Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1036/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1036/2009

Urteil vom 29. Januar 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdeführerin,

gegen

SWICA Krankenversicherung AG, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin,

K.________,
Mitbeteiligte.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungs-gerichts des Kantons Thurgau vom
28. Oktober 2009.

Sachverhalt:

A.
Die 2001 geborene K.________ leidet unter einer frühkindlichen Fütter- und
Essstörung bei primärer Microzephalie unklarer Ätiologie und ASD II,
Mitralklappenspalt und leichter Tricuspidalinsuffizienz (IV-Arztbericht über
medizinische Massnahmen des Kinderspitals S.________ von Ende 2008). Sie bezog
deswegen verschiedene Leistungen der Invalidenversicherung. So wurde ihr wegen
der Fütter- und Essstörung eine PEG-Sonde (perkutane endoskopische Gastrostomie
zur künstlichen Ernährung) implantiert und im November 2008 wieder entfernt.
Die Invalidenversicherung übernahm gemäss Verfügung der IV-Stelle des Kantons
Thurgau vom 20. Januar 2003 für die Zeit vom 28. Juni 2001 bis 30. Juni 2011
die Behandlung des Geburtsgebrechens Nr. 381 einschliesslich der ärztlich
verordneten Behandlungsgeräte und einer orofazialen Therapie (Behandlung der
Störung der Muskelkoordination im Mund- und Gesichtsbereich). Ebenfalls mit
Verfügung vom 20. Januar 2003 erteilte sie Gutsprache für die Übernahme der
Kosten für heilpädagogische Früherziehung ab 15. Juni 2002 bis 30. September
2006. Hingegen lehnte sie trotz Einwänden der Swica Krankenversicherung (als
OKP-Versicherer von K.________; vom 11. März 2009) und der Jugendmedizinischen
Klinik des Kinderspitals S.________ (gemeinsam mit der Mutter der Patientin;
vom 16. März 2009) mit Verfügung vom 25. Mai 2009 das Gesuch um Übernahme einer
Psychotherapie zur Verbesserung des Essverhaltens und zur Sondenentwöhnung ab,
weil es an einer entsprechenden Indikation fehle.

B.
Die Swica Krankenversicherung erhob Beschwerde mit dem Antrag, die
Invalidenversicherung sei unter Aufhebung der Verfügung vom 25. Mai 2009 zu
verpflichten, wegen des anerkannten Geburtsgebrechens für die Psychotherapie
aufzukommen. Mit Entscheid vom 28. Oktober 2009 hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau die Beschwerde gut; es hob die Verfügung auf und wies die
IV-Stelle an, die Psychotherapie von K.________ am Kinderspital S.________ zur
Verbesserung des Essverhaltens und zur Sondenentwöhnung zu übernehmen.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Amt für AHV und IV des Kantons
Thurgau für die IV-Stelle die Aufhebung des Gerichtsentscheides vom 28. Oktober
2009.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen bei Geburtsgebrechen (Art. 13 Abs. 1
IVG) sowie den Begriff des Geburtsgebrechens (Art. 3 Abs. 2 ATSG), welches den
Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung
begründet (Art. 13 Abs. 2 IVG in Verbindung mit der Liste im Anhang zur GgV),
zutreffend dargelegt. Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines
Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach
bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den
therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2
Abs. 3 GgV).

2.
Wie die Vorinstanz festgestellt hat, litt die Versicherte aufgrund von
Geburtsgebrechen neben anderem unter einer frühkindlichen Fütter- und
Essstörung und hatte darum grundsätzlich Anspruch auf medizinische
Eingliederungsmassnahmen. Die ihr zu diesem Zweck implantierte PEG-Sonde wurde
im November 2008 entfernt. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die
Invalidenversicherung gestützt auf Art. 13 IVG im Rahmen der Sondenentwöhnung
eine Psychotherapie als medizinische Massnahme zu übernehmen hat.

3.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe im Hinblick auf die
Geeignetheit der beantragten Psychotherapie den Sachverhalt rechtlich falsch
gewürdigt. Diese Behandlung stelle keine geeignete Therapie zur Verbesserung
der Sondenentwöhnung dar. Sie begründet es anhand von Lehrbuchdefinitionen zum
Begriff der "Psychotherapie". Aus diesen leitet sie ab, dass bei der
Versicherten eine solche gar nicht durchgeführt werden könne, da sie mental
retardiert sei und bei ihr ausgeprägte Entwicklungsverzögerungen bestünden, so
dass eine Psychotherapie ungeeignet sei.

4.
Entgegen der vorgetragenen Argumentation ging es nach der Aktenlage bei der
durchgeführten Behandlung zur Sondenentwöhnung nicht um eine gewöhnliche
Psychotherapie, sondern darum, die Versicherte und ihre Mutter bei der
Entwöhnung von der Sondenernährung unterstützend ärztlich zu begleiten; denn es
hatten sich aufgrund der Fütter- und Essstörung über die Jahre hinweg
interaktive Verhaltens- und Reaktionsmuster ausgebildet, die es zu korrigieren
galt. Dass diese Ziele mit ergotherapeutischen oder logopädischen Massnahmen
auf Seiten der Tochter alleine nicht hätten erreicht werden können, leuchtet
ein. Im gemeinsamen Einwand der Jugendmedizinischen Klinik und der Mutter gegen
den Vorbescheid führte der Leitende Arzt Psychosomatik/-therapie, Dr. med.
H.________, am 16. März 2009 aus, die Versicherte sei in kurzer Zeit von der
Sondenernährung entwöhnt worden und zeige mittlerweile ein nahezu unauffälliges
Essverhalten. Aus den Akten (und von der Beschwerdeführerin unbestritten)
ergibt sich insgesamt, dass hier eine therapeutische Massnahme den Erfolg bei
der Behandlung eines Geburtsgebrechens in einfacher und zweckmässiger Weise
angestrebt und erreicht und somit den in Art. 2 Abs. 3 GgV gestellten
Anforderungen entsprochen hat. Der Hinweis in der Beschwerde, die beantragte
Psychotherapie stelle an sich keine geeignete Therapie zur Verbesserung der
Sondenentwöhnung dar, zielt an den konkreten Gegebenheiten vorbei.

5.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Januar 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz