Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1003/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1003/2009

Urteil vom 27. April 2010
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Bachmann,
Beschwerdeführer,

gegen

Fondation de Prévoyance Implenia A,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Staffelbach,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 13. Juli 2009.

Sachverhalt:

A.
G.________, geboren 1949, war ab 1. Mai 1999 bei der X.________ AG als
Bauleiter angestellt und bei der Vorsorgestiftung Y.________ (im Folgenden:
Vorsorgestiftung; heute: Implenia Fondation de Prévoyance A),
berufsvorsorgeversichert. Am 25. April 2000 unterzeichnete er eine
Gesundheitserklärung. Sowohl die Frage 1 ("Leiden Sie zurzeit oder haben Sie an
gesundheitlichen Störungen gelitten?") als auch die Frage 3 ("Haben Sie in den
letzten fünf Jahren aus gesundheitlichen Gründen Ihre Arbeit länger als 4
Wochen unterbrechen müssen?") verneinte er. Jedoch gab er an, "gegenwärtig" in
ärztlicher Behandlung oder unter ärztlicher Kontrolle zu stehen und
präzisierte, er habe im März 2000 an einer Entzündung der Prostata gelitten und
sei deswegen bei Dr. med. H.________, FMH für Urologie, in Behandlung gewesen
(Frage 2).
Am 11. August 2005 meldete sich G.________ bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle sprach ihm nach erwerblichen und medizinischen
Abklärungen mit Verfügungen vom 29. Januar und 9. Februar 2007 ab 1. September
2005 eine ganze Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % zu. Die
Vorsorgestiftung zog die Akten der IV bei und teilte G.________ am 14. Februar
2007 mit, nach Durchsicht seines Dossiers sei festgestellt worden, dass er sich
bereits am 16. März 1999 erstmals bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug angemeldet, die damit zusammenhängende "gesundheitliche
Vorgeschichte" aber in der Gesundheitserklärung vom 25. April 2000 nicht
erwähnt habe. Der überobligatorische Vorsorgevertrag werde deshalb aufgelöst
und die Leistungen würden auf das Minimum gekürzt (Schreiben vom 8. März 2007).
An diesem Standpunkt hielt die Vorsorgestiftung in der Folge fest.

B.
Die hierauf erhobene Klage des G.________ wies das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. Juli 2009 ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die
Vorsorgestiftung zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. September 2005 "die
uneingeschränkte vertragsgemässe IV-Rente" zuzusprechen. Eventualiter sei die
Sache zur Festsetzung des Rentenanspruches aus obligatorischer und
überobligatorischer Vorsorge in masslicher und zeitlicher Hinsicht an die
Vorsorgestiftung zurückzuweisen.
Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung. Die Vorsorgestiftung schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht überprüft Bundesrechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit.
a BGG frei. Zum frei überprüfbaren Bundesrecht gehört auch das von einer
Vorsorgeeinrichtung reglementarisch oder statutarisch (unter Einschluss der
Stiftungsurkunde) erlassene Berufsvorsorgerecht (BGE 134 V 369 E. 2; Ulrich
Meyer, Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 10 zu Art. 106;
Markus Schott, Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 46 zu Art.
95; Hansjörg Seiler, in: Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz
[BGG], 2007, N. 27 zu Art. 95). In tatsächlicher Hinsicht ist die
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts dahingehend eingeschränkt, dass es die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz von Amtes wegen nur berichtigen oder
ergänzen kann, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Es steht ausser Frage, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf eine
Invalidenrente nach BVG hat. Streitig ist einzig, ob ihm eine Invalidenrente
aus weitergehender (überobligatorischer) beruflicher Vorsorge zusteht und dabei
insbesondere, ob die Vorinstanz diesen Anspruch zu Recht mit der Begründung
verneint hat, infolge wahrheitswidrig ausgefüllter Gesundheitserklärung sei die
Beschwerdegegnerin berechtigterweise vom überobligatorischen Vorsorgevertrag
zurückgetreten.

3.
3.1 Das kantonale Gericht erwog in antizipierter Beweiswürdigung, nach Lage der
medizinischen Akten sei erstellt, dass der Beschwerdeführer Jahre vor seinem
Eintritt in die Vorsorgeeinrichtung unter einer depressiven Symptomatik sowie
einer Alkoholerkrankung gelitten habe. Die Frage 1 der Gesundheitserklärung vom
25. April 2000 sei somit "klarerweise falsch" beantwortet worden; daran ändere
die von der Beschwerdegegnerin verwendete offene Formulierung nichts. Die
Kausalität zwischen den verschwiegenen Störungen und der Invalidität sei
gegeben. Weiter sei nicht bestritten und ausgewiesen, dass der Rücktritt der
Beschwerdegegnerin rechtzeitig erfolgte: Sie habe durch die Akten der
Invalidenversicherung im November 2006 Kenntnis von "den Umständen" erhalten.
Gestützt auf das zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vom 8. März 2007 gültig
gewesene Reglement vom 23. Oktober 2006 sei diese innerhalb der reglementarisch
festgesetzten Frist von sechs Monaten (Art. 7 Ziff. 2 Abs. 8 Reglement [recte:
Art. 6 Ziff. 2 Abs. 8]) und damit rechtzeitig erfolgt.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt insbesondere, indem die Vorinstanz auf teils
nicht beweistaugliche medizinische Unterlagen abgestellt habe, handle sie
willkürlich und verletze Bundesrecht. Ferner habe sie eine Würdigung der erst
ein Jahr nach Arbeitsantritt ausgefüllten, vage formulierten
Gesundheitserklärung unterlassen, deren Fragen er ohne Verletzung seiner
Anzeigepflicht beantwortet habe. Weiter sei sie zu Unrecht davon ausgegangen,
dass die Beschwerdegegnerin rechtzeitig den Rücktritt vom Vertrag erklärt habe.
Massgeblich sei das bei seinem Eintritt in die Vorsorgestiftung am 1. Mai 1999
gültig gewesene Reglement vom 2. März 1999, welches keine Frist für die
Rücktrittserklärung enthalte. Die subsidiär anwendbare Verwirkungsfrist von
vier Wochen gemäss Art. 6 VVG habe die Beschwerdegegnerin nicht eingehalten.

3.3 Die Beschwerdegegnerin bringt im Wesentlichen vor, der Beschwerdeführer
erhebe teils unzulässige Sachverhaltsrügen und übe appellatorische Kritik. Die
Beschwerde enthalte nichts, was auf eine Bundesrechtsverletzung der Vorinstanz
schliessen liesse. Die Fragen 1 und 3 der Gesundheitserklärung seien unter
Verletzung der Anzeigepflicht beantwortet worden und schliesslich werde im
angefochtenen Entscheid zu Recht das Vorsorgereglement vom 23. Oktober 2006 für
massgeblich erklärt.

4.
Zunächst ist zu prüfen, ob das zum Zeitpunkt der behaupteten
Anzeigepflichtverletzung vom 20. April 2000 anwendbar gewesene Reglement vom
23. März 1999 (Reglement 1999) oder aber das bei Vertragsrücktritt der
Beschwerdegegnerin vom 8. März 2007 gültige Reglement massgeblich ist, welches
am 23. Oktober 2006 in Kraft getreten war (Reglement 2006). Dies ist deshalb
entscheidend, weil das Reglement 1999 keine Bestimmung betreffend Frist zur
Geltendmachung der Rücktrittserklärung enthielt, während das Reglement 2006
vorsieht, die Stiftung habe "dem Versicherten innert sechs Monaten nach
Feststellung der Verschweigung eine schriftliche Mitteilung" zu machen (Art. 6
Ziff. 2 letzter Absatz).

4.1 Der Beschwerdeführer stellt sich letztinstanzlich erstmals auf den
Standpunkt, massgeblich sei das Reglement 1999. Weil er sich dabei auf
aktenkundige Tatsachen beruft und gestützt darauf eine neue rechtliche
Argumentation vorbringt, ist sein Vorbringen zulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG e
contrario; Urteil 5A_417/2009 vom 31. Juli 2009 E. 1.3 mit Hinweisen).

4.2 Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE 130 V 9 E. 2.1
S. 11) zutreffend dargelegt, dass sich die Verletzung der Anzeigepflicht und
deren Folgen im Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge nach den
statutarischen und reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung
beurteilen (BGE 130 V 9 E. 2.1 S. 11, 119 V 283 E. 4 S. 286). Korrekt erwog
sie, ein Rücktritt der Vorsorgeeinrichtung vom Vorsorgevertrag habe die
rechtsgestaltende Wirkung, dass ab dem Zeitpunkt, in welchem die Aufnahme in
die überobligatorische berufliche Vorsorge erfolgte, gar kein
überobligatorisches Vorsorgeverhältnis bestehe und demzufolge auch kein
Anspruch auf Leistungen daraus entstehen könne. Zwar hat das Eidg.
Versicherungsgericht im Urteil B 69/00 und 70/00 vom 17. Dezember 2001 E. 3c
entschieden, eine rückwirkende Auflösung des Vertrages sei untersagt, wenn das
bei Abgabe der Rücktrittserklärung geltende Reglement der Vorsorgeeinrichtung
eine solche Willenserklärung verbiete, weil der Rücktritt vom Vertrag neben der
Rechtswirkung der Auflösung, welche in die Vergangenheit zurückwirkt, auch die
Abgabe der Rücktrittserklärung als Willenserklärung auf Auflösung des Vertrages
enthält. Abgesehen von diesem Sonderfall ist für die Zulässigkeit des
Vertragsrücktritts und dessen Modalitäten aber die Rechtslage massgebend,
welche Geltung hatte, als die versicherte Person in die überobligatorische
Vorsorge aufgenommen wurde (vgl. den bereits angeführten BGE 130 V 9 a.a.O.;
Urteile 9C_194/2008 vom 6. Oktober 2008 E. 3.1, B 125/06 vom 8. Mai 2007 E. 3,
B 106/05 vom 7. Dezember 2006 E. 3.1, B 3/06 vom 6. Juni 2006 E. 2.2.1, B 69/00
vom 17. Dezember 2001 E. 3c und B 41/00 vom 26. November 2001 E. 4). Dies steht
im Einklang mit dem Grundsatz, dass in zeitlicher Hinsicht diejenigen
Rechtssätze massgeblich sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen
führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 125 V 42 E. 2a S. 44 mit Hinweis),
welcher im hier zu beurteilenden Fall in der Verletzung der Anzeigepflicht
liegt (z.B. das bereits zitierte Urteil B 41/00 vom 26. November 2001 E. 4).
Die Vorbringen der Beschwerdegegnerin führen zu keinem anderen Schluss. Soweit
das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 121 V 97 E. 1c erwog, dass bei der
Festsetzung von Invalidenleistungen grundsätzlich die Reglementsbestimmungen
massgebend sind, welche im Zeitpunkt der Entstehung des Leistungsanspruchs
galten und nicht jene, die bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit in Kraft standen,
lässt sich daraus nicht ableiten, das zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung
gültige Reglement sei anwendbar. Weil es für die hier streitige Frage - wie
soeben dargelegt - auf den Zeitpunkt der Anzeigepflichtverletzung ankommt, als
dem zu Rechtsfolgen führenden Tatbestand, kann schliesslich auch aus der
Rechtsprechung zu den intertemporalrechtlich anwendbaren Bestimmungen bei einer
reglementarischen Änderung der Überentschädigung (z.B. BGE 134 V 64 E. 2.3.1 S.
68) nicht abgeleitet werden, dass die zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung
anwendbaren Bestimmungen massgeblich wären. Die Beschwerdegegnerin hat den
Vorsorgevertrag rückwirkend ab Beitritt zur Stiftung gekündigt und damit die
Rechtsfolgen auf einen Zeitpunkt bezogen, in dem das alte Reglement in Kraft
stand, so dass dieses anwendbar bleibt.

4.3 Der Versicherte trat unbestrittenermassen am 1. Mai 1999 der
Vorsorgeeinrichtung bei und füllte die Gesundheitserklärung am 25. April 2000
aus. Die Verwirkungsfrist richtet sich demzufolge entgegen der von Vorinstanz
und Beschwerdegegnerin vertretenen Ansicht nach dem Reglement 1999. Dessen
einschlägiger Art. 6 enthält keine Frist für den Vertragsrücktritt, weshalb
sich diese nach dem analogieweise heranzuziehenden Art. 6 VVG bestimmt (BGE 119
V 283 E. 4 und 5a S. 287; vgl. auch Urteil B 41/00 vom 26. November 2001 E. 4
mit Hinweis auf Urteil B 75/99 vom 21. August 2001). Nach den letztinstanzlich
verbindlichen und im Übrigen unbestritten gebliebenen Feststellungen im
angefochtenen Entscheid stellte die IV-Stelle, nachdem die Beschwerdegegnerin
am 16. November 2006 den Erhalt des IV-Vorbescheides bestätigt hatte, ihr auf
entsprechenden Wunsch am 20. November 2006 die Akten zu. Die
Rücktrittserklärung erfolgte am 8. März 2007 und damit lange nach Ablauf der
vierwöchigen Verwirkungsfrist. Ob der Versicherte seiner Anzeigepflicht
rechtsgenüglich nachgekommen ist, braucht unter diesen Umständen nicht weiter
geprüft zu werden. Der Beschwerdeführer hat daher über die obligatorischen
BVG-Leistungen hinaus Anspruch auf eine reglementarische Invalidenrente der
weitergehenden beruflichen Vorsorge.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 13. Juli 2009 wird aufgehoben und die Fondation de
Prévoyance Implenia A, Genf, wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer zusätzlich
zu den Leistungen aus der obligatorischen Vorsorge eine Invalidenrente aus der
überobligatorischen beruflichen Vorsorge zu bezahlen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. April 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle