dafür ein Entgelt
erhält.

2.4 Im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung ist, dass der
Beschwerdeführer unbestrittenermassen Verwaltungsratsmitglied der A.________ AG
und Verwaltungsratspräsident der B.________ AG war. Dies reicht grundsätzlich
zur Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft im ahv- und bvg-rechtlichen Sinne aus
(in ARV 1998 S. 13 ff. publizierte E. 5 von BGE 123 V 324, C 51/94). Indem die
Vorinstanz in tatbeständlicher Hinsicht, soweit die fragliche Anstellung des
Beschwerdeführers betreffend, von allen in Betracht fallenden Kriterien einzig
das Fehlen eines (schriftlichen) Arbeitsvertrages und eines tatsächlichen
Geldflusses von einer der beiden Gesellschaften an den Beschwerdeführer als
massgeblich erachtet hat, hat sie den rechtserheblichen Sachverhalt
unvollständig und damit offensichtlich unrichtig festgestellt, weshalb das
Bundesgericht diesen ergänzen kann (E. 1 hievor). Im interessierenden
Zusammenhang sind verschiedene Indizien zu beachten, welche zeigen, dass der
Beschwerdeführer von den beiden Gesellschaften tatsächlich immer als
Arbeitnehmer (ahv- und bvg-rechtlich) behandelt wurde:
- Lohnsummenmeldung A.________ AG für die Jahre 2002 (Eintritt 1. August 2002)
und 2003 und B.________ AG für die Jahre 2000 und 2001;

- Abrechnung Beschwerdegegnerin vom 30. September 2004 für eine
Austrittsleistung über den Betrag von Fr. 373'159.95 unter Verrechnung eines
gleich hohen Betrages unter dem Titel Schadenersatz;

- vom Beschwerdeführer für die beiden Gesellschaften unterzeichnete
Korrespondenz und Verträge;

- Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses zumindest in einem Teilbetrag
von Fr. 256'244.30.

3.
3.1 In quantitativer Hinsicht sind die gemeldeten Lohnsummen nicht bestritten
und betragen bei der B.________ AG von 2000 - 2002 je Fr. 240'000.- im Jahr,
bei der A.________ AG in den Jahren 2002 und 2003 ebenfalls Fr. 240'000.- wobei
die Doppelmeldung für 2002 offensichtlich irrtümlich erfolgt war, sodass je von
einem gemeldeten Jahreslohn von Fr. 240'000.- auszugehen ist. Laut Ziff. 3.1
des Reglements III der ProTIP entspricht der versicherte Lohn dem gemeldeten
Jahreslohn zuzüglich allfälliger Sonderleistungen, vermindert um den
Koordinationsabzug.

3.2 Die gemeldeten Löhne weichen allerdings vom AHV-Lohn gemäss individuellem
Konto ab. Dieser beläuft sich für die Jahre 2000 und 2001 auf je Fr. 143'000.-
(B.________ AG), für Januar bis Juli 2002 auf Fr. 77'000.- (B.________ AG) und
für August bis Dezember 2002 auf Fr. 55'000.- (A.________ AG).
Laut Art. 1 Abs. 2 BVG in der seit 1. Januar 2006 geltenden Fassung gemäss 1.
BVG-Revision darf der in der beruflichen Vorsorge versicherbare Lohn das
AHV-beitragspflichtige Einkommen nicht übersteigen. In der ursprünglichen
Fassung des Gesetzes bestand in dieser Hinsicht keine ausdrückliche
Einschränkung. Vorausgesetzt ist, dass der versicherte Lohn im Reglement
genannt wird (Art. 50 Abs. 1 BVG; vgl. Urteile 2A. 279/2006 vom 26. Februar
2007 und 2A.45/2003 vom 29. Juli 2004). Dies trifft hier zu. Gemäss Reglement
der Vorsorgeeinrichtung ist auf den gemeldeten Lohn abzustellen, unbesehen
darum, ob dieser dem AHV-Lohn entspricht. Es wird ferner weder geltend gemacht
noch ist ersichtlich, dass die ProTIP generell eine unangemessene Regelung
aufweist mit der Folge, dass sie überhaupt nicht als Einrichtung der
beruflichen Vorsorge anerkannt werden könnte (Urteil 2A.408/2002 vom 13.
Februar 2004).

4.
Bezüglich der Höhe der zu überweisenden Freizügigkeitsleistung ist von der
Abrechnung der ProTIP vom 30. September 2004 auszugehen. Zu jenem Zeitpunkt
belief sich die Austrittsleistung auf Fr. 373'159.95. Diese Summe wurde in der
Klageantwort rein rechnerisch nicht bestritten. Die Klage ist in diesem Betrag,
zuzüglich eines Verzugszinses von 5 % seit 30. September 2004, gutzuheissen.
Für die Annahme, dass eine höhere Freizügigkeitsleistung zu überweisen wäre,
was der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf gerichtliche Feststellung der
Höhe der Freizügigkeitsleistung zumindest dem Sinne nach geltend macht, aber
nicht begründet, bestehen keine Anhaltspunkte.

5.
Die ProTIP hatte im vorinstanzlichen Verfahren eine Eventualwiderklage auf
Bezahlung von Schadenersatz erhoben, nachdem sie zuvor ausserprozessual die
Verrechnung der Schadenersatzforderung mit der Freizügigkeitsleistung geltend
gemacht hatte. In Klageantwort und Duplik hielt sie an der Verrechnung fest.
Die Vorinstanz trat mangels sachlicher Zuständigkeit auf die Widerklage gegen
den Beschwerdeführer nicht ein, was seitens der ProTIP nicht angefochten wurde.
Die Zulässigkeit der Verrechnung einer Schadenersatzforderung mit einem
Freizügigkeitsanspruch ist damit nicht zu erörtern.

6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem
Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1
und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. März 2009 aufgehoben,
soweit er den Beschwerdeführer betrifft. Die Beschwerdegegnerin wird
verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine Austrittsleistung in der Höhe von
insgesamt Fr. 373'159.95, zuzüglich Zins zu 5 % seit 30. September 2004, an die
Sammelstiftung Y.________ Vertrag Nr. ..., zu überweisen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. März 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer