Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 233/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_233/2009

Urteil vom 6. Mai 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
A.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dieter Studer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
28. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
Die 1974 geborene A.________ meldete sich nach Auflösung des
Arbeitsverhältnisses mit der B.________ AG auf den 31. Januar 2007 am 6.
Februar 2007 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Gestützt auf
die beigezogenen Arztberichte, namentlich ein interdisziplinäres Gutachten des
Regionalen Ärztlichen Dienstes der Invalidenversicherung (RAD), vom 6. Februar
2008, sprach die IV-Stelle des Kantons Thurgau A.________ nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren ab 1. Mai 2007 eine bis 31. Juli 2007 befristete ganze
Invalidenrente zu (Verfügung vom 22. August 2008).

B.
Die von A.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 28. Januar 2009 ab.

C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien ihr
die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen; eventuell sei die Sache zu weiterer
Abklärung und neuer Verfügung an die Verwaltung zurückzuweisen. Mit Eingabe vom
12. März 2009 reicht die Versicherte einen Bericht des Dr. med. R.________ vom
gleichen Tag ein.
Während die IV-Stelle und das kantonale Gericht auf Abweisung der Beschwerde
schliessen, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Nach der Rechtsprechung sind bei der rückwirkenden Zusprechung einer
abgestuften oder befristeten Rente die Revisionsbestimmungen (Art. 17 Abs. 1
ATSG; Art. 88a Abs. 1 IVV) analog anwendbar, weil noch vor Erlass der ersten
Rentenverfügung eine anspruchsbeeinflussende Änderung eingetreten ist mit der
Folge, dass dann gleichzeitig die Änderung mitberücksichtigt wird (vgl. BGE 109
V 125 E. 4a S. 126; ZAK 1984 S. 133; Urteile 9C_734/2008 vom 24. November 2008
und I 79/07 vom 17. Januar 2008; siehe auch BGE 131 V 164 E. 2.2 S. 165).
Gemäss Art. 88a Abs. 1 IVV ist bei einer Verbesserung der Erwerbsfähigkeit die
anspruchsbeeinflussende Änderung für die Herabsetzung oder Aufhebung der
Leistung von dem Zeitpunkt an zu berücksichtigen, in dem angenommen werden
kann, dass sie voraussichtlich längere Zeit dauern wird; sie ist in jedem Fall
zu berücksichtigen, nachdem sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate
angedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird.

2.2 Mit Verfügung vom 22. August 2008 sprach die IV-Stelle der
Beschwerdeführerin rückwirkend ab 1. Mai 2007 eine bis 31. Juli 2007 befristete
ganze Invalidenrente zu. Die Vorinstanz wies die hiegegen erhobene Beschwerde
ab, wobei sie im Wesentlichen gestützt auf die Abklärungen des RAD ab August
2007 von einer Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit von lediglich noch 15 %
ausging. Dementsprechend ende der Rentenanspruch am 31. Juli 2007.
Nach Massgabe des analog anwendbaren Art. 88a Abs. 1 IVV ist dieses Vorgehen
unzulässig. Vielmehr konnte die ab 1. Mai 2007 gewährte ganze Invalidenrente
frühestens mit Wirkung ab 1. November 2007 aufgehoben werden, falls die den
Rentenanspruch ausschliessende Verbesserung der Erwerbsfähigkeit bis zu jenem
Zeitpunkt angehalten hatte und anzunehmen ist, dass sie darüber hinaus
angedauert hat.
2.3
2.3.1 Das Verwaltungsgericht stellte in einlässlicher Würdigung der
medizinischen Unterlagen fest, dass die Beschwerdeführerin ab August 2007 nur
noch im Ausmass von 15 % in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt war. Dabei hat
es auch zu der seitens der behandelnden Ärzte erhobenen Kritik an dem von ihm
als massgebend erachteten Gutachten des RAD Stellung bezogen und diese
entkräftet. In der Beschwerde wird nichts vorgebracht, was die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen medizinischen Sachverhalts als
offensichtlich unrichtig oder auf einer Bundesrechtsverletzung beruhend
erscheinen lassen könnte, weshalb das Bundesgericht von der festgestellten
Arbeitsunfähigkeit von 15 % auszugehen hat (E. 1 hievor; vgl. BGE 132 V 393 E.
3.2 S. 397).
2.3.2 Aus dem Ablauf des Administrativverfahrens, insbesondere dem Umstand,
dass die RAD-Psychiaterin die am 14. März 2007 empfohlene Untersuchung selber
durchführte, ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Befangenheit. Der in
diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf der "Vorab-Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit" ist unbegründet. Denn Frau Dr. med. B.________ hat nur die
Erfahrungstatsache zum Ausdruck gebracht, dass Depressionen in der Regel
behandelbar sind, eine gute Prognose aufweisen und daher nur selten zur
Invalidität führen. Wenn in der Beschwerde beanstandet wird, die Ärztin habe
die Gründe für den im Verlauf der Erstexploration eingetretenen
Stimmungsumschwung "im Dunkeln gelassen", so spricht dies nicht gegen die
Ordnungsmässigkeit der Expertisierung; ein Verstoss gegen die deontologischen
Grundsätze der psychiatrischen Begutachtung im Sinne der Leitlinien der
Schweiz. Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie (SGVP; vgl. SAeZ 2004 S.
1048 ff.) ist nicht ersichtlich.
2.3.3 Die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin erschöpfen sich zur
Hauptsache in einer im letztinstanzlichen Verfahren unzulässigen,
appellatorischen Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz. Soweit sich die
Beschwerdeführerin auf die am 17. Oktober 2008 erfolgte Einweisung in die
Psychiatrische Klinik X.________ und die dort bis 24. Dezember 2008
durchgeführte stationäre Behandlung beruft, kann sie daraus nichts zu ihren
Gunsten ableiten. Denn diese Therapie fällt auf einen Zeitraum nach Erlass der
Verfügung der IV-Stelle vom 22. August 2008 und hätte bei einer damit
verbundenen, andauernden rentenerheblichen Verschlechterung des
Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit gegebenenfalls Gegenstand einer
neuen Verwaltungsverfügung zu bilden. Auch der nachträglich eingereichte
hausärztliche Verlaufsbericht des Allgemeinpraktikers Dr. med. R.________ vom
12. März 2009 kann schon deshalb nicht in die Beurteilung einbezogen werden,
weil dieser sich, soweit von Belang, auf die Zeit der Hospitalisation bezieht
und keine zuverlässigen, objektivierbaren und begründeten Rückschlüsse auf den
Grad der Arbeitsunfähigkeit in dem für die richterliche Beurteilung
massgebenden Zeitraum bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung (BGE 129 V 1 E.
1.2 S. 4) zulässt.
2.3.4 Schliesslich ist im Umstand, dass die Vorinstanz die Arztberichte
abweichend von den Vorbringen der Versicherten gewichtet und gewürdigt hat,
keine Rechtsverletzung, namentlich kein Verstoss gegen den
Untersuchungsgrundsatz, zu erkennen. Wenn das kantonale Gericht trotz der von
den Dres. med. R.________ und L.________ geäusserten Zweifel an Sinn und
Verwertbarkeit einer Begutachtung durch die RAD-Ärztin auf den entsprechenden
Bericht abgestellt hat, ist es jedenfalls entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin nicht in Willkür verfallen.

3.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den Parteien
anteilsmässig aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die IV-Stelle hat der
Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 28. Januar 2009 und die Verfügung
der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 22. August 2008 werden dahin abgeändert,
dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine ganze Invalidenrente bis 31.
Oktober 2007 hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin Fr. 300.-
und der Beschwerdegegnerin Fr. 200.- auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 600.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung
des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Mai 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer