Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 226/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_226/2009

Urteil vom 19. August 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
V.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Chopard,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente, Einkommensvergleich),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 26. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene V.________ verunfallte am 4. Mai 2002 als Lenker eines vor
einem Rotlicht angehaltenen Personenwagens bei einer Auffahrkollision. Am 29.
Januar 2003 meldete er sich unter Hinweis auf ein bei dem Unfall erlittenes
Schleudertrauma der Halswirbelsäule bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte den medizinischen
und erwerblichen Sachverhalt ab. Nach Einholung eines Gutachtens der
Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) des Spitals X.________ (vom 18. Juli
2006) und nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte sie mit Verfügung
vom 3. März 2007 bei einem Invaliditätsgrad von 30 % den Anspruch auf eine
Invalidenrente.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 26. Januar 2009 ab.

C.
V.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; er
beantragt Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie Zusprechung einer
Invalidenrente auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von mindestens 40 %;
zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.

Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, wozu auch
die unvollständige Tatsachenermittlung zählt.

1.2 Feststellungen der Vorinstanz hinsichtlich des Grades der
Arbeitsunfähigkeit betreffen Tatfragen, soweit sie auf der Würdigung konkreter
Umstände beruhen, und sind daher lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel
überprüfbar (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 f.). Bei der Bestimmung der für die
Bemessung des Invaliditätsgrades massgebenden hypothetischen Einkommen ist als
Rechtsfrage frei überprüfbar, ob sie auf der Grundlage statistischer
Durchschnittslöhne zu ermitteln sind, und welches die massgebliche Tabelle ist
(vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist auch die
getroffene Wahl der massgeblichen Stufe (Anforderungsniveau 1+2, 3 oder 4) beim
statistischen Lohnvergleich auf der Grundlage der Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik (LSE) (SVR 2008 IV Nr. 4 S. 9 [Urteil I 732/06 vom 2.
Mai 2007, E. 4.2.2]). Die Frage, ob ein leidensbedingter Abzug nach Massgabe
der Grundsätze von BGE 126 V 75 vorzunehmen sei, ist rechtlicher Natur, die
Bestimmung eines solchen Abzuges dagegen Ermessensfrage, die im Gegensatz zum
früheren Recht (vgl. Art. 104 lit. c OG) nicht zu prüfen ist (Art. 95 und 97
BGG). Gerügt werden kann die Höhe des Abzuges nur im Hinblick auf
Ermessensüberschreitung oder -missbrauch als Formen rechtsfehlerhafter (Art. 95
lit. a BGG) Ermessensbetätigung (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente. Das kantonale Gericht hat
die für die Beurteilung einschlägigen rechtlichen Grundlagen zutreffend
dargelegt.

3.
3.1 Die Vorinstanz ist nach umfassender Feststellung und Würdigung des
medizinischen Sachverhaltes zum Schluss gekommen, gestützt auf das Gutachten
der MEDAS vom 18. Juli 2006 sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in
einer seinen Wirbelsäulenbeschwerden gerecht werdenden, mit geringem Zeitdruck
einhergehenden und keine hohen Anforderungen an das Umstellungsvermögen
stellenden Tätigkeit wieder zu 90 % arbeitsfähig ist, wobei im Rahmen der
Reintegration in den Arbeitsprozess während der Einstiegsphase ein erhöhter
Pausenbedarf zu berücksichtigen ist. Der Beschwerdeführer rügt, im Gutachten
sei "aus psychiatrischer Sicht in einer den somatischen Leiden Rechnung
tragenden Tätigkeit eine 80-90%ige Arbeitsfähigkeit" angegeben, wovon die
Vorinstanz zunächst auch richtig ausgegangen sei. Die zusammenfassende
Feststellung einer Arbeitsfähigkeit von 90 % sei aktenwidrig und damit
offensichtlich unrichtig.

3.2 Die gutachterliche Einschätzung einer aus psychiatrischer Sicht in einer
den somatischen Beschwerden angepassten Tätigkeit bestehenden Arbeitsfähigkeit
von "80 % bis 90 %" lässt ohne nähere Angaben darauf schliessen, dass eine
Arbeitsunfähigkeit von 10 % tendenziell als zu niedrig, von 20 % dagegen als
eher zu hoch angesehen wird. Es rechtfertigt sich, für die
Invaliditätsbemessung den Mittelwert (85 %) heranzuziehen. Dieses Vorgehen
vermeidet Rechtsungleichheiten, die sich einstellen können, wenn der eine
Gutachter die an sich gleiche Beurteilung in einem einzigen Wert, der andere
aber in einer mehr oder weniger grossen Spannbreite ausdrückt. Ob ein
Mittelwert zu berücksichtigen ist, ist als Rechtsfrage durch das Bundesgericht
frei überprüfbar. Es hat wie zuvor das Eidgenössische Versicherungsgericht
(EVG) in vergleichbaren Konstellationen regelmässig auf den Mittelwert
abgestellt (s. zuletzt Urteil 8C_234/2009 vom 28. April 2009 E. 3.1 mit Hinweis
auf Urteil 9C_626/2007 vom 28. Dezember 2007 E. 3.2; EVG-Urteile I 822/04 vom
21. April 2005 E. 4.4; I 378/02 vom 15. Januar 2004 E. 4.1; I 734/02 vom 5.
Juni 2003 E. 4.3.2; I 328/02 vom 3. März 2003 E. 4.2; I 266/01 vom 19. August
2002 E. 3.2; I 314/00 vom 7. Mai 2001 E. 2b).

4.
Was die vom Beschwerdeführer geforderte Erhöhung des leidensbedingten Abzuges
auf 25 % betrifft, ist oben dargelegt (E. 1.2), dass die Bestimmung dieses
Abzugs eine letztinstanzlich nicht zu prüfende Ermessensfrage ist: Die Höhe
kann nur im Hinblick auf Ermessensüberschreitung oder -missbrauch als Formen
rechtsfehlerhafter Ermessensbetätigung gerügt werden. Solches wird nicht
geltend gemacht und liegt auch nicht vor. Der Abzug hat nicht automatisch zu
erfolgen, sondern dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die versicherte
Person wegen eines oder mehrerer Merkmale (leidensbedingte Einschränkung,
Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad)
die verbliebene Arbeitsfähigkeit nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem
Erfolg verwerten kann. Wenn der Beschwerdeführer sich darauf beruft, dass sein
erhöhter Pausenbedarf sich auf die Lohnhöhe wie ein Teilzeitpensum auswirke,
verkennt er, dass das kantonale Gericht genau mit dieser Überlegung den von der
Verwaltung auf 15 % festgesetzten Abzug bestätigt hat. Die restlichen Merkmale
(Alter, Dienstalter, Nationalität/Aufenthaltskategorie) fallen hier fraglos
nicht ins Gewicht, wie die Vorinstanz mit Recht festgestellt hat.

5.
Bei einem neu auf 85 % festgesetzten Grad der Arbeitsfähigkeit und dem auf 15 %
belassenen leidensbedingten Abzug erhöht sich der Invaliditätsgrad des
Beschwerdeführers auf 39 %: Hypothetisches Vollzeit-Invalideneinkommen von Fr.
57'804.- x 0,85 [Leistungseinbusse 15 %] x 0,85 [leidensbedingter Abzug 15 %] =
Bereinigtes Invalideneinkommen von Fr. 41'763.39 = Invaliditätsgrad von 39,22 %
[bei einem Valideneinkommen von Fr. 68'717.-]. Nach der Rechtsprechung (BGE 130
V 121 E. 3 S. 122 f.) kann dieser Wert nicht auf 40 % aufgerundet werden und
verschafft darum keinen Anspruch auf eine (Viertels-)Rente.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wird entsprochen (Art. 64 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Er hat
der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu in der Lage ist (Art.
64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Dominique Chopard, Zürich, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. August 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Borella Schmutz