Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1033/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1033/2009

Urteil vom 30. April 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Gabathuler,
Beschwerdeführer,

gegen

Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt
im Bauhauptgewerbe (FAR),
Obstgartenstrasse 19, 8006 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 28. September 2009.

Sachverhalt:

A.
A.a Die Stiftung für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (Stiftung
FAR) ist zuständig für die Durchführung des am 12. November 2002 zwischen dem
Schweizerischen Baumeisterverband (SBV) und der GBI Gewerkschaft Bau &
Industrie (heute UNIA) sowie der Gewerkschaft SYNA abgeschlossenen
Gesamtarbeitsvertrages für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe
(GAV FAR), der vom Bundesrat teilweise allgemeinverbindlich erklärt wurde.
A.b Im Hinblick auf die Vollendung seines sechzigsten Altersjahres am 28.
August 2007 ersuchte B.________ die Stiftung FAR am 3. April 2007 um Leistungen
aus vorzeitigem Altersrücktritt. Diese verneinte ihre Leistungspflicht mit der
Begründung, der Bereich "carrelage", in welchem er jeweils als Plattenleger
gearbeitet habe, falle nicht unter den Geltungsbereich des GAV FAR. Am 2. Juni
2008 erhob B.________ Klage gegen die Stiftung FAR mit dem Rechtsbegehren,
diese sei zu verpflichten, ihm ab 1. September 2007 Leistungen aus vorzeitigem
Altersrücktritt gemäss Reglement FAR nebst 5 % Zins ab Fälligkeit der einzelnen
Rentenbetreffnisse zu entrichten. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich wies die Klage mit Entscheid vom 28. September 2009 ab.

B.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben
und erneuert das vorinstanzliche Rechtsbegehren; eventualiter sei die Sache zur
weiteren Abklärung und neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Stiftung FAR schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht
und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung,
während das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO sich zur Sache äussert, ohne
einen Antrag zu stellen.

Erwägungen:

1.
Der Sachverhalt - soweit entscheiderheblich - ist nicht umstritten. Ob der
Beschwerdeführer bei der Einzelfirma X.________ oder bei der Y.________ S.A.,
wo er vom 1. Juni 1994 bis 31. Dezember 2000 resp. vom 1. Januar 2001 bis 30.
September 2006 angestellt war, nur im Bereich Bodenplatten oder auch in der
Sparte Unterlagsböden gearbeitet hat, ist nicht wesentlich. Denn auch wenn
anzunehmen wäre, dass die Arbeitgeberin für die ausgeübte Tätigkeit vom
betrieblichen Geltungsbereich des GAV FAR erfasst wird (Art. 2 Abs. 1 lit. h
GAV FAR), vermöchte dies einen Anspruch auf eine Überbrückungsrente nicht zu
begründen, weil dafür insbesondere die Arbeit in den letzten sieben Jahren vor
dem allfälligen Leistungsbezug massgebend ist (Art. 14 Abs. 1 lit. c und Abs. 2
GAV FAR) und feststeht, dass die Y.________ S.A. seit der im September 2005
erfolgten Ausgliederung des Bereichs Unterlagsböden in die Z.________ SA ein
reiner Plattenlegerbetrieb ist.

2.
Streitig und zu prüfen ist die Rechtsfrage, ob die Plattenlegerunternehmen, bei
denen der Beschwerdeführer arbeitete, dem betrieblichen Geltungsbereich des GAV
FAR unterstehen.

2.1 Die Geltung des GAV FAR kann sich aus dem Bundesratsbeschluss vom 5. Juni
2003 über die Allgemeinverbindlicherklärung des GAV FAR (AVE GAV FAR; BBl 2003
4039) ergeben (vgl. BGE 134 III 625; SZS 2008 S. 487, 9C_211/2008; Urteil
9C_614/2009 vom 28. Januar 2010), oder aber aus dem GAV FAR direkt. Für die dem
GAV angeschlossenen Betriebe gilt er auch, soweit er nicht allgemein
verbindlich erklärt ist.

2.2 Zumindest in Bezug auf die Firma V.________, bei welcher der
Beschwerdeführer vom 1. Februar bis 31. August 2007 zuletzt angestellt war, ist
eine Mitgliedschaft beim SBV nicht ersichtlich, so dass für sie eine
vertragliche Geltung des GAV FAR von vornherein nicht in Betracht fällt, zumal
- mangels Zustimmung der Vertragsparteien (vgl. Art. 2 Abs. 3 GAV FAR, E. 2.3)
zu Recht - nicht geltend gemacht wird, sie habe sich gemäss Art. 356b OR dem
Vertrag angeschlossen. Im Gegenteil beschloss die Rekurskommission der Stiftung
FAR am 7. November 2007, die Firma V.________ dem GAV FAR nicht zu unterstellen
und ihr die bisher bezahlten Beiträge zurückzuerstatten. Ebenso entschied sie
gleichentags in Bezug auf den Bereich Bodenplatten (carrelages) der Y.________
S.A.

2.3 Jedenfalls ist für den Anspruch auf eine Überbrückungsrente erforderlich,
dass sich der Betrieb oder eigenständige Betriebsteil der Arbeitgeberin jeweils
im betrieblichen Geltungsbereich des GAV befindet resp. befand. Der
diesbezüglich einschlägige Art. 2 GAV FAR lautet wie folgt:
"1 Der GAV FAR gilt für alle inländischen und ausländischen in der Schweiz
tätigen Betriebe bzw. für deren Betriebsteile sowie für Subunternehmer und
selbstständige Akkordanten, die Arbeitnehmer beschäftigen, welche gewerblich
tätig sind, insbesondere in folgenden Bereichen:
a. Hoch-, Tief-, Untertag- und Strassenbau (einschliesslich Belagseinbau)
b. Aushub, Abbruch, Deponie- und Recyclingbetriebe usw.
c. Zimmereigewerbe
d. Steinhauer- und Steinbruchgewerbe sowie Pflästereibetriebe
e. Fassadenbau- und Fassadenisolationsbetriebe, ausgenommen Betriebe, die in
der Gebäudehülle tätig sind. Der Begriff «Gebäudehülle» schliesst ein: geneigte
Dächer, Unterdächer, Flachdächer und Fassadenbekleidun- gen (mit dazugehörendem
Unterbau und Wärmedämmung)
f. Abdichtungs- und Isolationsbetriebe für Arbeiten an der Gebäudehülle im
weiteren Sinn und analoge Arbeiten im Tief- und Untertagbereich
g. Betoninjektions- und Betonsanierungsbetriebe, Betonbohr- und Beton-
schneideunternehmen
h. Betriebe, die Asphaltierungen ausführen und Unterlagsböden erstellen
i. Betriebe, die gesamtbetrieblich mehrheitlich Geleisebau- und Bahnunter-
haltsarbeiten ausführen, ausgenommen Betriebe, die Schienenschweiss- und
Schienenschleifarbeiten, maschinellen Geleiseunterhalt sowie Fahr- leitungs-
und Stromkreislaufarbeiten ausführen.
2 Ausgenommen sind:
a) Betriebe des Kantons Genf, die Abdichtungen ausführen
b) das Marmorgewerbe des Kantons Genf
c) Betriebe des Kantons Waadt, die Asphaltierungen, Abdichtungen und
Spezialarbeiten mit Kunstharzen ausführen
d) die Berufe der Steinbearbeitung im Kanton Waadt
e) die Industrie- und Unterlagsböden-Betriebe des Kantons Zürich und des
Bezirks Baden (AG).
3 Betriebe, die dem Geltungsbereich des Schweizerischen Landesmantelvertrags im
Bauhauptgewerbe (LMV 2005), nicht aber unter den betrieblichen Geltungsbereich
des GAV FAR fallen, können sich mit Zustimmung der Vertragsparteien dem GAV FAR
durch schriftliche Vereinbarung anschliessen, wenn die Eintrittsbeiträge gemäss
Art.28 sowie sämtliche seit dem Inkrafttreten dieses Vertrages oder der
Betriebsaufnahme geschuldeten Beträge nachbezahlt werden. Der Anschluss muss
mindestens für die Dauer von fünf Jahren erklärt werden."

2.4 Der (betriebliche) Geltungsbereich des Landesmantelvertrages für das
Schweizerische Bauhauptgewerbe (LMV) stimmt mit jenem des GAV FAR nicht überein
(STEFAN KELLER, Der flexible Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe, 2008, S. 367
f.; vgl. auch Art. 2 Abs. 3 GAV FAR). Auf die Argumentation des
Beschwerdeführers, soweit sie den LMV betrifft, ist daher nicht weiter
einzugehen.

2.5 Es trifft zu, dass in Art. 2 Abs. 1 GAV FAR die Nennung der vom GAV FAR
erfassten Tätigkeitsbereiche mit dem Ausdruck "insbesondere" eingeleitet wird.
Aus der nachfolgenden Aufzählung geht indessen hervor, dass es sich durchwegs
um Betriebe des Baugewerbes handelt. Angesichts der detaillierten Aufzählung
ist anzunehmen, dass ausserhalb dieses Katalogs eine GAV-Unterstellung nur
aufgrund einer ausdrücklichen Äusserung oder eines formellen Anschlusses
erfolgt (KELLER, a.a.O., S. 365). Plattenlegerbetriebe wären angesichts ihrer
grossen Bedeutung besonders erwähnt worden, wenn sie dem GAV FAR hätten
unterstellt werden sollen.

2.6 Der Beschwerdeführer vertritt denn auch ausdrücklich nicht den Standpunkt,
dass das Plattenlegergewerbe gesamtschweizerisch dem GAV FAR unterstehe. Wie er
selber ausführt, sind dafür in den meisten Kantonen andere, teilweise
allgemeinverbindlich erklärte GAV anwendbar. Er ist jedoch der Meinung, dass
der GAV FAR dort gelten müsse, wo Plattenlegerbetriebe von keinem anderen GAV
erfasst werden.

2.7 Als gesamtschweizerischer Vertrag muss der GAV FAR grundsätzlich -
vorbehältlich der darin ausdrücklich genannten kantonalen Besonderheiten - nach
gesamtschweizerischem Verständnis ausgelegt werden.

2.8 Die Frühpensionierung ist eine heftig umstrittene Massnahme, die vom
üblichen Inhalt eines GAV abweicht und angesichts der erheblichen finanziellen
Tragweite einer klaren vertraglichen Begründung bedarf. Dass sich in einzelnen
wenigen Kantonen (so im Kanton Neuenburg) die Plattenlegerfirmen mangels eines
eigenen GAV dem LMV unterstellt haben, sagt deshalb in Bezug auf den
Geltungsbereich des GAV FAR nichts aus. Es mag auch sein, dass hinsichtlich
eines bestimmten Gewerbes - wenn es nicht als dem GAV FAR unterstellt
betrachtet wird - in einem Kanton die vorzeitige Pensionierung nicht vorgesehen
ist, während dies in anderen Kantonen aufgrund der dort geltenden Verträge
(vgl. etwa GAV vom 9. Juni 2004 für die vorzeitige Pensionierung im
westschweizerischen Ausbaugewerbe, der allerdings erst mit Bundesratsbeschluss
vom 17. September 2008 mit Wirkung ab 1. November 2008 u.a. auch für die
Neuenburger Plattenlegerbetriebe allgemeinverbindlich erklärt wurde, weshalb er
für den Beschwerdeführer unbehelflich ist) durchaus möglich ist. Dieser Umstand
kann indessen nicht dazu führen, dass die Bestimmungen über den betrieblichen
Geltungsbereich des GAV FAR für verschiedene Kantone unterschiedlich ausgelegt
werden. Im Übrigen weist der Umstand, dass für das Plattenlegergewerbe in den
meisten Kantonen besondere GAV geschaffen wurden, darauf hin, dass sie gerade
nicht als vom GAV FAR miterfasst betrachtet wurden.

2.9 Ist schon vertraglich nicht vorgesehen, dass das Plattenlegergewerbe unter
den GAV FAR fällt, so erfolgt eine Unterstellung erst recht nicht durch die
Allgemeinverbindlicherklärung, zumal in Art. 2 Abs. 4 AVE GAV FAR im
Unterschied zu Art. 2 Abs. 1 GAV FAR bei der Festlegung des betrieblichen
Geltungsbereichs der Begriff "insbesondere" nicht verwendet wurde und
Plattenlegerbetriebe in der nachfolgenden Aufzählung nicht genannt werden.

3.
Der Beschwerdeführer macht hinsichtlich der verweigerten Vertragsunterstellung
eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes geltend; er erblickt eine
Vertrauensgrundlage darin, dass die Stiftung FAR jahrelang widerspruchslos
Beiträge entgegengenommen hat.

3.1 Für den Vertrauensschutz (Art. 9 BV; BGE 131 II 627 E. 6.1 S. 636 f.) wird
u.a. vorausgesetzt, dass die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf
bestimmte Personen gehandelt hat (BGE 131 II 627 E. 6.1 S. 636 f.; 130 I 26 E.
8.1 S. 60, je mit Hinweisen; Urteil 1A.235/2006 vom 2. Juli 2007 E. 4.2, nicht
publ. in: BGE 133 II 220); eine generelle Praxis ist nicht geeignet, eine
Vertrauensgrundlage zu schaffen (BGE 125 I 267 E. 4c S. 274 f.; 111 V 161 E. 5b
S. 170 f., Urteil 2C_762/2008 vom 8. Mai 2009 E. 2.3). Der Vertrauensschutz
kommt ausserdem nur zum Tragen, soweit die Behörde gestützt auf eine
verlässliche Sachverhaltsgrundlage gehandelt oder entschieden hat (Urteil C 79/
96 vom 19. Februar 1997 E. 4c).

3.2 An den genannten Voraussetzungen fehlt es hier: Mit der (vorläufigen)
Entgegennahme der Beitragszahlungen hat die Stiftung FAR nicht in Bezug auf die
Arbeitgeberfirmen des Beschwerdeführers und schon gar nicht für diesen selber
konkrete Feststellungen aufgrund einer Unterstellungsprüfung getroffen, sondern
- wie der Beschwerdeführer selber vorbringt - in allgemeiner Weise und gerade
ohne nähere Abklärungen von allen Neuenburger Plattenlegerbetrieben die
Beiträge entgegengenommen. Das stellt keine hinreichende Vertrauensgrundlage
dar.

3.3 Mangels einer genügenden Vertrauensgrundlage im konkreten Fall und weil
Plattenlegerbetriebe nicht in dessen Anwendungsbereich fallen, ist der GAV FAR
nicht anwendbar. Die Beschwerde ist unbegründet.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende
Beschwerdegegnerin hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute
Organisation keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; BGE
134 III 625 E. 4 S. 636 mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Gesamtarbeitsverträge und
Arbeitsmarktaufsicht und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 30. April 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann