Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 184/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_184/2009

Urteil vom 17. Juli 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz,
Beschwerdeführerin,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern,
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV
(Berechnung des Leistungsanspruchs),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 20.
Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
Die 1959 geborene A.________ bezieht seit 1. Oktober 2001 bei einem
Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Ihrem
Ehemann B.________ (geboren 1956) sprach die Invalidenversicherung ab 1. Januar
bis 30. September 1995 eine Invalidenrente zu. Nachdem er sich im April 2002
erneut zum Leistungsbezug anmeldete, verneinte die IV-Stelle Bern bei einem
Invaliditätsgrad von 34 % dessen Anspruch auf eine Rente, was das Bundesgericht
mit Urteil I 18/06 vom 1. Februar 2007 letztinstanzlich bestätigte. Im Dezember
2007 stellte B.________ wiederum ein Rentengesuch, welches noch nicht
rechtskräftig beurteilt ist (vgl. Urteil 9C_199/2009 vom 9. Juni 2009).

A.________ meldete sich im Oktober 2005 bei der Ausgleichskasse des Kantons
Bern zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Diese sprach ihr mit Verfügung vom
16. Oktober 2007 ab 1. September 2002 bis 31. Mai 2003 und ab 1. Mai bis 30.
November 2005 Ergänzungsleistungen zu, wobei sie u.a. ab 1. Juni 2003 ein
hypothetisches jährliches Erwerbseinkommen des Ehemannes von Fr. 36'000.-
anrechnete. Mit Einspracheentscheid vom 9. Juli 2008 reduzierte sie die
angerechneten Beträge auf jeweils Fr. 18'000.- und setzte die
Ergänzungsleistungen ab 1. Juni 2003 neu fest.

B.
Die Beschwerde der A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
Entscheid vom 20. Januar 2009 ab.

C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die
Ausgleichskasse anzuweisen, die Ergänzungsleistungen ohne Berücksichtigung
eines Verzichtseinkommens festzulegen; eventuell sei die Sache zur weiteren
Abklärung und neuen Verfügung an die Verwaltung zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
2.1 Streitig und zu prüfen ist lediglich die Anrechenbarkeit eines
hypothetischen Erwerbseinkommens des Ehegatten der Beschwerdeführerin nebst den
entsprechenden Auswirkungen auf die Höhe der Ergänzungsleistungen.

2.2 Am 1. Januar 2008 ist das neue Bundesgesetz über die Ergänzungsleistungen
zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG; SR 831.30) in
Kraft getreten. In Bezug auf die Streitfrage ist die Rechtslage indessen
unverändert.

Unter dem Titel des Verzichtseinkommens (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG resp. Art.
3c Abs. 1 lit. g aELG) ist auch ein hypothetisches Einkommen des Ehegatten
einer Ergänzungsleistungs-Ansprecherin anzurechnen (vgl. Art. 9 Abs. 2 ELG
resp. Art. 3a Abs. 4 aELG), sofern er auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder
deren zumutbare Ausdehnung verzichtet (BGE 117 V 287 E. 3b S. 291; AHI 2001 S.
133, P 18/99 E. 1b). Daran ändert eine (Teil-)Invalidität des betroffenen
Ehepartners nichts (BGE 115 V 88 E. 1 S. 90). Ist dieser im rechtlichen Sinne
nicht invalid, ist Art. 14a wie Art. 14b ELV weder direkt noch analog anwendbar
(SVR 2007 EL Nr. 1 S. 1, P 40/03 E. 3). Bei der Ermittlung der zumutbaren
Erwerbstätigkeit der Ehefrau oder des Ehemannes ist der konkrete Einzelfall
unter Anwendung familienrechtlicher Grundsätze (vgl. Art. 163 ZGB) zu
berücksichtigen (BGE 117 V 287 E. 3c S. 292). Dementsprechend ist auf das
Alter, den Gesundheitszustand, die Sprachkenntnisse, die Ausbildung, die
bisherige Tätigkeit, die konkrete Arbeitsmarktlage sowie gegebenenfalls auf die
Dauer der Abwesenheit vom Berufsleben abzustellen (BGE 134 V 53 E. 4.1 S. 61;
117 V 287 E. 3a S. 290; AHI 2001 S. 132, P 18/99 E. 1b; Urteil 8C_589/2007 vom
14. April 2008 E. 5.1; je mit weiteren Hinweisen). Bemüht sich der Ehegatte
trotz (teilweiser) Arbeitsfähigkeit nicht um eine Stelle, verletzt er dadurch
die ihm obliegende Schadenminderungspflicht (Urteil 8C_589/2007 vom 14. April
2008 E. 6.1 und 6.2).

2.3 Die Vorinstanz hat nicht offensichtlich unrichtig und daher für das
Bundesgericht verbindlich (E. 1) festgestellt, aus den gesundheitlichen
Einschränkungen der Beschwerdeführerin ergebe sich nicht die Notwendigkeit,
dass sich rund um die Uhr jemand in ihrer Nähe aufhalte, und auch die mit ihrer
Krebserkrankung verbundene psychologische Belastung der Familie mache dem
Ehemann die Aufnahme einer 50 prozentigen Erwerbstätigkeit nicht unzumutbar.
Bis zum 10. Februar 2005 sei nicht von einer die Anrechnung eines
hypothetischen Jahreseinkommens von Fr. 18'000.- verbietenden gesundheitlich
begründeten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Ehemannes auszugehen. Eine
gesundheitliche Verschlechterung nach diesem Zeitpunkt sei nicht mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Trotz voller Arbeitsfähigkeit in
leidensangepassten Tätigkeiten habe der Ehemann der Beschwerdeführerin zum
vornherein auf Stellenbewerbungen verzichtet.

2.4 Auch nach der hier massgeblichen familienrechtlichen Beurteilung (E. 2.2)
ist nicht einzusehen, weshalb die Pflicht, zwecks Unterhalt der Familie eine
Erwerbstätigkeit auszuüben (vgl. Art. 163 ZGB), mit dem blossen Hinweis auf
psychosoziale Belastungsfaktoren zu verneinen sein soll. Im Rahmen der
Zumutbarkeit ist allenfalls eine Einschränkung anzunehmen. Im von der
Beschwerdeführerin zitierten Urteil 5P.439/1999 vom 13. Januar 2000 lag denn
auch eine "Extremvariante eines psychosomatischen Leidens" vor, was zu einer
Reduktion des hypothetischen Einkommens auf immerhin noch Fr. 2'500.- pro Monat
führte (Urteil 5P.439/1999 vom 13. Januar 2000 E. 3). Im Übrigen ist
hinsichtlich des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen für die Beantwortung der
Frage, ob dem Ehegatten eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist, durchaus auch die
invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise zu berücksichtigen (vgl. BGE
134 V 53 E. 4.4 S. 62 f.; HAVE 2004 S. 127, P 64/03 E. 3.2).

2.5 Die Verwaltung erachtete ein Arbeitspensum von 50 % als dem Ehemann
zumutbar und setzte das entsprechende hypothetische Jahreseinkommen auf Fr.
18'000.- fest, was das kantonale Gericht in Würdigung der konkreten Umstände
(E. 2.3) bestätigt hat. Dabei hat es zu Recht nicht direkt vom im Verfahren
betreffend den Anspruch des Ehemannes auf eine Invalidenrente angenommenen
Invalideneinkommen auf die Höhe des Verzichtseinkommens geschlossen (vgl. HAVE
2004 S. 127, P 64/03 E. 3.3.1 und 3.6; Urteil P 18/02 vom 9. Juli 2002 E. 3b),
zu deren Überprüfung jedoch die Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik herangezogen (Urteil P 2/99 vom 9. Dezember 1999 E.
6a). Anhaltspunkte für besondere Umstände, welche eine weitere Reduktion des
hypothetischen Einkommens erfordern, sind nicht ersichtlich und werden auch
nicht geltend gemacht. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz in zulässiger
antizipierender Beweiswürdigung auf weitere Abklärungen verzichtet (BGE 122 V
157 E. 1d S. 162, Urteil 9C_694/2007 vom 10. Dezember 2007 E. 3.1 mit
Hinweisen).

3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Juli 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann