Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 220/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_220/2009

Urteil vom 25. Mai 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 27. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 1. Juni 2006 setzte die Ausgleichskasse des Kantons Aargau
die von M.________ für die Jahre 1996/97 geschuldeten persönlichen AHV/IV/
EO-Beiträge gestützt auf eine Meldung des Gemeindesteueramtes vom 26. Mai 2006,
laut welcher das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit in der
Berechnungsperiode 1993/94 für die direkte Bundessteuer ermessensweise auf Fr.
80'000.- im Jahr festgelegt worden war, auf Fr. 7427.20 im Jahr,
einschliesslich Verwaltungskosten, fest. Auf Einsprache hin hielt die
Ausgleichskasse mit Entscheid vom 29. Februar 2008 an der Beitragsverfügung
fest.

B.
Die von M.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 27. Januar 2009 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt M.________
sinngemäss, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien die Beiträge
nach Einholung einer Expertise zur Höhe des aus Landwirtschaft erzielten
Einkommens neu festzusetzen.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet
das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Versicherungsgericht hat die Bestimmungen über die Festsetzung
der Beiträge auf dem Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im
ordentlichen Verfahren (Art. 9 Abs. 2 AHVG; Art. 22 Abs. 1 und 2 AHVV in der
vorliegend massgebenden, bis 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung; Art.
23 Abs. 1 und 4 AHVV) sowie die Rechtsprechung zur Verbindlichkeit
rechtskräftiger Steuertaxationen für Ausgleichskassen und
Sozialversicherungsgerichte (BGE 110 V 83 E. 4 S. 85, 369 E. 2a S. 370 f.)
zutreffend dargelegt. Ergänzend ist auf Art. 25 Abs. 1 AHVV (in der vorliegend
anwendbaren, bis Ende 2000 gültig gewesenen Fassung) hinzuweisen, welche
folgenden Wortlaut hat: Nimmt der Beitragspflichtige eine selbständige
Erwerbstätigkeit auf oder haben sich die Einkommensgrundlagen seit der
Berechnungsperiode, für welche die kantonale Steuerbehörde das Erwerbseinkommen
ermittelt hat, infolge Berufs- oder Geschäftswechsels, Wegfalls oder
Hinzutritts einer Einkommensquelle, Neuverteilung des Betriebs- oder
Geschäftseinkommens oder Invalidität dauernd verändert und wurde dadurch die
Höhe des Einkommens wesentlich beeinflusst, so ermittelt die Ausgleichskasse
das massgebende reine Erwerbseinkommen für die Zeit von der Aufnahme der
selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. von der Veränderung bis zum Beginn der
nächsten ordentlichen Beitragsperiode und setzt die entsprechenden Beiträge
fest. Die Beiträge sind gemäss Art. 25 Abs. 3 AHVV für jedes Kalenderjahr
aufgrund des jeweiligen Jahreseinkommens festzusetzen. Für das Vorjahr der
nächsten ordentlichen Beitragsperiode sind die Beiträge aufgrund des reinen
Erwerbseinkommens festzusetzen, das der Beitragsbemessung für diese Periode
zugrunde zu legen ist. Eine solche Beitragsfestsetzung im ausserordentlichen
Verfahren setzt nebst einer qualitativen und dauerhaften Veränderung der
Einkommensgrundlagen eine Veränderung der Einkommenshöhe von mindestens 25 %
und einen Kausalzusammenhang zwischen der Veränderung der Einkommensgrundlagen
und der Einkommenshöhe voraus (BGE 106 V 74 E. 3a S. 76; Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 115/01 vom 28. September 2001 sowie zur
Grundlagenänderung aufgrund einer Invalidität Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts H 85/95 vom 19. Juni 1995). Eine Veränderung der
Einkommensgrundlagen kann so lange geltend gemacht werden, als die im
ordentlichen Beitragsbemessungsverfahren ergangene Beitragsverfügung nicht in
formelle Rechtskraft erwachsen ist. Sofern die Beitragsverfügung angefochten
wurde, kann die Veränderung der Einkommensgrundlagen auch noch im
erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden. Diesfalls ist das
Sozialversicherungsgericht gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz
verpflichtet, die diesbezüglichen Vorbringen zu beachten sowie für die richtige
und vollständige Abklärung des entsprechenden Sachverhalts zu sorgen (Urteil
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 85/95 vom 19. Juni 1995).
Schliesslich steht die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die
beitragspflichtige Person dem Anspruch auf eine Beitragsfestsetzung im
ausserordentlichen Verfahren nicht entgegen (erwähntes Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 115/01), und auch das Fehlen einer
steuerrechtlichen Zwischenveranlagung entbindet die AHV-Behörden nicht von der
Pflicht zur Prüfung, ob eine Grundlagenänderung vorliegt (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 91/97 vom 21. August 1998).

2.
2.1 Im kantonalen Verfahren brachte der Beschwerdeführer vor, seit September
1992 zu 50 %, seit 1. November 1996 zu 78 % invalid zu sein. Weiter machte er
geltend, dass er ab 1. Mai 1996 die Milchproduktion habe aufgeben müssen;
deshalb seien seine Einnahmen um Fr. 55'000.- im Jahr gesunken. Diese
Änderungen habe er auf dem im Rahmen der Abklärungen der Invalidenversicherung
ausgefüllten Fragebogen festgehalten. Ferner habe er einen Anstellungsvertrag
eingereicht; aus diesem sei ersichtlich, dass B.________ die Bewirtschaftung
vom Kulturland gegen Entlöhnung übernommen hat.

2.2 Aufgrund dieser Angaben wäre das kantonale Versicherungsgericht gehalten
gewesen, in Nachachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) zu
prüfen, ob die vom Beschwerdeführer behaupteten Umstände den Tatsachen
entsprechen und eine Einkommenseinbusse von mindestens 25 % bewirkt haben, was
die Anwendung des ausserordentlichen Beitragsfestsetzungsverfahrens zur Folge
hätte. Da es dies unterlassen hat, ist die Sache an das kantonale Gericht
zurückzuweisen, damit es nach Vornahme der erforderlichen Abklärungen prüfe, ob
das ausserordentliche Verfahren der Beitragsfestsetzung anwendbar ist. Hernach
wird es über die persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge des Beschwerdeführers für die
Jahre 1996/97 neu entscheiden.

3.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Ausgleichskasse aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
vom 27. Januar 2009 sowie der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des
Kantons Aargau vom 29. Februar 2008, soweit die Beitragsjahre 1996/97
betreffend, aufgehoben werden und die Sache an das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau zurückgewiesen wird, damit es, nach erfolgter Abklärung im Sinne
der Erwägungen, über die Festsetzung der persönlichen Beiträge des
Beschwerdeführers für die Jahre 1996/97 neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Ausgleichskasse des Kantons Aargau
auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Mai 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer