Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 18/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_18/2009

Urteil vom 7. April 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
L.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Fischer,

gegen

Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft,
c/o Allianz Suisse, Lebensversicherungs-Gesellschaft, Bleicherweg 19, 8002
Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 11. November 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1957 geborene L.________ war vom 2. September 1991 bis 30. September 2003
in der Firma X.________ AG angestellt und deswegen bei der Sammelstiftung BVG
der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) für
die berufliche Vorsorge versichert. Im November 2003 meldete sie sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen sprach ihr die
IV-Stelle Luzern mit Einspracheentscheid vom 3. Februar 2006 bei einem
Invaliditätsgrad von 73 % ab 1. Oktober 2005 eine ganze Invalidenrente zu. Die
Beschwerde, mit welcher die Versicherte die Rentenzahlung ab Mai 2003
beantragte, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit unangefochten
gebliebenem Entscheid vom 3. Mai 2007 ab. Die Allianz verneinte ihre
Leistungspflicht mit der Begründung, die invalidisierende Arbeitsunfähigkeit
sei erst nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses eingetreten.

B.
Am 30. Juli 2007 liess L.________ Klage erheben und beantragen, die Allianz sei
zu verurteilen, die ihr gemäss Bundesgesetz über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge zustehenden Leistungen zuzüglich 5 % Zins
zu bezahlen. Die Allianz beantragte die Abweisung der Klage, soweit darauf
einzutreten sei. Nach Ergänzung der Akten und Durchführung eines zweifachen
Schriftenwechsels wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die
Klage mit Entscheid vom 11. November 2008 ab.

C.
L.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der Entscheid vom 11. November 2008 sei aufzuheben und die
Allianz zu verurteilen, ihr ab Oktober 2004 die obligatorischen und allfällige
darüber hinaus gehende vertragliche Vorsorgeleistungen auf der Grundlage eines
Invaliditätsgrades von 73 % auszurichten.

Die Allianz beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und
das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. BGG). Es
ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an
die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem
anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (Urteil 9C_294/
2007 vom 10. Oktober 2007 E. 2 mit Hinweis; vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262;
130 III 136 E. 1.4 S. 140).

2.
2.1 Überobligatorische Vorsorgeleistungen bildeten nicht Streitgegenstand des
vorinstanzlichen Verfahrens (BGE 125 V 413 E. 1 S. 414 f.). Diesbezüglich ist
auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2.2 Die Allianz wurde in das Verfahren betreffend die Rente der
Invalidenversicherung einbezogen. Die Vorinstanz hat daher zutreffend
dargelegt, dass die Parteien vorbehältlich offensichtlicher Unhaltbarkeit an
die entsprechenden Feststellungen in Bezug auf den Eintritt der
invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit, die Eröffnung der Wartezeit und den
Invaliditätsgrad gebunden sind (BGE 130 V 270 E. 3.1 S. 273). Streitig und zu
prüfen ist die Leistungspflicht der Allianz, nachdem der Gesundheitsschaden,
welcher zur Invalidität führte, - auch im berufsvorsorgerechtlichen Sinn - erst
am 20. Oktober 2004, mithin nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses (vgl.
Art. 10 Abs. 3 BVG), eingetreten ist.

3.
3.1 Anspruch auf Invalidenleistungen haben Personen, die im Sinne der
Invalidenversicherung zu mindestens 50 resp. 40 Prozent invalid sind und bei
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat,
versichert waren (Art. 23 BVG in der bis 31. Dezember 2004 resp. ab 1. Januar
2005 gültigen Fassung). Der Anspruch entsteht gegenüber jener
Vorsorgeeinrichtung, welcher die Person beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit,
deren Ursache zur Invalidität geführt hat, angehört hatte. Ist die Invalidität
erst nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eingetreten, ist ein enger
sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und
Invalidität erforderlich (BGE 130 V 270 E. 4.1 S. 275).
3.2
3.2.1 Die Arbeitsunfähigkeit ist relevant, wenn sie mindestens 20 % beträgt
(Urteil 9C_772/2007 vom 26. Februar 2008 E. 3.2; Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts B 48/97 vom 7. Oktober 1998 E. 1) und sich auf das
Arbeitsverhältnis sinnfällig auswirkt oder ausgewirkt hat.
3.2.2 Der sachliche Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidität
ist gegeben, wenn der Gesundheitsschaden, der zur Arbeitsunfähigkeit geführt
hat, von der Art her im Wesentlichen derselbe ist, welcher der
Erwerbsunfähigkeit zu Grunde liegt (SZS 2008 S. 575, 9C_125/2008 E. 2.2). Die
Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs setzt voraus, dass die versicherte
Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität
geführt hat, nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig war. Bei der
Prüfung dieser Frage sind die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles zu
berücksichtigen, namentlich die Art des Gesundheitsschadens, dessen
prognostische Beurteilung durch den Arzt sowie die Beweggründe, welche die
versicherte Person zur Wiederaufnahme oder Nichtwiederaufnahme der Arbeit
veranlasst haben. Zu den für die Beurteilung des zeitlichen Konnexes relevanten
Umständen zählen auch die in der Arbeitswelt nach aussen in Erscheinung
tretenden Verhältnisse, wie etwa die Tatsache, dass ein Versicherter über
längere Zeit hinweg als voll vermittlungsfähiger Stellensuchender Taggelder der
Arbeitslosenversicherung bezieht (Urteile B 100/02 vom 26. Mai 2003 E. 4.1 und
B 18/06 vom 18. Oktober 2006 E. 4.2.1 in fine mit Hinweisen).

3.2.3 Das Bundesgericht hat mit BGE 134 V 20 in Präzisierung der Rechtsprechung
entschieden, dass für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 23
lit. a BVG die Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf
massgeblich ist. Der zeitliche Zusammenhang zur später eingetretenen
Invalidität beurteilt sich hingegen nach der Arbeitsunfähigkeit respektive
Arbeitsfähigkeit in einer der gesundheitlichen Beeinträchtigung angepassten
zumutbaren Tätigkeit, sofern diese die Erzielung eines rentenausschliessenden
Einkommens erlaubt (BGE 134 V 20 E. 5.3 S. 27; SZS 2008 S. 575, 9C_125/2008 E.
2.2).

4.
4.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherten seit der Aufgabe
ihrer Arbeitstätigkeit am 29. April 2002 von verschiedenen Ärzten eine
Arbeitsunfähigkeit in erheblichem Ausmass attestiert wurde. Nach nicht
offensichtlich unrichtiger und daher für das Bundesgericht verbindlicher
vorinstanzlicher Feststellung (E. 1) sind die Abwesenheiten von der Arbeit
durch eine somatoforme Schmerzstörung bedingt gewesen. Unter Hinweis auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Invaliditätsbegriff bei somatoformer
Schmerzstörung (BGE 130 V 352) hat das kantonale Gericht die Auffassung
vertreten, die Versicherte sei während des Versicherungsverhältnisses nicht in
relevantem Mass arbeitsunfähig geworden. Es sei davon auszugehen, dass sie bis
im Oktober 2004 ihre Arbeitsfähigkeit mit zumutbarer Willensanstrengung hätte
erhalten können. Demzufolge hat es mit Bezug auf den sachlichen und zeitlichen
Zusammenhang der Arbeitsunfähigkeit mit der Invalidität keine Feststellungen
getroffen. Soweit notwendig (vgl. E. 4.3 und 4.4), lässt sich der Sachverhalt
ergänzen (E. 1).

4.2 Während in Bezug auf die Invalidität relevant ist, ob der
Gesundheitsschaden eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit
verursacht (Art. 4 IVG; Art. 8 in Verbindung mit Art. 7 ATSG), ist für die
Bestimmung der leistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung darauf abzustellen, ob
die gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Arbeitsunfähigkeit im Sinn von
Art. 23 BVG führt (vgl. Art. 6 ATSG). Auch wenn eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung grundsätzlich als psychisches Leiden mit Krankheitswert
aufzufassen ist, gilt sie in der Regel als überwindbar und nicht
invalidisierend (BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 353 f.). Die Rechtsfrage, ob sie
geeignet ist, eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 23 BVG zu bewirken,
kann indessen offen bleiben, wenn (wie hier) selbst bei deren Bejahung ein
enger sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und
Invalidität im konkreten Fall zu verneinen ist.

4.3 Der Rentenzusprache liegen als gesundheitliche Beeinträchtigungen eine
anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine später hinzugetretene
mittelgradige depressive Episode zugrunde. Ein sachlicher Zusammenhang ist
damit ohne Weiteres zu bejahen (E. 3.2.2).

4.4 Da sich der zeitliche Zusammenhang grundsätzlich nach der Arbeitsfähigkeit
in einer (angepassten) zumutbaren Tätigkeit und damit nach Kriterien der
Invalidität richtet (E. 3.2.3), hat sich diesbezüglich auch eine an nicht
invalidisierender somatoformer Schmerzstörung leidende Person - allenfalls
unter Gewährung einer gewissen Anpassungszeit - eine Arbeitsfähigkeit in der
bisherigen oder einer angepassten Beschäftigung anrechnen zu lassen. Dies steht
im Übrigen auch im Einklang mit der Legaldefinition der Arbeitsunfähigkeit von
Art. 6 ATSG, wonach bei langer Dauer auch die zumutbare Tätigkeit
berücksichtigt wird - wenngleich diese Bestimmung im Recht der beruflichen
Vorsorge nicht direkt anwendbar ist (Art. 2 ATSG).

Die Beschwerdeführerin hat ihre Tätigkeit aufgrund der somatoformen
Schmerzstörung im April 2002 aufgegeben und seither - abgesehen von einem
gescheiterten Versuch - keine Arbeit mehr aufgenommen. Laut Vorinstanz (E. 1)
wurde die zur Invalidität führende (psychische) Komorbidität erst im Oktober
2004 festgestellt. Dazwischen liegen rund 18 Monate, während welcher der
Versicherten in rechtlicher Hinsicht die Ausübung der bisherigen Tätigkeit
zumutbar war. Dies ist jedenfalls eine genügend lange Dauer, um den zeitlichen
Zusammenhang zwischen der angenommenen Arbeitsunfähigkeit und der später
eingetretenen Invalidität zu unterbrechen. Daraus folgt, dass die Allianz
gegenüber der Beschwerdeführerin nicht leistungspflichtig ist und der
angefochtene Entscheid Bundesrecht nicht verletzt.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende, nicht
anwaltlich vertretene Vorsorgeeinrichtung hat schon aus diesem Grund keinen
Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. April 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann