Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 383/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_383/2009

Urteil vom 9. März 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
KPT Krankenkasse AG, Postfach 8624, 3001 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

Spital X.________
vertreten durch Rechtsanwalt Elmar Perler,
Beschwerdegegner,

R.________, ---.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 18. Februar 2009.

Sachverhalt:

A.
R.________ war in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (nachfolgend:
OKP) bei der KPT Krankenkasse AG (nachfolgend: Krankenkasse; KPT) und für
Leistungen in der privaten Spitalabteilung bei der KPT Versicherungen AG
(nachfolgend: Zusatzversicherer) versichert. Am 25. April 2001 wurde sie
notfallmässig ins Spital X.________ eingeliefert und lag dort bis zum 20.
September 2001 auf der Intensivpflegestation. Am 8. März 2002 wurde sie aus dem
Spital entlassen. Das Kantonsspital stellte für die Behandlung Rechnungen im
Totalbetrag von Fr. 844'355.90 an die "KPT/CPT Fribourg". Ein Anteil von Fr.
668'413.- betraf die Kosten des Aufenthaltes auf der Intensivpflegestation, die
gemäss einem Tarif für Privatpatienten festgesetzt wurden. Die KPT bezahlte
einen Teilbetrag von Fr. 441'668.30 und verweigerte weitere Leistungen.

B.
B.a Am 14. Mai 2004 reichte die KPT vor dem Schiedsgericht des Kantons Freiburg
für Kranken- und Unfallversicherung gegen das Kantonsspital Klage ein. Sie
beantragte, das Kantonsspital sei zu verpflichten, für die Zeit des
Aufenthaltes der Versicherten auf der Intensivpflegestation eine Rechnung nach
dem Tarif der allgemeinen Abteilung (OKP) zu erstellen; die Beklagte sei zu
verpflichten, der Klägerin die für diese Periode bereits bezahlten Leistungen
zurückzuerstatten, soweit sie den Tarif der allgemeinen Abteilung überstiegen
hätten.
B.b Mit Präsidialentscheid vom 30. Januar 2006 trat das Schiedsgericht mit der
Begründung seiner fehlender Zuständigkeit auf die Klage nicht ein. Die dagegen
erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das Eidgenössische
Versicherungsgericht mit Urteil K 28/06 vom 20. Juni 2006 (BGE 132 V 352) gut;
es wies die Sache an das Schiedsgericht zurück, damit es über die Klage
materiell befinde.
B.c Mit Urteil 9C_149/2007 vom 4. Juni 2007 beschied das Bundesgericht, das
Schiedsgericht habe dem von Seiten des Spitals vorgeschlagenen Schiedsrichter
mit Präsidialentscheid vom 5. März 2007 zu Unrecht die Ernennung verweigert.

C.
Am 18. Februar 2009 hiess das Schiedsgericht die Klage vom 14. Mai 2004
teilweise gut. Es stellte im Entscheiddispositiv fest, dass die Rechnung
korrekt nach dem Tarif für Privatpatienten erfolgt sei (Ziff. Ia) und während
des Aufenthalts auf der Intensivpflegestation keine Hoteltaxe gemäss
Privattarif, hingegen aber der betragsmässig unbekannte Anteil für Hotellerie
der Tagespauschale in Rechnung gestellt werden dürfe (Ziff. Ib). Im Übrigen
wies es die Klage ab.

D.
Die KPT erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt die Aufhebung des Schiedsgerichtsentscheides; es sei festzustellen,
dass beim Aufenthalt auf der Intensivpflegestation die Fakturierung nach
Privatpatiententarif nicht zulässig ist; das Spital sei zu verpflichten, für
die Zeit des Aufenthaltes auf der Intensivpflegestation nach dem Tarif der
allgemeinen Abteilung (OKP) Rechnung zu stellen; auch sei es zu verpflichten,
ihr die bezahlten Leistungen zurückzuerstatten, soweit sie diesen Tarif
überstiegen hätten.

Vorinstanz und Spital beantragen Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Nach Art. 23 des Freiburger Ausführungsgesetzes vom 24. November 1995 zum
Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) ist das kantonale
Schiedsgericht für die Streitigkeiten nach Art. 89 KVG und Art. 57 UVG
zuständig.

1.2 Partei im Verfahren vor dem Schiedsgericht kann somit nach der Definition
des Versicherers in den Art. 11-13 KVG nur die KPT Krankenkasse AG als
Betreiberin der OKP sein, nicht hingegen ihre KPT/CPT-Gruppen-Schwester KPT
Versicherungen AG als Zusatzversicherer.

1.3 Die Beschwerdeführerin firmiert in der Beschwerde zwar unter dem Namen KPT
Krankenkasse AG, sie argumentiert aber verschiedentlich aus der Sicht und
Interessenlage der KPT/CPT-Gruppe oder der KPT Versicherungen AG (so etwa wenn
sie unkorrekt anführt, die Patientin habe bei ihr/"der Beschwerdeführerin"
Zusatzversicherungen abgeschlossen). Das schadet aber nicht, da auch die
Beschwerdeführerin als Krankenversicherin die Frage nach der Tragweite des
Tarifschutzes aufwerfen kann (BGE 132 V 352 E. 2.5).

1.4 Streitig und zu prüfen ist aufgrund des Rechtsbegehrens der
Beschwerdeführerin, ob die Behandlung auf der Intensivpflegestation nach dem
für Privatpatienten geltenden SLK-Tarif (anstatt nach dem OKP-Tarif gemäss KVG)
in Rechnung gestellt werden darf oder nach dem Tarif der allgemeinen Abteilung
zu erstellen sei.

Die Vorinstanz hat in Bezug auf die Behandlung die Anwendung des
Privatpatiententarifs als rechtmässig betrachtet und insoweit die Klage der
Beschwerdeführerin abgewiesen; sie hat hingegen die Klage teilweise
gutgeheissen, indem sie erkannt hat, dass während des Aufenthalts auf der
Intensivpflegestation keine Hoteltaxe gemäss Privattarif in Rechnung gestellt
werden dürfe. Demgemäss hat sie erwogen, der Beschwerdegegner habe das Recht,
(nur) den betragsmässig unbekannten Anteil für Hotellerie der Tagespauschale in
der Allgemeinabteilung in Rechnung zu stellen. Er habe somit eine neue Rechnung
zu stellen. Dabei werde zusätzlich zu überprüfen sein, ob die Fakturierung für
die Intensivpflegestation korrekt erfolgt sei. Das Spital hat diese teilweise
Gutheissung nicht angefochten, so dass das Bundesgericht auf diesen Punkt nicht
einzugehen hat (Art. 107 Abs. 1 BGG). Dies hat zur Folge, dass der definitive
Betrag, den die Beschwerdeführerin als OKP-Versicherin zu bezahlen haben wird,
zur Zeit noch nicht feststeht. Damit kann auch nicht beurteilt werden, ob die
bisherigen Zahlungen der Beschwerdeführerin den geschuldeten Betrag
übersteigen. Auf das Begehren, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, der
Beschwerdeführerin die zu viel bezahlten Leistungen zurückzuerstatten, kann
daher zur Zeit nicht eingetreten werden, zumal auch die Vorinstanz darüber noch
nicht entschieden hat (vgl. E. 3 hienach).

2.
Da die umstrittenen Leistungen im Jahr 2001 erbracht wurden, ist das KVG noch
in der bis Ende 2008 geltenden Fassung vor der Änderung vom 21. Dezember 2007
(AS 2008 2049) anwendbar.

2.1 Beim Aufenthalt auf der Intensivpflegestation handelt es sich um eine
stationären Behandlung im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG und damit um eine
Leistung, die der vollen Kostenübernahmepflicht durch die OKP unterliegt.
Umstritten ist, wie sie bei Personen zu verrechnen ist, die als Privatpatienten
hospitalisiert sind und zur Deckung der entsprechenden Kosten
Spitalzusatzversicherungsverträge mit Krankenkassen oder privaten
Versicherungsgesellschaften abgeschlossen haben (Art. 12 Abs. 2 und 3 KVG; Art.
102 Abs. 2-4 KVG), in denen die Übernahme von Kosten vereinbart ist, die in der
OKP nicht gedeckt sind. Es geht somit um die Frage nach der Tragweite des
gesetzlichen Tarifschutzes, denn die Leistungserbringer müssen sich an die
vertraglich (Art. 46 KVG) oder behördlich (Art. 47 KVG) festgelegten Tarife und
Preise halten und dürfen für Leistungen nach dem KVG keine weitergehenden
Vergütungen berechnen (Art. 44 Abs. 1 KVG).

2.2 Andere als die in den Art. 25-33 KVG genannten Leistungen dürfen von der
OKP nicht übernommen werden (Art. 34 Abs. 1 KVG). Wie das Bundesgericht dazu in
dem zur Publikation bestimmten Urteil 9C_725/2008 vom 9. November 2009
ausgeführt hat, verbietet das KVG jedoch nicht, dass Leistungserbringer
weitere, über den Leistungsumfang der OKP hinausgehende Leistungen erbringen.
Solche Mehrleistungen dürfen zusätzlich zu den KVG-Tarifen in Rechnung
gestellt, aber nicht von der OKP bezahlt werden. Sie sind von den Patienten und
Patientinnen zu tragen, die für die Deckung dieser Kosten eine dem Privatrecht
unterstehende Zusatzversicherung abschliessen können (vgl. Art. 12 Abs. 2 und 3
KVG). Solche zulässige Mehrleistungen sind im stationären Bereich nach
unbestrittener Auffassung die luxuriösere Hotellerie in der Privat- oder
Halbprivatabteilung; nach der Auffassung des Bundesrates, der Rechtsprechung
sowie der überwiegenden Lehrmeinung sind es auch die freie Arztwahl im Spital
und ferner Behandlungen, die aus medizinischer Sicht nicht indiziert sind (z.B.
rein ästhetische Operationen) oder solche, die von der OKP nicht übernommen
werden (wie etwa Badekuren oder Zahnbehandlungen). Bei anderen Leistungen (so
etwa bei erhöhtem Zeitaufwand des Arztes) ist umstritten, ob es sich um eine
echte Mehrleistung handeln kann (siehe das genannte Urteil 9C_725/2008 E. 2.2
mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Doktrin). Nach Würdigung der
Rechtslage zu Art. 44 Abs. 1 Satz 1 KVG in entstehungsgeschichtlicher (E.
3.2.1) und systematischer (E. 3.3.1) Hinsicht, in teleologischer (E. 3.4) und
verfassungskonformer (E. 3.5) Auslegung sowie unter Berücksichtigung von Praxis
(E. 3.6) und Rechtsprechung (E. 3.7.1-3.7.7) ist das Bundesgericht jedenfalls
für die bis Ende 2008 geltende Rechtslage zum Schluss gekommen, dass sich die
bisherige Auslegung insgesamt bestätigt, wonach im stationären Bereich für die
Behandlung und Pflege auf der Privat- oder Halbprivatabteilung die KVG-Tarife
gemäss Art. 49 Abs. 1 und 2 KVG nicht verbindlich sind. Im Rahmen der
stationären Behandlung auf der Privatabteilung bezeichnet der Begriff
"Leistungen nach diesem Gesetz" im Sinne von Art. 44 Abs. 1 KVG demnach nicht
ein bestimmtes Paket von medizinischen Massnahmen, welche abschliessend
aufgrund des KVG-Tarifs vergütet werden, sondern einen finanziellen Betrag, auf
den auch "Privatversicherte" Anspruch haben. Auch im Bereich der
Privatabteilung kann nicht eine Leistung doppelt verrechnet werden; doch
handelt es sich beim Allgemein- und beim Privattarif um zwei grundsätzlich von
der ganzen Tarifstruktur her verschiedene Tarifsysteme, die nicht ohne weiteres
miteinander vergleichbar sind (E. 3.8).

2.3 Für die Zuordnung zu der eben genannten Kategorie der "Privatversicherten"
ist nicht der Umstand massgebend, dass eine Patientin oder ein Patient über
eine solche Zusatzdeckung verfügt, da mit dem Abschluss eines
Versicherungsvertrages kein automatischer Verzicht auf den gesetzlichen
Tarifschutz oder sogar dessen Verlust verbunden ist. Entscheidens ist vielmehr
die Hospitalisation und Behandlung als Privat- oder Halbprivatpatient. Das KVG
garantiert auch den Zusatzversicherten den Anspruch auf Behandlung in der
allgemeinen Spitalabteilung (Art. 24 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 lit. e
KVG). Das Spital darf nur dann über den OKP-Tarif hinaus Rechnung stellen, wenn
der konkret abgeschlossene Aufenthalts- und Behandlungsvertrag es so vorsieht.
Dies kann hier bejaht werden: Gemäss den unbestrittenen Feststellungen im
angefochtenen Entscheid befand sich die Versicherte auf der Privatabteilung.
Nach den Akten sollen bei der Einweisung in die Intensivpflegestation die
Angehörigen der nicht handlungsfähigen Patientin die Spitalverwaltung darüber
informiert haben, dass sie über eine Spitalzusatzversicherung und den Status
einer Privatpatientin verfüge (unbestrittene Ausführungen Ziff. 1.7
Klageantwort vom 13. August 2004). Die Beschwerdeführerin hat denn auch
Kostengutsprachen für den Aufenthalt auf der Privatabteilung erbracht
(Klageantwortbeilage 4).

3.
Die Vorinstanz hat somit im Ergebnis mit Recht erkannt, dass die streitige
Behandlung nicht nach dem OKP-Tarif gemäss Art. 49 KVG in Rechnung gestellt
werden muss, weil dieser Tarif für die Privatabteilung nicht anwendbar ist. Es
kommt deshalb nicht darauf an, ob - wie die Beschwerdeführerin geltend macht -
der gleiche Arzt, der die Patientin betreut hat, diese auch betreut hätte, wenn
sie auf der allgemeinen Abteilung hospitalisiert gewesen wäre. In der neuen
Rechnung, welche der Beschwerdegegner aufgrund des angefochtenen Urteils wird
erstellen müssen (vgl. vorne E. 1.4), sind gemäss Art. 59 Abs. 2 KVV die von
der OKP zu übernehmenden und die anderen Leistungen zu trennen. Daraus werden
sich allfällige Rückerstattungsansprüche oder Ausgleichsbuchungen zwischen der
Beschwerdeführerin als OKP-Versicherin und der KPT Versicherungen AG ergeben.

4.
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der
Beschwerdegegner hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs.
3 BGG; BGE 124 II 117 E. 7).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Schiedsgericht des Kantons Freiburg für
Kranken- und Unfallversicherung und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 9. März 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied:: Der Gerichtsschreiber:

Borella Schmutz