Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 225/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_225/2009

Urteil vom 6. Juli 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
T.________, vertreten durch Rechtsanwalt George Hunziker, Haus zum Raben,
Hechtplatz/Schifflände 5, 8001 Zürich,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgen-
strasse 17, 8087 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 2. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a T.________, geboren 1951, meldete sich am 18. Februar 2003 zum Bezug von
Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich erhob
Informationen zur gesundheitlichen, erwerblichen und persönlichen Situation des
Versicherten und holte beim Begutachtungsinstitut X.________ ein Gutachten (vom
20. November 2003) ein. Die Experten konnten in somatischer Hinsicht
geringfügige orthopädische Befunde erheben, welche die ganztägige
Leistungsfähigkeit in körperlich leichten und mittelschweren Tätigkeiten nicht
limitierten. Aus psychiatrischer Sicht stellten sie eine diskret ausgeprägte
Dysthymie fest, die die Arbeitsfähigkeit in einer den körperlichen Beschwerden
angepassten Tätigkeit nicht einschränkte. Gestützt auf die genannten
Abklärungen verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf berufliche Massnahmen
(Verfügung vom 9. Januar 2004) und aufgrund eines Invaliditätsgrades von 10 %
die Ausrichtung einer Invalidenrente (Verfügung vom 5. Februar 2004).
A.b Am 27. Juni 2005 meldete sich T.________ unter Hinweis auf einen am 16. Mai
2005 erlittenen Herzinfarkt erneut zum Leistungsbezug (Rente) an. Die IV-Stelle
holte medizinische Berichte ein und wies das Begehren mit Verfügung vom 9.
Dezember 2005 ab, weil die einjährige Wartezeit noch nicht abgelaufen sei.
A.c Mit hausärztlichem Schreiben vom 8. Mai 2006 liess T.________ die IV-Stelle
wiederum um Prüfung des Rentenanspruches ersuchen. Die Verwaltung holte unter
anderem Berichte der behandelnden Ärzte Dres. med. V.________, Psychiatrie und
Psychotherapie FMH, vom 20. Mai 2006 und T.________, Innere Medizin FMH, vom
22. Mai 2006 ein. Letzterer attestierte eine seit einem Myokardinfarkt am 16.
Mai 2005 andauernde 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit sowie einen Diabetes
mellitus Typ II, zusätzlich diagnostiziert seit Januar 2006. Der Psychiater
bescheinigte dem Versicherten eine seit mindestens 2004 irreparabel gegen 0 %
eingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Mit Vorbescheid vom 10. November 2006 teilte
die IV-Stelle T.________ mit, sie gedenke das Leistungsbegehren abzuweisen, da
kein anspruchsbegründender Invaliditätsgrad ausgewiesen sei. Auf Antrag im
Einwand des Versicherten hin veranlasste sie ein psychiatrisches Gutachten,
welches Dr. med. B.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, am 23. April
2007 erstattete. Es attestierte T.________ eine spätestens seit dem Herzinfarkt
am 16. Mai 2005 bestehende chronische und unbehandelbare vollständige Arbeits-
und Erwerbsunfähigkeit. Aufgrund der erneuten Beurteilung der medizinischen
Akten durch den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; med. pract. U.________) vom
2. Mai 2007, der das Gutachten des Dr. med. B.________ als nur teilweise
plausibel und nachvollziehbar bezeichnete und eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit verneinte, lehnte die IV-Stelle das Leistungsbegehren mit
Verfügung vom 8. Mai 2007 ab.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 2. Dezember 2008 ab.

C.
T.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt Zusprechung einer ganzen Invalidenrente; eventualiter sei die Sache
zu ergänzenden Ermittlungen an die Verwaltung zurückzuweisen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG). Diese gesetzliche Kognitionsbeschränkung in tatsächlicher Hinsicht
gilt namentlich für die Einschätzung der gesundheitlichen und leistungsmässigen
Verhältnisse (Art. 6 ATSG), wie sie sich im revisions- oder
neuanmeldungsrechtlich massgeblichen Vergleichszeitraum entwickelt haben
(Urteil I 692/06 vom 19. Dezember 2006, E. 3.1). Zeitlicher Ausgangspunkt für
die Beurteilung einer anspruchserheblichen Änderung des Invaliditätsgrades
(aufgrund einer Veränderung des Gesundheitszustandes, der Arbeits- und
Erwerbsunfähigkeit usw.) ist die letzte rechtskräftige Verfügung, welche auf
einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer
Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines
Einkommensvergleichs beruht (BGE 133 V 108 E. 5 S. 110 f.).

2.
Umstritten ist der Anspruch auf eine Invalidenrente. Die neuanmeldungsrechtlich
massgeblichen Vergleichszeitpunkte sind durch die Verfügungen vom 5. Februar
2004 und 8. Mai 2007 festgelegt.

2.1 Die Vorinstanz hat eine anspruchsrelevante Verschlechterung des
Gesundheitszustandes verneint und dazu Feststellungen getroffen, die für das
Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind (vgl. E. 1). Sie hat erwogen, der
Zweitgutachter Dr. med. B.________ habe lediglich die bereits von den
Vorgutachtern erhobenen Befunde anders interpretiert, und die psychiatrischen
Befunde, auf welche er seine Beurteilung abstütze, hätten nach seiner Aussage
bereits im Zeitpunkt der Begutachtung im Institut X.________ Ende 2003
vorgelegen. Aufgrund der medizinischen Aktenlage erscheine die Einschätzung des
RAD-Arztes als im Ergebnis zutreffend, wonach sich aus dem Herzinfarkt vom Mai
2005 keine dauerhafte Verschlechterung des Gesundheitszustandes ableiten lasse
und weiterhin auf die Zumutbarkeitsbeurteilung des Gutachtens des
Begutachtungsinstituts X.________ abgestellt werden könne.

2.2 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den medizinischen
Sachverhalt mangelhaft und einseitig festgestellt. So habe sie verkannt, dass
das psychische Beschwerdebild sich im relevanten Zeitraum erheblich geändert,
nämlich erweitert und intensiviert habe. Ihre Feststellung, eine
Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes als Auswirkung des
Herzinfarktes sei nicht ersichtlich, und die daraus abgeleitete Folgerung, es
sei keine erhebliche Änderung der Aktenlage eingetreten, seien unzutreffend und
zumindest, kraft Untersuchungsgrundsatz, näher abklärungsbedürftig.

3.
3.1 Der Sachverhalt ist von der Vorinstanz in psychiatrischer Hinsicht nicht
wie gerügt offensichtlich unrichtig oder rechtsfehlerhaft festgestellt worden
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Auch wenn der 2005 erlittene Herzinfarkt und der 2006
diagnostizierte Diabetes mellitus tatsächlich kaum ohne Einfluss auf die
psychische Verfassung des Beschwerdeführers geblieben sind, so ist nach der
Aktenlage (unter Vorbehalt des in E. 3.2 Ausgeführten) der Schluss zulässig,
dass die diagnostizierten körperlichen Leiden (Rückenbeschwerden, Status nach
Herzinfarkt und Diabetes mellitus) ihn nicht daran hindern, weiterhin
zudienend-manuelle Tätigkeiten von der Art zu verrichten, wie er sie nach den
Arbeitszeugnissen früher zur Zufriedenheit verschiedener Arbeitgeber ausgeübt
hat.

3.2 Beim Herzinfarkt vom 16. Mai 2005 handelte es sich indes um eine seit dem
Vergleichszeitpunkt vom 5. Februar 2004 neu aufgetretene gesundheitliche
Entwicklung. Der behandelnde Arzt Dr. med. T.________ attestierte deswegen am
22. Mai 2006 eine seit diesem Ereignis weiterhin andauernde volle
Arbeitsunfähigkeit. Die Vorinstanz verneinte eine kardiologische Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit in der Begründung des Entscheides (E. 3.2.1 und 4.2.1)
einzig mit dem Hinweis auf den Bericht der Klinik W.________ vom 7. Juni 2005;
dieser äussert sich jedoch dazu nicht explizit und empfiehlt zudem einen bloss
schrittweisen Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit. Der RAD hat am 8. Mai 2007
unter Hinweis auf den am 26. Juni 2006 einverlangten Bericht des
Universitätsspitals Y.________ (US) ausgeführt, der Versicherte sei aus
kardiologischer Sicht bereits "für 100 % in einer leidensangepassten Tätigkeit
eingeschätzt worden". Gemeint war damit wohl eine 100-prozentige
Arbeitsfähigkeit. Der genannte Bericht des US war jedoch von der Klinik für
Endokrinologie und Diabetologie erstattet und darin die Beurteilung
ausdrücklich auf den Einfluss des Diabetes beschränkt worden; für die
Beurteilung der Herzkrankheit wurde auf die Stellungnahme der behandelnden
Kardiologen verwiesen; diese ist dann offenbar nicht eingeholt worden und liegt
jedenfalls nicht in den Akten. Die Möglichkeit eines zumindest vorübergehenden
Anspruchs auf eine Rente wegen der Herzproblematik ist nach dem Gesagten nicht
ausgeschlossen und noch zu überprüfen.

3.3 Die durch Dr. med. B.________ jetzt als schwer oder ausgeprägt bezeichnete
Dysthymie (ICD-10 F34.1) ist zwar als solche nicht invalidisierend, da sie
psychiatrisch immer noch keine - geschweige denn eine mittelschwere oder
schwere - Depression darstellt, andernfalls er eine solche diagnostiziert
hätte; ferner haben die beschriebenen Defizite hinsichtlich Konzentration und
Frischgedächtnis sowie die diagnostizierte abhängige Persönlichkeitsstörung mit
Regressionstendenz daneben keine selbstständige Bedeutung, erscheinen sie doch
als Ergebnis der seit Jahren andauernden, als hoffnungslos empfundenen und auch
so zum Ausdruck gebrachten Erwerbslosigkeit und persönlichen Situation. Wo wie
hier die soziokulturellen und psychosozialen Einflüsse - auch jene des
laufenden Neuanmeldungsverfahrens - das Bild prägen, ist bei der Annahme einer
rentenbegründenden Invalidität Zurückhaltung geboten (BGE 127 V 294 E. 5a S.
299). Je nach dem Ergebnis der kardiologischen Abklärungen kann aber Grund für
eine erneute psychiatrische Begutachtung bestehen, dies mit Blick auf die im
Administrativgutachten vom 23. April 2007 beschriebenen ausgeprägten panischen
Ängste (Realangst vor Reinfarkt), die durch den später diagnostizierten
Diabetes als zusätzlichen Risikofaktor für einen Reinfarkt unter Umständen noch
verstärkt worden sind.

4.
Die Vorbringen in den Ziffern 8-16 der Beschwerde sind unbegründet, da sie auf
eine gerichtliche Anweisung zur Wiedererwägung des rechtskräftig Entschiedenen
hinauslaufen, was nach ständiger Praxis zu Art. 53 Abs. 2 ATSG (vgl. BGE 133 V
50 E. 4.1 S. 52) nicht angeht. Ein prozessualer Revisionsgrund nach Art. 53
Abs. 1 ATSG ist weder dargetan noch ersichtlich.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Dezember 2008 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 8. Mai 2007 werden aufgehoben.
Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie,
nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch
neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Juli 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz