Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 293/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_293/2009

Urteil vom 4. Dezember 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Parteien
S.________,
handelnd durch Rechtsanwältin Gabriella Mattmüller,
und diese vertreten durch lic. iur. Claudia Bretscher,
Beschwerdeführer,

gegen

Gemeinde X.________, Verwaltungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV und IV für
das Y.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 28. Februar 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1961 geborene S.________ meldete sich am 6. Dezember 2007 zum Bezug von
Ergänzungsleistungen zu seiner Invalidenrente an. Mit Verfügungen vom 8. und 9.
April 2008 setzte die Gemeinde X.________, Verwaltungsstelle für
Zusatzleistungen zur AHV und IV für Y.________ (nachfolgend:
Verwaltungsstelle), die Ergänzungsleistungen für Januar bis März 2008 und ab
April 2008 auf Fr. 633.- monatlich fest. Die hiegegen von S.________ erhobene
Einsprache wies die Verwaltungsstelle mit Entscheid vom 20. Juni 2008 teilweise
gut; gleichzeitig wurde in Umsetzung dieses Entscheides mit Verfügung vom
gleichen Tag der Anspruch neu auf Fr. 639.- monatlich festgesetzt.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. Februar 2009 teilweise gut und wies die
Sache an die Verwaltungsstelle zurück, damit sie über den Anspruch auf
Ergänzungsleistungen neu verfüge.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt S.________
beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sei betreffend den als
Erwerbseinkommen der Mutter anzurechnenden Betrag aus der Haushaltführung für
den erwachsenen Sohn I.________ teilweise aufzuheben. Es sei der von der
Vorinstanz als Erwerbseinkommen der Mutter festgesetzte Betrag aus der
Haushaltführung von Fr. 2'910.- auf Fr. 1'815.- zu reduzieren und
festzustellen, dass dieses Erwerbseinkommen in der EL-Berechnung qualifiziert,
d.h. lediglich zu 2/3 anzurechnen sei.
Während das BSV auf eine Vernehmlassung verzichtet, beantragt die
Verwaltungsstelle, die Beschwerde abzuweisen und "den Betrag für die
Haushaltführung auf Fr. 8'400.- zu belassen".

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid ist formell ein Rückweisungsentscheid, belässt
jedoch der Verwaltung keinen Beurteilungsspielraum mehr und ist somit als
Endentscheid zu qualifizieren, gegen den die Beschwerde zulässig ist (Art. 90
BGG; BGE 134 II 124 E. 1.3).

1.2 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dies ist auf Grund der Vorbringen
in der Beschwerde zu prüfen (in SVR 2008 AlV Nr. 12 S. 35 publ. E. 1.2 und 2.2
des Urteils BGE 133 V 640). Das Bundesgericht darf nicht über die Begehren der
Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG).

1.3 Auf den Antrag der Beschwerdegegnerin, den Betrag für die Haushaltführung
bei Fr. 8'400.- zu belassen, kann nicht eingetreten werden, da das
Bundesgerichtsgesetz das Institut der Anschlussbeschwerde nicht kennt und die
Beschwerdegegnerin nicht selbstständig Beschwerde erhoben hat (Ulrich Meyer,
in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 4 zu Art. 102 BGG; vgl.
Urteil 9C_782/2008 vom 4. März 2009, E. 1.2).

2.
Die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
haben durch das am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6.
Oktober 2006 über die Schaffung von Erlassen zur Neugestaltung des
Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (AS 2007
5779) eine umfassende Neuregelung erfahren. Die Vorinstanz hat diese ab 1.
Januar 2008 geltenden Bestimmungen (ELG; SR 831.30; AS 2007 6055) und
Grundsätze über Berechnung und Höhe der jährlichen Ergänzungsleistungen (Art. 9
Abs. 1 ELG), insbesondere die Regeln betreffend anerkannte Ausgaben (Art. 9
Abs. 2 Satz 1 und Art. 10 Abs. 1 lit. b ELG) und anrechenbare Einnahmen (Art.
11 Abs. 1 ELG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Zu prüfen ist die Höhe des Anspruchs des Beschwerdeführers auf
Ergänzungsleistungen. Dabei ist nurmehr die Höhe des in der EL-Berechnung
anzurechnenden Erwerbseinkommens der Ehefrau im Zusammenhang mit dem von Sohn
I.________ entrichteten Kostgeld von Fr. 1'000.- monatlich streitig.
Während die Verwaltungsstelle in Kenntnis des durch den Sohn effektiv
geleisteten Haushaltsbeitrages von Fr. 1'000.- monatlich einen solchen von Fr.
700.- als Einkommensanteil der Ehefrau anrechnete (entsprechend Fr. 8'400.-
jährlich), dies unter Verweis auf eine Anfrage bei den Jugendsekretariaten,
wonach Eltern bei einem Lohn von Fr. 4'845.-, wie ihn der Sohn erziele, einen
Haushaltbeitrag zwischen Fr. 650.- und Fr. 1'100.- verlangen könnten, setzte
die Vorinstanz diesen Betrag auf Fr. 2'910.- herab, indem sie vom geleisteten
Haushaltbeitrag von Fr. 1'000.- effektive Pensionskosten von Fr. 757.50
(jeweils Fr. 105.- [30 x Fr. 3.50] für Morgenessen und Fr. 240.- [30 x Fr. 8.-]
für Abendessen zuzüglich Mietzinsanteil von Fr. 412.50) abzog, ergebend einen
Beitrag von Fr. 242.50 x 12.

Dagegen bringt der Beschwerdeführer vor, das kantonale Gericht habe beim
berücksichtigten Pensionskostenanteil die für das Mittagessen am Wochenende
anfallenden Kosten sowie den Anteil des Sohnes am Energieverbrauch
unberücksichtigt gelassen. Zudem sei das Einkommen der Ehefrau nur zu zwei
Dritteln anzurechnen.

3.2 Das von den Kindern entrichtete Kostgeld ist insofern als Einkommen der
Mutter anzurechnen, als es die effektiven Pensionskosten übersteigt (ZAK 1975
S. 396 E. 3; 1967 S. 182; Urs Müller, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, S.
99, Rz. 308). Es ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das
kantonale Gericht gegenüber der Vorinstanz den effektiv bezahlten
Kostgeldbeitrag des Sohnes berücksichtigt und davon die tatsächlichen
Pensionskosten abgezogen hat. Für die Festlegung der tatsächlichen
Pensionskosten hat es auf die Ansätze von Art. 11 Abs. 2 AHVV (Fr. 3.50 für
Frühstück, Fr. 10.- für Mittagessen, Fr. 8.- für Abendessen) abgestellt, welche
gemäss Art. 11 ELV auch für die Bewertung des Naturaleinkommens massgebend sind
(vgl. dazu Rz. 2067 der Wegleitung des BSV über die Ergänzungsleistungen zur
AHV und IV, WEL). Allerdings enthält auch dieser Ansatz nebst dem Sachaufwand
einen bestimmten Lohnanteil (vgl. ZAK 1972 S. 504, E. 2 Urteil P 39/71 vom 14.
April 1972). Wie es sich damit genau verhält und ob - wie der Beschwerdeführer
geltend macht - auch das Mittagessen des Sohnes am Wochenende noch als
Sachaufwand anzurechnen sei, kann offen bleiben, weil es am Ergebnis nichts
ändert. Dasselbe gilt für die geltend gemachte anteilsmässige Anrechnung am
Energieverbrauch. Denn selbst wenn man von dem von der Vorinstanz festgelegten
Haushaltsbeitrag von Fr. 2'910.- ausgeht, ist die Beschwerde begründet, wie im
Folgenden zu zeigen ist.

3.3 Zu prüfen bleibt, ob die so ermittelten Einkünfte von Fr. 2'910.- voll oder
nur zu zwei Dritteln, also privilegiert, anzurechnen sind, wie das der
Beschwerdeführer nunmehr geltend macht. Diese neue rechtliche Argumentation
fällt nicht unter das Novenverbot von Art. 99 BGG und ist daher zulässig,
soweit sie sich im Rahmen des Streitgegenstands bewegt (Ulrich Meyer, Basler
Kommentar zum BGG, Basel 2008, N 23, 25 und 27 zu Art. 99; vgl. 9C_301/2008 vom
2. Juli 2008), was hier zutrifft.
Gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG werden zwei Drittel der Erwerbseinkünfte in
Geld oder Naturalien als Einnahmen angerechnet, soweit sie bei alleinstehenden
Personen jährlich 1000 Franken und bei Ehepaaren und Personen mit
rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine
Kinderrente der AHV oder IV begründen, 1500 Franken übersteigen; bei invaliden
Personen mit einem Anspruch auf ein Taggeld der IV wird das Erwerbseinkommen
voll angerechnet. Der ahv-rechtliche Begriff des Erwerbseinkommens kann
sinngemäss auf das Ergänzungsleistungsrecht übertragen werden. Massgebend ist,
dass die Einkünfte sich aus wirtschaftlicher Betätigung ergeben und damit die
Ausübung einer Tätigkeit geldwerte Leistungen nach sich zieht (URS MÜLLER,
a.a.O. Rz. 302 f.; RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Ulrich
Meyer [Hrsg] Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Band XIIII, Soziale
Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007 S. 1748 f.). So verhält es sich beim in Frage
stehenden Haushaltsbeitrag: Soweit der Kostgeldbeitrag des Sohnes den
Sachaufwand für Verpflegung und Miete übersteigt, stellt er letztlich ein
Entgelt für die Haushaltführung durch die Mutter dar und ist deshalb nur zu
zwei Dritteln anzurechnen. Dies entspricht auch dem Vorgehen, wenn tatsächlich
kein Kostgeld bezahlt wird, jedoch von einem nicht in der EL-Berechnung
miteinbezogenen Kind im Hinblick auf seine wirtschaftliche Lage eine
Kostenbeteiligung verlangt werden kann, wovon die Verwaltung im
Einspracheentscheid ausgegangen zu sein scheint: Diesfalls ist der
haushaltführenden Person ein hypothetisches Erwerbseinkommen aufzurechnen, das
wiederum privilegiert Berücksichtigung findet (BGE 109 V 30 E. 3), da
hypothetische Einkünfte in gleicher Weise zu privilegieren sind wie tatsächlich
erzielte (AHI 2001 S. 134 E. 1c, BGE 119 V 271 E. 3b S. 274; 117 V 287 E. 3c S.
292).
Zusätzlich wäre der Freibetrag von Fr. 1'500.- zu berücksichtigen, wie die
Verwaltungsstelle an sich zutreffend ausführt. Dies ergäbe einen anrechenbaren
Betrag von Fr. 940.- (2'910.- - 1'500.- = 1'410.- , davon zwei Drittel). Da der
Beschwerdeführer diesbezüglich aber keinen Einwand vorgebracht hat und in
seinen Begehren lediglich die Reduktion von Fr. 2'910.- auf Fr. 1'815.- sowie
die Anrechnung dieses Einkommens zu zwei Dritteln (= Fr. 1'210.-) verlangt, ist
das Bundesgericht daran gebunden (Art. 107 Abs. 1 BGG; vgl. E. 1.1 hievor). Dem
Begehren ist deshalb wie beantragt zu entsprechen und bei der EL-Berechnung ein
Einkommen der Ehefrau von Fr. 1'210.- zu berücksichtigen. Die Sache ist an die
Verwaltungsstelle zurückzuweisen, damit sie gestützt darauf den Anspruch auf
Ergänzungsleistungen des Beschwerdeführers neu festsetze.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 4 lit. a, Art. 66 Abs. 1 BGG).
Ferner hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 28. Februar 2009 wird dahin geändert, dass das in der
EL-Berechnung zu berücksichtigende Erwerbseinkommen der Ehefrau aus der
Haushaltführung auf Fr. 1'210.- festgesetzt wird. Die Sache wird an die
Gemeinde X.________, Verwaltungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV und IV für
das Y.________, zurückgewiesen, damit sie in diesem Sinne über den Anspruch des
Beschwerdeführers auf Ergänzungsleistungen ab Januar 2008 neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Dezember 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Helfenstein Franke