Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 134/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_134/2009

Urteil vom 5. August 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Parteien
G.________, vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Verwaltungsverfahren, Ausstand),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 8. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 17. Oktober 2007 hielt die IV-Stelle Bern an der Begutachtung
des G.________ durch Dr. med. H.________, Psychiatrie, und Dr. med. L.________,
Neurochirurgie, trotz den von diesem mit Schreiben vom 9. Oktober 2007
geäusserten Einwänden fest. Dagegen erhob G.________ Beschwerde an das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit dem Antrag, die IV-Stelle sei zu
verpflichten, die Untersuchungen an verfassungsmässiger, unabhängiger Stelle
durchzuführen. Zudem ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Verfügung vom 14. August 2008 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung)
für den kantonalen Prozess ab. Die hiegegen erhobene Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Zusprache einer
Parteientschädigung im kantonalen Verfahren wies die II. sozialrechtliche
Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom 17. November 2008 ab und
verweigerte die unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren
wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels.

B.
Mit Entscheid vom 8. Januar 2009 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
die Beschwerde gegen die Verfügung vom 17. Oktober 2007 ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie
subsidiär Verfassungsbeschwerde erheben und beantragen, in prozessualer
Hinsicht sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege für das letztinstanzliche
Verfahren zu bewilligen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuzuerkennen.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und die IV-Stelle Bern verzichten
auf eine Vernehmlassung, wobei letztere zwei Schreiben an Dr. med. L.________
und Dr. med. H.________ vom 28. Januar 2009 auflegte, mit welchen sie den
Begutachtungsauftrag einstweilen stornierte.

D.
Mit Zwischenverfügung vom 15. Juni 2009 wies das Bundesgericht das Gesuch von
G.________ um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde ab und schrieb das Gesuch um aufschiebende Wirkung auf Grund des
stornierten Begutachtungsauftrages als gegenstandslos ab.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde gegen einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über
den Ausstand gemäss Art. 92 BGG ist zulässig, wobei entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers das Erfordernis eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils
nicht besteht (vgl. demgegenüber Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG).

1.2 Soweit der Beschwerdeführer seine Eingabe als subsidiäre
Verfassungsbeschwerde bezeichnet und auch verstanden haben will, ist darauf
nicht einzutreten. Denn dieses Rechtsmittel ist gemäss Art. 113 BGG nur
zulässig, soweit keine Beschwerdemöglichkeit nach den Artikeln 72-89 BGG
gegeben ist. Da im vorliegenden Fall die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG zulässig ist (vgl. E. 1.1. hievor), ist
auf eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten.

1.3 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist auf Grund der Vorbringen in
der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und
beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit.
a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Abklärung des
Sachverhalts durch unabhängige Sachverständige (Art. 44 ATSG, welcher auch im
Abklärungsverfahren der Invalidenversicherung anwendbar ist, vgl. zur
Publikation in BGE 135 vorgesehenes Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009) sowie
zu den Ausstands- und Ablehnungsgründen (BGE 132 V 93 E. 7.1 S. 110) für
dieselben zutreffend dargelegt. Insbesondere ist richtig, dass bei der
Ablehnung von Sachverständigen zwischen Einwendungen formeller und materieller
Natur zu unterscheiden ist, wobei die gesetzlichen Ausstandsgründe zu den
Einwendungen formeller Natur gehören und darüber in einer selbstständig
anfechtbaren Zwischenverfügung zu befinden ist, wogegen Einwendungen
materieller Natur, zum Beispiel betreffend die Sachkunde eines Gutachters,
nicht dessen Unparteilichkeit beschlagen und deshalb mit dem Entscheid in der
Sache selbst im Rahmen der Beweiswürdigung zu behandeln sind. Darauf wird
verwiesen.

2.2 Gestützt darauf hat die Vorinstanz zutreffend erwogen, der Vorwurf des
Beschwerdeführers der wirtschaftlichen Abhängigkeit der beiden vorgesehenen
Gutachter Dr. med. L.________ und Dr. med. H.________ auf Grund der beinahe
ausschliesslichen Tätigkeit für die IV-Stelle sei unbegründet. Eine
wirtschaftliche Abhängigkeit von der beauftragten Stelle vermöge allein keine
begründeten Zweifel an der Unabhängigkeit der begutachtenden Person zu
erwecken. Wenn selbst aus dem Umstand, dass ein Arzt oder eine Ärztin in einem
Anstellungsverhältnis zum Versicherungsträger stehe wie etwa bei Ärzten der
MEDAS, nicht auf mangelnde Objektivität und auf Befangenheit zu schliessen ist,
könne dieser Vorwurf umso weniger gegenüber freiberuflichen Experten erhoben
werden, welche einzig zufolge ihrer Gutachtertätigkeit in Kontakt mit der
IV-Stelle stehen. Entscheidend sei, dass fachlich-inhaltlich eine
Weisungsunabhängigkeit der begutachtenden Ärzte bestehe (Urteil I 885/06 vom
20. Juni 2007). Die Rüge der Befangenheit sei deshalb unbegründet.

2.3 Das Bundesgericht hat sich wiederholt zum Vorwurf der Befangenheit von
Gutachtern wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit von der Invalidenversicherung
auf Grund regelmässiger Gutachteraufträge geäussert. So wurde unlängst in SVR
2008 IV Nr. 22 (9C_67/2007 E. 2.4) erneut bestätigt, dass eine ausgedehnte
Gutachtertätigkeit für die Verwaltung keine Befangenheit zu begründen vermag
und daran trotz gelegentlich in Rechtsschriften und in der Literatur
vorgebrachter Kritik, wer dem Versicherungsträger wirtschaftlich nahe stehe,
könne nicht unparteiisch sein (Alfred Bühler, Versicherungsinterne Gutachten
und Privatgutachten, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Rechtsfragen der
medizinischen Begutachtung in der Sozialversicherung, St. Gallen 1997, S. 179
ff., 220 f.; Leo R. Gehrer, Zur Erhebung und Würdigung medizinischer
Entscheidungsgrundlagen im Sozialversicherungsrecht, SJZ 2000 S. 461 ff., 462
f.), festzuhalten ist (vgl. auch das den Beschwerdeführer betreffende Urteil
9C_772/2008 vom 17. November 2008).

2.4 Die (zum Teil weitschweifigen) Vorbringen des Beschwerdeführers bieten -
soweit überhaupt sachbezogen - keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Abkehr
von dieser Rechtsprechung. Zunächst übersieht der Beschwerdeführer, dass der
Gutachter Dr. med. H.________ gerade nicht Angestellter der
Invalidenversicherung, sondern als selbstständig praktizierender Psychiater
tätig ist. Sodann ist der Verweis auf eine "Praxisänderung ohne sachliche
Gründe" in BGE 122 V 160 schon deshalb unbehelflich, weil für die Frage der
Befangenheit vielmehr entscheidend ist, dass fachlich-inhaltlich eine
Weisungsunabhängigkeit der begutachtenden Ärzte besteht (erwähntes Urteil I 885
/06).

Schliesslich gebietet sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers eine
Praxisänderung auch nicht im Lichte der Rechtsprechung des EGMR. Wie bereits im
Zwischenentscheid vom 15. Juni 2009 ausgeführt, widerspricht die
Rechtsauffassung des Beschwerdeführers dieser Rechtsprechung (vgl.
Nichtzulassungsentscheid vom 22. Juni 1999 [betreffend BGE 122 V 157],
publiziert in VPB 2000 Nr. 138 S. 1341). Daran vermag auch das vom
Beschwerdeführer zitierte Urteil des EGMR in Sachen Sara Lind Eggertsdóttir
gegen Island vom 5. Juli 2007 Nr. 31930/04 nichts zu ändern, betrifft dieses
doch einen grundlegend anderen Sachverhalt (Darin wurde im Rahmen einer gegen
Ärzte des staatlichen National and University Hospital, NUH, gerichteten
Verantwortlichkeitsklage betreffend einen Behandlungsfehler nicht in erster
Linie kritisiert, das höchste isländische Gericht habe eine Expertenmeinung des
State Medico-Legal Board, SMLB, eingeholt, einem Gremium von
Gerichtsmedizinern, welche ihrerseits auch im NUH tätig waren;
entscheidendwesentlich war vielmehr dessen heikle Aufgabe, eine Analyse und
Bewertung der Leistung ihrer Kollegen am NUH vorzunehmen, mit dem Ziel, die
oberste Gerichtsbehörde in der Klärung der Frage der Haftung ihres Arbeitgebers
zu unterstützen, vgl. E. Ziff. 51 des Urteils; Urteile 8C_943/2008 vom 1. April
2009 E. 4.2 und 8C_762/2008 vom 7. Mai 2009 E. 2.4). Auch steht vorliegend
nicht das Verhältnis von verschiedenen Gutachten untereinander in Frage, sodass
die diesbezüglichen Vorbringen zur Waffengleichheit ins Leere zielen. Dies gilt
ebenso für die Einwände gestützt auf das Recht auf Achtung des Privatlebens
nach Art. 8 EMRK und das Recht auf Selbstbestimmung sowie die Vorbringen
bezüglich des Akteneinsichtsrechts.

3.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Wie eingangs erwähnt, wurde sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege mit Zwischenentscheid vom 15. Juni 2009 abgewiesen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.

2.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. August 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Borella Helfenstein Franke