Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 143/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_143/2009

Urteil vom 22. Oktober 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
K.________,
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
vom 12. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
K.________, geboren 1946, ist seit Dezember 1996 von der ebenfalls 1946
geborenen M.________ geschieden. Bei der Scheidung wurde ihm die elterliche
Sorge für die Töchter R.________ (geboren 1982) und S.________ (geboren 1987)
zugeteilt. M.________ bezieht seit 1. Juli 1985 eine Invalidenrente. Mit
Verfügung vom 16. April 2008 sprach die IV-Stelle Basel-Stadt K.________ eine
ganze Invalidenrente ab 1. August 2006 zu. Bei dieser Gelegenheit wurden ihm
Kinderrenten zuerkannt (für R.________ vom 1. - 31. August 2006 und für
S.________ ab 1. Januar 2007). Die Kinderrenten beider Elternteile wurden
plafoniert.

B.
Beschwerdeweise beantragte K.________ beim Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt, die IV-Stelle sei anzuweisen, die Rentenberechnung neu vorzunehmen
und von einer Plafonierung der Kinderrenten abzusehen. Mit Entscheid vom 12.
Januar 2009 wurde die Beschwerde abgewiesen.

C.
K.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
erneuert das vorinstanzlich gestellte Begehren; ferner beantragt er die
unentgeltliche Rechtspflege.
Verwaltung und Vorinstanz beantragen Abweisung der Beschwerde; das Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Streitig ist, ob die zugesprochenen Kinderrenten der Invalidenversicherung zu
plafonieren sind.

3.
3.1 Nach Art. 35 Abs. 1 AHVG (in Verbindung mit Art. 37 Abs. 1 und 1bis IVG)
beträgt die Summe der AHV- resp. IV-Renten von Ehepaaren maximal 150 % des
Höchstbetrages der Altersrente. Diese Plafonierung entfällt nach Art. 35 Abs. 2
AHVG (in Verbindung mit Art. 37 Abs. 1 und 1bis IVG) bei Ehepaaren, deren
gemeinsamer Haushalt richterlich aufgehoben wurde. Demnach werden auch die
Renten geschiedener Personen nicht plafoniert.

3.2 Gemäss Art. 35ter AHVG beträgt die AHV-Kinderrente 40 % der dem
massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprechenden Altersrente.
Haben beide Elternteile einen Anspruch auf Kinderrente, so sind die beiden
Kinderrenten zu kürzen, soweit ihre Summe 60 % der maximalen Altersrente
übersteigt. Für die Durchführung der Kürzung ist Artikel 35 AHVG sinngemäss
anwendbar.
Aufgrund von Art. 35 Abs. 1 IVG haben Männer und Frauen, denen eine
Invalidenrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine
Waisenrente der AHV beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Die
IV-Kinderrente beträgt nach Art. 38 Abs. 1 IVG 40 % der dem massgebenden
durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprechenden Invalidenrente. Haben beide
Elternteile einen Anspruch auf Kinderrente, so sind die beiden Kinderrenten zu
kürzen, soweit ihre Summe 60 % der maximalen Invalidenrente übersteigt. Für die
Durchführung der Kürzung ist Art. 35 AHVG sinngemäss anwendbar.

4.
Der Beschwerdeführer rügt, mit ihrer Ablehnung, die IV-Kinderrenten von der
Plafonierung auszunehmen, habe die Vorinstanz die Regelung in Art. 35 Abs. 2
und 35ter AHVG in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 IVG unrichtig angewandt und
damit Bundesrecht verletzt. Er bringt vor, Sinn und Zweck des Verzichts auf die
Rentenplafonierung bei getrennt lebenden oder geschiedenen Personen sei nach
der Rechtsprechung ihre Gleichstellung mit Einzelpersonen und
Konkubinatspaaren. Wenn die Eltern getrennt oder geschieden seien, müsse dies
wie für ordentliche Invalidenrenten auch für Kinderrenten gelten. Er als
Geschiedener werde sonst wegen seiner früheren Verheiratung gegenüber
Einzelpersonen und Konkubinatspaaren benachteiligt.

5.
5.1 Nach dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 IVG wird nicht unterschieden,
ob die Eltern verheiratet sind oder nicht, wenn beidseits die Kinderrenten
gekürzt werden. In Satz 3 wird für die Durchführung der Rentenkürzung auf Art.
35 AHVG verwiesen. Damit ist lediglich die Kürzungsberechnung gemeint, nicht
die Berechtigung an sich. Entsprechend ist im französischen Wortlaut von
"calcul de la réduction" die Rede und im italienischen von "calcolo della
riduzione". Die Regelung erfolgt in Analogie zu Art. 35ter AHVG, wo die
Kinderrenten ebenfalls auf 60 % plafoniert werden, und wo der gleiche Satz wie
in Art. 38 IVG folgt, wonach für die "Durchführung der Kürzung" Art. 35 AHVG
sinngemäss anwendbar ist. Die Plafonierung ist nicht abhängig davon, ob die
Eltern verheiratet sind oder nicht (siehe auch MARKUS KRAPF, Die Koordination
von Unterhalts- und Sozialversicherungsleistungen für Kinder, Diss. Freiburg
2004, S. 44 Fn. 185).

5.2 Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die ratio legis von Art. 35 Abs. 2
AHVG verfängt nicht: Die dortige Ausnahme von der Plafonierung trägt dem
Umstand Rechnung, dass ein Haushalt mit zwei Personen in finanzieller Hinsicht
weniger benötigt als zwei Haushalte mit je einer Person. Das Kind, für welches
die Invalidenrenten ausbezahlt werden, wohnt im Normalfall nur bei einem
Elternteil, so dass es nicht nötig ist, an seinen Bedarf in zwei Haushalten
ungekürzt beizutragen. Die entsprechende vorinstanzliche Begründung für die
Plafonierung der Kinderrenten ist entgegen dem beschwerdeführerischen Einwand
stichhaltig. Auch wird Sinn und Zweck des Verzichts auf eine Rentenplafonierung
bei getrennt lebenden oder geschiedenen Personen (siehe dazu oben E. 4:
Gleichstellung mit Einzelpersonen und Personen im Konkubinat) nicht
widersprochen, wenn die Kinderrente des Beschwerdeführers plafoniert wird: Dies
würde sie auch, wenn er früher nicht mit der Kindsmutter verheiratet gewesen
wäre.

6.
An der vom Beschwerdeführer zitierten Aussage im Urteil I 399/02 des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 30. April 2003 (E. 1), wonach der
Vorbehalt in Art. 35 Abs. 2 AHVG aufgrund des Verweises in Art. 38 Abs. 1 IVG
auch für die Plafonierung von beiden Eltern zustehenden Kinderrenten gelte,
kann nach dem Gesagten nicht festgehalten werden; dabei kann offenbleiben, ob
die hier strittige Frage dort massgeblich beantwortet worden ist, war doch dort
nur Streitthema, ob die Eheleute getrennt lebten oder nicht.

7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wird entsprochen, da die Beschwerde aufgrund des in E. 6
Erörterten in guten Treuen erhoben werden konnte (Art. 64 BGG; BGE 125 V 201 E.
4a S. 202). Er hat der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu in
der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Nicolai Fullin wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers
bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der GastroSocial Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Oktober 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz