Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 167/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_167/2009
9C_168/2009

Urteil vom 28. Mai 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
Erbe der T.________,
B.________, Beschwerdeführer,

gegen

CSS Kranken-Versicherung AG, Tribschenstrasse 21, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerden gegen die Entscheide des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 31. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
T.________ (geb. 1950, gest. am 17. Oktober 2008) und B.________ (geb. 1948)
sind respektive waren bei der CSS Kranken-Versicherung AG obligatorisch
krankenpflegeversichert. T.________ reichte dem Krankenpflegeversicherer eine
Rechnung des Zentrums S.________ im Betrag von ? 4165.- wegen eines
notfallmässigen Spitalaufenthalts vom 17. bis zum 29. Juni 2004 ein. B.________
legte seinerseits eine Rechnung im Betrag von ? 1673.- für einen
Spitalaufenthalt vom 15. bis 26. Juni 2004 vor. Der Versicherungsträger liess
die Umstände der geltend gemachten Spitalaufenthalte über eine
Organisationszentrale für Auslandfälle abklären. Die betreffenden Ergebnisse
führten ihn zum Schluss, die eingereichten Belege seien gefälscht. Demzufolge
lehnte der Krankenpflegeversicherer die Kostenübernahme ab (mit
Einspracheentscheiden vom 3. September 2007 bestätigte Verfügungen vom 20.
Januar 2006).

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobenen
Beschwerden ab (Entscheide vom 31. Januar 2009).

C.
B.________ führt, auch in der Eigenschaft als Rechtsnachfolger seiner
verstorbenen Ehefrau, gegen beide Entscheide Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem sinngemässen Rechtsbegehren, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die CSS Kranken-Versicherung AG zu
verpflichten, die geltend gemachten Auslagen zu erstatten. Ausserdem ersucht er
um unentgeltliche Prozessführung.

Die CSS Kranken-Versicherung AG schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit Blick auf die weitgehende Parallelität der beiden Verfahren rechtfertigt es
sich, diese zu vereinigen und mit einem einzigen Urteil zu erledigen (vgl. BGE
128 V 124 E. 1 S. 126 mit Hinweisen).

2.
Strittig ist, ob der Krankenpflegeversicherer den von den Versicherten
eingereichten Belegen entsprechend für die Kosten von aus medizinischen Gründen
im Ausland erbrachten (Art. 36 Abs. 2 KVV) Behandlungen der T.________ und des
B.________ über insgesamt ? 5838.- aufzukommen hat.

2.1 Das kantonale Gericht kam zum Schluss, es sei zwar nicht gänzlich
auszuschliessen, dass die fraglichen Behandlungen stattgefunden hätten; ihre
tatsächliche Durchführung erscheine angesichts der Aktenlage jedoch als
unwahrscheinlich.
2.1.1 Betreffend die strittige Behandlung der T.________ erwog die Vorinstanz,
die vom Krankenpflegeversicherer mit Abklärungen betraute M.________ AG habe
zur angeblichen operativen Behandlung einer Hernia ventralis (Bauchwandbruch)
mit Einlage eines Netzes (Mesh) und stationärer Hospitalisierung im Zeitraum
vom 17. bis 29. Juni 2004 mitgeteilt, das auf den Dokumenten aufgeführte
Zentrum S.________ stimme nicht mit dem Spital K.________ überein, dessen
Stempel verwendet worden seien. Im Zentrum S.________ seien die aufgeführten
Ärzte nicht bekannt. T.________ sei in der dortigen Patientenkartei nicht
registriert. Das Zentrum S.________ habe weder Rechnungen an T.________
ausgestellt noch Zahlungen von ihr erhalten. Auch im Medizinischen Zentrum
K.________ sei sie nicht verzeichnet. Diese Angaben würden durch die nach
Erlass der Verfügung vom 20. Januar 2006 unternommenen Erhebungen bestätigt
(Schreiben des Medizinischen Zentrums K.________ vom 23. August 2007 sowie des
Zentrums S.________ vom 25. Oktober 2007). Somit könne nicht von der Echtheit
und inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Spitalunterlagen ausgegangen
werden. Die konsiliarische Beurteilung durch die Internistin Dr. C.________ vom
19. Januar 2007 habe zudem ergeben, dass bis dahin drei Eingriffe im Bereich
des Abdomens durchgeführt worden seien. Das vom behandelnden Arzt in der
Schweiz bestätigte Vorhandensein von Narben besage daher nichts. Anlässlich
einer am 23. Februar 2007 erfolgten Operation im Spital X.________ wegen
rezidivierender Tumoren habe ausgeschlossen werden können, dass zuvor ein Netz
eingesetzt worden sei.
2.1.2 Hinsichtlich der eingereichten Belege über eine Behandlung des B.________
vom 15. bis 26. Juni 2004 in A.________ wegen Pankreatitis
(Bauchspeicheldrüsenentzündung) wies das kantonale Gericht auf die im
Wesentlichen gleichen Umstände hin. Zusätzlich führte die Vorinstanz aus, der
Umstand allein, dass auf den Dokumenten eines Spitals in S.________ der Stempel
eines Spitals in K.________ angebracht sei, lasse Zweifel an der
Zuverlässigkeit der darin enthaltenen Angaben aufkommen. Zudem seien die in
einem (undatierten) Bericht angegebenen Behandlungskosten von "Fr. 500 8 Tage"
kaum mit dem Rechnungsbetrag in Höhe von ? 1673.- vereinbar. Die
Beschwerdegegnerin weise zu Recht darauf hin, dass sich die Unterschriften
eines Dr. I.________ auf diesem Bericht und der quittierten Rechnung erheblich
unterschieden. Bei der Beweiswürdigung dürfe schliesslich nicht ausser Acht
bleiben, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ebenfalls Behandlungskosten für
eine im Juni 2004 erfolgte stationäre Behandlung in A.________ geltend mache
und dabei ihren Anspruch ebenfalls auf mit Stempeln des Medizinischen Zentrums
K.________ versehene Dokumente des Zentrums S.________ stütze; der zuständige
Direktor habe in Bezug auf jene Dokumente ausdrücklich festgehalten, die darin
aufgeführten Ärzte existierten nicht.

2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe die strittigen Rechnungen in
bar beglichen. Dies werde durch die unterzeichneten Rechnungen bestätigt.
Hausarzt und Spital X.________ bestätigten wiederum, dass seine Ehefrau
operiert worden sei. Eventuell hätten die Ärzte in A.________ das Honorar für
die Operation der Ehefrau und für seine eigene Behandlung selber einkassiert.
Vermutlich seien beide aus diesem Grund nicht in das Spitalregister eingetragen
worden. Er habe der Beschwerdegegnerin eine notarielle Beglaubigung über die
betreffenden Rechnungen zukommen lassen; dabei seien ihm zusätzliche Kosten von
? 150.- entstanden.

Der Krankenpflegeversicherer gibt vernehmlassungsweise an, notariell
beglaubigte Rechnungen lägen ihm keine vor. Er lehne die Kostenerstattung und
damit die Leistungspflicht für die in Frage stehende Behandlungen weiterhin ab.

3.
3.1 Das Administrativverfahren wie auch der kantonale
Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43
Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben die Kasse und das
Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen
festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die
Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende
Klarheit besteht. Das Untersuchungsprinzip weist einen engen Bezug zum
Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf. Führen die im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen den
Versicherungsträger oder das Gericht bei umfassender, sorgfältiger, objektiver
und inhaltsbezogener Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) zur
Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei überwiegend wahrscheinlich (BGE 126
V 353 E. 5b S. 360 mit Hinweisen) und es könnten weitere Beweismassnahmen an
diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so bedeutet der Verzicht auf
die Abnahme weiterer Beweise keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör (antizipierte Beweiswürdigung). Bleiben jedoch erhebliche Zweifel an
Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der bisher getroffenen
Tatsachenfeststellung bestehen, ist weiter zu ermitteln, solange von
zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu
erwarten sind (Urteil 8C_364/2007 vom 19. November 2007 E. 3.2).

3.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der
Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Der Untersuchungsgrundsatz ergibt sich wie erwähnt
aus Bundesrecht (vgl. Art. 95 lit. a BGG). Hat das kantonale Gericht die
rechtserheblichen tatsächlichen Feststellungen unter Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes getroffen - oder sind sie als solche offensichtlich
unrichtig -, so ist das Bundesgericht demnach nicht daran gebunden.

4.
4.1 Dem Beschwerdeführer gelingt es nicht aufzuzeigen, inwiefern die von der
Vorinstanz namhaft gemachten Feststellungen offensichtlich unrichtig sein
sollten. Zwar legt die in der Stellungnahme eines Belegarztes im Spital
X.________, wo am 23. Februar 2007 eine Abdominalplastik vorgenommen wurde,
enthaltene, etwas gewundene Ausdrucksweise ("Es wurde kein Mesh eingesetzt und
dies würde auch nicht den mir bekannten Voroperationen entsprechen") nicht ohne
Weiteres nahe, der vorgängige Einsatz eines Netzes in das Abdomen sei geradezu
ausgeschlossen (so aber der angefochtene Entscheid, S. 5 unten). Auch stellt
die unterschiedliche Erscheinungsform der handschriftlichen Signatur eines
Arztes insoweit kein besonders starkes Indiz dar, als es sich einmal um eine
Vollunterschrift und einmal um ein blosses Visum zu handeln scheint. Die
Begebenheiten sprechen indessen insgesamt doch gegen eine - durch
erstattungsfähige Barzahlung entgoltene - Spitalbehandlung in A.________. Die
diesbezüglichen Erwägungen des kantonalen Gerichts sind anhand der Akten
nachvollziehbar. Angefügt sei, dass die im Vergleich von Briefkopf und Stempel
mehrfach verzeichnete Diskrepanz bezüglich Ort und Bezeichnung des sowohl den
Beschwerdeführer wie auch dessen Ehefrau behandelnden Spitals nicht etwa
dadurch erklärbar ist, dass es sich um verschiedene Zweige derselben
organisatorischen Einheit handelt; S.________ und K.________ sind zwei
verschiedene, über dreissig Kilometer voneinander entfernte Städte. Wenn es
sich beim "Zentrum S.________" lediglich um eine zentrale
Krankenhausorganisation handeln würde, hätten die vor Ort abklärenden Stellen
auf diese Besonderheit aufmerksam gemacht. Im Weiteren ist nicht einsehbar,
weshalb der Beschwerdeführer, der eine umfangreiche Dokumentation zum Fall in
das Verfahren eingebracht hat, im Wissen um den Rechtsstreit ausgerechnet von
einer eigens eingeholten notariellen Beglaubigung über die Echtheit beweisender
Dokumente keine Kopie angefertigt haben soll. Im Übrigen kann es mit einer
Verweisung auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid sein Bewenden haben,
zumal sich der Beschwerdeführer nur teilweise mit den dort dargestellten
Gesichtspunkten auseinandersetzt.

4.2 Der Entscheid des kantonalen Gerichts genügt den Erfordernissen des
Untersuchungsprinzips (oben E. 3.1). Die Vorinstanz durfte mithin ohne weitere
Abklärungen darauf erkennen, es sei unwahrscheinlich, dass sich der
anspruchserhebliche Sachverhalt tatsächlich verwirklicht habe. Der
Beschwerdeführer zeigt die Möglichkeit auf, dass eine erfolgte Barzahlung nicht
bestimmungsgemäss verbucht worden sein könnte. Die beschriebenen
Unstimmigkeiten lassen sich aber nur unzureichend durch eine solche Hypothese
erklären. Sie belegen zwar auch nicht abschliessend, dass die eingereichten
Dokumente über Spitalbehandlungen in A.________ unecht und/oder in ihrer
inhaltlichen Aussage unwahr sind; insgesamt bestehen aber derart grosse Zweifel
an ihrer Beweiskraft, dass die fraglichen Behandlungen jedenfalls nicht als
überwiegend wahrscheinlich erfolgt gewertet werden können. Da der
Beschwerdeführer die materielle Beweislast für das Vorliegen dieser
Leistungsvoraussetzung trägt (Art. 8 ZGB; BGE 133 V 205 E. 5.5 S. 216), gilt
diese als nicht erstellt. Die Beschwerdegegnerin hat ihre Leistungspflicht zu
Recht verneint.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1). Die Abweisung des Rechtsmittels erfolgt aufgrund der
beweisrechtlichen Lage; die Frage, ob die eingereichten Belege tatsächlich
gefälscht sind, wie die Beschwerdegegnerin meint, muss (und kann wohl auch)
nicht beantwortet werden. In Anbetracht der nicht einfachen Beweislage ist die
unentgeltliche Prozessführung im Sinne der Befreiung von den Verfahrenskosten
(Art. 64 Abs. 1 BGG) zu gewähren. Die entsprechenden Voraussetzungen sind
erfüllt (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Nach Art. 64 Abs. 4
BGG wird die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben, wenn
sie später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerden werden abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Mai 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub