Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 207/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_207/2009

Urteil vom 16. April 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Advokat Erich Züblin,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 4. August 2009.

Sachverhalt:

A.
Seit 1. Januar 1995 bezieht M.________ (geb. 1967) wegen eines seit Geburt
bestehenden Hüftleidens eine halbe Rente der Invalidenversicherung. Der
Anspruch wurde mehrfach revisionsweise bestätigt, letztmals mit Mitteilung der
IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 24. November 2006. Auf ein von der
Versicherten im Dezember 2006 gestelltes Rentenerhöhungsgesuch hin klärte die
IV-Stelle die medizinischen Verhältnisse ab, ermittelte neu einen
Invaliditätsgrad von 36 % und hob die Rente mit Verfügung vom 7. Oktober 2008
(mit Wirkung auf Ende November 2008) auf.

B.
Beschwerdeweise liess M.________ das Rechtsbegehren stellen, die Verfügung sei
aufzuheben und es sei ihr weiterhin eine halbe Invalidenrente aufgrund eines
Invaliditätsgrades von 50 % auszurichten. Mit Entscheid vom 4. August 2009 wies
das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Beschwerde ab. M.________
wurde die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und (in der verbesserten Rechtsschrift vom 4. September 2009) beantragen, es
sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die IV-Stelle zu verpflichten, ihr
weiterhin eine halbe Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50 %
zu bezahlen. Des Weitern ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege
(Prozessführung, Verbeiständung).

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG). Diese gesetzliche Kognitionsbeschränkung in tatsächlicher Hinsicht
gilt namentlich für die Einschätzung der gesundheitlichen und leistungsmässigen
Verhältnisse (Art. 6 ATSG), wie sie sich im revisionsrechtlich massgebenden
Vergleichszeitraum (BGE 133 V 108) entwickelt haben (BGE 132 V 393; Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts I 692/06 vom 19. Dezember 2006 E. 3.1).

2.
Im angefochtenen Entscheid werden die Voraussetzungen für eine Revision der
Invalidenrente (Art. 17 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 f., 133 V 108 E. 5.4 S.
114, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig und zu prüfen ist vorab, welches der zeitliche Ausgangspunkt für die
Beurteilung einer anspruchserheblichen Änderung des Invaliditätsgrades bildet.
Rechtsprechungsgemäss ist dies die letzte rechtskräftige Verfügung, welche auf
einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer
Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines
Einkommensvergleichs beruht (BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 f., 133 V 108 E. 5.4 S.
114, je mit Hinweisen).

Zu Unrecht lässt die Beschwerdeführerin geltend machen, die Vorinstanz hätte
(ebenso wie die IV-Stelle) als Ausgangspunkt für die Beurteilung einer
relevanten Sachverhaltsänderung nicht von der ursprünglichen Verfügung vom
September 1995 ausgehen dürfen, sondern auf die (den Anspruch auf eine halbe
Rente bestätigende) Mitteilung der IV-Stelle vom 24. November 2006 abstellen
müssen. Denn wie sich aus den Akten ergibt, hat die Verwaltung im Verlaufe des
im Mai 2006 eingeleiteten Revisionsverfahrens zur Ermittlung des medizinischen
Sachverhalts einzig bei Dr. med. F.________, Allgemeine Medizin FMH einen
Bericht vom 17. Juli 2006 eingeholt, in welchem der Gesundheitszustand der
Versicherten (wie auch von ihr selber) als stationär beschrieben und die
Arbeitsfähigkeit unverändert mit 50 % beziffert wurde, weshalb sich weitere
Abklärungen erübrigten. Bei dieser Sachlage kann nicht die Rede davon sein, es
habe damals eine materielle Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer
Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines
Einkommensvergleichs stattgefunden, was indessen erforderlich wäre, um der
Mitteilung - wie dies die Beschwerdeführerin für richtig hält und grundsätzlich
möglich wäre (vgl. dazu SVR 2010 IV Nr. 4 S. 7 E. 3.1, 9C_46/2009) - Bedeutung
als Vergleichsgrundlage zukommen zu lassen.

4.
4.1 Die Vorinstanz erwog, der ursprünglichen Rentenverfügung von 1995 habe die
Annahme einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % in dem Hüftleiden (als einziger
gesundheitlicher Beeinträchtigung) angepassten Tätigkeiten zugrunde gelegen.
Der somatische Zustand habe sich mit der Einsetzung der Hüftprothesen in den
Jahren 2001 und 2005 insofern verändert, als im orthopädischen Teilgutachten
des Instituts X.________ für körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder
Position mit einem mindestens hälftigen Anteil im Sitzen eine zeitlich und
leistungsmässig uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit attestiert werde. In
psychischer Hinsicht hätten sich die gesundheitlichen Verhältnisse dahingehend
verschlechtert, als im entsprechenden Teilgutachten des Instituts X.________
eine leichte depressive Episode bei einer rezidivierenden depressiven Störung,
eine Panikstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt
und die Arbeitsunfähigkeit auf 30 % festgesetzt werde. Gesamthaft seien die
Gutachter zum Ergebnis gelangt, dass die Versicherte für leidensadaptierte
Tätigkeiten seit Oktober 2005 (drei Monate nach der letzten
Hüftprothesenimplantation vom Juli 2005) zu 70 % arbeitsfähig sei (Gutachten
des Instituts X.________ vom 5. Dezember 2007). Auf diese Einschätzung sei
abzustellen. Dementsprechend sei gemäss überzeugender Einschätzung der
Gutachter des Instituts X.________ von einer Arbeitsfähigkeit von 70 % für
leidensadaptierte Tätigkeiten auszugehen.

4.2 Diese Sachverhaltsfeststellung ist nach der gesamten Aktenlage weder
offensichtlich unrichtig noch beruht sie auf einer Rechtsverletzung, weshalb
sie für das Bundesgericht verbindlich ist (vgl. E. 1). Was in der Beschwerde
dagegen vorgebracht wird, ist unbehelflich oder nicht stichhaltig.

Zu Unrecht macht die Beschwerdeführerin geltend, die vorinstanzliche
Einschätzung, wonach sich ihr Gesundheitszustand nach der
Totalprotheseimplantation seit spätestens Oktober 2005 verbessert habe,
verletze - weil es sich bloss um eine Neubeurteilung eines im Wesentlichen
gleich gebliebenen Sachverhalts handle - Art. 17 ATSG, stelle eine unrichtige
Sachverhaltsfeststellung dar und sei in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
zustande gekommen. Denn die Gutachter des Instituts X.________ haben klar
festgehalten, dass die von ihnen festgestellte Arbeitsfähigkeit "seit
spätestens Oktober 2005, nach Erholung von der Totalprotheseimplantation in der
Hüfte rechts im Juli 2005" bestehe, wobei sie eine leichte Abnahme der
inguinalen Beschwerden auf der rechten Seite (anders als auf der linken Seite)
gegenüber dem präoperativen Zustand beschrieben, was - entgegen der
Beschwerdeführerin - ohne Verletzung von Bundesrecht als Verbesserung der
gesundheitlichen Verhältnisse verstanden werden darf. Davon ging offenbar auch
Dr. med. F.________ in seinem Verlaufsbericht vom 16. Juni 2006 aus, in welchem
von gut funktionierenden Hüftprothesen und einer verbesserten Beweglichkeit der
Hüfte die Rede ist, wenn er auch gleichzeitig einräumte, dass die
Schmerzhaftigkeit unter Belastung geblieben sei und zum Teil
belastungsunabhängige Hüftschmerzen bestehen würden. Des Weitern haben die
Gutachter einleuchtend dargelegt, dass die Diskrepanz zur Einschätzung des Dr.
med. F.________ in seinem Bericht vom 5. Februar (recte: 29. Januar) 2007
(Arbeitsunfähigkeit von 75 %) darauf beruht, dass der Hausarzt sich auf die
subjektiv geklagten Beschwerden stützte. Was die von der Versicherten geklagten
Schmerzen anbelangt, so fanden diese im psychiatrischen Teilgutachten
Berücksichtigung, in welchem die Arbeitsfähigkeit aufgrund einer leichten
depressiven Episode, einer Panikstörung und einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung auf 70 % in einer den körperlichen Einschränkungen angepassten
Tätigkeit festgelegt wurde. Gemäss den nachvollziehbaren Feststellungen der
Gutachter des Instituts X.________ beruht der Widerspruch zum Austrittsbericht
der Klinik W.________ vom 14. Dezember 2006 ([volle] Arbeitsunfähigkeit aus
psychischer Sicht) im Wesentlichen darauf, dass die damals festgestellte
posttraumatische Belastungsstörung jedenfalls nicht fortbestand (vgl. auch
Stellungnahmen des Dr. med. F.________ vom 8. und 29. Januar 2007, in welchen
sich die Diagnose einer posttraumtischen Belastungsstörung bereits nicht mehr
findet) und dass die depressive Episode von den Gutachtern nicht als mittel-,
sondern als leichtgradig eingestuft wurde, was sie mit dem von der Versicherten
selber geschilderten Tagesablauf und den von ihr angegebenen Aktivitäten
überzeugend begründeten.
Unter diesen Umständen kann nicht von einer offensichtlich unrichtigen
Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts gesprochen werden, und es
verletzt auch sonst nicht Bundesrecht, wenn die Vorinstanz dem inhaltlich
vollständigen und im Ergebnis schlüssigen Gutachten des Instituts X.________
vom 5. Dezember 2007 höhere Beweiskraft zuerkannt hat als den Einschätzungen
der behandelnden Ärzte.

4.3 Mit dem (zu einem rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 36 oder 37 %
führenden) Einkommensvergleich setzt sich die Beschwerdeführerin nicht
auseinander, weshalb das Bundesgericht keine Veranlassung hat, darauf näher
einzugehen (vgl. E. 1 hiervor).

5.
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten von der
Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung
von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen
werden, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64
Abs. 1 und 2 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202). Die Beschwerdeführerin wird
jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass sie der Gerichtskasse Ersatz zu leisten
hat, wenn sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Erich Züblin wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin
bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. April 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann