Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1023/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1023/2009

Urteil vom 17. März 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Györffy,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400
Winterthur,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 29. September 2009.

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene M.________ meldete sich im November 2001 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 23. Februar 2007
gewährte ihm die IV-Stelle des Kantons Zürich Arbeitsvermittlung. Am 7. Februar
2008 teilte sie ihm mit, die Massnahme sei erfolgreich abgeschlossen worden. Am
10. Februar 2009 beantragte der Versicherte erneute Arbeitsvermittlung. Nach
Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle
mit Verfügung vom 26. März 2009 einen solchen Anspruch .

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde des M.________ sowie das gleichzeitig gestellte
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. September 2009 ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, es sei der Entscheid vom 29. September 2009 aufzuheben und das
kantonale Gericht zu verpflichten, ihm für das vorinstanzliche Verfahren
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Ferner lässt er für das Verfahren vor
Bundesgericht um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen.

Erwägungen:

1.
Nach dem Wortlaut des entsprechenden Antrags verlangt der Beschwerdeführer die
Aufhebung des gesamten vorinstanzlichen Entscheids. Aus der
Beschwerdebegründung, die zur Auslegung der Rechtsbegehren beizuziehen ist
(Anwaltsrevue 2009 8 S. 393, 9C_251/2009 E. 1.3 mit Hinweisen), ergibt sich
indessen, dass nur die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
kantonale Beschwerdeverfahren angefochten wird.

2.
Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos
erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem
Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (Art. 29 Abs. 3 BV). Die
unentgeltliche Rechtspflege bezweckt, auch der bedürftigen Partei den Zugang
zum Gericht und die Wahrung ihrer Parteirechte zu ermöglichen. Sie soll
sicherstellen, dass jedermann unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen
nicht aussichtslose Streitsachen zur gerichtlichen Entscheidung bringen und
sich überdies im Prozess, sofern es sachlich geboten ist, durch einen Anwalt
vertreten lassen kann (BGE 135 I 1 E. 7.1 S. 2). Für das - in der Regel
kostenlose (Art. 61 lit. a ATSG [SR 830.1]) - sozialversicherungsrechtliche
Beschwerdeverfahren findet der Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand in
Art. 61 lit. f ATSG eine gesetzliche Grundlage.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat den Anspruch auf Arbeitsvermittlung verneint mit der
Begründung, der Beschwerdeführer sei in leichten Tätigkeiten uneingeschränkt
arbeitsfähig und daher für das Finden einer zumutbaren Stelle nicht auf die
spezifischen Fachkenntnisse der Invalidenversicherung angewiesen; er könne
dafür die "öffentliche" Arbeitsvermittlung in Anspruch nehmen. Auf die früher
zugesprochenen und durchgeführten Massnahmen könne er sich nicht berufen. Das
kantonale Gericht hat die Beschwerde sodann als aussichtlos beurteilt: Bereits
aufgrund der angefochtenen Verfügung vom 26. März 2009 habe dem
Beschwerdeführer klar sein müssen, dass sein Rechtsbegehren offensichtlich
unbegründet sei, zumal er auf laufende Massnahmen verweise, die indessen
bereits abgeschlossen worden seien, und eine massgebliche Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit geltend mache, obwohl aus dem Gutachten des Dr. med.
J.________ vom 20. September 2005 hervorgehe, dass er in leichten Tätigkeiten
nicht eingeschränkt sei. Ausserdem sei für die Leistungsart Arbeitsvermittlung
eine (unentgeltliche) anwaltliche Verbeiständung grundsätzlich nicht geboten.

3.2 In seiner Beschwerde an das kantonale Gericht bestritt der Versicherte
nicht, dass er in einer leichten Tätigkeit voll arbeitsfähig sei, er machte
indessen - ebenfalls unter Hinweis auf das Gutachten des Dr. med. J.________ -
Einschränkungen für schwere Arbeiten geltend. Da er am ehesten noch als
Hilfsarbeiter eine Stelle finden könne, in solchen Tätigkeiten aber oft eine
uneingeschränkte Leistungsfähigkeit verlangt werde, sei er bei der Stellensuche
handicapiert. Ferner wies er darauf hin, dass ihm die IV früher Massnahmen
gewährt habe und sich sein Gesundheitszustand seither nicht gebessert habe.

4.
4.1 Art. 18 IVG, welcher den Anspruch auf Arbeitsvermittlung regelt, erfuhr
anlässlich der 5. IV-Revision (Änderung des IVG vom 6. Oktober 2006, in Kraft
seit 1. Januar 2008) eine Modifikation. War der Anspruch früher nur für
(eingliederungsfähige) invalide Versicherte vorgesehen (vgl. dazu Urteil I 427/
05 vom 24. März 2006 E. 4), genügt nunmehr eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne von
Art. 6 ATSG, mithin im bisherigen Beruf. Damit wurde die Anspruchsberechtigung
weiter gefasst als bisher (Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 2005 4565). Dementsprechend
wurden auch die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen in Art. 8 IVG geändert: Waren bisher Invalide oder von
einer Invalidität unmittelbar Bedrohte angesprochen, wurde in der neuen Fassung
auf den Zusatz "unmittelbar" verzichtet. Allerdings stellte der Bundesrat
zugleich klar, dass sowohl die grundsätzlichen als auch die speziellen
Anspruchsvoraussetzungen, namentlich jene von Art. 8 Abs. 1 lit. a IVG, erfüllt
sein müssen (BBl 2005 4561).

4.2 In Bezug auf die Arbeitsfähigkeit in schweren körperlichen Tätigkeiten
fehlen vorinstanzliche Feststellungen. Selbst wenn diesbezüglich eine
vollständige Einschränkung anzunehmen wäre, steht fest, dass der
Beschwerdeführer - auch vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen -
nie eine solche Tätigkeit ausübte, sondern als Buchhalter resp. kfm.
Angestellter oder Allrounder arbeitete. Die von der Vorinstanz nicht
offensichtlich unrichtig festgestellte (vgl. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) volle
Arbeitsfähigkeit in leichter Tätigkeit wird auch durch den Bericht des Dr. med.
K.________ vom 18. Juni 2008 nicht substanziiert in Frage gestellt. In der
Verfügung vom 26. März 2009 wurde der Versicherte darauf hingewiesen, dass er
sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) melden könne; dies
bestritt er im vorinstanzlichen Verfahren nicht, sondern machte nur geltend,
vom RAV zu wenig unterstützt worden zu sein. Hingegen hatte die IV-Stelle dem
Beschwerdeführer noch am 15. November 2007 Kostengutsprache für ein
Arbeitstraining erteilt und ein entsprechendes Taggeld zugesprochen, obwohl ihr
das Gutachten des Dr. med. J.________ vom 20. September 2007 bereits damals
bekannt war. Dass sich seither an der gesundheitlichen Situation etwas
Wesentliches geändert hätte, ist nicht ersichtlich. Es ist daher
nachvollziehbar, dass der Versicherte gegen die einen Anspruch nunmehr
verneinende Verfügung Beschwerde erhob. Diese konnte nicht als aussichtslos
beurteilt werden.

4.3 Die bedürftige Partei hat in nicht aussichtslosen Verfahren Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise
betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich
machen. Droht das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die
Rechtsposition der betroffenen Person einzugreifen, ist die Bestellung eines
unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten, sonst nur dann, wenn
zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche
Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt
nicht gewachsen wäre (BGE 130 I 180 E. 2.2 S. 182 mit Hinweisen). Diese
Kriterien gelten auch im Rahmen von Art. 61 lit. f ATSG; die Untersuchungs- und
Offizialmaxime rechtfertigen es jedoch, an die Gebotenheit einer anwaltlichen
Verbeiständung einen strengen Massstab anzulegen (Urteil U 310/05 vom 26.
Januar 2006 E. 3).

4.4 Die Gewährung oder Verweigerung von Arbeitsvermittlung greift nicht
besonders stark in die Rechtsposition des Versicherten ein; er ist auch ohne
Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung in der Lage, sich - allein
oder mit Unterstützung des RAV - um Arbeit zu bemühen. Der konkrete Fall bietet
keine besonderen sachlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten. Aus den Akten
ergibt sich, dass der Beschwerdeführer über eine gute Ausbildung verfügt, seit
rund 20 Jahren in der Schweiz lebt, als Buchhalter resp. kfm. Angestellter
arbeitete und bereits zahlreiche Kontakte mit Sozialversicherungsorganen hatte.
Er wäre daher in der Lage gewesen, gegen die Verfügung vom 26. März 2009
selber, mithin ohne anwaltliche Vertretung, eine Beschwerde zu verfassen.

4.5 Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist ausgewiesen. Nach dem Gesagten
ist für das vorinstanzliche Verfahren der Anspruch auf unentgeltliche
Prozessführung zu bejahen, nicht aber jener auf unentgeltliche Verbeiständung.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten den Parteien
grundsätzlich je hälftig aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Vom Kanton als
(teilweise) unterliegende Partei sind indessen keine Gerichtskosten zu erheben
(Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren Anspruch auf eine (reduzierte) Parteientschädigung
(Art. 68 Abs. 1 BGG).
Soweit dadurch nicht gegenstandslos geworden, kann dem Gesuch des
Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege entsprochen werden (Art. 64
Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135, 128 I 225 E. 2.5.3 S.
235). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht,
wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird,
wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. September 2009 wird
aufgehoben, soweit damit der Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung
(Befreiung von den Gerichtskosten) abgewiesen wurde. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die reduzierten Gerichtskosten von Fr. 250.- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt, indessen vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'000.- zu entschädigen.

5.
Rechtsanwalt Viktor Györffy, Zürich, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-
ausgerichtet.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. März 2010

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann