Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 8F.15/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8F_15/2009

Urteil vom 7. Mai 2010
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Gesuchsteller,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Gesuchsgegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Revisionsgesuch gegen das Urteil
des Schweizerischen Bundesgerichts U 545/06
vom 9. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
M.________, geboren 1965, erlitt am 28. Mai 2002 einen Arbeitsunfall mit
Handverletzung. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) sprach ihm
mit Einspracheentscheid vom 8. März 2005, welcher vor- und letztinstanzlich mit
Urteil des Bundesgerichts vom 9. Januar 2008 (U 545/06) bestätigt wurde, ab 1.
November 2004 eine Invalidenrente basierend auf einer Erwerbsunfähigkeit von 46
% sowie eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 20 %
zu.

B.
Mit Eingabe vom 8. Dezember 2009 lässt M.________ gestützt auf ein Gutachten
des Dr. med. B.________, Chirurgie FMH, speziell Handchirurgie, vom 1. Dezember
2009, um Revision des Urteils des Bundesgerichts vom 9. Januar 2008 ersuchen
und die rückwirkende Zusprechung einer Invalidenrente auf der Basis von
mindestens 92 % sowie einer Integritätsentschädigung von 50 % beantragen.
Während die SUVA auf Abweisung des Revisionsgesuchs schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
Mit Eingabe vom 17. Februar 2010 lässt M.________ an den gestellten Anträgen
festhalten.

Erwägungen:

1.
1.1 Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft
(Art. 61 BGG). Eine nochmalige Überprüfung der einem Urteil des Bundesgerichts
zu Grunde liegenden Streitsache ist grundsätzlich ausgeschlossen. Das Gericht
kann auf seine Urteile nur zurückkommen, wenn einer der in den Art. 121 ff. BGG
abschliessend aufgeführten Revisionsgründe vorliegt. Ein solcher Revisionsgrund
ist ausdrücklich geltend zu machen, wobei es nicht genügt, dessen Vorliegen zu
behaupten. Der geltend gemachte Revisionsgrund ist im Revisionsgesuch unter
Angabe der Beweismittel anzugeben und es ist aufzuzeigen, weshalb er gegeben
und inwiefern deswegen das Dispositiv des früheren Urteils abzuändern sein soll
(Urteil 8F_4/2009 vom 24. August 2009 E. 1.1).

1.2 Gemäss Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG kann die Revision in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten verlangt werden, wenn die ersuchende
Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende
Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte,
unter Ausschluss der Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid -
mithin dem Urteil, um dessen Revision ersucht wird - entstanden sind. Nach der
zum analogen Art. 137 lit. b OG ergangenen, gemäss BGE 134 III 45 E. 2.1 S. 47
weiterhin gültigen Rechtsprechung sind "neue" Tatsachen solche, die sich bis
zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual
zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch dem Revisionsgesuchsteller trotz
hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner
erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage
des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher
Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen. Neue Beweismittel haben
entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen
oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt
gewesen, aber zum Nachteil des Gesuchstellers unbewiesen geblieben sind.
Erheblich ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist, es hätte zu einem anderen
Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren davon Kenntnis gehabt
hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient (BGE 110 V 138
E. 2 S. 141; 108 V 170 E. 1 S. 171; ferner nicht publ. E. 4.1 des Urteils 134
III 286).

1.3 Das Revisionsgesuch ist gemäss Art. 124 Abs. 1 lit. d BGG innert 90 Tagen
nach der Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch nach Eröffnung der
vollständigen Ausfertigung des Entscheids einzureichen.

2.
Der Gesuchsteller macht geltend, dass er gemäss Gutachten des Dr. med.
B.________ an einem CRPS II leide, womit die unfallbedingte somatische Ursache
seiner Beschwerden ausgewiesen und zufolge derer er lediglich noch zu 22,5 %
leistungsfähig sei.

3.
Beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS; ICD-10: M89.0) handelt es sich
um eine zusammenfassende Bezeichnung für Krankheitsbilder, welche die
Extremitäten betreffen, sich nach einem schädigenden Ereignis entwickeln und
durch anhaltenden Schmerz mit Störungen des vegetativen Nervensystems, der
Sensibilität und der Motorik gekennzeichnet sind. Das CRPS I (sympathische
Algodystrophie, Sudeck-Syndrom; früher sympathische Reflexdystrophie [SRD]) ist
eine Erkrankung der Extremität, die ohne definierte Nervenläsion nach relativ
geringfügigem Trauma ohne Bezug zum Innervationsgebiet eines Nervs auftritt. Es
kommt am häufigsten nach distaler Radiusfraktur bei wiederholten
Repositionsmanövern, einengenden Gipsverbänden oder ohne nachvollziehbare
Ursache vor. Eingeteilt wird es in drei Stadien: I: Entzündungsstadium; II:
Dystrophie; III: Atrophie (irreversibel). Das CRPS II (früher Kausalgie)
bezeichnet brennende Schmerzen und Störungen des sympathetischen Nervensystems
als Folge einer definierten peripheren Nervenläsion (häufig Hyperkompression).
Klinische Zeichen bzw. Symptome des CRPS sind schwer lokalisierbare brennende
Schmerzen (z.B. Allodynie, Hyperalgesie) zusammen mit autonomen (Ödeme,
Temperatur- und Schweisssekretionsstörung, eventuell trophische Störung der
Haut, Nagelveränderungen, lokal vermehrtes Haarwachstum), sensiblen und
motorischen Störungen. Im weiteren Verlauf kann es zu Knochenabbau
(Demineralisation), Ankylose und Funktionsverlust kommen (Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl., Berlin 2007, S. 1723). Das CRPS gehört zu
den neurologisch-orthopädisch-traumatologischen Erkrankungen (Wikipedia, Die
freie Enzyklopädie, http://de.wikipedia.org/wiki/
Komplexes_regionales_Schmerzsyndrom) und ist ein organischer bzw. körperlicher
Gesundheitsschaden (Urteil 8C_673/2009 vom 22. März 2010 E. 5.1).

4.
4.1 Wie der Gesuchsteller selber einräumt, wurde die Diagnose eines CRPS II
bereits durch die Ärzte der Rehaklinik X.________ gestellt, wo sich der
Gesuchsteller vom 2. Oktober bis zum 4. Dezember 2002 aufgehalten hatte
(Austrittsbericht vom 16. Dezember 2002). Insofern liegt keine neue Tatsache im
Sinne der dargelegten Rechtsprechung vor, da sie im Hauptverfahren bereits
bekannt war. Der Gesuchsteller macht denn auch geltend, dass die Auswirkungen
dieses Leidens, insbesondere das Ausmass der Einschränkung in der
Arbeitsfähigkeit, erst durch Dr. med. B.________ erkannt worden seien.

4.2 Bei der Würdigung von sich widersprechenden ärztlichen Berichten und
Gutachten ist nicht allein die Diagnose massgebend, sondern unter welchen
Beschwerden die versicherte Person leidet, ob diese objektiviert werden können
und welche Tätigkeiten der versicherten Person trotz ihrer gesundheitlichen
Einschränkungen noch zumutbar sind (vgl. zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der
Ermittlung des Invaliditätsgrades BGE 132 V 93 E. 4 S. 99 mit Hinweisen;
Urteile 8C_907/2009 vom 12. Februar 2010 E. 1.2; I 802/06 vom 5. Juli 2007 E.
4.3).
Auch wenn Dr. med. B.________ bemängelt, dass die behandelnden Ärzte die
Diagnose eines CRPS II zu Unrecht nicht gestellt hätten, geht aus seinem
Gutachten doch hervor, dass sich bezüglich der Befunderhebung keine
Unstimmigkeiten ergeben. Dies ist entscheidwesentlich.

4.3 Das Bundesgericht hat im Hauptverfahren (Urteil U 545/06) festgestellt,
dass der Gesundheitszustand des Gesuchstellers hinreichend abgeklärt worden sei
und die ärztlichen Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit übereinstimmten. Demnach
bestand eine starke Behinderung beim Einsatz der rechten Hand.
Diesbezüglich ist auch dem Gutachten des Dr. med. B.________ nichts wesentlich
anderes zu entnehmen. Er kommt indessen zum Schluss, dass der Gesuchsteller
zufolge seines Leidens in der Arbeitsfähigkeit beträchtlich stärker
eingeschränkt sei als bisher angenommen, was mit einer zusätzlichen zeitlichen
Limitierung, bedingt durch die Schmerzen beziehungsweise die dadurch
beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit, begründet wird.

4.4 Damit sind die Voraussetzungen für eine Urteilsrevision im Sinne von Art.
123 Abs. 2 lit. a BGG nicht erfüllt.
Ausschlaggebend ist, dass das neue Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Der
Revisionsgrund von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG ist immer nur dann gegeben, wenn
das angefochtene Urteil auf einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt
beruht, welcher durch die Berücksichtigung nunmehr vorgebrachter Tatsachen oder
Beweise korrigiert werden kann, was zu einem andern rechtlichen Ergebnis führt
(Urteil 9F_7/2008 vom 9. September 2008 E. 2.2; Elisabeth Escher, Basler
Kommentar zum BGG, 2008, N. 6 zu Art. 123). Es genügt daher
rechtsprechungsgemäss nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders
bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Für die
Revision eines Entscheides genügt es nicht, dass die Gutachterin oder der
Gutachter aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen
nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Auch ist ein
Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im Hauptverfahren
bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat. Notwendig ist
vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den Entscheid
wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben (BGE 127 V
353 E. 5b S. 358; 110 V 138 E. 2 S. 141, 291 E. 2a S. 293; 108 V 170 E. 1 S.
171; vgl. auch BGE 118 II 199 E. 5 S. 205; Urteile U 395/04 vom 12. September
2006 E. 1; U 61/04 vom 2. Juli 2004 E. 3.1).
Zur Begründung des Revisionsgesuchs wird, wie dargelegt, nicht geltend gemacht,
dass ein anderes als das im Hauptverfahren bekannte Leiden vorliege. Vielmehr
zog Dr. med. B.________ aus dem bekannten Sachverhalt - unter ebenfalls nicht
neuer Diagnosestellung - andere Schlüsse bezüglich der Arbeitsfähigkeit. Sein
Gutachten vom 1. Dezember 2009 weist damit nicht eine neue Tatsache aus, was
auf eine mangelhafte Abklärung des Sachverhalts im Hauptverfahren schliessen
lassen könnte. Vielmehr präsentiert er eine andere als die letztinstanzlich vom
Bundesgericht vorgenommene Würdigung, inwiefern sich die festgestellten
medizinischen Befunde auf die Arbeitsfähigkeit auswirkten. Dies vermag eine
Revision des Urteils U 545/06 nicht zu rechtfertigen. Auf die Beurteilung der
Ansprüche auf eine Invalidenrente sowie auf eine Integritätsentschädigung,
welche dem Gesuchsteller mit letztinstanzlich bestätigtem Einspracheentscheid
vom 8. März 2005 zugesprochen worden sind, ist daher nicht zurückzukommen.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten
werden dem unterliegenden Gesuchsteller auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Gesuchsteller auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 7. Mai 2010
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Leuzinger Durizzo