Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 8F.8/2009
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 2009
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8F_8/2009

Urteil vom 3. Dezember 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Parteien
G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dieter Studer,
Gesuchsteller,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), 6002 Luzern,
Gesuchsgegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Revisionsgesuch gegen das Urteil des Bundesgerichts 8C_270/2008 vom 20. Mai
2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 23. Februar 2007, bestätigt durch den Einspracheentscheid vom
4. April 2007, legte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die
Arbeitsunfähigkeit des 1952 geborenen G.________ auf 50 % fest und richtete ihm
ein Taggeld im Rahmen von 50 % ab 1. Juli 2006 aus. Die dagegen erhobene
Beschwerde, mit welcher G.________ die Ausrichtung eines auf einer
Arbeitsunfähigkeit von 100 % basierenden Taggeldes über den 1. Juli 2006 hinaus
beantragen liess, wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Entscheid
vom 25. Januar 2008 ab. Diesen Entscheid bestätigte das Bundesgericht mit
Urteil vom 20. Mai 2008 (Urteil 8C_270/2008).

B.
Mit Eingabe vom 18. August 2009 lässt G.________ gestützt auf zwei interne
Berichte des Kreisarztes Dr. med. K.________ vom 29. Mai und 21. Oktober 2008
um Revision des Urteils des Bundesgerichts vom 20. Mai 2008 und um Zusprechung
eines vollen Taggeldes rückwirkend ab 1. Juli 2006 ersuchen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung des Revisionsgesuches. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Mit Eingabe vom 12. Oktober 2009 lässt G.________ an seinen Anträgen
festhalten.

Erwägungen:

1.
1.1 Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft
(Art. 61 BGG). Eine nochmalige Überprüfung der einem Urteil des Bundesgerichts
zu Grunde liegenden Streitsache ist grundsätzlich ausgeschlossen. Das Gericht
kann auf seine Urteile nur zurückkommen, wenn einer der in den Art. 121 ff. BGG
abschliessend aufgeführten Revisionsgründe vorliegt. Ein solcher Revisionsgrund
ist ausdrücklich geltend zu machen, wobei es nicht genügt, dessen Vorliegen zu
behaupten. Der geltend gemachte Revisionsgrund ist im Revisionsgesuch unter
Angabe der Beweismittel anzugeben und es ist aufzuzeigen, weshalb er gegeben
und inwiefern deswegen das Dispositiv des früheren Urteils abzuändern sein soll
(Urteil 8F_4/2009 vom 24. August 2009, E. 1.1).

1.2 Gemäss Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG kann die Revision in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten verlangt werden, wenn die ersuchende
Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende
Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen
konmerznte, unter Ausschluss der Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem
Entscheid - mithin dem Urteil, um dessen Revision ersucht wird - entstanden
sind. Nach der zum analogen Art. 137 lit. b OG ergangenen, gemäss BGE 134 III
45 E. 2.1 S. 47 weiterhin gültigen Rechtsprechung sind "neue" Tatsachen solche,
die sich bis zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen
prozessual zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch dem
Revisionsgesuchsteller trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die
neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein,
die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei
zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen. Neue
Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen
erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im
früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil des Gesuchstellers
unbewiesen geblieben sind. Erheblich ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist,
es hätte zu einem anderen Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren
davon Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht
bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient (BGE
110 V 138 E. 2 S. 141; 108 V 170 E. 1 S. 171; ferner nicht publ. E. 4.1 des
Urteils 134 III 286).

1.3 Das Revisionsgesuch ist gemäss Art. 124 Abs. 1 lit. d BGG innert 90 Tagen
nach der Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch nach Eröffnung der
vollständigen Ausfertigung des Entscheids einzureichen.

2.
2.1 Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 25. Januar 2008
und das Urteil des Bundesgerichts vom 20. Mai 2008 beruhen im Wesentlichen auf
den kreisärztlichen Beurteilungen des Dr. med. M.________ vom 31. Juli und 23.
Oktober 2006 sowie auf den Attesten des behandelnden Arztes Dr. med.
E.________, vom 12. Dezember 2006, 22. Januar und 10. Februar 2007. Gestützt
auf diese Berichte wurde davon ausgegangen, dass der Versicherte infolge
diverser Verletzungen im Hüftbereich, die er sich bei einem Motorradunfall
zugezogen hatte, in der erlernten Tätigkeit als Maschinenbaumeister 100 %
arbeitsunfähig, jedoch für eine wechselbelastende, vornehmlich sitzende wie die
zuletzt ausgeübte administrative Tätigkeit 50 % arbeitsfähig sei.
Dementsprechend wurde die Ausrichtung eines Taggeldes im Rahmen von 50 % ab 1.
Juli 2006 bestätigt.

2.2 Mit dem Revisionsgesuch vom 18. August 2009 gibt der Versicherte zwei
Berichte des Kreisarztes Dr. med. K.________ vom 29. Mai 2008 und 21. Oktober
2008 zu den Akten. Daraus geht hervor, dass Dr. med. K.________ am 29. Mai 2008
im Rahmen einer internen ärztlichen Stellungnahme ausführte, infolge fehlender
Röntgenbilder könne er nur bedingt zur Frage möglicher Ursachen der in der
Hüftregion geklagten invalidisierenden Schmerzen Stellung nehmen. Auf dem CT
des Beckens vom 28. März 2008 konnte er jedoch eindeutig eine Pseudarthrose des
Sitzbeins verifizieren. Aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen -
so der Kreisarzt - könne er nicht sagen, wann es zur Fraktur gekommen sei. Dass
eine solche Pseudarthrose Beschwerden, insbesondere im Sitzen, erzeugen könne,
sei indessen nachvollziehbar. Es seien jedoch auch andere Ursachen der
Schmerzen denkbar. Zusammenfassend lasse sich festhalten, dass die
geschilderten Beschwerden erklärbar seien, dass er die Frage nach dem Erreichen
des Endzustandes mangels Vorliegens des gesamten Röntgendossiers nicht
schlüssig beantworten könne und dass die ab 1. Juli 2006 attestierte 50%ige
Arbeitsfähigkeit eher nicht haltbar sei. Nach Unterbreitung des
vervollständigten Dossiers erstattete Dr. med. K.________ der SUVA am 21.
Oktober 2008 nochmals Bericht. Er hielt fest, an objektivierbaren
Unfallrestfolgen lägen ein Status nach Einbau einer zementlosen
Hüfttotalprothese wegen einer posttraumatischen Hüftkopfnekrose mit unsicherer
Frühlockerung der Prothese, eine Pseudarthrose des Sitzbeins sowie
möglicherweise eine Meralgia parestetica vor. Die Pseudarthrose des Sitzbeins
sei eindeutig auf dem CT des Beckens vom 28. März 2008 nachzuweisen. Sie sei
als Spätkomplikation der Primärverletzung anzusehen, bei der sich der
Versicherte nicht nur eine Azetabulumfraktur (Hüftpfanne) sondern auch eine
Doppelfraktur des Os ischii zugezogen habe. Die Osteosynthese der
Azetabulumfraktur sei mit vereinzelten Schrauben dürftig versorgt worden. Die
Fraktur des Sitzbeines sei nicht einbezogen worden, weshalb es zur
Pseudarthrose gekommen sei. Aufgrund dieser Pseudarthrose verspüre der
Versicherte gut erklärbare Schmerzen beim Sitzen, weshalb die Arbeitsfähigkeit
mit 50 % wahrscheinlich zu hoch eingeschätzt worden sei. Sollte sich der
Verdacht der Frühlockerung der Prothese bestätigen, seien auch die Beschwerden
im Stehen und Gehen gut erklärbar. Der Kreisarzt hielt auf die Frage nach dem
Vorliegen von neuen Tatsachen und Beweismitteln ab 1. Juni 2007 weiter fest,
die Diagnose Pseudarthrose des Sitzbeins stelle keine neue Tatsache dar. Sie
habe sich auf den konventionellen Röntgenbildern, die man nach dem Einbau der
Hüftprothese regelmässig durchgeführt habe, nicht mehr klar nachweisen lassen,
weil die dafür notwendigen Inzidenzen (Bildeinstellungen) nicht zur Verfügung
gestanden hätten. Im Rahmen der CT-Abklärungen sodann sei jeweils die Situation
nur im Bereich des Azetabulums beurteilt worden, während das Sitzbein auf
diesen Bildern manchmal gar nicht zur Darstellung gekommen sei. Von diesen
beiden internen Berichten - so der Gesuchsteller - habe er erst am 26. Juni
2009 Kenntnis erhalten, als die SUVA die Akten seinem Rechtsvertreter auf
dessen Einsichtsgesuch vom 19. Juni 2009 hin zukommen liess.

2.3 Die Gesuchsgegnerin bestreitet das Vorliegen erheblicher Tatsachen oder
Beweismittel, welche nicht schon im damaligen Verfahren hätten beigebracht
werden können. Zudem - so die SUVA - wäre auch die Frist von 90 Tagen ab
Entdeckung des Revisionsgrundes nicht eingehalten. Der Versicherte habe ohne
anwaltliche Vertretung bereits am 17. Juni 2008 ein Gesuch um Revision des
Urteils vom 20. Mai 2008 gestellt und sei damals mit Bestimmtheit zumindest im
Besitz von Röntgenbildern gewesen, welche es ihm ermöglicht hätten, den im
jetzigen Revisionsgesuch vertretenen Standpunkt darzutun.

3.
3.1 Die beiden Berichte des Dr. med. K.________ vom 29. Mai und 21. Oktober
2008 sind nach Erlass des angefochtenen Urteils vom 20. Mai 2008 erstellt
worden. Aus ihnen geht hervor, dass erst mit dem CT vom 28. März 2008 bekannt
worden war, dass sich eine Pseudarthrose des Sitzbeins entwickelt hatte, wobei
sich nach Vervollständigung des Röntgendossiers zeigte, dass es sich dabei um
eine Spätkomplikation der Primärverletzung handelte, welche dadurch entstand,
dass die Fraktur des Sitzbeins in der Osteosynthese nicht einbezogen worden
war. Gestützt auf diese Feststellungen bezeichnete Dr. med. K.________ die
Arbeitsfähigkeit von 50 % ab 1. Juli 2006 als eher nicht haltbar bzw.
wahrscheinlich zu hoch. Die Entwicklung der Pseudarthrose des Sitzbeins und die
daraus resultierenden Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit wurden von den
Ärzten, deren Berichte dem vorinstanzlichen Entscheid vom 25. Januar 2008 und
dem Urteil des Bundesgerichts vom 20. Mai 2008 zu Grunde gelegt worden waren,
nicht erkannt. Die beiden kreisärztlichen Berichte vom 29. Mai und 21. Oktober
2008 verändern somit die tatbeständliche Grundlage des Urteils in erheblichem
Ausmass. Die neue Sachlage ist geeignet, zu einer andern Entscheidung über die
Leistungspflicht der SUVA zu führen.

3.2 Von den beiden internen kreisärztlichen Berichte vom 29. Mai und 21.
Oktober 2008, auf welche sich das Revisionsgesuch stützt, konnte der
Gesuchsteller unbestrittenermassen erst am 26. Juni 2009 Kenntnis nehmen,
nachdem sie seinem Rechtsvertreter auf ein Akteneinsichtsgesuch hin zugestellt
wurden. Mit der Eingabe vom 18. August 2009 ist die Frist von 90 Tagen ab
Entdeckung des Revisionsgrundes eingehalten. Aus dem Umstand, dass der
Versicherte bereits vor dem 26. Juni 2009 über zahlreiche Röntgenbilder
verfügte, kann entgegen der Auffassung der SUVA nicht abgeleitet werden, dass
er - als medizinischer Laie - Kenntnis vom Revisionsgrund hatte, zumal ausser
Dr. med. K.________ auch die involvierten Ärzte die Pseudarthrose des Sitzbeins
nicht erkannt hatten. Das vom Versicherten selber am 17. Juni 2008 eingereichte
Revisionsgesuch sodann erfolgte vor der Zustellung der beiden kreisärztlichen
Berichte und beschränkte sich auf drei Sätze, mit welchen er unabhängig von
medizinischen Fakten seinem Unmut über das Urteil vom 20. Mai 2008 Ausdruck
gab. Die Eingabe genügte den Anforderungen an ein Revisionsgesuch hinsichtlich
Begehren und Begründung nicht und wurde im vereinfachten Verfahren ohne
Durchführung eines Schriftenwechsels erledigt. Für das vorliegende
Revisionsverfahren ist es nicht relevant.

3.3 Nach Gesagtem sind die vom Gesuchsteller mit Eingabe vom 18. August 2009
vorgebrachten neuen Tatsachen im Sinne von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG
revisionsrechtlich erheblich und wurde die 90tägige Frist ab Entdeckung des
Revisionsgrundes eingehalten. Das Revisionsgesuch ist daher gutzuheissen und
das Urteil des Bundesgerichts vom 20. Mai 2008 aufzuheben. Die Sache ist an die
SUVA zurückzuweisen, damit sie nach Vornahme der erforderlichen ergänzenden
Abklärungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Versicherten
über die ab 1. Juli 2006 zu erbringenden Leistungen neu verfügt.

4.
4.1 Die Kosten des Revisionsverfahrens sind bei diesem Verfahrensausgang der
Gesuchsgegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat den anwaltlich
vertretenen Gesuchsteller für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

4.2 Die in der Sache 8C_270/2008 für das bundesgerichtliche Verfahren zu
erhebenden Gerichtskosten gehen ausgangsgemäss zu Lasten der Beschwerdegegnerin
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird gutgeheissen und das Urteil des Bundesgerichts vom 20.
Mai 2008 (Verfahren 8C_270/2008) aufgehoben.

2.
In der Sache 8C_270/2008 wird wie folgt neu entschieden:
"1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 25. Januar 2008 und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom
4. April 2007 aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zurückgewiesen wird, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu
verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Obergericht des Kantons Schaffhausen zurückgewiesen."

3.
Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens von Fr. 750.- werden der
Gesuchsgegnerin auferlegt.

4.
Die Gesuchsgegnerin hat den Gesuchsteller für das Revisionsverfahren mit Fr.
2'000.- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Dezember 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Kopp Käch