Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 373/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_373/2009

Urteil vom 2. November 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 9. März 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1966 geborene K.________ war seit 1994 als Betriebsmitarbeiter bei der
Firma X.________ angestellt. Ab 15. Mai 2004 musste er seiner Tätigkeit aus
gesundheitlichen Gründen fern bleiben. Am 21. Februar 2005 meldete er sich
unter Hinweis auf Wirbelsäulenprobleme bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Gestützt auf die beigezogenen medizinischen Unterlagen
lehnte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen das Leistungsgesuch am 30. Oktober
2006 verfügungsweise ab, widerrief diese Verfügung nach Eingang einer
Beschwerde jedoch am 8. März 2007, um weitere Abklärungen vorzunehmen. Aufgrund
eines Gutachtens der Klinik Y.________ vom 20. November 2007 eröffnete die
IV-Stelle K.________ nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom
19. Februar 2008, dass er keinen Anspruch auf eine Invalidenrente oder
Integrationsmassnahmen habe. Der Invaliditätsgrad betrage 11 %, und eine
leidensangepasste Tätigkeit wäre ihm vollumfänglich zumutbar.

B.
K.________ liess Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung der
Verfügung vom 19. Februar 2008 sei die IV-Stelle zu verpflichten, berufliche
Massnahmen zu treffen und gegebenenfalls eine Invalidenrente auszurichten. Mit
Entscheid vom 9. März 2009 wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
die Beschwerde ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt K.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die IV-Stelle
zu verpflichten, berufliche Massnahmen zu treffen und hernach eine neue
Rentenprüfung vorzunehmen.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz ermittelte im Rahmen eines Einkommensvergleichs nach
Vornahme eines leidensbedingten Abzuges von 10 % vom Invalideneinkommen gemäss
Tabellenlohn einen Invaliditätsgrad von 20 oder 22 % und verneinte demgemäss
den Anspruch auf eine Invalidenrente. Mit Bezug auf berufliche
Eingliederungsmassnahmen gelangte das Versicherungsgericht zum Schluss, der
Beschwerdeführer sei subjektiv eingliederungsunfähig; dies ergebe sich
namentlich aus dem Gutachten der Klinik Y.________.

2.2 Der Beschwerdeführer bestreitet das Fehlen der Eingliederungswilligkeit und
wirft der IV-Stelle vor, während Jahren von Eingliederungsmassnahmen abgesehen
zu haben, obwohl die Voraussetzungen gegeben gewesen wären. Das Zuwarten habe
zu einer Chronifizierung und einer gewissen Resignation geführt, worauf ihm
nunmehr seitens der Invalidenversicherung und der Vorinstanz mangelnde
subjektive Eingliederungsbereitschaft unterstellt werde. Schliesslich macht der
Versicherte geltend, dass ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchgeführt werden
müsse, bevor Eingliederungsmassnahmen abgelehnt würden.

3.
Für ihre Aussage, dem Beschwerdeführer fehle die subjektive
Eingliederungsfähigkeit, stützt sich die Vorinstanz auf das Gutachten der
Klinik Y.________ vom 20. November 2007 und den Abklärungsbericht des
Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) vom 6. Juli 2007 über ein
dreimonatiges Einsatzprogramm. Das RAV stellt wohl fest, der Einsatz des
Beschwerdeführers lasse zu wünschen übrig; indessen wird ausdrücklich darauf
hingewiesen, diese Beurteilung beziehe sich nicht auf die innere Einstellung
des Versicherten, sondern sei der gegenwärtigen gesundheitlichen Verfassung
zuzuschreiben. Bei den vom kantonalen Gericht erwähnten Aussagen im Gutachten
der Klinik Y.________ wiederum handelt es sich um die Angaben des
Beschwerdeführers, wogegen die Experten in ihrer Beurteilung und Prognose, auf
welche in beweismässiger Hinsicht abzustellen ist, keine mangelnde
Eingliederungsbereitschaft feststellen. Auch andere Arztberichte lassen sodann
entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen nicht auf mangelnden
Eingliederungswillen des Beschwerdeführers schliessen. Soweit die Vorinstanz
die subjektive Eingliederungsfähigkeit verneint hat, ist die Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts unvollständig. Da sowohl die Expertise der
Klinik Y.________ vom 20. November 2007 wie auch der Abklärungsbericht des RAV
vom 6. Juli 2007 nicht erkennen lassen, dass es dem Beschwerdeführer am
Eingliederungswillen gebricht, ist der Sachverhalt insoweit zu berichtigen, als
nicht von fehlender subjektiver Eingliederungsfähigkeit auszugehen ist. Dazu
besteht im übrigen umso mehr Anlass, als auch die Berichte und Zeugnisse des
Psychiaters Dr. med. A.________, der den Beschwerdeführer seit August 2006
behandelt, keine Hinweise auf fehlende Eingliederungswilligkeit enthalten, und
ebenso im neuesten Bericht des Hausarztes Dr. med. B.________, vom 21. Februar
2008 keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme zu finden sind.

4.
Gestützt auf einen rechtskonform durchgeführten Einkommensvergleich hat das
Versicherungsgericht einen Invaliditätsgrad von rund 20 oder 22 % ermittelt,
wovon auszugehen ist, zumal der Beschwerdeführer gegen die
Invaliditätsbemessung keine Einwendungen erhebt. Da eine invaliditätsbedingte
Erwerbseinbusse von etwa 20 % rechtsprechungsgemäss Anspruch auf Umschulung
verleiht (BGE 124 V 108 E. 2b S. 110; SVR 2006 IV Nr. 15 S. 53, I 18/05), wenn
die weiteren Erfordernisse erfüllt sind, hat der Versicherte Anspruch auf diese
und auch die weiteren (beruflichen) Massnahmen nach Art. 14a, 15 und 18 IVG,
welche keinen Mindestinvaliditätsgrad verlangen, soweit die übrigen
gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdeführer
überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 9. März 2009 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons St. Gallen vom 19. Februar 2008 aufgehoben. Die Sache wird an die
Verwaltung zurückgewiesen, damit sie die in Betracht fallenden beruflichen
Massnahmen prüfe und hernach über den Anspruch neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons St. Gallen
auferlegt.

3.
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. November 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer